Asylbewerber stopfen Haushaltslöcher Thüringer Landkreise verdienen an Flüchtlingen
Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit, ob die Leistungen für Asylbewerber noch ausreichen. Der Satz - 225 Euro für einen Erwachsenen - hat sich seit 20 Jahren nicht verändert. MDR-Recherchen ergaben nun, dass in Thüringen vier Kreise selbst von dieser geringen Summe noch Gelder abzweigen und für andere Zwecke ausgeben. Allein der Wartburgkreis "verdiente" 2004 bis 2007 rund 850.000 Euro.
Vier Landkreise in Thüringen haben jahrelang für Asylbewerber gedachte Landesmittel zweckentfremdet. Nach Recherchen des MDR wurden insgesamt mehr als eine Million Euro abgezweigt, die eigentlich zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen gedacht waren.
Ein extremes Beispiel ist der Wartburgkreis, der mit seinem einzigen Asylbewerberheim in Gerstungen rund 850.000 Euro Gewinn erzielte. Begünstigt wurden die finanziellen Mauscheleien durch unklare Vorgaben. Die Thüringer Landesregierung zahlt für die Unterbringung und Versorgung ausländischer Flüchtlinge Pauschalen an die Landkreise und kreisfreien Städte. Dabei wird den Kommunen freie Hand gelassen bei der Verwendung der Gelder. Überschüsse müssen nicht zurückgezahlt werden.
Das Asylbewerberheim Gerstungen 2009/2010
Asylbewerberheim Gerstungen Asylbewerberheim Gerstungen Asylbewerberheim Gerstungen
Mindestbedingungen nicht erfüllt
Der Wartburgkreis sparte kräftig bei den Ausgaben für Unterbringung, soziale Betreuung und soziale Leistungen und erwirtschaftete so erhebliche Überschüsse - nach Daten des Landesverwaltungsamtes Thüringen rund 850.000 Euro in den Jahren 2004 bis 2007. Erschwerend kommt hinzu, dass der Wartburgkreis nachweislich die vorgeschriebenen Mindeststandards für den Betrieb seines einzigen Asylbewerberheims im Wartburgkreis in Gerstungen nicht erfüllte. Das Landesverwaltungsamt monierte "grobe Verstöße" beim baulichen sowie brandschutztechnischen Zustand. In dem Heim leben 68 Erwachsene und 14 Kinder. Ein Kinderspielzimmer - wie vorgeschrieben - gibt es zum Beispiel nicht.
Flüchtlingsräte, Kirchenvertreter und Politiker kritisierten, hier werde unmoralisch abkassiert. Die Sozialdezernentin und stellvertretende Landrätin im Wartburgkreis, Nicole Gehret, kündigte an, die Vorwürfe zu prüfen. Erst danach könne sie sich dazu äußern. Die parteilose Politikerin verwies zugleich auf die bisher erbrachten Investitionen des Wartburgkreises in die Gemeinschaftsunterkunft.
Asylbewerberheim Gerstungen
MDR INFO
Wartburgkreis verdient nach MDR-Recherchen an Asylbewerbern
Kreise sind verpflichtet, Mindeststandards für die Asylbewerberheime abzusichern. Doch das ist offenbar im Wartburgkreis nicht geschehen. Reporter Oliver Barth berichtet.
20.06.2012, 14:10 Uhr | 02:37 min
Wartburgkreis kein Einzelfall
Auch andere Thüringer Landkreise, wie das Altenburger Land, der Kyffhäuserkreis und der Unstrut-Hainich-Kreis haben nach den Zahlen des Landesverwaltungsamtes mit Asylbewerbern gute Geschäfte gemacht. Auf die Recherchen des MDR reagierten die Kreise unterschiedlich: Während das Altenburger Land keine Angaben machte, bestätigte der Kyffhäuserkreis, dass er in den Jahren 2005, 2006, 2008 und 2010 insgesamt ein positives Saldo von 170.000 Euro erzielt habe. Auch der Unstrut-Hainich-Kreis erwirtschaftete nach eigenen Angaben in den Jahren 2004 bis 2010 insgesamt rund 165.000 Euro Gewinn mit der Aufnahme von Flüchtlingen.
Tag des Flüchtlings
Dabei ab zwei
Gelder zweckentfremdet?
Nach MDR-Recherchen haben einige Landkreise in Thüringen Gelder, die für die Unterbringung von Asylbewerbern gedacht waren, zweckentfremdet. In Gerstungen gab es nun eine Begehung.
20.06.2012, 14:00 Uhr | 02:39 min
Migrationsbeauftragte Albert: Das wäre ein Skandal
Die Migrationsbeauftragte der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, Petra Albert, reagierte mit klaren Worten auf die Recherchen des MDR: "Falls sich der Verdacht gegenüber den Landkreisen bestätigen sollte, halte ich das für einen unglaublichen Missstand. Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten zu uns kommen, sind traumatisiert und gebeutelt von Armut, Flucht und Elend. Flüchtlinge brauchen deshalb unsere größtmögliche Aufmerksamkeit und Hilfe. Auf ihrem Rücken dürfen die Landkreise nicht noch ihre Haushaltslöcher stopfen."
Die Verantwortlichen im Wartburgkreis und vom Landesverwaltungsamt Thüringen wollten sich zu den Vorwürfen heute nicht äußern. Sie kündigten eine Prüfung an, auch darüber, wohin die Gelder geflossen seien.
Das Asylbewerberheim in Gerstungen
MDR INFO
Sparen Landkreise auf Kosten von Asylbewerbern?
Steht Thüringen vor einem Finanzskandal? Nach MDR-Informationen haben mehrere Landkreise Geld, das für Flüchtlinge gedacht war, zur Haushaltskonsolidierung benutzt.
20.06.2012, 06:00 Uhr | 03:31 min
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Leistungssatz wird in Karlsruhe überprüft
Das Bundesverfasssungsgericht prüft seit heute, ob das geltende Asylbewerberleistungsgesetz noch rechtmäßig ist. Schon zu Beginn bezweifelten der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, dass die Leistungen ausreichen. Die Sätze seien um 40 Prozent niedriger als die für Hartz-IV-Empfänger. Für Existenzminimum gebe es offenbar zweierlei Maß. Die Leistungen für Asylbewerber und andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht wurden seit 1993 nicht mehr erhöht. Zwei Flüchtlinge, ein 35-jähriger Iraker und ein aus Liberia stammendes zwölfjähriges Mädchen, das mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft hat, hatten gegen das Gesetz geklagt. Insgesamt 225 Euro monatlich bekam der Iraker, das Mädchen zuletzt 179 Euro - teilweise wurde das Geld nicht bar ausgezahlt, sondern als Gutschein oder Sachleistung. Das Urteil wird nach der Sommerpause gesprochen.
Flüchtlinge verlassen mit Hab und Gut das Gebäude einer Unterkunft für Asylbewerber in Hoyerswerda
MDR INFO
Reichen 225 Euro im Monat für eine menschenwürdige Existenz?
Seit 1993 wurde der Satz für Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge nicht mehr erhöht. Kritiker halten das für menschunwürdig. Nun ist das Bundesverfassungsgericht gefragt.
20.06.2012, 13:07 Uhr | 02:13 min
Zuletzt aktualisiert: 20. Juni 2012, 16:40 Uhr
http://www.mdr.de/nachrichten/asylbewerber104_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.h…
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Thüringen schob 2011 insgesamt 116 Asylbewerber ab
Von den 231 Asylbewerbern, die im vorigen Jahr freiwillig ausreisten, stammt die Mehrzahl aus Serbien und Mazedonien. Archivfoto: Marco Kneise Von den 231 Asylbewerbern, die im vorigen Jahr freiwillig ausreisten, stammt die Mehrzahl aus Serbien und Mazedonien. Archivfoto: Marco Kneise
Der Weltflüchtlingstag am Mittwoch erinnert daran, dass Menschen ohne Heimat besonderen Schutz brauchen.
Erfurt. Sie sind vor Kriegen in ihrer Heimat geflohen, vor den Folgen von Naturkatastrophen, vor Gewalt und Armut, vor Verfolgung. Weltweit fristen etwa 42 Millionen Menschen ein Leben als Flüchtlinge. An ihr Schicksal erinnert heute der Weltflüchtlingstag.
In Thüringen leben derzeit etwa 3150 Asylbewerber aus 56 Ländern - etwas mehr als im vergangenen Jahr, als knapp 2900 Flüchtlinge um Asyl baten. Verglichen mit früheren Jahren ist allerdings ein Abwärtstrend bei der Zahl der Asylbewerber im Freistaat zu verzeichnen. Vor zehn Jahren wurden noch mehr als doppelt so viele Flüchtlinge in Thüringen gezählt, im Jahr 2005 waren es noch knapp 5000. Parallel dazu sank die Zahl der Abschiebungen. Waren es 2006 noch 237 Fälle, so mussten im vorigen Jahr 116 Menschen das Land verlassen.
Jene, die bleiben dürfen, sind in der Hälfte der Fälle in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Der Landesflüchtlingsrat übt daran Kritik: Die Unterkünfte seien zu abgelegen und isoliert, heißt es.
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Auch die Zustände in den Heimen selbst - häufig sind es ehemalige Kasernen - erlauben kaum individuelles Leben mit Privatsphäre. Im Asylbewerberheim von Gerstungen (Wartburgkreis) leben zum Teil fünf Erwachsene auf 30 Quadratmetern, sagt der Chef des Flüchtlingsrates, Steffen Dittes.
Als Alternative werden Asylbewerber in Wohnungen untergebracht. Doch dagegen gibt es vielerorts Widerstand. In Leipzig schlagen gerade die Wellen der Empörung hoch. Auf einer Bürgerversammlung kam es zu tumultartigen Szenen.
Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass die staatliche Asylpolitik die Integration der Flüchtlinge geradezu behindere. Sie kritisieren die Praxis in vielen Thüringer Landkreisen, Asylbewerbern das Existenzminimum in Form von Wertgutscheinen auszuzahlen. Der Flüchtlingsrat bezeichnet dies als eine unwürdige Praxis, die Menschen stigmatisiere.
Politisch besonders umstritten ist derzeit das Thema Abschiebungen. So forderten Linke und Grüne im Landtag, wenigstens im Winter keine Roma in das ehemalige Jugoslawien abzuschieben. Nach einer Informationsreise des Innenausschusses in den Kosovo halten die beiden Oppositionsparteien sogar einen vollständigen Abschiebestopp für dringend geboten. Doch der Vorstoß wurde bislang im Innenausschuss von den Koalitionsparteien CDU und SPD blockiert.
Von den 231 Asylbewerbern, die im vorigen Jahr freiwillig ausreisten, stammt die Mehrzahl aus Serbien und Mazedonien. Wie viele von ihnen und von den Abgeschobenen Roma waren, verrät die Statistik nicht, weil sie einzelne Volksgruppen nicht erfasst. Die Zahlen sagen auch nichts darüber, wie freiwillig diese Ausreisen wirklich waren - und welche Folgen sie haben.
Etwa für die Familie Ajdinovic aus Serbien. Die Roma-Familie mit zwei Kindern wurde im Januar aus dem Asylbewerberheim im ostthüringischen Schmölln abgeschoben. Die Kirchengemeinde, in der die Familie getauft wurde, hält bis heute Kontakt.
Die Familie lebt mit dem Vater in zwei kleinen Zimmern im serbischen Surdulica. Arbeit für die Eltern gibt es nicht. Der älteste Sohn Samuel, der in Schmölln eingeschult wurde und gute Fortschritte gemacht hatte, geht nicht zur Schule.
Wie Elma mit ihrer Familie aus Thüringen geworfen wurde
Roma-Familien und das Elend eines fremden Landes
Elena Rauch / 20.06.12 / TA
http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Thueri…
Linke im Wartburgkreis wollen Asylbewerberheim in Gerstungen auflösen
Geht es nach dem Willen der Linken im Wartburgkreis, wird das Asylbewerberheim in Gerstungen geschlossen. Foto: Rita Specht Geht es nach dem Willen der Linken im Wartburgkreis, wird das Asylbewerberheim in Gerstungen geschlossen. Foto: Rita Specht
Die Kreistagsfraktion der Linken fordert die Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnungen, scheitert damit aber im Kreistag. Landrat und Verwaltung möchten hingegen die Gemeinschaftsunterkunft in Gerstungen beibehalten.
Wartburgkreis. Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge sollten künftig in Einzelunterkünften statt in einem Heim untergebracht werden. So wünschen es sich die Linken.
Deshalb hatte deren Fraktionschef Hans-Jörg Lessig im jüngsten Kreistag einen Dringlichkeitsantrag zu diesem Thema einbringen wollen. Mit der Forderung: Die Gemeinschaftsunterkunft in Gerstungen möge aufgelöst werden, Flüchtlinge sollten einzelne Wohnungen beziehen dürfen. Diskutiert wurde das Thema nicht.
Der Antrag kam gar nicht erst auf die Tagesordnung. Die Vorsitzende des Kreistags, Karola Hunstock (CDU), lehnte ihn ab. Es handele sich dabei um eine Angelegenheit des sogenannten übertragenen Wirkungskreises, sprich der Kreistag sei nicht zuständig. Lessig wollte trotzdem dazu sprechen, das wurde aber untersagt. Darüber war er sehr verärgert, schließlich seien alle Fraktionen aufgefordert worden, Sparpotenziale zu suchen.
Die Linken hätten ähnlich wie die Verwaltung selbst und die Freien Wähler Vorschläge in zwei Änderungsanträgen unterbreitet. "Solange wir einen Sachverhalt des Kreises im Haushalt mit Geldausgaben wiederfinden, solange ist es in unserem Demokratieverständnis normal, dass wir darüber befinden können", erklärte Lessig.
Die Kreisverwaltung sieht das anders. Der Landrat sei zuständig, nicht aber der Kreistag. Deshalb entscheide der Landrat über die Auflösung oder Nichtauflösung in Gerstungen.
Im Regelfall, so Vizelandrat Friedrich Krauser (CDU), sei per Gesetz vorgeschrieben, die Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. "Nur ein besonders gelagerter Einzelfall kann das Abweichen von dieser Regel gestatten", erklärte der Vizelandrat. Sollten der Öffentlichkeit keine Mehrkosten entstehen, können Asylbewerber, die mehr als zwölf Monate in einer Gemeinschaftsunterkunft waren, in einzelnen Unterkünften leben. Das trifft laut Krauser auf bereits gut 30 Prozent der Asylbewerber und Flüchtlinge im Wartburgkreis zu.
Aus Sicht des Kreises ergebe die Auflösung des Gerstunger Heims auch kein Einsparpotenzial. Das sieht die Linke anders. Laut ihr leben derzeit 92 Menschen, darunter elf Kinder, in der Gemeinschaftsunterkunft. Eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung sei hier unmöglich, monieren sie. Nach ihren Berechnungen würden 25 Wohnungen für die 92 Personen benötigt. Lessig sieht hier erhebliche Einsparpotenziale für den Kreis und nennt Summen von bis zu 150.000 Euro .
Die Stadt Eisenach hat seit Dezember 2008 ihre Asylsuchenden und geduldenden Flüchtlinge in Einzelunterkünften untergebracht. Derzeit leben 68 Personen in 22 Wohnungen, so eine städtische Sprecherin auf Anfrage unserer Zeitung.
"Damit haben sich die Lebensbedingungen für die Menschen deutlich verbessert", heißt es. Gespart habe die Stadt aber nicht. Durch die Einzelwohnungen entstünden mehr Betriebskosten, so die Stadt.
Katja Schmidberger / 04.02.12 / TA
http://eisenach.thueringer-allgemeine.de/web/lokal/politik/detail/-/spe…