Foto: Amatka (8), Yeter (10), Sultan (12) aus dem Asylbewerberheim hatten viel Spaß beim Sommerfest. Foto: Thomas Müller Amatka (8), Yeter (10), Sultan (12) aus dem Asylbewerberheim hatten viel Spaß beim Sommerfest. Foto: Thomas Müller
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Bald schon will Weimar Asylbewerbern das Leben erleichtern. Das wurde beim Fest am Flüchtlingsheim bekannt. Weimars Oberbürgermeister Stefan Wolf strebt eine gemeinsame Lösung mit Weimarer Land, Erfurt und Sömmerda an.
Weimar. Ein kleines Bier zum Beispiel: Es kostete auf dem Sommerfest vor dem Flüchtlingsheim einen Euro - war aber für eine Euro-Münze nicht zu haben. Der durstige Gast musste sich mit dieser zunächst auf den inoffiziellen Basar begeben, um von einem Flüchtling einen Lebensmittelgutschein zu erwerben. Diesen konnte er dann gegen eines jener Biere tauschen, die Wirt Mario Trommler (Sächsischer Hof) für das Fest gestiftet hatte.
Hier leben die Weimarer Asylbewerber. Foto: Th. Müller Hier leben die Weimarer Asylbewerber. Foto: Th. Müller
Derart vermittelte das Fest eine Ahnung davon, was für Flüchtlinge Alltag ist: Die ohnehin geringen staatlichen Leistungen, die um 30 Prozent unter denen des Sozialgesetzbuchs liegen, erhalten sie in Wertgutscheinen ausgezahlt. Diese können nur in bestimmten Einkaufsmärkten eingelöst werden; bares Wechselgeld geben jene in Weimar nur bis höchsten 49 Cent heraus.
Die Gutscheine abzuschaffen, haben unter vielen anderen die Ausländerbeauftragten in Thüringen gefordert, darunter die Weimarerin Ulrike Schwabe: "Unbestritten ist, dass durch die gesonderte Behandlung in Einkaufsstätten durch Gutscheine o. ä. Flüchtlinge stigmatisiert und durch den Verweis auf bestimmte Einkaufsstätten oder den Ausschluss von Wechselgeldzahlungen benachteiligt werden", hieß es in einem gemeinsamen Papier dazu.
Dem schloss sich erst jüngst wieder der Flüchtlingsrat Thüringen an, der zum Beginn der neuen Amtszeiten einen offenen Brief an die Oberbürgermeister und Landräte schrieb.
"Bargeld statt Gutscheine" indes stand bereits im Wahlprogramm des Weimarer OB Stefan Wolf , das SPD und Linkspartei erarbeitet hatten. Inzwischen macht sich das wiedergewählte Stadtoberhaupt an die Umsetzung.
Wolf bestätigte unserer Zeitung, die Gutscheine noch in diesem Jahr abschaffen zu wollen. Der Schritt werde derzeit im Fachamt von Dezernentin Janna de Rudder vorbereitet und geprüft. Man wolle das "Jenaer Modell" übernehmen, so Wolf. Für die Flüchtlinge dort wurden Sparkonten bei der Sparkasse Jena-Saale-Holzland eingerichtet, auf die die Stadt die Leistungen einzahlt; Flüchtlinge erhalten eine Geldkarte.
Wolf möchte nun gerne "Erfurt, das Weimarer Land und Sömmerda überreden", diese Praxis in der gesamten Region der Sparkasse Mittelthüringen zu übernehmen. Gelänge ihm das aber nicht, werde es Weimar im Alleingang tun, sagte er.
Für "Bargeld statt Gutscheine" entschieden sich neben Jena bereits Eisenach sowie der Kyffhäuserkreis und der Kreis Nordhausen. Sie ließen sich damit auch auf einen Streit mit dem Landesverwaltungsamt ein, das in der Regel die Gutschein-Lösung vorgibt.
Wolf sieht sich hier offenbar gut gewappnet. Denn während er das Thema im Wahlprogramm unterm Stichwort "Gute Lebensbedingungen auch für Asylbewerber in unserer Stadt schaffen" ansprach, argumentiert er nun zugleich viel pragmatischer: Der Aufwand, die Gutscheine abzurechnen, sei einfach viel zu riesig. Zugleich erhalte man für die staatlichen Aufgaben, die man übernehme, vom Land immer weniger Geld.
Unterdessen stellte Wolfs Wahlprogramm auch die "dezentrale Unterbringung" der Asylbewerber in Aussicht. Hier lässt sich Wolf aber noch nicht so recht in die Karten schauen. Das Flüchtlingsheim ganz und gar abzuschaffen, hat er jedenfalls nicht vor. Er will mittelfristig aber wohl dafür sorgen, "den Aufenthalt dort nicht übermäßig auszudehnen", sagte er. Sein Ziel sei es, die Asylbewerber in die Stadt zu integrieren.
Weimars "Gemeinschaftsunterkunft", wie es im Amtsdeutsch heißt, genießt einen guten Ruf- ganz anders als Skandal-Heime in Zella-Mehlis oder Gerstungen. Sie wird seit 2004 von der Stadt selbst betrieben, in einem Plattenbau der Landesentwicklungsgesellschaft in der Ettersburger Straße.
Hier leben in 34 Wohnungen rund 120 Menschen aus 15 Nationen zusammen: Kurden, Afghanen, Syrer, Libanesen, Armenier, Chinesen, Russen,... Unter ihnen sind 50 Kinder vom Babyalter bis zu 18 Jahren.
Familien haben hier eine Wohnung für sich, Einzelpersonen meist ein eigenes Zimmer in einer Wohngemeinschaft. "Man kann sich hier auch mal aus dem Weg gehen", sagt Manuela Wenzel, die die Sozialberatungsstelle von Caritas und Diakonie im Erdgeschoss leitet.
Was das Heim allerdings mit anderen verbindet: Es liegt weit draußen, bereits jenseits des Ortseingangsschildes. Deshalb fand das familiäre Sommerfest am Samstag auch unterm Titel "Hinterm Horizont gehts weiter" statt. Es wurde unter anderem von den Vereinen der Gerberstraße 1 und 3 organisiert sowie von Marie Eberhardt und Lidia Egorova; sie absolvieren ein freiwilliges Kulturjahr beim Kino Mon Ami bzw. der Heinrich-Böll-Stiftung.
09.07.12
Asylbewerberheim: Wie weiter in Zella-Mehlis?
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08.07.2012: Nachdem der bisherige Betreiber des Asylbewerberheims den Vertrag gekündigt hat, steht der neue Landrat Heimrich vor großen Herausforderungen. Da heißt es viel fragen und zuhören.
09.07.12 /
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