Araz Ardehali
Flüchtlinge bereiten in einem Erfurter »Sommercamp« einen Marsch auf Berlin vor. Ein Gespräch mit Araz Ardehali
Interview: Gitta Düperthal
Araz Ardehali, ist iranischer Herkunft und Aktivist der »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten«
Flüchtlinge und ihre Unterstützer haben sich am Donnerstag in Erfurt zu einem Sommercamp zusammengefunden, das bis zum 2. September dauern soll. Sie wollen ihre Proteste gegen die sie diskriminierenden Sondergesetze fortführen und einen Marsch nach Berlin vorbereiten – mit welchem Ziel?
Mit dem für den 8. September geplanten Marsch werden wir die Regeln brechen. Wir werden klarmachen, daß wir nicht mehr bereit sind, Sondergesetze wie die Residenzpflicht einzuhalten: Es ist ein Skandal, daß wir beim Ausländeramt stets um Erlaubnis fragen müssen, sobald wir uns nur wenige Kilometer von den zugewiesenen Lagern entfernen wollen.
Bei unserem Sommercamp in Erfurt-Gispersleben, von der Selbstorganisation der Flüchtlinge »The Voice« organisiert, bereiten wir diesen Marsch vor. Unsere Forderungen: Bewegungsfreiheit für alle, widersetzt euch den Abschiebungen, brecht die Isolation. Für diese Ziele gehen wir schon lange auf die Straße – getan hat sich bisher leider nichts. Deshalb hatten Würzburger Asylsuchende im März die Kämpfe mit einem Hungerstreik intensiviert. Diesem Beispiel folgend haben sich an mehreren Orten Protestcamps gebildet, in Düsseldorf, Regensburg, Aub, Nürnberg, Passau, Trier und Berlin. Mit dem Marsch nach Berlin wollen wir diese lokalen Aktivitäten zusammenführen. Vor allem richten wir uns gegen den Zwang, isoliert von der deutschen Bevölkerung in abgelegenen Lagern in Industriegebieten oder mitten in der Pampa leben zu müssen.
Was läuft im Erfurter Sommercamp?
Am Donnerstag haben »The Voice«, »Die Karawane«, Komitees aus den Lagern und ihre Unterstützer zum Auftakt eine Kundgebung am Erfurter Hauptbahnhof abgehalten. Wir wollten so gegen die Polizeikontrollen demonstrieren, die sich häufig gezielt gegen nicht weiße deutsche Menschen wenden. Die Behörden stempeln uns als Kriminelle ab, sobald wir es wagen, unsere natürlichen Rechte auf Bewegungsfreiheit wahrzunehmen. Das deutsche System nennt es Recht und Ordnung, wir nennen es Rassismus. An den kommenden Tagen wird es Seminare und Veranstaltungen zu den Fluchtgründen und den Bedingungen geben, unter denen Flüchtlinge in Deutschland leben müssen.
Was wollen Sie mit dem Protestmarsch im September von Würzburg nach Berlin erreichen?
Unterwegs werden wir Flüchtlinge in den Lagern besuchen, ihnen unseren Kampf und dessen Ziele vorstellen und sie einladen, sich uns anzuschließen. Es ist an der Zeit, aufzustehen. Wir lassen uns nicht länger als Bürger zweiter Klasse behandeln. Sondergesetze für Asylsuchende gehören abgeschafft. Es wird zwei Routen nach Berlin geben: Zu Fuß über Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie eine Busroute, die über Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen führt.
Flüchtlinge und deutsche Unterstützer streiten zur Zeit über Richtung und Radikalität der Aktionen. Leidet darunter die Solidarität in der Bewegung?
Diese Debatte hängt uns schon lange zum Hals raus. Einige deutsche Unterstützergruppen oder deren Vertreter behindern uns in unserer Arbeit, indem sie Ängste in die Bewegung hineintragen. Nach dem Motto: »Fragt doch lieber erst um Erlaubnis, bevor ihr euch auf den Weg nach Berlin macht. Die Gesetze sind nun mal so.« Sie wollen das System reformieren und nicht ändern. Das führt dazu, daß Flüchtlinge, die eigentlich mitmachen wollten, sich dann doch nicht trauen. Wir wollen den zivilen Ungehorsam, weil die Residenzpflicht gegen die Menschenwürde verstößt. Manche Unterstützer fanden auch den Hungerstreik in Würzburg zu radikal.
Nichtregierungsorganisationen wollen sich mitunter karitativ betätigen und einzelne besonders krasse Fälle vor der Abschiebung retten. Wir aber wollen die Sondergesetze und das Abschiebesystem grundsätzlich abschaffen.
25.08.2012 / Inland / Seite 8Inhalt
http://www.jungewelt.de/2012/08-25/040.php
Kontakt zum Sommercamp: 0176 – 24 56 89 88, thevoiceforum.org