Bericht vom Dienstag, 18. September 2012
3sat VIDEO:
18.09.12
Neonazis provozieren Flüchtlinge vor dem Landtag in Erfurt
Etwa 10 Neonazis haben eine Demonstration von Flüchtlingen vor dem Landtag in Erfurt angegriffen. Fäuste flogen, Plakate wurden entrissen.
BILD - Thueringen Presse TLZ/OTZ:
Marsch auf Berlin - Flüchtlinge protestieren gegen deutsche Asylpolitik
Über Monate haben Flüchtlinge in neun deutschen Städten Protestlager aufgeschlagen, um gegen die deutsche Asylpolitik zu demonstrieren, gegen das jahrelange Leben in Lagern, die Residenzpflicht und das Arbeitsverbot. Ihr großes Projekt ist der Marsch von Würzburg nach Berlin, gegen alle gesetzlichen Auflagen. Seit dem 8. September 2012 sind die Flüchtlinge schon unterwegs. Wir haben sie beim Grenzübergang von Bundesland zu Bundesland begleitet.
Die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, waren vorher schon jahrelang auf der Flucht. Derzeit sind es viele Iraner und Afghanen. Oft haben sie tausende Kilometer zurückgelegt: zu Fuß, mit Booten oder über dem Radkasten eines LKW - immer versteckt, immer heimlich. Wer nach Deutschland kommt, muss sich auf eine lange Wartezeit und auf strikte Gesetze einrichten. Und genau deshalb sind die Flüchtlinge wieder unterwegs, zu Fuß und öffentlich, auf einem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin, um gegen die deutsche Asylpolitik zu demonstrieren. "Wir wollen unsere Zelte am liebsten genau auf der Grenze aufstellen", sagt Nima Ezatpour aus Iran. "Aber diese Grenze ist nicht ganz so wie normale Grenzen. Es gibt keine klare Markierung oder eine weiße Linie auf dem Boden. Sie ist etwas schwer zu finden, mitten im Wald. Das heißt, wie müssen uns entscheiden: Entweder wir campen in Thüringen oder wir bleiben in Bayern."
Täglich 20 Kilometer
© dpa Lupe
Ein Sympathisant protestiert gegen die Asylpolitik.
In Deutschland gilt die Residenzpflicht. Selbst ihren Landkreis dürfen Flüchtlinge nicht verlassen. Obwohl sie auf ihrem Marsch illegal unterwegs sind, verhält sich die Polizei erstaunlich unauffällig und gibt ab und zu sogar Geleitschutz. "Heute sind wir etwa sieben Stunden gelaufen, sechs bis sieben Stunden und es ist der fünfte Tag des Protestmarsches", berichtet Ezatpour. Täglich rund 20 Kilometer, fünf bis sechs Wochen lang, bei jedem Wetter. Das ist ein strammer Marsch, der ohne die Hilfe von Unterstützern kaum zu schaffen wäre. Mit Transportern und Volksküche begleitet ein ganzer Treck von freiwilligen Helfern die Flüchtlinge. Ein Großteil der Arbeit sei, "einfach sicherzustellen, dass man abends einen Platz hat, wo die Leute ankommen können", berichtet der Flüchtlings-Aktivist David Braun. "Die Strecke ist einigermaßen festgegeben, aber diese ganze Logistik können nicht die Leute machen, die laufen", so Braun. Das müssten die Unterstützer oder auch die Bevölkerung übernehmen, die mehr oder weniger auch spontan gastfreundlich sei.
In ihren Asylanten-Heimen sind die Flüchtlinge isoliert. Der gemeinsame Marsch bringt für viele eine neue Erfahrung: endlich wieder selbst zu entscheiden, wohin die Reise gehen soll. Unterwegs holt sie auch die Erinnerung wieder ein. "Wir alle kennen die Angst", sagt Nima Ezatpour. "Wir kennen die Ungewissheit. Wir haben schon einmal alles verloren, wir sind aufgebrochen, ohne zu wissen, was geschehen würde. Wir müssen uns erinnern, wie wir in diesem Moment unseres Lebens zurecht gekommen sind und unser Leben wieder selbst in den Griff bekommen haben. Auch jetzt kannst du Gründe finden, am Leben bleiben zu wollen."
Gemeinsame Hoffnung
Das gilt für alle, die aufgebrochen sind. Über Sprachgrenzen hinweg wächst hier der gemeinsame Glaube an eine Idee und die Hoffnung, die Situation der Flüchtlinge in Deutschland aus eigener Kraft zu verändern. Nach einer feuchten Nacht mit nur drei Grad ist die Belohnung am nächsten Morgen goldenes Licht über dem Thüringer Wald. Die meisten Flüchtlinge haben wegen der Kälte gemeinsam im großen Zelt geschlafen. Für den bevorstehenden Grenzübergang haben sich die Flüchtlinge eine besondere Aktion ausgedacht, die eine Art Befreiungsakt sein soll. "Wie weit wir wirklich gehen können, hängt auch davon ab, in wieweit die verschiedenen Flüchtlingsgruppen den Protest unterstützen", sagt Osaren Igbinoba, Flüchtlings-Aktivist von "Die Karawane". "Es ist nicht nur eine Frage des Protestmarsches nach Berlin. Es ist für die Leute eben auch eine Frage der Einigkeit untereinander. Das ist für die Flüchtlinge, die protestieren, die größte Herausforderung."
© dpa Lupe
Ihre Duldungspapiere haben die Flüchtlinge aus Protest zerrissen.
Der Protest der Flüchtlinge richtet sich gegen die Residenzpflicht, gegen die Lager, gegen das Arbeitsverbot und die Behandlung als Bürger zweiter Klasse. An der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze haben sie beschlossen, gemeinsam ihre deutschen Duldungspapiere zu zerreißen. "Dieser Ausweis steht für alles, wogegen wir kämpfen", sagt Sadegh Shahvaroghi Farahani aus Iran. "Deshalb wollen wir ihn zerstören und an das Bundesamt für Flüchtlinge schicken, damit sie all das korrigieren und an uns zurück schicken."
Die Flüchtlinge zerreißen ihre Ausweise. Osaren Igbinoba von "Die Karawane" sagt: "Wenn die Leute sich einig sind, ist das ein starkes Signal - auch gerade für diejenigen, die in den Heimen sind. Manche von ihnen sind Nationalisten, manche normale Leute, die einfach nur ein komfortables Leben anstreben wie so mancher Deutsche oder Nichtdeutsche. Andere wiederum fühlen sich stark verunsichert, aber normalerweise kann Solidarität da viel bewirken, um die Unsicherheit zu verdrängen." Wieder sind die Flüchtlinge unterwegs. Gemeinsam haben sie sich von der Last befreit, die diese Ausweise für sie symbolisieren: Duldung. "Wir sind jetzt frei", sagt Nima Ezatpour. Bis Berlin sind es noch rund 400 Kilometer. Schon nach sechs Tagen hat der Marsch die Flüchtlinge verändert. Auf der Strecke, die noch vor ihnen liegt, werden sich weitere aus ihren Heimen anschließen.
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Neonazis provozieren Flüchtlinge vor dem Landtag in Erfurt
Ausgerechnet vor dem Landtag in Erfurt kam es zum ersten Mal zu einer Konfrontation zwischen der Flüchtlingskarawane und Neonazis. Foto: Sascha Fromm Ausgerechnet vor dem Landtag in Erfurt kam es zum ersten Mal zu einer Konfrontation zwischen der Flüchtlingskarawane und Neonazis. Foto: Sascha Fromm
Es begann als friedlicher Protest vor dem Landtag. Mit herumgereichten Keksen und Reggae-Musik aus Lautsprecherboxen vom Autodach. Auf ihrem Marsch nach Berlin wollen Flüchtlinge auf ihre Lage aufmerksam machen. Am Dienstag gab es ungute Erfahrungen in Erfurt.
Erfurt. Am 8. September sind sie in Würzburg aufgebrochen. 15 Flüchtlinge und ihre Unterstützer. Nach 240 Kilometern erreichten sie am Dienstag Erfurt und wollen noch weiter. Bis nach Berlin. Gerade waren sie dabei, den Presseleuten zu erklären, warum sie das tun.
Ali Meza Mirzai, ein 22-jähriger Afghane, sprach von der Residenzpflicht, die Flüchtlinge behandelt wie Kriminelle. Vom menschenunwürdigen Bedingungen in Asylbewerberheimen. Vom entmündigten Leben mit Gutscheinen und Lebensmittelzuteilungen. Von Drohungen der Behörden, das wenige Bargeld zu kürzen, das sie bekommen.
Da tauchte an der Straßenecke eine Handvoll Männer mit den glattrasierten Schädeln auf. Ihre Plakate trugen das Logo der NPD und ließen auch sonst keinen Zweifel daran, aus welcher braunen Ecke sie kamen.
Einige Flüchtlinge und ihre Helfer stürmten nach vorn und entrissen den Braunen die Plakate. Sprechchöre "Nazis raus!" waren zu hören. Etwa 200 Meter hinter dem Landtag löste sich die Menge auf. Ohne Plakate, dafür flankiert von Polizisten, zogen die NPD-Leute ab. Verstärkte Polizeipräsenz wurde sichtbar, als alles vorbei war.
Nicht dass es die Organisatoren des Marsches sehr überrascht hätte. Der Aufruf der Neonazis zu dieser Aktion war im Internet nachzulesen, werden sie später erzählen. Für alle, die es zur Kenntins nehmen wollten. Und davon, dass dieser Zusammenstoß mit Rechtsradikalen vor dem Thüringer Landtag der erste überhaupt war, seit sie unterwegs sind.
"Eine kindische Aktion", kommentierte einer der Protagonisten die Aktion. Wir Flüchtlinge, sagt er, wollen keine Konfrontation. Es geht ihnen darum, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Die Abschaffung der Residenzpflicht gehört zu den wichtigsten Forderungen der Flüchtlinge. Ihr Marsch ist ein Bruch dieser Vorschrift und dass sie damit einiges riskieren, wissen sie. Aus einem Thüringer Flüchtlingsheim ist nur Omar Igbad dabei. Zwei Freunde wurden auf dem Bahnhof in Erfurt von Polizisten festgenommen und in die Heime zurückgeschickt.
Irgendwann ruft einer diesen Satz in das Megafon: "Mitleid ist kein Heilmittel gegen unsere Schmerzen!" Dieser Marsch ist ein Aufbegehren von Menschen, deren Stimme sonst kaum jemand hören will.
Für Ali Meza Mirzai, den jungen Afghanen, bedeutet er noch mehr. Seine Eltern sind in den Iran geflüchtet. Er wurde dort als Flüchtling geboren und ist als Flüchtling aufgewachsen. Ohne Schule, ohne Rechte, ohne einen Ort, den er Heimat nennen könnte. Vor fünf Jahren beschloss er, vor dieser Perspektivlosigkeit zu fliehen. Deutschland hieß für ihn Hoffnung. Ein Land, in dem er eine Zukunft haben könnte. Die Hoffnung hat sich aufgelöst in den Jahren zermürbenden Wartens. Auf eine Arbeitserlaubnis, auf die Chance, die Schule nachzuholen. Auf irgendeine Aussicht, ein normales Leben führen zu können. Sein Asylersuchen wurde abgelehnt.
Im Iran bittet ihn der kranke Vater, zu kommen. Aber dort gibt es keine Zukunft für ihn. In Afghanistan auch nicht. "Ich bin so müde von der Welt", sagt er. Auf seinem T-Shirt steht der Satz: "Kein Mensch ist illegal". Der Marsch ist seine letzte Hoffnung, sagt er.
Und die Neonazis? Es war an diesem Tag in Thüringen das erste Mal, dass er welchen begegnet ist. Angst hat er nicht. Seine einzige Angst ist, dass sich nichts ändern wird für ihn, nach diesem Marsch.
www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Neonazis
Flüchtlings-Kundgebung vor Landtag von Rechtsextremen massiv gestört
18.09.2012, 17:36 Uhr | dapd
Rechtsextremisten haben bei einer Kundgebung von Asylbewerbern am Landtag in Erfurt einen Zusammenstoß provoziert. Neun Sympathisanten des rechten Spektrums störten am Dienstag mit Flugblättern und Transparenten, deren Inhalte Bezug zur NPD hatten, die Demonstration von mehr als 50 Teilnehmern, wie ein Polizeisprecher sagte. Bei der Aktion kam es zu Handgreiflichkeiten. Verletzt wurde nach ersten Erkenntnissen niemand.
Die Flüchtlinge, die vor einer Woche zu einem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin aufgebrochen waren, hatten die Kundgebung vor dem Landtag angemeldet. Mehr als 20 Asylbewerber und zahlreiche Unterstützer forderten die Schließung von Asylbewerberheimen, die Aufhebung der sogenannten Residenzpflicht, eine Arbeitserlaubnis und das Ende des Gutscheinsystems.
Mitglieder des NPD-Bundesvorstands hatten zum Protest gegen den Marsch aufgerufen. Während der Kundgebung kamen Augenzeugenberichten zufolge die Rechten plötzlich auf die Teilnehmer zugelaufen. Unter ihnen waren Teile der Parteiführung der Thüringer NPD, wie die Linkspartei mitteilte.
Rechte Parolen auf Transparenten
Teilnehmer der Demonstration stellten sich laut Augenzeugen den Rechten entgegen und nahmen ihnen die Transparente ab. Dabei sei es zu Rangeleien gekommen. Die Polizei soll die Gegendemonstranten nicht aufgehalten haben. Es seien anfangs lediglich drei Beamte vor dem Landtag gewesen.
Die Polizei habe nach der Auseinandersetzung die Personalien der Rechten aufgenommen, sagte der Polizeisprecher. Gegen sie werde wegen Störung der Versammlungsfreiheit ermittelt. Die Demonstration der Flüchtlinge wurde am Nachmittag durch die thüringische Landeshauptstadt fortgesetzt.
Der Vorsitzende der Thüringer Linksfraktion, Bodo Ramelow, erinnerte in diesem Zusammenhang an den geplanten Protest am Donnerstag (20. September) vor dem Landtag "gegen den braunen Ungeist". Weiter sagte er: "Die NPD hat heute erneut ihren zutiefst rassistischen und antidemokratischen Charakter gezeigt." Für Donnerstag haben Gewerkschaften, Initiativen und Parteien zu Protesten gegen eine NPD-Veranstaltung im Umfeld des Landtages aufgerufen.
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Astrid Rothe-Beinlich, zeigte sich schockiert über den Vorfall. Für das Verhalten der Polizei habe sie keinerlei Verständnis und forderte Aufklärung. Der FDP-Innenexperte Dirk Bergner nannte es beschämend, dass Flüchtlinge Opfer nackter Gewalt würden.
https://www.google.com/news?ncl=dbAJpfaVQfnHe3MR36mIDlF_0Qn3M&q=protest…ÜCHTLINGE&lr=English&hl=de
Demonstrierende Asylbewerber vor dem Landtag in Erfurt
Gestört wurde die Kundgebung von einigen Rechtsextremen. Laut Polizei kam es zwischen den Asylbewerbern und mutmaßlichen NPD-Anhängern zu Verbalattacken und Handgreiflichkeiten. Ein Sprecher sagte, es seien neun Rechtsextreme zu der Demonstration mit etwa 50 bis 60 Teilnehmern gekommen. Sie hätten Transparente hochgehalten und Handzettel mit Bezug zur NPD verteilt. Den Angaben zufolge trennten Polizisten die Gruppen, was Augenzeugen jedoch bestreiten.
Thüringens Ausländerbeauftragte, die SPD-Politikerin Petra Heß, sagte: "Ich bin überrascht, dass die Polizei keine stärkere Präsenz gezeigt hat, obwohl sich die NPD deutschlandweit angekündigt hatte." Seit dem 8. September sind die rund 20 Teilnehmer des Protestzugs von Würzburg nach Berlin unterwegs, um gegen Residenzpflicht, Arbeitsverbot, die Unterbringung in Wohnheimen und Abschiebungen zu protestieren.
Prominente Unterstützer für "Akt zivilen Ungehorsams"
Der Zug führt durch Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg. Im Oktober soll er nach rund 600 Kilometern in der Hauptstadt ankommen. Parallel dazu fährt ein Bus durch eine Reihe von westlichen Bundesländern, der bereits am 27. September in Berlin erwartet wird.
Thüringer Landtag
Der Landtag in Erfurt
Die Aktion wird von Sympathisanten unterstützt, wozu neben linken Gruppen auch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zählt. Flüchtlinge dürften nicht in der Isolation leben, sagte die Ausländerbeauftragte der EKM, Petra Albert: "Die Menschenwürde gilt auch für Asylbewerber."
Die Thüringer Landtagsabgeordnete der Grünen, Astrid Rothe-Beinlich, sagte: "Bewegungsfreiheit ist ein elementares Menschenrecht." Sie habe Respekt vor den Demonstranten und unterstütze sie, auch weil sie wegen der Verletzung ihrer Residenzpflicht mit Repressionen zu rechnen hätten. Als "Akt des zivilen Ungehorsams" sind die Demonstrationen in halb Deutschland nach Angaben der Teilnehmer mit dem Risiko von Sanktionen verbunden, da sie damit gegen für sie geltende Auflagen verstoßen.
Zuletzt aktualisiert: 18. September 2012, 16:44 Uhr
http://www.mdr.de/thueringen/asylbewerber_protest100.html