“Wir werden das Regime der Einschüchterung in den Lagern aus dem Gleichgewicht bringen!“ - Besuch des Refugee Protest March (Busgruppe) in Hamburg
Vom 29. September bis zum 01. Oktober 2012, wenige Tage vor der Ankunft in Berlin, machte der Protestbus der streikenden Flüchtlinge Station in Hamburg. Mit einer Kundgebung vor dem Hamburger Hauptbahnhof wurde die Forderungen des seit März 2012 andauernden Protests in der Hansestadt sichtbar und hörbar gemacht.
Die Beteiligung von bis zu zweihundert Menschen an der mehrstündigen Manifestation zeigt, dass mehr politisch aktive Gruppen und Personen in Hamburg die Botschaft des Flüchtlingsprotestmarsch begreifen. Angesichts weit größerer Mobilisierungen zu anderen Anlässen wird aber auch die bewusste Ignoranz gegenüber den grundlegenden Fragen gesellschaftlicher Entwicklung deutlich. Die Abwesenheit der Medien trotz der Einladung zum Pressegespräch ist nur eine Randnotiz wert. Für die wirklich brennenden Themen müssen wir unsere eigenen Mediennetzwerke weiter aufbauen.
Die ausdruckstarke Rede der aus dem Sudan vor Krieg und Verfolgung geflüchteten Aktivistin der Busprotestgruppe fasste die Gründe und die Forderungen des „Refugee Protest March“ zusammen – Abschaffung der rassistischen Gesetze, Schließung der Lager und den Stopp der Abschiebungen. Sie wird in Kürze auf den untengenannten Webseiten im Videostream dokumentiert. Eine weitere Rede vom Arbeitskreis Palästina ist diesem Bericht angefügt.
Am Sonntag wurde das große Isolations-Lager Nosdorf/Horst in Mecklenburg-Vorpommern an der ehemaligen innerdeutschen Grenze besucht.
War es zu Zeiten der deutschen Teilung eine Einrichtung für die Raketentruppen der deutschen Volksarmee, dient es heute dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und dem Stadtstaat Hamburg als Erstaufnahmeeinrichtung. Hier beginnt für die meisten Asylsuchenden das Trauma in Deutschland. http://thecaravan.org/node/3232
Hinter Zäunen und Gittern befinden sich die Wohnblöcke, der Verwaltungsblock mit Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, die Kantine und die Wachstation. Mehrere Kilometer entfernt Richtung Osten liegt die Ortschaft Boizenburg und in etwa gleicher Entfernung Richtung Westen die Ortschaft Lauenburg. Wer nach Lauenburg geht, verletzt bereits die Residenzpflicht. Betrieben wird das Lager von der Organisation „Malteser“, deren Werbeslogan „…weil die Nähe zählt“ auch am Gittertor des Lagers angeschlagen ist.
Wer aus dem Lager rausgeht muss am Eingang sein Ausweispapier abgeben, Besucher müssen den Namen desjenigen, den sie besuchen wollen angeben und ebenfalls den Ausweis abgeben. Nostorf/Horst ist eine besondere Art Gefängnis –für Menschen, die nach Deutschland kommen, um Schutz vor Verfolgung zu suchen. Es ist eine Manifestation des Kriegs gegen Flüchtlinge. Wenn mehr als eine Handvoll Menschen vor das Lager kommt, wird Polizei aufgefahren. Bis zu fünf Streifenwagen wurden kurz nach der Ankunft der Besucher_innen des Protestbusses und einigen Freund_innen aus Hamburg und Rostock im Eingangsbereich des Lagers aufgestellt. Beamte stellen sich im Lager vor die Ausgangstür. Mit Drohungen und Einschüchterungen soll jede Verbindung nach draußen verhindert werden.
Ohne unabhängige rechtliche Beratung und ohne Informationen über die wirklichen Absichten des Staates, der überall in der Welt für seine vorgebliche demokratische und Menschenrechte achtende Verfasstheit wirbt, ist es dem Bundesamt leicht, die Asylgesuche der neu in Deutschland ankommenden Menschen kaputt zu machen, um dann im weiteren Verlauf die Menschen kaputt zu machen.
Der Besuch der Aktivist_innen des Protestbusses vor dem Lager durchbrach am Sonntag die Totalisolation. Während der Stunden unserer Anwesenheit auf dem Platz vor dem Lager kamen immer wieder Gruppen von Flüchtlingen an den Zaun, um zu erfahren, was draußen passiert, was der Refugee Protest March bedeutet und wie Widerstand aussehen kann.
Einige durchbrachen das Regime der Einschüchterung und gingen durch die Polizeipatrouille am Eingang nach draußen, um sich mit denen, die bereits seit Wochen auf dem Marsch sind, zusammenzuschließen. Es ist die vielmehr die Qualität als die Quantität des Flüchtlingstreiks der neue Maßstäbe setzt.
In diesem Sinn zieht sich der Protest weiter – der Bus verließ am Montag Hamburg in Richtung Kiel und der Marsch auf Berlin wird bis zum 06. Oktober fortgesetzt.
Dann werden beide Gruppen – der Fußmarsch und die Bustour – in Berlin eintreffen und die nächste Phase wird beginnen. Am 13. Oktober wird zu einer zentralen Demonstration in der deutschen Hauptstadt aufgerufen.
Mahatma Ghandi – wegen seines gewaltfreien Widerstands gegen den britischen Kolonialismus jahrelang im Gefängnis, wegen seiner Unbeugsamkeit die Knochen gebrochen – antwortete auf die Frage eines britischen Journalisten, was er von der westlichen Zivilisation hält: „Das ist eine gute Idee.“
Die Umsetzung steht bis heute aus. Der Flüchtlingsprotestmarsch erteilt uns allen eine weitere Lehrstunde.
Wir danken den Aktivist_innen des Protestbus und allen, die den Tourstopp in Hamburg in seinen vielfältigen Aspekten unterstützt haben.
Weitere Informationen unter:
www.refugeetentaction.net und: www.thevoiceforum.org; www.thecaravan.org
Fahrt von Hamburg nach Berlin Kontakt: 0176-303 66 55 9
KARAWANE-Hamburg c/o Internationales Zentrum Brigittenstr. 5 20359 Hamburg
Tel: +49-40-43 18 90 37 Fax: +49-40-43 18 90 38 @: free2move nadir.org
Redebeitrag während der Kundgebung am 29.09. 2012 vor dem Hamburger Hauptbahnhof,
Ibrahim vom Palästina-Arbeitskreis:
Ich möchte anfangs die Teilnehmer_innen des Protestmarsches der Flüchtlinge nach Berlin herzlich begrüßen und besonderes denen die uns heute in Hamburg besuchen.
Ich bin fest überzeugt, dass ihr die Spitze des Eisberges des Widerstandes der Flüchtlinge in Deutschland und vielleicht in Europa seid. Ich bin auch voller Hoffnung, dass diese Widerstand noch wachsen wird, bis wir Flüchtlinge unsere Rechte als vollwertige Menschen in dieser Gesellschaft erkämpft haben. Eurer Kampf und Eure Entschlossenheit lassen viele von uns stolz auf euch sein und geben uns Hoffnung und Mut. Willkommen in Hamburg.
Ich bin Palästinenser, aus einem Volk das zum größten Teil durch die zionistische Vertreibung und Besatzung zu Flüchtlingen in allen Kontinenten gemacht wurde, und ich weiß, was es heißt Flüchtling zu sein: Verfolgung, Erniedrigung, Arbeitsverbot und die Entsagung der einfachsten Menschenrechte.
Der Kampf gegen die unmenschliche Situation der Palästinensischen Flüchtlinge ist für mich verbunden mit dem Kampf gegen Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus und aller dadurch verursachten Unterdrückung, Verfolgung, Ausbeutung, Kriege.
Denn Flucht wird durch Kriege und Aggressionen der kapitalistischen Länder, genauer der USA und Europa verursacht. Durch die Aggressionen dieser Länder wurden viele Menschen aus Palästina, Afghanistan, Irak, Libyen und zuletzt Syrien gezwungen, weil sie überleben wollen, ins Ausland zu flüchten.
Flucht wird verursacht durch die Hegemonie der Kapitalistischen Länder um die Ressourcen unsere Länder ausbeuten zu können.
Die Hegemonie der kapitalistischen Staaten führte zum Beispiel zur Überfischung der Meere vor vielen afrikanischen Küsten, so dass die meisten Fischer brotlos geworden sind.
Durch diese Hegemonie und den Druck der Kapitalistischen Staaten werden für uns ungünstige Handelsbedingungen durchgesetzt zum Nachteil unsere Länder und unserer Bevölkerung.
Oft werden Diktatoren aus unserer Mitte gekauft, buchstäblich „ installiert“, und unterstützt mit Waffen, politisch und dem know-how in Folter und Gewaltausübung gegen uns. Sie sorgen für das weiterbestehen dieser Ausbeutung und der Verarmung und vermehren ihrer Macht und Reichtümer zu unserem Nachteil und auf Kosten unserer Freiheit.
Diese durch die Kapitalistischen Staaten installierten und unterstützen Diktatoren werden gelegentlich als Vorwand genommen für direkte Aggressionen und Kriege der NATO-Staaten wie zum Beispiel im Fall Taliban und Saddam Hussein.
Unsere Verfolgung durch diese diktatorischen Regime ist die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung und die Fortführung der Ausbeutung.
Die systematische Zerstörung unsere Umwelt durch den Raub unserer Ressourcen in Asien, Afrika, Süd- und Mittelamerika führen zur Verarmung und Vertreibung vieler Bauern, zur Verseuchung von Umwelt und Trinkwasser unter anderem. Dies sind weitere Gründe für viele Millionen von Flüchtlingen weltweit.
Viele Millionen müssen durch Umweltzerstörung und Landgrabbing ihre Heimat verlassen und sich auf die Suche nach Überlebensmöglichkeit begeben - das alles während in den Kapitalistischen Länder sich manche Parteien damit brüsten, für ihre saubere Umwelt Politik zu machen. Treibstoffe für ihre Autos, Flugzeuge und Panzer aus Mais und Datteln führen zur Überteuerung der Lebensmittel und zu unfruchtbaren Boden und Abholzung der Wälder.
Die sogenannten Menschenrechte, mit denen sich die kapitalistische Welt brüstet und als Vorwand für die Zerstörung und Besetzung unserer Länder vorbringt sind eine Farce und nichts mehr.
Wir sind hier in Europa und wir erfahren täglich die sogenannten Menschenrechte auf der eigenen Haut:
Rassismus, Residenzpflicht, Lager-Unterbringung, Arbeits- und Studiums Verbot, Abschiebung.
Mit unseren Protesten wollen wir dem Staat und seinen Behörden sagen, dass wir Menschen sind, gewillt und entschlossen unsere Rechte als Menschen zu erkämpfen. Rechte werden NUR erkämpft und nicht geschenkt. Die Protest Märsche nach Berlin sind nur eine Etappe in diesem Kampf.
Ich appelliere an allen Menschen die sich demokratisch, Liberal oder Linke nennen, deutsche und nicht deutsche sich diesem Kampf anzuschließen.
Kämpft mit uns gemeinsam für eine bessere, gerechtere und sozialere Welt – für Gerechtigkeit.
Für eine Welt ohne Kriege und ohne Unterdrückung.
Gemeinsam sind wir stark und wir werden siegen, wir müssen es nur wollen.
Steht auf, Unterdrückte dieser Welt!