Kurzbericht zum Karawane-Aktionstag; 9. Oktober 2012 wuppertal
Flüchtlinge organisieren sich gegen staatlichen Rassismus und Isolation
Anfang September startete in Würzburg (Bayern) eine beeindruckende Protestaktion: Zu Fuß wanderten über dreißig Flüchtlinge und UnterstützerInnen nach Berlin. Unterwegs besuchen sie andere Flüchtlinge in Lagern und Sammelunterkünften und zum Mitmarschieren einladen. An den verschiedenen Stationen der Reise informierten sie die Menschen über die rassistischen und ausgrenzenden Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland. Es ging ihnen vor allem um die Residenzpflicht, um die Abschaffung des Zwangs, in isolierten Lagern zu leben, und um ein Ende der Abschiebungen.
Nach mehr als einem Monat, fast 600 Kilometern zu Fuß, nach Regen, Kälte, Wind und Bedrohungen durch Nazis erreichten die zeitweise über 70 Marschierenden am 6.Oktober endlich ihr Ziel Berlin. Spätestens seitdem sie Bayern verlassen hatten, haben sie mit jedem einzelnen ihrer Schritte die Residenzpflicht gebrochen.
Die Soli-Kundgebung in Wuppertal ist im Regen leider etwas weggeschwommen. Trotzdem kamen 20 Menschen.
In mehreren Städten Deutschlands solidarisierten sich UnterstützerInnen mit dem Marsch – in Köln kamen 200 Leute zu einer Demonstration, um die Ankunft in Berlin zu feiern. Aber auch in Wuppertal fanden sich etwa 20 Personen – u.a. von der Karawane und dem so_ko_Wtal – im strömenden Regen zusammen, um an die eher hektisch vorbei eilenden, shoppenden PassantInnen Flugblätter und Zeitungen zu verteilen. In einzelnen Gesprächen wurde jedoch wieder deutlich, wie auch in Wuppertal viele Menschen direkt oder indirekt von den Abschiebung oder dem Asylbewerberleistungsgesetz betroffen sind oder Probleme haben, einfach nur weil sie den falschen oder gar keinen Pass haben.
40 Interessierte kamen am Abend zusammen, um sich zu informieren und auszutauschen.
Abends kamen dann an die vierzig Personen im Cafe Stilbruch zusammen, um im Anschluss an ein fantastisches persisches Essen Filme über den Protestmarsch zu sehen und über die Unterstützungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten hier vor Ort im Bergischen Land zu reden. Denn Isolation und Abschiebung ist auch hier ein permanentes, leider von der Mehrheitsbevölkerung kaum wahrgenommenes Verbrechen.
Hier der Text des vom Solikomittee Wuppertal und der Karawane am Samstag verteilten Flugblatts:
Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen und das so_ko_wpt (Solidaritäts-Komitee Wuppertal) erklären sich solidarisch mit dem Protestmarsch der Flüchtlinge, der in Berlin angekommen ist.
Nach mehr als einem Monat, über 500 Kilometern zu Fuß, nach Regen, Kälte, Wind und Bedrohungen durch Nazis erreichten die zeitweise über 70 Marschierenden endlich ihr Ziel. Auf dem Weg von Würzburg in die Hauptstadt haben die Flüchtlinge nicht nur ihre Forderung nach einer Schließung aller Lager und eine Abschaffung diskriminierender Gesetzgebung auf die Straßen getragen, sondern auch einen unvergleichlichen Akt der Selbstbehauptung und -ermächtigung geleistet.
Viele Menschen sind auf dem Weg des Marsches durch die Städte und die Provinz auf die unwürdige Lage der Flüchtlinge in Deutschland aufmerksam geworden: anstatt in Sicherheit, Freiheit und Demokratie anzukommen, geraten Menschen nach einer oft traumatisierenden Flucht in Deutschland wieder in isolierende Sammellager und ein bürokratisches Kontrollsystem – ohne jede Teilnahmemöglichkeit am sozialen Leben, ohne die Möglichkeit zu arbeiten, sich zu entfalten und in Würde zu leben.
Warum der Protest der Flüchtlinge auch in NRW stattfindet:
Sammellager auflösen!
Auch im Rot-Grün regierten NRW leben viele Flüchtlinge über viele Jahre hinweg in abgelegenen Sammellagern, in menschenunwürdigen Containerbaracken, die den Anforderungen an menschenwürdige Wohn- und Lebensstandards nicht gerecht werden. Auch in NRW werden Flüchtlinge über Jahre von Deutschkursen, vom Arbeitsmarkt und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen.
Das so_ko_wuppertal und die Wuppertaler Karawane haben den Protestmarsch der Flüchtlinge nach Berlin von Beginn an unterstützt – denn auch im Bergischen werden Flüchtlinge unwürdig untergebracht: z.B. in Velbert, wo erst nach großem öffentlichen Druck ein paar Verbesserungen im Heim in der Talstraße erreicht wurden. Oder in Heiligenhaus, wo in der dortigen Unterkunft nach wie vor unbeschreibliche Zustände herrschen. Diese furchtbaren Lebensbedingungen von Menschen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft dürfen wir nicht länger ignorieren.
Aufhebung der Residenzpflicht!
Auch wenn die Residenzpflicht innerhalb NRWs schon seit zwei Jahren abgeschafft ist – Flüchtlinge aus NRW, die das Bundesland verlassen, brechen bereits damit das Gesetz. Deutschland ist das einzige Land der EU, in dem Asylsuchende den zugewiesenen Landkreis nicht, bzw. nur auf Antrag verlassen dürfen. Diese Freiheitsbeschränkung dient der räumlichen Isolation und der Kontrolle. Auf ihrem Marsch haben sich die Flüchtlinge deshalb bewusst der Residenzpflicht widersetzt und dadurch erstmals seit langer Zeit die Erfahrung selbstbestimmter Entscheidungen machen können.
Abschiebungen stoppen!
Düsseldorf ist außerdem nicht nur die Landeshauptstadt, in der über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen entschieden wird – im Düsseldorfer Innenministerium werden auch die regelmäßig stattfindenden Abschiebungen geplant und organisiert.
Zumeist werden sie über den Flughafen Düsseldorf durchgeführt. Für den 13.November ist wieder eine Sammelabschiebung vom Flughafen Düsseldorf geplant – wieder werden Menschen, die oft jahrelang hier gelebt haben, gegen ihren Willen aus allen sozialen Bezügen gerissen und außer Landes transportiert.
Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
Noch immer dürfen Flüchtlinge in Deutschland für lange Zeit nicht arbeiten, und sie bekommen geringere Leistungen als Menschen mit deutschem Pass. Durch den Protestmarsch der Flüchtlinge nach Berlin ist nun der diskriminierende Umgang mit Flüchtlingen und MigrantInnen in der Fokus öffentlicher Wahrnehmung gerückt.
Es ist an der Zeit, politischen Druck aufzubauen. Der Moment ist günstig. Zur Zeit bemühen sich drei Bundesländer im Bundesrat um eine Abschaffung des rassistischen Asylbewerberleistungsgesetzes. Dieser Vorstoß kann nur erfolgreich sein, wenn er von der Rot-Grünen Landesregierung in NRW unterstützt wird. SPD und Grüne müssen sich nun an ihre Versprechen erinnern!
Verlangen wir von den beiden Parteien und ihrer Landesregierung, sich endlich für die Abschaffung des AsylbLG stark zu machen!
Download des Flugblattes als pdf-Datei
http://soli-komitee-wuppertal.mobi/2012/10/kurzbericht-zum-karawane-akt…