Libyen soll Europa bei Abschottung helfen
EU verhandelt über zivil-militärische Missionen und Einbindung des Landes in das EU-Grenzregime
Von Matthias Monroy
Die EU-Kommission will mit der amtierenden libyschen Regierung ein sogenanntes »Memorandum of Understanding« unterzeichnen. Das anvisierte Abkommen trägt den Titel »Krisenreaktion und Öffentliche Sicherheit« und wird im Rahmen der »Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« der EU verhandelt. Dies geht aus Dokumenten der Kommission hervor, die die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch im Internet veröffentlicht hat.
Allerdings geht es bei der geplanten Vereinbarung vor allem um den Polizeiaufbau: Die libyschen Behörden sollen befähigt werden, verstärkt gegen »organisierte Kriminalität, Schmuggel und Terrorismus« vorzugehen. Angeführt werden Krisenreaktion, polizeiliche Ermittlungen, Kontrolle des Handels mit leichten und schweren Waffen, Munition und Sprengsätzen. Besonderer Wert wird auf den Betrieb polizeilicher Datensammlungen und den Informationsaustausch gelegt. Die EU plant überdies eine gemeinsame Mission zur »Krisenreaktion« an den libyschen Südgrenzen. Auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist eingebunden. Die Operation gilt als Paradebeispiel der Verquickung von »innerer und äußerer Sicherheit«.
Die polizeiliche Zusammenarbeit mit Libyen macht vor allem bei der Kontrolle der Seegrenzen große Fortschritte. Die spanische Regierung erweitert hierfür ab 2013 ihr Grenzüberwachungssystem »Seahorse« vom Atlantik auf das Mittelmeer. Es verarbeitet Aufklärungsdaten von Satelliten, Flugzeugen, Drohnen und Radar. Alle EU-Mitgliedstaaten mit einer Grenze zum Mittelmeer nehmen an »Seahorse« teil. Bereits im Juli hat die libysche Regierung eine Erklärung zur Mitarbeit unterzeichnet. In der Hauptstadt Tripolis und in Bengasi werden hierfür zwei »Nationale Koordinierungszentren« eingerichtet. Außerdem soll die Regierung Polizisten in Lagezentren nach Italien und Malta entsenden. Von dort aus werden unter anderem Operationen mit der EU-Grenzschutzagentur gesteuert. Auch Algerien, Ägypten und Tunesien sollen in »Seahorse« integriert werden. Die Länder weigern sich allerdings bislang erfolgreich. Die Regierungen Spaniens, Italiens und Frankreichs wollen nun eigens eine Delegation nach Tunis entsenden, um den Druck auf die dortige Regierung zu erhöhen.
Offensichtlich will die EU zur Umsetzung der Maßnahmen in Nordafrika eigene Niederlassungen schaffen. Unklar ist, wie das bereits im Mai letzten Jahres eröffnete EU-Büro in Bengasi eingebunden werden soll. Die libysche Regierung soll sich verpflichten, die mit der Durchsetzung der verabredeten Maßnahmen beauftragten »Partner« materiell, mit der Übernahme laufender Kosten für Büros und »politisch« zu unterstützen.
Zwar taucht in den Verhandlungen zur Zusammenarbeit hin und wieder die Formulierung auf, diese müsse sich an Datenschutz und Menschenrechten orientieren. Konkrete Schritte in diese Richtung oder auch nur Absichtserklärungen fehlen aber. Dies, obwohl Menschenrechtsorganisationen immer wieder über Pogrome in Libyen gegenüber Migranten aus zentralafrikanischen Ländern berichten. Libyen verfügt über kein Asylsystem, Flüchtlinge werden in staatlichen Gefängnissen festgehalten. Erst im September veröffentlichte Amnesty International einen Bericht über schwere Mißhandlungen und Folterungen in den Haftanstalten.
21.11.2012 / Ausland / Seite 4Inhalt
http://www.jungewelt.de/2012/11-21/004.php
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EU Militär und Frontex: Aufrüstung der libyschen Grenzen bei Mali-Intervention
Seit Ende Oktober 2012 verdichten sich EU-Absichten, die Militärintervention in Mali zur Aufrüstung der libyschen Grenzen zu nutzen. Frontex und die polizeiliche EU-libysche Zusammenarbeit sollen in den militärischen Rahmen zur „Grenzsicherung“ direkt einbezogen werden. Das teilte Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, am 07.11.2012 in Brüssel mit. Es wird argumentiert, dass sich die militärische Situation in Mali auch über die Grenzen in die EU hinein auswirken wird (u.a. „illegale Migration“ und „Asylanträge in der EU“) und daher dem libyschen Grenzregime in der Sahara wie am Mittelmeer eine wichtige Abschottungsfunktion zukommen wird.
Im Rahmen der Common Security and Defence Policy (CSDP) wird in der 3. Novemberwoche eine Fact-Finding-Mission nach Libyen aufbrechen. Mit dabei sind Frontex-Vertreter.
Das Crisis Management and Planning Directorate (CMPD) der EU entwirft konkrete Konzepte für 2013: Als Standorte für die militärisch-zivile EU-libysche Zusammenarbeit sind Benghasi und Tripolis in Libyen (Zustimmung bereits vorab am 29.07.2012) sowie Standorte in Italien und Spanien vorgesehen. Auch Tunesien soll gedrängt werden, einem Standort im Lande zuzustimmen. Sogar Algerien und Ägypten wird nahegelegt, EU-Unterstützung für solche Standorte in ihren Ländern zu beantragen.
Diese militärisch-zivilen Standorte (National Coordination Centres / Mediterranean Border Coordination Centres MEBOCC) werden sowohl in das Eurosur-Netzwerk wie in die Planungen zur Militärintervention in Mali eingebunden.
Vorläufer eines solchen Netzes haben Frontex und Militärs rund um das Mittelmeer unter dem Namen „Seahorse“ entwickelt: Bei den gemeinsamen Überwachungseinsätzen auf der Jagd nach Boat-people haben sie ein Netz von Stützpunkten aufgebaut. Nun will die EU diese organisatorischen Erfahrungen weiter nach Süden in den Sahara-Raum übertragen und noch stärker militarisieren. Die Intervention in Mali bietet den Anlass.
Die Bündelung militärisch-polizeilicher Aktivitäten am südlichen Rand der EU erfolgt auch auf einer anderen Ebene. In Reaktion auf den „arabischen Frühling“ hatte der European External Action Service (EEAS) (das Dach der EU-Außen- und Militärpolitik) verschiedene „crisis response“ Plattformen geschaffen, die eine polizeilich-militärische Handlungsfähigkeit der EU in den arabischen Aufstandsländern ermöglichen sollte. Daraus entstanden EU-Einsatzzentren für den Nato-Libyen-Krieg. Derzeit verhandelt die EU mit der libyschen Regierung über den Aufbau von „Crisis Response Centres“ der EEAS auch direkt in Libyen. Sie sollen den Kampf gegen „Organisiertes Verbrechen, Schmuggel und Terrorismus“ verstärken, aber auch der Aufrüstung der libyschen Grenze dienen. Die verhandelte Arbeitsweise – Datenverarbeitung in Echtzeit und Erstellung von Risiken-Berichten zur Grenzsituation – lässt an die Beteiligung von Frontex denken.
http://ffm-online.org/2012/11/16/eu-militar-und-frontex-aufrustung-der-…
http://www.statewatch.org/news/2012/nov/eu-council-psc-cosi-int-ext-155…
http://www.defensenews.com/article/20121109/DEFREG01/311090017/EU-Mulls…