„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Martin Niemöller
Drei Monate Gefängnishaft aufgrund willkürlicher falscher Unterstellungen – nicht etwa wegen irgendwelchen Verbrechen, sondern einzig wegen der Inanspruchnahme unveräußerlicher menschlicher Grundrechte!
Hier ist nicht etwa die Rede vom DDR-Unrechtsstaat oder einer fernen Diktatur, hier ist die Rede von der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2013.
Herr Arutunyan und seine Ehefrau Poghosyan engagierten sich in der ehemaligen Regierungspartei Armenische Allnationale Bewegung (HHSch), die von 1991 bis 1998 unter Präsident Lewon Ter-Petrosjan die Regierungsmacht in Armenien inne hatte. Diese Partei ist von ihrer politischen Ausrichtung in Deutschland am ehesten mit der FDP zu vergleichen und ist seit 2010 auch Mitglied der Europäischen Liberalen. Präsident Ter-Petrosjan musste 1998 zurücktreten, einerseits weil er unpopuläre Maßnahmen durchgesetzt hatte, andererseits weil er im Zusammenhang mit den Konflikten um Berg-Karabach Kompromissbereitschaft gezeigt hatte, welche ihm als Verrat an nationalen Interessen vorgeworfen wurde. Auch gab es Vorwürfe, die Regierung Ter-Petrosjan habe Wahlen manipuliert und die Opposition gewaltsam unterdrückt.
Als nun Robert Kotscharjan (Parteilos) als Vertreter einer „harten Linie“ gegen Aserbaidschan und die sich selbst als nationalistisch bezeichnende Republikanische Partei Armeniens an die Macht kam, wurden von der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt die Politiker der Opposition politisch verfolgt. Somit versank die Armenische Allnationale Bewegung (HHSch) in der Bedeutungslosigkeit.
Das waren die Umstände, unter denen das Ehepaar Arutunyan/Poghosyan im Jahr 2000 nach Deutschland floh und einen Asylantrag stellte. Hier wurden dann ihre beiden Kinder geboren. Nachdem sich in Armenien die Situation beruhigt zu haben schien und Herrn Arutunyan eine Stelle in seinem Beruf als Steuerrechtler in Aussicht gestellt wurde, wollte er mit seiner Familie nach Armenien zurückkehren. Es gab Probleme bei der Beschaffung der Dokumente für die beiden Kinder und Herr Arutunyan bat die Leiterin der Ausländerbehörde Gotha in dieser Sache um Unterstützung, welche ihm auch zugesichert wurde. Nachdem etwa ein und ein halbes Jahr ins Land gegangen war, aber die Rückreisedokumente immer noch nicht vorlagen, reiste er mit seiner Familie mit Hilfe einer Schleuserorganisation zurück, ohne sich abzumelden, weil die deutschen Behörden offenbar nicht in der Lage waren, ihm die nötigen Papiere für die Kinder zu vermitteln. Die Familie hatte es satt, in diskriminierender Weise von Lager zu Lager geschickt zu werden, ohne Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben und glaubte, aufgrund der Situation in Armenien eine Rückkehr riskieren zu können.
Bei den Wahlen am 19.02.2008 in Armenien konnte Robert Kotscharjan nicht wiedergewählt werden, da eine dritte Amtszeit nicht vorgesehen war. Überraschend meldete sich im Wahlkampf der damalige Präsident Ter-Petrosjan wieder zurück, wurde von mehreren Oppositionsparteien unterstützt und erzielte (offiziell) 21,5 % der Stimmen. International wurde ein solch beachtliches Ergebnis kaum für möglich gehalten, andererseits aber glaubten die oppositionellen Kräfte daran, in Wirklichkeit die Mehrheit errungen zu haben und nur durch Wahlfälschung auf dieses Ergebnis heruntergedrückt worden zu sein. Das es Ter-Petrosjan schaffte, quasi ohne Infrastruktur bis zu 100.000 Menschen (bei 3 Mio. Einwohnern) zu seinen Kundgebungen zu mobilisieren (obwohl in den Medien ständig Kampagnen liefen, welche die Fehler seiner Regierungszeit skandalisierten), ist ein starkes Indiz dafür, dass freie Meinungsäußerung bis dahin extrem unterdrückt worden war, aber die eingeschüchterte Opposition nun die Chance witterte, ein brutales und korruptes Regime zu überwinden.
Die Präsidentschaftswahl am 19. Februar 2008 endete erwartungsgemäß mit dem Sieg des Regierungskandidaten Sersch Sarkissjan von der Republikanischen Partei (HHK), der bereits im ersten Wahlgang 52,8% der Stimmen erhielt. Nach der Wahl kam es zu Massendemonstrationen und Vorwürfen des Wahlbetruges, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Dabei kamen 8 Zivilisten, ein Soldat und ein Polizist ums Leben und 150 Oppositionelle wurden verhaftet.
Auch Herr Arutunyan und seine Frau Poghosyan kamen in Haft. Es wurde gegen beide aber keinerlei Anklage erhoben. Während Herr Arutunyan nach 2 Monaten freigelassen wurde, musste seine Frau fast ein Jahr im Gefängnis verbringen. Anschließend begab sie sich in medizinische Behandlung, wo ihr schwere posttraumatische Stressstörungen attestiert wurden. Dieses Attest zusammen mit einer Übersetzung ins Deutsche hatte die Familie mitgebracht, als sie am 10.01.2013 in Gotha eintraf.
Weiterhin hatte sie eine armenische Zeitschrift "MenQ" ("Wir") vom Mai 2009 bei sich, in welcher Frau Poghosyan als Vertreterin der Armenische Allnationale Bewegung (HHSch) ein Interview gegeben hatte und mit ihrer ganzen Familie abgebildet war:
Dieses Bild in der armenischen Zeitschrift „MenQ“, von 2009, auf welchem die in Gotha eingetroffene Familie deutlich zu erkennen ist, beweist eindeutig, dass sie, so wie Herr Arutunyan behauptet hat, wieder nach Armenien zurückgekehrt war.
Als die Familie in Armenien aus der Haft entlassen wurde, betätigte sie sich erneut politisch. Dabei ging es um einen Zusammenschluss von etwa 20 Oppositionsparteien. Die daraufhin einsetzende politische Verfolgung wurde so bedrohlich, dass die Familie erneut fliehen musste.
Im Vertrauen darauf, in Deutschland doch einen Rechtsstaat vorzufinden, sprach Herr Arutunyan mit seiner Familie auf der Ausländerbehörde Gotha vor, um erneut einen Asylantrag zu stellen. Schockiert musste er am eigenen Leib erfahren, dass dieses Vertrauen ungerechtfertigt war. Ihm wurde unterstellt, er habe sich, statt 2006 heimzukehren, bis heute illegal in Deutschland aufgehalten. Offensichtlich hat sich die Leiterin der Ausländerbehörde, Frau Seide, gar nicht bemüht, festzustellen, ob es Beweise dafür gibt, dass die Familie in Armenien war, sonst wäre sie gewiss auf das Bild bei dem Interview in MenQ vom Mai 2009 aufmerksam gemacht worden, wo die ganze Familie, auch der Vater abgebildet war.
Statt dessen ließ Frau Seide Herrn Arutunyan von der Polizei verhaften und erwirkte beim Amtsgericht Gotha einen Beschluss, ihn für 3 Monate zwecks Abschiebung in Gefängnishaft zu nehmen. Richter Thelen unterschrieb diesen Beschluss mit der Begründung, dass die Familie keinerlei Beweise dafür habe vorlegen können, dass sie 2006 aus Deutschland ausgereist sei, offensichtlich einfach die böswillige Unterstellung der Ausländerbehörde blind glaubend, ohne dies selbst nachzuprüfen. Er qualifizierte die Beteuerung von Herrn Arutunyan in seiner Begründung als „Schutzbehauptung“ ab.
Sollte Herr Arutunyan geglaubt haben, dass in Deutschland die Gewaltenteilung funktioniere und die Justiz unabhängig sei, so musste er sich auch hierin getäuscht sehen. Die Justiz handelte als verlängerter Arm einer Exekutive, welche mit der unwahren Behauptung einer Behörde, sie habe keine Beweise für die Ausreise finden können, so einen völlig unschuldigen Menschen willkürlich für drei Monate in Haft brachte - Freiheitsentziehung als schwerste Strafe, die überhaupt in Deutschland verhängt werden kann! Trotz sofortiger anwaltlicher Unterstützung, die ja meist für Flüchtlinge unbezahlbar bleibt und in anderen Fällen oft nur halbherzig oder gar nicht greift, ist Herr Arutunyan nun (25.02.2013) schon mehr als 6 Wochen unschuldig in Haft, und ein Ende ist noch nicht abzusehen.
Wenn man sich vor Augen hält, dass die deutsche Justiz sich in einem anderen Fall geweigert hatte (und bis heute weigert), ein Untersuchungsverfahren wegen dringenden Mordverdachtes (Oury Jalloh [*]) überhaupt einzuleiten und somit dringend des Mordes verdächtigte Personen seit nunmehr 8 Jahren noch nicht einen Tag in Haft, sondern weiter im Dienst waren, kann man nur erschüttert feststellen, dass es einen deutschen Rechtsstaat nicht mehr gibt. Er wurde kooperativ zerstört von grundgesetzwidrig handelnden Seilschaften in Politik, Behörden und Justiz. Die Verantwortlichen fühlen sich rassistischen Vorurteilen offensichtlich mehr verpflichtet, als unveräußerlichen Grundrechten. Im kolonialistisch-überheblichen Jargon, wie er in Deutschland verbreitet ist, könnte man diese Zustände treffend mit "Bananenrepublik" charakterisieren. Die Kosten für die von Frau Seide durchgesetzte Menschenrechtsverletzung (ca. 80 ..130 €, die ein Tag in Haft schätzungsweise kostet) trägt der Steuerzahler.
Es ist höchste Zeit, dass alle, denen die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland am Herzen liegt, endlich diesen rassistischen Seilschaften in Staat und Regierung mit Courage Einhalt gebieten. Nicht die jugendlichen Neonazis sind es (niemand wird als Rassist geboren), von denen in erster Linie eine Bedrohung unserer Gesellschaft ausgeht, sondern der Fisch stinkt (und fault) vom Kopf. Mächtige im Staat hebeln das Grundgesetz aus und schaffen durch ihr Unrecht die Bedingungen dafür, dass Nazis wieder Fuß fassen können. Junge Menschen werden so getäuscht und lassen sich mit der Motivation, ihrem Volk zu dienen, zu Straftaten verleiten. Werden deren Straftaten dann offenbar, dann lassen diese Mächtigen ihre Schützlinge wie heiße Kartoffeln fallen. Vorher hatten sie dafür gesorgt, dass antifaschistischer Protest kriminalisiert wird und dass über V-Leute Steuergelder in den Aufbau von neofaschistischen Strukturen fließen konnten. Die Vermutung liegt nahe, dass sie sogar die Aufklärung von Nazi-Verbrechen aktiv behindert haben. Für sich selbst sind sie stets peinlich bemüht, den Anschein des Hüters der freiheitlich-demokratischen Grundordnung öffentlich aufrecht zu erhalten, im Zweifelsfall mit Beleidigungsklagen.
Aber Gewalt und Verbrechen, wie sie von staatlichen Stellen ausgehen bzw. gedeckt werden, provozieren Gegengewalt und eine eskalierende Spirale des Hasses. Es ist eine Schande, wie sich die deutsche Bevölkerung von rassistischen Seilschaften in der Regierung auf der Nase herumtanzen und manipulieren lässt. Dabei handelt es sich um Karrieretypen, die vor allem eines auszeichnet: Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit. Diese Seilschaften wurden geprägt vom Einfluss der Altnazis, die in der jungen Bundesrepublik wieder massenweise Machtpositionen einnehmen konnten. Ohne Rücksichts- und Gewissenslosigkeit hätten diese ja immerhin intelligenten Leute unter Hitler nicht ihre Karriere gemacht. Und offenbar haben sie Nachwuchs protegiert, der charakterlich ganz ähnlich gestrickt ist (dem die „Gnade der späten Geburt“ [Zitat: Helmut Kohl] zuteil wurde).
Mit Hass auf Migranten ist es ihnen gelungen, die Bevölkerung zu spalten und auf diese Weise soziale Sicherheit, Wohlstand, Demokratie und Freiheitsrechte abzubauen. Sie haben ein Klima geschaffen, in welchem sie im Trüben fischen und ihre profitablen Deals auf dem Rücken einer Bevölkerung durchziehen können, welche ihre Machenschaften nicht durchschaut. Mehrheitlich empfindet sie wohl den Niedergang, in den sie von diesen Seilschaften hinein getrieben wird. Aber sie lässt sich blenden und leitet den Zorn darüber auf Ausländer und Hartz IV-Empfänger ab und gibt somit diesen Seilschaften für ihre Menschenrechtsverletzungen wieder neue Rückendeckung.
Nachdem in der Geschichte der Menschheit das unbeschreibliche Leid von Kriegen die Menschen für eine Weile hat klug werden lassen und längere Perioden des Friedens andauerten, wurden meist irgendwann die Lehren der Geschichte missachtet und es kam der nächste Krieg. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurden solche Lehren verdichtet zu Papier gebracht. Ob unsere Kinder und Enkel noch in Frieden werden leben können, wird entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, denjenigen in Staat und Regierung das Handwerk zu legen, die dieses Grundgesetz täglich mit Füßen treten.
Es ist traurig, wie diese Seilschaften den in Deutschland heranwachsenden Generationen die Zukunft verbauen. Diese Generationen sollen eines Tages mit dem sinkenden Reallohn, den der permanente Deportationsdruck auf Migranten begünstigt hat, die angehäuften Staatsschulden bezahlen, dazu all jene sozial unterstützen, welche diese gewissenlose Politik aus dem Arbeitsleben ausgegrenzt hat und sich noch dazu auf neue Kriege vorbereiten, weil man die demokratischen Politiker, auf die man freundschaftliche außenpolitische Beziehungen hätte setzen können, schmählich im Stich gelassen hat, als sie hier um Asyl nachsuchten.
Die Dominanz rassistischer Seilschaften im Staat sorgt dafür, dass neokoloniale Mechanismen in internationalen Beziehungen, welche hemmungslose Ausbeutung und Zerstörung anderer Länder verursachen und welche weltweit zunehmende Flüchtlingsströme erzeugen, nicht in Frage gestellt werden, sondern statt dessen die Flüchtlinge selbst als Schuldige für ihre Situation gebrandmarkt werden. Statt der Suche nach geeigneten Mitteln, um neokoloniale Nebenwirkungen in internationalen Beziehungen zu vermeiden und damit die Welt friedlicher zu machen und auch die Flüchtlingsströme zu verringern, heizt deutsche Politik mit Waffenexporten internationale Konflikte zusätzlich an, eine Politik, welche auch Deutschland selbst perspektivisch mit Krieg im eigenen Land bedroht.
Nun wird es nie ganz zu verhindern sein, dass gewissenlose Menschen in staatliche Machtpositionen gelangen. Wirklich schlimm ist aber die verbreitete Feigheit unter jenen Vertretern staatlicher Macht, denen die freiheitliche Demokratie eigentlich am Herzen liegt. Sie wissen, dass rassistische Seilschaften ihrer eigenen Karriere schaden können, sobald sie diesen zu nahe treten. Sie sollten sich solidarisch zusammen schließen und ihrerseits die Grundgesetzverletzungen dieser Seilschaften zum Anlass nehmen, diese von ihren Machtpositionen zu entfernen. Und sie sollten sich gemeinsam wehren, wenn deswegen ihre eigene Karriere bedroht wird. Statt dessen ziehen es die Meisten vor (und da machen auch die Grünen keine Ausnahme), ihre Kritik auf moderate Worthülsen zu beschränken und sich von den Totengräbern des freiheitlichen Rechtsstaates auf der Nase herum tanzen zu lassen. Im Gegensatz zu Schülern, die vielleicht Nazis als Klassenkameraden haben, gehört für Politiker wenig Mut dazu, Nazi-Verbrechen zu verurteilen und auf bürgerlichen Kundgebungen „Bunt statt Braun“ etc. Gesicht zu zeigen. Aber diese Aktivität bleibt scheinheilig und wirkungslos, solange diese Politiker nicht den Mut aufbringen, die Menschenrechtsverletzer im Staat, welche den Boden düngen, auf dem der Hass gegen Menschengruppen gedeiht, in die Schranken des Grundgesetzes zu weisen.
[*] Oury Jalloh verbrannte am 7. Januar 2005 an Händen und Füßen gefesselt bis zur völligen Verkohlung auf einer schwer entflammbaren Matratze in Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers. Erst nach 2 Jahren gelang es durch massive Proteste und internationalen Druck, diese Sache vor Gericht zu bringen, wobei sich die Staatsanwaltschaft bis heute weigerte, einen möglichen Mord zu untersuchen. Die statt dessen offiziell präsentierte These eines Selbstmordes wurde im Verlauf zweier Gerichtsprozesse durch eine erdrückende Indizienlast widerlegt.
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Armenische_Allnationale_Bewegung
http://de.wikipedia.org/wiki/Lewon_Ter-Petrosjan
http://www.welt-im-blick.de/0382899ac210b4008/0382899b4e121e501/index.h…
http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/