im Rahmen der Bustour der Flüchtlingsorganisation „The Voice“ durch Baden-Württemberg und Bayern haben wir am 16. Mai 2013 die Unterkünfte der Flüchtlinge im Bodenseekreis besucht, darunter auch die Sammelunterkunft für Asylbewerber in Überlingen, Goldbach 71.
Flüchtlingslager in Überlingen muss geschlossen werden
So die Forderung des Aktionsbündnis Abschiebestopp Konstanz. Nach einem Besuch vor Ort klagt die Initiative über katastrophale Verhältnisse im Flüchtlingslager aus Holzbaracken und eine menschenunwürdige Unterbringung. Susanne Scheiter vom Aktionsbündnis wendet sich nun in einem offenen Brief an Landrat Lothar Wölfle, Oberbürgermeisterin Sabine Becker und die Kreisrätinnen und Kreisräte des Bodenseekreis mit dem Ziel, die Unterkunft besser heute als morgen zu schließen.
Menschenunwürdig: Zwei Mütter mit Kindern müssen in einem einzigen Zimmer in der Überlinger Holzbaracke leben.
Offener Brief des Aktionsbündnis Abschiebestopp: Schließung des Sammellagers für Asylbewerber in Überlingen, Goldbach 71
"Sehr geehrter Herr Landrat Lothar Wölfle,
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Sabine Becker,
Sehr geehrte Kreisrätinnen und Kreisräte des Bodenseekreises,
im Rahmen der Bustour der Flüchtlingsorganisation „The Voice“ durch Baden-Württemberg und Bayern haben wir am 16. Mai 2013 die Unterkünfte der Flüchtlinge im Bodenseekreis besucht, darunter auch die Sammelunterkunft für Asylbewerber in Überlingen, Goldbach 71.
Während unseres ca. 3 stündigen Aufenthalts dort waren der Heimleiter Herr Kessler und der stellvertretende Leiter des Kreissozialamtes Bodenseekreis, der sich uns als Herr Spohn vorstellte, sowie ca. 30 Flüchtlinge anwesend. Wir möchten Ihnen hier unsere Eindrücke dieses Besuches und die Ergebnisse unserer Gespräche sowohl mit Herrn Kessler, Herrn Spohn als auch mit den Flüchtlingen wiedergeben.
Die Sammelunterkunft Überlingen befindet sich abgelegen am Wald bei Goldbach oberhalb Überlingens. Die Flüchtlinge sind durch diese Lage äußerst isoliert und es bestehen große Probleme bei der Bewältigung ihres Alltags. Nur unter enormen Schwierigkeiten können sie Einkäufe erledigen - wie selbst der Heimleiter, Herr Kessler, zugeben musste - oder ist der Besuch von Schule, Sprachkursen, Besuch von Ärzten oder Termine bei Behörden im Ort zu organisieren. Wie beschwerlich dies z.B. für alleinstehende Mütter mit Kleinkindern ist haben wir in Einzelgesprächen ausführlich erfahren. An eine Teilnahme am gesellschaft-lichen Leben der Flüchtlinge in Überlingen, an eine minimale Integration ist nicht zu denken.
Die Unterkunft für ca. 80 Flüchtlinge besteht aus mehreren einfachen Holzbaracken die unserer Auffassung nach nicht wintertauglich sind, die bei einem Brand in kurzer Zeit niederbrennen würden und selbst als Notunterkünfte kaum geeignet sind. Die Baracken sind in sehr kleine Wohnräume unterteilt, die sich mehrere Menschen mit 4,5qm pro Kopf teilen müssen. Dies führt dazu, dass die Menschen sich gegenseitig nahezu ständig auf die Füße treten, es keinerlei Intimsphäre mehr gibt und ein ständig hoher Geräuschpegel diese beengten Wohnverhältnisse beherrscht. Ruhe oder Rückzugsmöglichkeiten für alte oder kranke Menschen existieren nicht und auch die Küchen mit wenigen qm sind völlig unzureichend. Flüchtlinge und hier insbesondere die Kinder, sind in diesen prekären Verhältnisse nicht nur kurzfristig untergebracht sondern müssen dort über mehrere Jahre (eine Person mit ihren Kleinkindern bereits über 4 Jahre) leben. Dass diese Lebenssituation verheerende Auswirkungen auf die Menschen hat ist inzwischen hinreichend bekannt. Seelische und körperliche Erkrankungen, Aggressivität, Konflikte und Streit untereinander sind die Folgen. Bei einem Einsatz in der Überlinger Unterkunft vor wenigen Wochen hat sich selbst die Polizei befremdet über die enge Belegung, Ursache des aktuellen Konfliktes, gezeigt. Dass die Menschen unter Niedergeschlagenheit und Depressivität leiden, was auch bei unseren Gesprächen mit ihnen offensichtlich war, wurde auch vom Heimleiter bestätigt.
Die Flüchtlinge haben in Gesprächen mit uns und den Herren vom Kreissozialamt große Angst vor fremdenfeindlichen Übergriffen geäußert. Nachts sind sie sich an diesem abgelegenen Ort völlig alleine überlassen. Es gibt kein Funknetz für Handys und der Notruf war bei unserem Aufenthalt defekt. Laut Heimleiter gibt es auch keinen Wach- oder Securitydienst. Wir teilen die Befürchtungen der Flüchtlinge und denken, dass diese Unterkunft geradezu auf dem Präsentierteller für Übergriffe rassistischer neofaschistischer Gruppen liegt und allein schon deshalb ihre Schließung erforderlich ist.
Beschämend und zynisch empfinden wir auch allein die Auswahl des Standortes der Holzbaracken der Flüchtlinge nur wenige 100 Meter entfernt vom Standort jener Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers Außenstelle Dachau, in denen viele Häftlinge während des Nationalsozialismus zu Tode kamen. Die einfache Tatsache, dass in Überlingen Menschen heute erneut abgelegen in Holzbaracken zusammengepfercht werden, muss uns aufgrund des historischen Hintergrundes die Schamröte ins Gesicht treiben. Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Zusammenhang den Behörden bei der Errichtung des Sammellagers für Asylbewerber nicht bekannt war.
Als wir den stellvertretenden Leiter des Kreissozialamtes, Herrn Spohn, auf die katastrophale Unterbringung der Flüchtlinge ansprachen, gab er einerseits zu, dass die Bedingungen schlecht seien aber bald Verbesserungen durch einen Neubau in Sicht wären. Dass es sich bei diesem „Neubau“ lediglich um die Erweiterung der Holzbaracken am gleichen Standort handelt bei denen die Grundrisse schon gelegt waren, hatte er uns verschwiegen.
Neben den äußeren Rahmenbedingungen erhalten die Flüchtlinge offensichtlich auch nicht die Unterstützung die sie dringend bräuchten. So haben wir Herrn Spohn darauf aufmerksam gemacht, dass Frau Maria Javadi, die einen schwerstbehinderten Sohn im Alter von 5 Jahren hat, diesen ständig auf dem Arm tragen muss. Sie leidet unter starken Rückenschmerzen und weiß nicht wie sie mit dem Jungen den weiten Weg hinunter in die Stadt zum Einkaufen bewerkstelligen soll. Bis heute hat sie von den Sozialbehörden keinen adäquaten Kinder-wagen erhalten und ist ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Ihr Mann und 2 weitere Kinder sind derzeit in Griechenland und sie ist durch ihre Gesamtsituation nervlich völlig am Ende.
Das Ehepaar Kurthu Arab aus dem Irak lebt mit seiner 26-jährigen Tochter Sana seit ca.1 ½ Jahren in Goldbach. Sana müsste dringend an ihrem Fuß operiert werden und obwohl die Überlinger Ärzte Dr. Bren und Dr. Berghof eine solche Operation befürworten, erhält Sana Kurthu Arab vom Kreissozialamt keine entsprechende medizinische Hilfe. Die erwachsenen Kinder des Ehepaars Kurthu Arab, die ihre Eltern und die Schwester gerne unterstützen möchten, leben in Bielefeld. Eine Familienzuzsammenführung wird von den Behörden bis heute verweigert.
Eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien, die inzwischen anerkannt ist, hat sich beklagt, dass ihre beiden kleinen Kinder eines Tages verschwunden waren. Es stellte sich heraus, dass diese von einer, wohl offensichtlich verwirrten, älteren Frau, die in einem kleinen Haus auf dem gleichem Gelände wie die Flüchtlinge wohnt, zum See mitgenommen wurden. Seitdem hat die Familie keine Ruhe mehr. Sie möchten dringend diese Unterkunft verlassen.
Es gäbe noch über weitere Einzelfälle zu berichten was den Rahmen dieses Briefes jedoch sprengen würde. Wir möchten Sie deshalb auffordern, sich selbst ein Bild von den Lebensverhältnissen der Flüchtlinge vor Ort zu machen und mit diesen zu sprechen.
Statt mit Anteilnahme, Hilfe und Integration begegnen wir hier in Deutschland Menschen, die vor unmenschlichsten Bedingungen aus ihrer Heimat geflohen und oft traumatisiert sind, mit diskriminierender Ausgrenzung aus unserer Gesellschaft, mit Sonderbehandlung und rassistischen Sondergesetzen. Eine Unterbringung wie sie den Flüchtlingen in Überlingen Goldbach über Jahre hinweg zugemutet wird, bedeutet die völlige Isolation von Menschen die nichts verbrochen haben, die aber wie Kriminnelle behandelt werden.
Von der Flüchtlingsorganisation „The Voice“ wurde nach ihrer Rundreise durch Baden-Württemberg die Sammelunterkunft Überlingen gemeinsam mit dem Lager im abgelegenen Witthoh bei Tuttlingen als die schlechtesten und unmenschlichsten Unterkünfte bewertet.
Wir wenden uns heute an Sie mit der dringenden Bitte, die Situation der Flüchtlinge in der Sammelunterkunft Überlingen schnellstmöglich zu verändern indem Sie sich persönlich dafür einsetzen, dass dieses Sammellager umgehend geschlossen wird, dass die Flüchtlinge dezentral in kleinere Wohneinheiten im Stadt-oder Wohngebiet der Stadt Überlingen untergebracht werden oder sie sich selbst Wohnraum suchen können und dass ihnen statt Gutscheinen Bargeld ausgezahlt wird.
Mit freundlichem Gruß
Susanne Scheiter
Für das Aktionsbündnis Abschiebestopp Konstanz
PS. Während des gesamten Tages standen wir am 16.Mai über die gesamte Strecke von Friedrichshafen nach Überlingen unter polizeilicher Beobachtung durch ein Fahrzeug mit 2 Beamten der Polizei Friedrichshafen. Dabei wurden Fotos von Personen und KFZ-Kennzeichen gemacht. Für ein freiheitliches, demokratisches Land eine Schande und Verschwendung von Steuergeldern."
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Holzbaracken in Überlingen Goldbach: Menschenunwürdige Unterbringung von Flüchtlingen
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Lange Wege und Isolierung: Seit 30 Jahren gibt es in Baden-Württemberg Sammellager für Flüchtlinge, die damals von der Politik noch selbst so benannt wurden: Lager. Lager zur Abschreckung. Lager die psychisch krank machen und Probleme produzieren.
Blog von Jürgen Weber:
http://www.juergenweber.eu/pages/posts/fluechtlingslager-in-ueberlingen…
Bustour und Workshop unter Beobachtung: Isolation der Flüchtlinge als Ziel
„Wir haben lange genug darum gebeten, jetzt fordern wir ein was uns zusteht – unsere Rechte" Rex Osa https://thevoiceforum.org/node/3252