Erklärung zu Protokoll des Amtsgerichtes Tiergarten bezüglich der Hintergründe und Notwendigkeit des Protestes gegen die illegalen Kollaborationspraktiken des Staates Nigeria durch seine Botschaftsvertreter in Deutschland und den deutschen Abschiebebehörden und öffentlicher Reflektionen bezüglich der stattgehabten Polizeigewalt am 15.10.2012
New Video: Deportation Chain - Police Brutality at Nigerian
Embassy in Berlin
Die unsägliche Praxis sogenannter Botschaftsanhörungen durch Botschaftsvertreter des nigerianischen Staates ist spätestens seit 2007 bekannt. Die erste noch heute nachvollziehbare Erwähnung auf der Homepage von The VOICE Refugee Forum Germany findet sich unter dem Datum 22.6.2009 und handelt von einem Aktivisten unserer Netzwerke aus Benin, der damals zur Beantragung sogenannter „Reisepapiere“ zur geplanten Abschiebung zu einem „mobilen“ Botschaftstermin in Halberstadt zitiert werden sollte, um so eine Abschiebung über Nigeria in den Benin ermöglichen zu können.
Zur Einführung ins Thema möchte ich aus einem Zeitungsinterview mit Rex Osa vom 18.8.2011 zitieren. Rex Osa ist selbst aus Nigeria geflüchtet, ist Aktivist bei The VOICE Refugee Forum im Büro Stuttgart und war an der Protestbesetzung der nigerianischen Botschaft vom 15.10.2012 beteiligt:
„Für Donnerstag plant die Flüchtlingsorganisation »The Voice« eine Protestkundgebung in Karlsruhe. Dorthin haben sich seit Beginn dieser Woche nigerianische Botschaftsbeamte begeben, um Asylbewerber zu »identifizieren«, ihnen Dokumente auszustellen und ihre Abschiebung vorzubereiten. Auf welche Weise führen ihnen deutsche Ausländerbehörden die Flüchtlinge zu?
Mit polizeilichem Zwang werden Afrikaner bis Freitag aus der ganzen Republik zur Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Karlsruhe transportiert. Die nigerianische Botschaft mit Sitz in Berlin führt solche Abschiebeanhörungen immer wieder in verschiedenen Städten durch. Sie sind Teil eines korrupten und neokolonialen Abschiebehandels zwischen der nigerianischen Botschaft und deutschen Behörden auf Kosten der Flüchtlinge. Die Rolle der nigerianischen Botschaft ist seit 2007 bekannt: Für jede Abschiebung aus Deutschland durch die Zuordnung der nigerianischen Nationalität kassiert sie 500 Euro, 250 Euro für das Verhör und 250 Euro nach Erfolg, wenn sie Papiere der nigerianischen Staatsangehörigkeit ausstellt. Mitunter erkennt man dort auch Asylbewerber aus anderen afrikanischen Staaten an, um sie später nach Togo, Liberia, Uganda, Sudan oder Sierra Leone weiterzuschieben. Das ist ein reines Geschäft.
Wie läuft die Identifizierungsprozedur ab?
Für diese Abschiebeverhöre vor nigerianischen Diplomaten werden Flüchtlinge willkürlich in verschiedenen Städten ausgesucht. Oft werden sie durch die Polizei mit Handschellen wie Kriminelle vorgeführt, einige kommen direkt aus der Abschiebehaft, andere werden mit Briefen verständigt und vorgeladen. Selbst wer sich freiwillig dorthin begibt, wird oftmals um drei Uhr nachts abgeholt, muß möglicherweise bis fünf Uhr in einer Zelle auf dem Polizeirevier verbringen und wird dann im Polizeiwagen zur Botschaftsvorführung gebracht. Unterwegs wird er mitunter von Polizisten sogar auf die Toilette begleitet. Einige unterzieht man der Leibesvisitation; andere müssen sich gar nackt ausziehen, jede Körperöffnung wird durchsucht. All das macht man zur Einschüchterung. Flüchtlinge, die vor Verfolgung aus dem Land geflohen sind, müssen nun vor Vertretern desselben Regimes erscheinen, das sie einst zur Flucht gezwungen hatte. Das löst große Angst aus. Während des Verhörs werden sie von den Vertretern der Botschaft befragt, um anhand ihrer Sprache und den Worten, die sie benutzen, ihre nigerianische Herkunft zu bestätigen. Außerdem können die Botschaftsvertreter willkürlich nach Erscheinungsbild, Gesichtsform und traditionellen Narben etc. jemanden als Nigerianer »identifizieren«. Die nigerianische Botschaft agiert wie eine Abschiebeagentur – auch ganz ohne Beweise.
Was ist bislang an Widerstand dagegen gelaufen?
Seit 2008 gibt es bereits eine Kampagne verschiedener Organisationen gegen diese Zwangsvorführungen. Eine Delegation verschiedener afrikanischer Vereine in Deutschland hat Vertreter der nigerianischen Botschaft wegen dieser Machenschaften kritisiert. Geändert hat das nichts.
Ist es Flüchtlingen gelungen, sich solcher Vorführung zu entziehen?
Wer sich weigert, bekommt erst das Taschengeld von 40 Euro entzogen, bei der nächsten Zwangsvorführung wird er spätestens von der Polizei abgeholt – und er steht oben auf der Abschiebeliste oder wird gleich in Haft genommen. Deswegen tauchen einige Asylbewerber bei dieser Gelegenheit in die Illegalität ab.
Was müssen die nach Nigeria abgeschobenen Flüchtlinge derzeit befürchten – wie ist die Situation dort?
Da geht es nicht nur um Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen oder unberechenbare Bandenüberfälle und Unruhen. Die Polizei ist korrupt. Wenn jemand aus den Regierungskreisen oder deren Angehörigen etwas gegen dich hat, wirst du, wenn es schlecht läuft, gleich erschossen. Meinungsfreiheit gibt es nicht. Weil Nigeria über reiche Ölvorkommen verfügt, gibt es eine kleine korrupte superreiche Elite und massenhaft arme Menschen.
Für Donnerstag planen Sie eine Protestkundgebung …
Wir wollen öffentlich machen, wie korrupt die nigerianische Botschaft agiert, und Druck aufbauen, um diese Abschiebemaschinerie zu stoppen.“
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die erwähnten „Identifizierungspraktiken“ der nigerianischen Botschaftsangehörigen weder mit internationalem Recht, noch mit dem deutschen Rechtsverständnis in irgendeiner Weise in Deckung zu bringen sind – sie stellen keinerlei legalen Herkunftsnachweis dar und sind in keiner Weise geeignet eine Abschiebung eines Betroffenen in ein Land zu legitimieren, das nicht sein Herkunftsland ist, da Deutschland sicher nicht die Garantie für eine adäquate Behandlung der Betroffenen in Nigeria gewährleisten kann oder will.
Bereits im Mai des letzten Jahres wurden durch The VOICE Refugee Forum und die Karawane für die Rechte von Geflüchteten und Migrant_innen in Deutschland Aktionstage des Protestes gegen die Abschiebekollaboration der Botschaften von Nigeria und Guinea organisiert und durchgeführt. In diesem Zusammenhang wurde auch versucht in einem offenen Brief an den Präsidenten Nigerias zu appellieren, die unmenschliche Abschiebepraxis seitens des nigerianischen Staates nicht länger zu unterstützen.
Aus der Pressemitteilung von The VOICE Refugee Forum vom 8. Mai 2012 möchte ich hier wie folgt zitieren:
„Die Flüchtlingsselbstorganisation „The VOICE Refugee Forum“ organisiert mit der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ und anderen migrantischen und antirassistischen Gruppen vom 9. bis 11. Mai in Berlin Aktionstage gegen die Zusammenarbeit zwischen Botschaften und deutschen Behörden bei Abschiebungen. Die Botschaften von Nigeria und Guinea stehen wegen korrupter Praktiken und fragwürdiger Identitätsfeststellungen bei der Ausstellung von Reisedokumenten für Abschiebungen im Fokus des Protests. Zahlreiche Flüchtlinge werden u.a. aus Lagern in Baden Württemberg, Bayern, Thüringen, Niedersachsen und Sachsen Anhalt anreisen.
Eine Abschiebung ist nur möglich, wenn ein Staat die betroffene Person „zurücknimmt“. Dazu beschaffen deutsche Ausländerbehörden gegen Geld Pässe und Passersatzdokumente bei den Botschaften der Länder, in die abgeschoben wird. Flüchtlinge werden dazu gezwungen, bei BotschaftsvertreterInnen vorzusprechen, um ihre Herkunft und Identität festzustellen und anschließend Reisedokumente auszustellen. Um das Verfahren zu beschleunigen, werden zentrale Sammelanhörungen an wechselnden Orten organisiert.
Rex Osa, Sprecher von „The VOICE Refugee Forum Stuttgart“, übt scharfe Kritik: „Die nigerianische Botschaft, als eine von vielen, reist monatlich von Bundesland zu Bundesland, um in mobilen Hearings Abschiebe-Dokumente auszustellen. Letzten Monat waren sie in Karlsruhe, aktuell läuft eine Abschiebeanhörung in Dortmund. Die deutschen Behörden zahlen für jede „Identifizierung“ und jedes ausgestellte „traveling certificate“. 2005 hatte die Botschaft kurzzeitig wegen der schlechten Behandlung von NigerianerInnen in Deutschland die Vorführungen verweigert – aber als der Tarif von 130 auf 250 Euro pro „Identifizierung“ erhöht wurde, lief das Abschiebegeschäft wieder wie geschmiert. Es werden sogar Menschen aus anderen afrikanischen Ländern als NigerianerInnen „identifiziert“, um sie abzuschieben. Die europäischen Regierungen predigen „Good Governance“, aber wenn es darum geht, unsere Leute abzuschieben, greifen sie auf korrupte Praktiken zurück.“
Die Abschiebeanhörungen waren Ziel zahlreicher Proteste von Flüchtlingscommunities. Viele Betroffene haben Vorladungen zu solchen Terminen erfolgreich boykottiert. Dazu Salomon Wantchoucou von der Flüchtlingsinitiative Möhlau: „In den Flüchtlingslagern gibt es eine große Angst, von der Polizei zur Botschaft zwangsvorgeführt und abgeschoben zu werden. Wir wollen dagegen den Leuten Mut machen, dass Widerstand möglich ist und dass sie sich gegen ihre Abschiebung wehren können.“
Die Tage vom 9 - 11 Mai in Berlin sollen auch genutzt werden, die Rolle der EU-Grenzschutzagentur Frontex bei Massenabschiebungen zu skandalisieren. Mehrere tausend Menschen wurden mit international koordinierten Frontex-Sammelcharterflügen nach Nigeria abgeschoben. Im Januar 2012 schloss Nigeria mit Frontex in einen neuen Kooperationsvertrag für Rückführungsoperationen. Dazu Rex Osa: „Wir wollen die neokolonialen Elemente der EU-Migrationsabwehr bloßstellen. Verpflichtungen zur Rückübernahme von Abgeschobenen und zur Kontrolle von Migration sind heute Bestandteil der Kooperationsabkommen zwischen EU-Staaten und afrikanischen Staaten. Deutschland ist Hauptsponsor von Frontex und nimmt eine Vorreiterrolle dabei ein, von anderen Ländern Kollaboration bei Abschiebungen zu erzwingen. In Berlin wollen wir zeigen: Die afrikanischen Regierungen müssen aufhören, den europäischen Staaten, die bis heute von der Zerstörung unserer Länder profitieren, beim Abschieben zu helfen. Osaren Igbinoba von „The VOICE Refugee Forum“ aus Jena fügt hinzu: „Abschiebungen sind nicht nur rassistisch, sondern eine Praxis kolonialistischer Verfolgung!“
Vor diesem Hintergrund erscheint die Besetzung der nigerianischen Botschaft in einem Licht des jahrelangen Kampfes gegen unrechtmäßige, korrupte und menschenverachtende Praktiken, der mit weniger spektakulären Mitteln bis dahin kein nachvollziehbarer Einhalt geboten werden konnte.
Der Entschluss zur Besetzung erfolgte spontan am Morgen des besagten 15.10.2012 und wurde direkt in die Tat umgesetzt. Ich habe mich als Kommunikationsbeauftragter des Protestmarsches der Geflüchteten von Würzburg nach Berlin und dementsprechenden Erfahrungen in der Vermittlung mit den jeweiligen Einsatzleitern der Polizei in verschiedenen Bundesländern entsprechend zur Anmeldung des spontanen Protestes bereit erklärt. Trotz meiner Erfahrung in vermittelnder Kommunikation zwischen Polizei und Protestaktivisten muss ich allerdings festhalten, dass die Situationen von polizeilichen Gewaltübergriffen durch die Berliner Polizei eine neue Erfahrungsqualität und –quantität für mich darstellten. Eine gemeinsame Presseerklärung von The VOICE Refugee Forum und der Plataforma der Geflüchteten und Migrant_innen vom 19.10.2012 beschreibt die stattgehabten Gewalttätigkeiten seitens der Berliner Polizei wie folgt:
„Rassistische Polizeibrutalität behindert Demokratie in Deutschland
The VOICE Berlin und Plataforma Berlin protestieren gegen die brutale Behandlung ihrer Aktivisten und der Aktivisten der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen sowie des Protestcamps.
Am Montag, dem 15. Oktober, wurden 30 Aktivisten für die Rechte von Flüchtlingen und Migrantinnen auf brutale Weise festgenommen, nachdem sie legitimerweise gegen die nigerianische Botschaft in Berlin protestiert hatten. Die Botschaft hat mit der deutschen Regierung ein Abkommen abgeschlossen, das einfachere und schnellere Abschiebungen ermöglicht und Flüchtlingen ihr Recht auf Asyl verwehrt. Die Protestaktionen an der nigerianischen Botschaft richteten sich insbesondere gegen die so genannten Botschaftsanhörungen, bei denen Gruppenanhörungen von Flüchtlingen als Zwangsmaßnahme durchgeführt werden, um deren mutmaßliche Herkunftsländer zu bestimmen, damit sie dorthin abgeschoben werden können.
Die Polizei setzte Tränengas ein und zögerte nicht, die Protestierenden zu schlagen, zu erniedrigen und zu schikanieren. Mehrere Aktivisten wurden ernsthaft verletzt und mussten danach medizinisch behandelt werden. 15 AktivistInnen wurden innerhalb des Botschaftsgebäudes festgenommen. Auch AktivistInnen, die außerhalb des Gebäudes eine friedliche Solidaritätsdemonstration abhielten, mussten die Gewalt der Polizei ertragen. Trotz der Versuche von Seiten der Flüchtlinge, die Situation zu deeskalieren, wurden 15 weitere überzogen gewaltsame Verhaftungen durchgeführt, wobei es seitens der Polizei nicht das Ziel war, die Situation auf friedliche Art zu regeln.
Einmal mehr zeigte die Polizei ihr wahres Gesicht, das eher das eines Verteidiger totalitärer Regimes ist als dessen, was sie immer zu sein behaupten, eines “Beschützers der Menschen”. Während des Flüchtlingsprotestmarsches, der am 8. September in Würzburg startete und am 6. Oktober in Berlin endete, agierte die Polizei zurückhaltend und gab sich den Flüchtlingen gegenüber wohlwollend, solange Presse anwesend war. Das Ziel der protestierenden Flüchtlinge war es, in Deutschlands Hauptstadt zu kommen und den Strukturen der Unterdrückung entgegenzutreten. Hinsichtlich des Rechts der Flüchtlinge, ein Leben in Würde zu leben – ohne Isolation und Erniedrigung – können keine Kompromisse gemacht werden. Nun, da der Protest eine konkrete Form annimmt und sich gegen staatliche Institutionen und ihre diplomatischen Partner wendet, scheut sich der deutsche Staat nicht mehr, extrem brutale und gewaltsame Methoden anzuwenden, um den Kampf zum Stillstand zu bringen.
Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Polizei in Deutschland Straflosigkeit genießt. Die Polizei führte sich auf wie eine Menge Hooligans ohne Hemmungen. Ebenso wie bei der Protestdemonstration am 7. Januar 2012, am siebten Jahrestag des Todes von Oury Jalloh, erwarten wir keine Gerechtigkeit vom deutschen System, die die aufrührerischen Polizeibeamten einer Strafe zuführen würde. Doch dies wird unseren Kampf nicht brechen und wir werden ein juristisches Verfahren gegen die Polizei durchführen, solange es möglich ist. Einmal mehr bekräftigen wir unsere Solidarität mit jedem einzelnen Flüchtling und Protestierenden, der willens ist zu handeln, um dieses Schicksal zu ändern.
Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.
Und wir fordern: Freiheit!Wahrheit!Gerechtigkeit!“
Die brutalen Gewaltübergriffe der Berliner Polizei haben auch ein nachvollziehbares regionales und überregionales Presseecho ausgelöst, von dem ich Ihnen hiermit einige Auszüge präsentieren möchte – auch um seitens der hier eilfertig anklagenden Staatsanwaltschaft Rückmeldung bezüglich des aktuellen Standes der offiziellen Ermittlungen bezüglich der etablierten Vorwürfe zu erhalten.
So berichtete der Tagesspiegel am 19.11.2012 unter der Überschrift „Nach Besetzung der nigerianischen Botschaft – Flüchtlinge klagen Polizei an“:
„Am 15. Oktober wurden 25 Aktivisten verhaftet. Schon kurz danach gab es erste Anzeigen gegen Beamte. Jetzt melden sich weitere Demonstranten zu Wort und berichten von Misshandlungen.
Es sind schwere Vorwürfe gegen Berliner Polizisten: „Ich war der letzte, den die Polizei aus dem Wagen in die Wache brachte. Ich habe keinen Widerstand geleistet. Ein Polizist hat einfach angefangen, mich im Nacken zu schubsen und auf den Kopf zu schlagen. Dann kamen immer mehr Polizisten hinzu, schubsten und zogen heftig an mir, vor allem am linken Arm", sagt Augustine Onyema aus Nigeria auf Englisch: "Ich habe versucht, das Gleichgewicht zu halten, stürzte aber zu Boden." Dann habe die ganze Gruppe Polizisten auf ihn eingetreten. Und mit Schlagstöcken traktiert. Er habe noch immer, fast einen Monat später, starke Schmerzen in der Schulter.
Beamte hätten seinen Nacken schwer verletzt, sagt er. Onyema sitzt am Freitag in einem der größeren Zelte im Flüchtlingscamp am Oranienplatz in Kreuzberg - und berichtet, was ihm am 15. Oktober in Polizeigewahrsam zugestoßen sei, nachdem er an der Besetzung der Botschaft Nigerias beteiligt gewesen war. Zwei weitere Flüchtlinge, die gemeinsam mit ihm demonstriert hatten, werden gleich ähnliche Geschichten erzählen. Zu der Pressekonferenz hat die Opferberatung Reach Out eingeladen hatte.
Im Camp am Oranienplatz leben Flüchtlinge, die gegen Asylpolitik demonstrieren. Begonnen hatten die Proteste gegen das Asylrecht im September mit einem Flüchtlingsmarsch von Würzburg nach Berlin. Danach gab es viele weitere Demonstrationen, etwa am Brandenburger Tor, wo einige Flüchtlinge in Hungerstreik getreten waren. Am Donnerstagabend etwa marschierten unangemeldet 100 Demonstranten vom Oranienplatz zum Moritzplatz, teilte die Polizei am Freitag mit. Unangemeldet war auch die Aktion in und vor der nigerianischen Botschaft am 15. Oktober: 14 Aktivisten verschafften sich Zugang zur Botschaft, um dort eine Diskussion mit dem Botschafter einzufordern. Sie werfen ihm vor, den deutschen Behörden Abschiebungen von Flüchtlingen ohne Pass zu erleichtern - in dem sie umstrittene so genannte Abschiebungsanhörungen durchführen, in denen in zwei Minuten über das Schicksal von Flüchtlingen entschieden werde. Rund 120 weitere Demonstranten hatten sich am 15. Oktober vor dem Botschaftsgebäude versammelt, um dagegen zu demonstrieren. Insgesamt 25 Menschen wurden festgenommen. nachdem die Polizei die Aktivisten aus der Botschaft gebracht hatte.
Schon Ende Oktober war dann bekannt geworden, dass drei Polizisten wegen Körperverletzung angezeigt wurden, die bei diesem Einsatz dabei waren. Doch dabei ging es nicht um die Vorwürfe Onymeas. Die Polizei teilte am Freitag mit, das Landeskriminalamt ermittele noch immer gegen die drei beschuldigten Polizisten. Eine Anzeige sei aufgrund eines Zeitungsartikels, in dem ein vermeintliches Opfer von der Polizeigewalt berichtet, von Amts wegen eingeleitet worden, hatte die Polizei damals mitgeteilt. Zwei weitere Anzeigen gingen über die Internetwache der Polizei ein, hieß es.
Augustine Onyema hat keine Anzeige erstattet. „Er und andere beteiligte Flüchtlinge diskutieren schon länger, ob sie das tun sollen“, sagt Biplab Basu von Reach Out: „Die meisten denken, dass ihnen ohnehin niemand glaubt und das Verfahren sowieso eingestellt wird.“
Auch Hatef Soltani, anerkannter Politischer Flüchtling aus dem Iran hat keine Anzeige erstattet. Er sitzt am Freitagmorgen ebenfalls in dem Zelt im Flüchtlingscamp und hat ähnliches wie Onyema zu erzählen. „Kein Mensch ist illegal steht auf seinem T-Shirt“. Er sei in der Botschaft gewesen, um die Aktion per Video zu dokumentieren erzählt er. "Die Berliner Polizisten haben sich ähnlich verhalten wie die im Iran, als ich dort verhaftet wurde“. Zunächst hätten sie ihn verbal bedroht und sich dann beim Fingerabdrücke nehmen über seinen Akzent lustig gemacht, ihn imitiert. "In der Zelle haben sie meinen Kopf gegen die Wand gestoßen." Als sie ihn frei lassen wollten, weigerte er sich ohne seinen Tablet Computer, mit dem er die Besetzung der Botschaft gefilmt hatte, zu gehen. "Ich wollte mindestens eine Quittung, aber die wollten sie mir nicht geben. Und den Computer auch nicht." Dann hätten sie ihm seine Jacke über den Kopf gezogen, ihn zu Boden geworfen und geschlagen - und ihn die Treppen hinunter bis zum Ausgang geprügelt. "Seitdem träume ich immer wieder davon, wie mich Polizisten am Hals festhalten, so dass ich nicht mehr atmen kann." Sein Fazit: "Ich glaube, dass deutsche Behörden ein feindliches Verhältnis zu Leuten aus dem Ausland haben."
Ähnlich sieht das auch Augustine Oyema: "Mir haben sie die Arme so fest auf den Rücken gefesselt, dass sie kaum noch durchblutet wurden, mit Plastikhandschellen." Er hält seine Handgelenke hoch, um die Striemen zu zeigen.
Ein Stunde hätten sie ihn so gefesselt auf dem Boden einer Einzelzelle liegen gelassen. „Wir wollen dich hier nicht“, hätten die Polizisten zu ihm gesagt. "Und dass ich ihrer Ansicht nach ruhig ich rumliegen und sterben könnte, meine Regierung würde sich ja sowieso nicht um mich kümmern."
Die Junge Welt berichtete am 10.11.2012 unter der Überschrift „Gewaltsame Übergriffe auf Flüchtlinge bei Besetzung der nigerianischen Botschaft in Berlin bislang nicht aufgeklärt“:
„Die seit Mitte Oktober auf dem Berliner Oranienplatz protestieren Flüchtlinge haben ihre Vorwürfe an die Polizei der Hauptstadt bekräftigt. Während der Besetzung der nigerianischen Botschaft am 15. Oktober sei es zu zahlreichen gewaltsamen Übergriffen durch Einsatzkräfte gekommen, hieß es am Freitag bei einer Pressekonferenz im Protestcamp in Berlin-Kreuzberg.
Mehrere Demonstranten hatten vor knapp drei Wochen die nigerianische Botschaft betreten, um dort gegen die Abschiebepraxis von Asylsuchenden aus Deutschland zu protestieren. Die Vertretung des westafrikanischen Landes stand im Fokus der Aktion, weil diese »für ihre willige Kollaboration mit den deutschen Behörden bei der Durchführung von Abschiebungen bekannt« sei. Ein Sprecher der Flüchtlingsinitiative The Voice Refugee Forum Germany – Flüchtlinge und Asyl in Deutschland, Rex Osa aus Nigeria, verwies am Freitag auf die vielfältige Unterstützung, welche die nigerianische Botschaft den deutschen Behörden bei der Identifizierung von Flüchtlingen leiste. So würden Asylbewerber, deren Nationalität nicht zweifelsfrei ermittelt werden kann, im Rahmen sogenannter Botschaftsanhörungen in die amtliche Vertretung Nigerias zitiert. Dort werde der jeweilige Sprachdialekt analysiert, um die Herkunft zu ermitteln und gegebenenfalls ein Ausreisevisum auszustellen. Auch schicke die Botschaft Mitarbeiter zu diesem Zweck in Asylbewerberheime.
Im Rahmen der Besetzung wurden rund 20 Personen vorübergehend festgenommen. Bei der Pressekonferenz am Freitag kamen drei von ihnen ausführlich zu Wort. Sie berichteten über unverhältnismäßige Polizeigewalt während und nach der Festnahme. Augustine Unaji berichtete, auf dem Weg zur Isolationszelle ohne Anlass von mehreren Beamten wiederholt derartig heftig mit Fußtritten, Schlagstöcken und Nackenschlägen von hinten traktiert worden zu sein, dass er kurzfristig das Bewusstsein verlor. Die Hände mit Kabelbindern gefesselt, hätten sie ihn in die Zelle geworfen und so eine volle Stunde liegenlassen. Die Fesseln wurden ihm später nur auf inständiges Bitten hin abgenommen. Eine spätere Untersuchung ergab eine Fraktur im Halswirbelbereich. Der Iraner Hatet Soltani schilderte, er sei mit kaltem Wasser überschüttet worden, nachdem er versucht hatte, die Beamten auf seine Menschenrechte hinzuweisen.
Biplab Basu, Moderator der Pressekonferenz und ein Sprecher von Reach Out, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin, wies auf die Schwierigkeit einer strafrechtlichen Verfolgung von derartiger Polizeigewalt hin. So schützten sich die beteiligten Beamten vor einer solchen durch die Isolation der jeweiligen Opfer während ihrer Gewalttaten, so daß es keine Zeugen außer den Betroffenen gebe.
Der Bundestagsabgeordnete der Linken Niema Movassat forderte in einer am Freitag verbreiteten Erklärung, Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) müsse »seiner Verantwortung endlich gerecht werden und die erschreckenden Vorwürfe umgehend und rückhaltlos aufklären«.“
Soweit ich selbst informiert bin haben die stattgehabten Gewaltexzesse der Berliner Polizei weder im Zusammenhang mit den Festnahmen (um die es ja hier in meinem Falle geht), noch bezüglich der eindeutig festgestellten Verletzungen in der Zeit der Gewahrsamnahme bisher Konsequenzen irgendeiner juristischen Natur nach sich gezogen. Angesichts der hier gegen mich durch statische Standbilder einer ohnehin sehr kurzen Videosequenz konstruierten Anklage unter manipulativer Vorverurteilung von tatsächlich anderweitig gewalttätigen Dynamiken stellt sich die Unterbindung staatsanwaltlicher Ermittlungen gegen unverhältnismäßige und widerrechtliche Gewaltausübung von Amtsträgern in einem doch sehr prinzipiell institutionalisiertem Licht dar. Gewalttäter in den Reihen der Polizei werden staatsanwaltlich und gerichtlich geschützt, während die Opfer und verhältnismäßig rechtmäßig agierende Betroffene seitens der Staatsanwaltschaft mit allen möglichen (nur nicht nachvollziehbaren) juristischen Winkelzügen quasi „zur Strecke“ gebracht werden sollen, um ihren Einsatz für natürlich legitime Menschenrechte zu diskreditieren.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Möglichkeiten dieser gerichtlichen Beweisaufnahme und –würdigung, um meinen Beitrag zur Aufklärung der tatsächlich stattgehabten Gewalttätigkeiten am 15.10.2012 leisten zu können.
Berichtung über die erste Verhandlung in Zusammenhang mit der Besetzung der nigerianischen Botschaft (Am Dienstag, den 18.6.2013 fand im Moabiter Landgerichtskomplex der erste Verhandlungstag gegen Thomas Ndindah)
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Thomas Ndindah
The VOICE Refugee Forum Jena
Schillergäßchen 5
07745 Jena
Mail: thevoiceforum@gmx.de
Homepage: https://thevoiceforum.org/, http://thecaravan.org/, http://breakisolation.blogsport.de/
Links:
Pressemitteilung The VOICE Refugee Forum Germany und der Karawane für die Rechte von Geflüchteten und Migrant_innen in Deutschland vom 17.6.13
Juristische Kriminalisierung von Menschenrechtsaktivisten nach massiver Polizeigewalt bei der Besetzung der nigerianischen Botschaft am 15.10.2012 – Polizeiübergriffe sollen ignoriert werden
Here is our petition on the Nigerian Embassy Occupation in Berlin that will be presented for an international campaign in 2013 in Europe and Africa. We will be calling on your continuous support for as long as it takes to stop the human rights abuses of refugees in Europe.
Videos and Reports: Police Brutality and Refugee Protest Camp Solidarity – The petition on Nigerian Embassy Occupation in Berlin
Pressekonferenz auf dem Protestcamp: Rex Osa und andere Flüchtlinge bezeichneten die deutsche Polizei mehrfach als «rassistisch»
Video: Protest against the Nigerian Embassy Deportation Collaboration in Berlin https://thevoiceforum.org/node/2551
Warning Letter to Nigerian President G.E.Jonathan to stop the Fortcoming Nigerian Deportation Hearing of 18-22 June in Munich
https://thevoiceforum.org/node/2570
Frontex signs Working Arrangement with Nigeria on Deportation of Africans from Europe