Um nicht auf seine Landsleute schießen zu müssen, verlässt ein Syrer seine Heimat, flüchtet durch halb Europa und kommt schließlich in Deutschland an. Am liebsten aber möchte er zurück.
Zwei Zwölftklässler haben Karim ins Heinrich-Böll-Gymnasium eingeladen. Foto: Sabine Bujack-Biedermann
Saalfeld. Er ist nicht legal in Deutschland, das weiß er. Und am liebsten wäre er gar nicht hier. Doch als sich Karim* entscheiden musste, hatte er nur eine Nacht Zeit, zu kurz, um über offizielle Möglichkeiten und Wege nachzudenken, dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland Syrien zu entkommen.
Ein Freund, so erzählt Karim, hätte ihm gesteckt, dass er am nächsten Tag eingezogen werde. "Ich diente in einer Eliteeinheit", sagt der 28-Jährige, "ich wusste, was mich erwartet." Ein Freund von ihm, gleichfalls zur Reserve gezogen, ist tot.
Karim will nicht schießen auf seine Landsleute. Am liebsten würde er in Damaskus Anglistik studieren, wie vor dem Bürgerkrieg, würde seinen Master machen und als Übersetzer für Englisch in seiner Heimatstadt Latakia arbeiten. Drei Jahre schon dauert der Krieg des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seiner Baath-Partei gegen das eigene Volk, jetzt ist Karim mittendrin. Einer seiner Brüder ist bereits im Land unter¬getaucht, um der präsidententreuen Armee zu entgehen. Karim entscheidet sich zur Flucht. Die türkische Grenze ist kaum 50 Kilometer entfernt, und von dort nach Europa!
Karims Hoffnung endet in der Ägäis. 1500 Dollar hat er gezahlt für die Überfahrt nach Griechenland mit 28 anderen in einem kleinen Boot. Das wird auf See von maskierten, bewaffneten Männern gestoppt. "Sie nahmen uns Pässe, Geld, alles", sagt Karim: "Das war die griechische Küstenwache, die Uniformen und das Boot waren echt."
Die Flüchtlinge werden zurück nach Izmir geschickt, wo sie wegen illegaler Einreise für sechs Tage eingesperrt werden. Aus dem Gefängnis entlassen, borgt sich Karim von Freunden Geld. Diesmal klappte die Überfahrt nach Griechenland, doch auch auf Samos werden die Syrer inhaftiert. Nach einer Woche schafft die Polizei die Gruppe nach Athen, und von hier schlägt sich Karim zur Adria durch, hungert, schläft auf der Straße, erwischt ein Boot nach Bari in Italien.
Das italienische Gefängnis ist nicht besser als die vorherigen. "17 Stunden ohne Essen und Trinken." Noch immer wird Karims Stimme brüchig, wenn er davon erzählt. Auch aus Italien wird er ausgewiesen, zurück nach Griechenland.
Das nächste Boot bringt Karim nach Venedig, doch er muss weg aus Italien, steigt in einen Zug nach Paris - und entgeht den französische Kontrolleuren nicht. Sie führen ihn in Handschellen ab, bevor es wieder zurück geht. Die Italiener setzen ihm eine Frist von sieben Tagen zur Ausreise.
Und diesmal hat Karim Glück. Er wechselt oft die Züge, egal wohin, und kommt so durch Frankreich über Belgien nach Deutschland. Zum ersten Mal, sagt er, glauben ihm die Beamten, fragen gezielt und kundig nach Details, wenn er aus seinem Leben und über seine Flucht erzählt. Nach einem halben Jahr ist Karim im Asyl¬bewerberheim in Beulwitz an¬gekommen, teilt sich das Zimmer mit zwei Landsleuten.
"Ich danke Gott, dass ich hier sein darf", sagt Karim, "aber ich liebe mein Land und möchte zurück." Zum Heimweh kommt die Angst um seine Familie. Zuhause fragt die Polizei, wo er sei.
* Name der Redaktion bekannt
Sabine Bujack-Biedermann / 15.02.14 / OTZ
http://www.otz.de/web/zgt/suche/detail/-/specific/Flucht-durch-Europa-S…
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Asylbewerber erklären ihre Petition für W-LAN in der GU
Saalfeld. „Natürlich gibt es Internet nicht kostenlos. Wir würden dafür bezahlen“, nimmt Abdul Karim im Gespräch gleich vorweg. Er ist der Initiator einer Petition, unterschrieben von 25 Asylbewerbern aus der Gemeinschaftsunterkunft (GU) Saalfeld, die in den letzten zwei Wochen für Diskussionsstoff sorgte.
„Frieden Frieden Frieden - Wir sind die Geflüchteten aus Saalfeld, wir nehmen an, dass es unser Recht sein sollte, Zugang zum Internet (W-LAN) zu haben, um mit unseren Familien und Freunden in Kontakt treten zu können. Deswegen möchten wir die Verantwortlichen bitten, sich unserem Anliegen anzunehmen“, so der aus dem Englisch übersetzte Wortlaut, den Abdul Karim aufsetzte, nachdem er die Heimleitung nach der Möglichkeit eines Hotspots gefragt hatte. „Mit diesen wenigen Worten ging es uns um die Möglichkeit der Installation, ohne dass wir Einzelheiten vorgeschlagen haben. Wenn jeder von uns neun oder zehn Euro zahlt, könnte das doch auch dem Heim oder dem Landratsamt zu Gute kommen“, sagt der 28-jährige Syrer.
Er ist seit gut einem Monat in der GU Saalfeld, kam nach seiner Flucht über Griechenland und über eine deutsche Erstaufnahmestelle hierher. Die Sorge um Daheimgeblieben ist groß, die Kommunikation aber schwierig, das Telefonieren mit Telefonkarten teuer; er nutzt wie viele andere das Internetcafé Haskala, erreicht aber während der Öffnungszeiten nicht immer diejenigen, mit denen er kommunizieren möchte. „Selbst wenn unsere Familien keinen eigenen Internet-Anschluss haben, können wir mit ihnen über das Netz telefonieren. Außerdem verfolgen wir die Berichterstattung, die ja auch per Internet funktioniert“, erklärt er, nur auf einige der Facebook-Kommentare zum Thema verweisend. Diese gab es reichlich, nachdem der Landrat in der Tagespresse die vermeintliche Forderung nach kostenfreiem W-LAN in der GU als „vermessen“ bezeichnete und auf seiner eigenen facebook-Seite einen Brief der Menschenrechtsorganisation „The Voice Refugee Forum“ veröffentlichte, welche die Petition der Bewohner unterstützte. Die Organisation trat auf den Plan, als Abdul Karim von der Heimleitung erfuhr, die Angelegenheit sei nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich, und er sein Anliegen im Haskala - gleichzeitig Büro der Linken-Politikerin Katharina König - vorbrachte. Der Initiator hat übrigens selbst seitdem von niemandem mehr direkt gehört, wie mit der Anfrage umgegangen wird.
„In der GU Jena habe ich gesehen, dass die Bewohner W-LAN nutzen können. Wir leben im 21. Jahrhundert, für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, per Smartphone oder Computer zu kommunizieren. Das ist so in den Ländern, aus denen wir kommen und erst recht in der Ersten Welt“. Sich einen eigenen DSL-Anschluss zu organisieren, scheitert schon daran, dass die Bewohner rechtlich nicht die Mieter der Räumlichkeiten sind. Dabei könnte eine gute Internetverbindung, so Abdul Karim , auch dem Deutschlernen dienen; in ihrem wöchentlich einmal stattfindenden Sprachkurs weist die Lehrerin auf Übungsportale hin. Behroz Aziz aus Afghanistan, der die Petition ebenso unterschrieb, unterstreicht: „Ich kann nicht verstehen, dass es so viel Hass und Aufregung um unsere Petition gab. Ich glaube, dass die Menschen hier gar nicht unsere Lebensumstände verstehen. Meine Mutter und ich hatten ein gutes Leben, bis wir von den Taliban verfolgt wurden. Es kann sich wohl keiner vorstellen, dass wir nie hierhergekommen wären, wenn wir nicht um unser Leben gefürchtet hätten.“
Information und Aufklärung sind die Ziele der Veranstaltung „Aufgaben einer kommunalen Flüchtlingspolitik" des Kommunalpolitischen Forum Thüringen e.V. am 22. Februar, bei dem auch Landrat Hartmut Holzhey anwesend sein wird. In Sachen W-LAN heißt es aus dem Landratsamt: „Die hausinterne Prüfung der Petition der Asylbewerber ist noch nicht abgeschlossen.“ Zur genannten Veranstaltung werde der Landrat zum aktuellen Stand informieren.
Foto: Die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Saalfeld-Beulwitz. Die Gesprächspartner baten aus Sicherheitsgründen von einer Fotoveröffentlichung abzusehen.
marcus Verlag
Bilder zum Beitrag:
marcus • 17.02.2014
http://www.meinmarcus.de/artikel/1889/asylbewerber-erklaren-ihre-petiti…