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Michael Stade
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Offener Brief
Waltershausen, den 27.02.2014
Flüchtlingsschutz für Roma - Offener Brief
Sehr geehrter Herr Innenminister de Maizière, sehr geehrte Damen und Herren, ich bin zutiefst schockiert darüber, dass nunmehr, nachdem mehrere Delegationen Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien besucht haben, die Absicht besteht, diese Staaten zu sicheren Drittstaaten für Roma zu erklären. Ich kann nicht nachvollziehen, wie hier von der Bundesregierung zwischen wertem und unwertem Leben unterschieden wird. Wenn ständig
Übergriffe auf Roma stattfinden, weil diese dort aus Hass von jeglichem normalen Leben ausgegrenzt werden, wenn so ständig Roma ermordet werden, ohne dass die Täter bestraft werden, dann ist es ein unveräußerliches Menschenrecht eines jeden Betroffenen, aus solchen Verhältnissen zu fliehen.
Was würden Sie, Herr Minister und Damen und Herren Verantwortungsträger im Innenministerium tun, wenn Schlägerbanden Sie und ihre Ehepartner ständig bedrohen, zusammenschlagen und schon einige von Ihnen ermordet hätten.
Würden Sie dann sagen, damit müssen wir uns halt abfinden, dann ist das eben so? Seien Sie doch ehrlich, sie würden die geballte Staatsmacht einsetzen, diesem Treiben ein Ende zu bereiten und die Schläger der gerechten Strafe zuzuführen. Da würden garantiert nicht polizeiliche Maßnahmen aus Kostengründen oder Personalmangel eingespart. Da würden Sie keine Kompromisse machen!
Warum legen Sie aber derartig ungleiche Maßstäbe an den Wert eines Menschenlebens an, wenn es um Roma geht? Denken Sie vielleicht, die wären selbst schuld an diesen Zuständen, weil sie arbeitsscheu wären?
Ich selbst habe von den Roma, die in meiner Heimatstadt Waltershausen untergebracht sind oder waren, einige näher kennengelernt, speziell aus Serbien. Viele von den Älteren haben einen ganz normalen Beruf wie Textilfacharbeiter, Maurer usw. und hatten noch zu Tito's Zeiten eine ganz normale Arbeit. Sie haben mir auch Bilder ihrer ehemaligen Häuser gezeigt, die sie sich gebaut hatten, das waren keine Slums! Aber weil die Familien auf beiden Seiten der damaligen Kriegsparteien verwurzelt waren, gerieten sie zwischen die Fronten, galten als potentielle Verräter, verloren die Arbeit und wurden zunehmend angefeindet. Natürlich wurde sofort auch die ganze Palette von Vorurteilen gegen Zigeuner hervorgeholt, das ganze Repertoire aus Jahrhunderten, wir kennen diese Mechanismen ja zur Genüge durch die
Judenverfolgung, Menschen brauchen immer einen Sündenbock.
Durch die beinahe vollständige Verdrängung aus jeglicher Form von Existenzsicherung eskalierte der Hass, denn freilich bleibt Menschen, denen so jede Lebensgrundlage entzogen wurde nur Betteln, Schwarzarbeit und auch Diebstahl aus blanker Not. Aber, als ob dies noch nicht genug wäre, kommen nun auch noch täglich ca. zehn Busse mit Abgeschobenen aus Europa zurück nach Serbien. Nachdem man die Roma aus ihren Häusern verjagt hat, ihre
Slum-Siedlungen mit Polizeigewalt an vielen Stellen geräumt hat, verschärfen
diese Zurückgeschobenen nun das Elend. Die Rassisten fühlen sich bestätigt – niemand in Europa will diese Zigeuner haben. Ich denke, man muss mit Recht sagen, dass viele Zustände dort an die Judenverfolgung der 1930-iger Jahre in Deutschland erinnern. Ich frage mich, auf was die deutsche Regierung wartet.
Muss es erst Massenmorde in Konzentrationslagern geben, damit Fluchtgründe anerkannt werden? Gefoltert wird dort in Polizeigewahrsam schon heute. Ich erinnere mich noch gut an Familie Djordević. Der Mann trug eine Beckenschiene. Er war bis kurz vor seiner Flucht noch Vorarbeiter bei einer Baufirma gewesen. Bis zu einem Tag, als herauskam, dass er Roma war. Da fanden zwei seiner Arbeiter, dass sie es schließlich nicht nötig hätten, sich von einem Roma kommandieren zu lassen und schubsten ihn kurzerhand vom Gerüst. Wegen des Beckenbruches musste er seine Arbeit aufgeben. Die Ermittlungen wegen versuchten Mordes verliefen im Sande (mangels Beweisen – Aussage gegen Aussage). Weil die Familie nun ohne Existenz dastand und verschärft durch Übergriffe bedroht war, kratzte sie ihr letztes Geld zusammen und flüchtete nach Deutschland. Inzwischen wurde sie abgeschoben.
Ich verstehe nicht, warum man mein Geld als Steuerzahler dazu verschwendet, solche Leute abzuschieben und so den Rassismus in Serbien anheizt und damit auch die Lebenserwartung dieser Leute auf ein Bruchteil des Normalen reduziert. Ich finde, das sind Verbrechen, die mein Staat hier begeht und zu denen ich nicht schweigen darf.
Warum gibt man solchen Flüchtlingen nicht einfach eine Arbeitserlaubnis und hilft ihnen, möglichst bald auf eigenen Füßen zu stehen. Ich bin mal auf eine Roma-Kirchgemeinde in den USA gestoßen, die haben sich selbst eine stattliche Kirche finanziert, die leben dort als ganz normale Bürger. Warum soll das bei uns nicht gehen? Sie könnten hier leben und es zu etwas bringen, sie könnten ihre Verwandten in Serbien unterstützen und helfen, den Rassismus dort anzuprangern. Wir könnten diese Rassisten beschämen und ihnen zeigen, dass
in einem ordentlichen Rechtsstaat auch Roma normal leben und mit ehrlicher Arbeit zu Wohlstand kommen können, das wäre endlich ein Staat auf den ich stolz sein könnte. Der rassistischen Hetze würde die Luft aus den Segeln genommen werden und auch in Serbien würden sich die Verhältnisse stabilisieren und auch dort würden immer mehr Leute die Diskriminierung von Roma als eine Schande ansehen, Fluchtgründe würden wegfallen.
Fehlt Ihnen denn die Fantasie, eine menschenwürdige Lösungen dieses Problems zu finden? Müssen Sie wirklich mit Gewalt in unseren östlichen Nachbarländern Rassismus und Faschismus fördern, müssen Sie ständig Ihren Amtseid auf das Grundgesetz mit Füßen treten, indem Sie die Menschenwürde der Roma und auch anderer Flüchtlinge antasten? Müssen Sie ständig Spannungen in unserer Gesellschaft anheizen, indem Sie Flüchtlingen die Arbeitserlaubnis verweigern und sie somit zwingen, von Sozialleistungen zu leben? Warum sind Sie zu feige, rassistischer Hetze entgegen zu treten?
Wenn Sie diese Verhältnisse nicht ändern wollen, dann geben sie doch wenigstens öffentlich zu, dass große Teile dieser zusätzlichen Belastungen der Sozialsysteme dem Umstand geschuldet sind, dass Flüchtlinge mit Arbeitsverboten belegt sind und im System der Kettenduldung auch kaum Chancen haben, eine Arbeit zu finden und dass diese Steuergelder deshalb verschwendet werden, weil Sie diese Regeln so beschlossen haben!
Geben Sie endlich zu, dass Sie mit dieser Gesetzgebung die Fluchtgründe ständig verschärfen und so die Flüchtlingszahlen in die Höhe getrieben haben – so wie Sie das mit Syrien gemacht haben, indem Sie sich an der Zerschlagung der demokratischen Opposition dadurch beteiligt haben, indem sie politischen Flüchtlingen (mit der Qualifizierung „offensichtlich unbegründet“) Asyl verweigert haben.
Ich weiß wovon ich spreche, ich habe einem solchen Gerichtsprozess beigewohnt und diesen dokumentiert. Der syrischen Opposition um die Damaszener Erklärung ging es um demokratische Werte, Verhinderung jeglicher Diskriminierung und friedlichen Interessenausgleich. Nun, nachdem Deutschland mit Asylverweigerung geholfen hat, diese Opposition zu zerschlagen, sind die Auseinandersetzungen dort zum Krieg eskaliert und statt
einer Hand voll nehmen wir nun Tausende Flüchtlinge von dort auf und müssen uns immer noch vorhalten lassen, dass dies nur der Tropfen auf einen heißen Stein ist, beschämend wenig angesichts der Flüchtlingsbelastung im Libanon und in Jordanien!
Ist das jetzt etwa auch Ihre Strategie mit Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien? Wollen Sie so die friedliche Zukunft Europas aufs Spiel setzen, die auch die Zukunft meiner Tochter und meines Enkels ist?
Ich bitte Sie eindringlich, beenden Sie endlich diesen unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen, insbesondere mit Roma, geben Sie diesen endlich die Chance auf ein gleichberechtigtes Leben bei uns. Beenden Sie diesen unmenschlichen Druck auf Flüchtlinge, der inzwischen unser Land zu einem Billiglohnland gemacht hat (im Vergleich zu früher). Setzen Sie sich endlich für unsere verfassungsmäßigen Grundwerte ein und machen Sie unser Land wieder zu einem Rechtsstaat.
Mit freundlichen Grüßen