Tom Ndindah in Magdeburg von Initiative Do Justice To Oury Jalloh in Jena - Foto by Thomas Kriska 2012
Wer unterscheidet Kompetenz von Deutungshoheit?
Artikel 2 Absatz 2 GG: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“
Eingriffsberechtigt sind nach Artikel 20 dieses GG vollziehende Gewalt und Rechtsprechung unter dem Vorbehalt der Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung der Gesetzgebung: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“
Darüber hinaus konstatiert dieser Artikel des GG im Abschnitt „Der Bund und die Länder“ in seinem Absatz 2: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
Was heißt das nun konkret in Bezug auf die Wirkmacht staatlich vollziehender Gewalt (z.B. Polizeibeamte) in Relation zum uneingeschränkten Souverän „aller Staatsgewalt“ – dem sogenannten „Volke“?
Unbesehen der diesem Begriffsverständnis innewohnenden Problematik einer diskriminativen und mithin (neo?)nationalistischen Perspektive auf Menschen (deutsches Volk) im Kontrast zur vorgeblich unantastbaren Würde aller Menschen (Artikel 1 Absatz 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) stellt sich natürlich die Frage der Entscheidungskompetenz, wer wann wie (und wenn ja) wie lange welches Grundrecht außer Kraft setzen oder relativieren darf?
Haben legislative, judikative oder vollziehende Gewalten per se eine Deutungshoheit über Menschen aus dem sogenannten „Volke“ oder über definierte situative Not-Wendigkeiten?
Darf ein Mensch im Geltungsbereich des GG eine vollziehende Gewalt dem Grunde nach und insbesondere in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der konkret angewendeten Mittel hinterfragen oder gar i.S. eines zivilen Ungehorsams verhältnismäßig außen vor lassen?
Meine zugegebenermaßen persönliche Erfahrung hierzu:
Am Donnerstag, den 13. März 2014 wird früh um 9:00 Uhr am Amtsgericht Jena ein erfahren gegen Thomas Ndindah wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte geführt werden. Ausgangsituation des Verfahrens war die Festnahme eines Menschen zur Identitätsfeststellung eines – polizeilich bereits mehrfach bekannten – Menschen. Da dieser die selbige Identitätsfeststellung dem Grunde nach ablehnte, eskalierte die Folgesituation im Beschluss der vollziehenden Polizeibeamten zur Festnahme. Zur Realisierung dieser Festnahme wiederum entschieden sich die festnehmenden Beamten dazu, den Widerstand des festzunehmenden Menschen durch Fixierung am Boden zu brechen, um so eine Immobilisierung mittels Fesselung erreichen zu können. Entgegen dieser situativ vollziehenden Gewalt entwickelte Thomas Ndindah die Idee, dass eine solche Bodenfixierung und Fesselung durch nur Zwei Polizeibeamte mit einem erheblichen Verletzungsrisiko für alle Beteiligten vor Ort einhergehen können dürfen sollte …
Das Gericht tagt am 13. Donnerstag in aller Frühe ab 9:00 Uhr für ca. 1h.
Justizzentrum Jena unterhalb des Westbahnhofs:
Sitzungssaal (Ss) 1 …
R E V O L U T I O N S O L U T I O N
20 Jahre selbstorganisierter Widerstand von Zugereisten in Deutschland
der tom
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Betrifft: Gedächtnisprotokoll zum 12. Juli 2012
Werkstatt der JG-Stadtmitte „NEIN! – Nicht unsere Welt!“ – Themadiskussion und polizeiliche Festnahme
Am 12. Juli 2012 fand in der JG-Stadtmitte eine Diskussion zum Thema der Werkstattwoche „NEIN! – Nicht unsere Welt!“ statt. Neben der Relation des Themas zu einem ggf. als „alternativ“ wahrgenommenen christlichen Glaubensbekenntnis ging es bei dieser Diskussion auch spezifisch um menschliche und gesellschaftliche Interaktionsmechanismen und deren potentiell zunehmende entfremdende oder ausgrenzende Wirkmacht – insbesondere gegenüber Menschen mit alternativen Lebensentwürfen. Auch die unglaubliche juristische Repression gegen das antifaschistische Wirken der JG-Stadtmitte in Persona des Stadtjugendpfarrers Lothar König durch die sächsische Justiz wurde hierbei thematisiert.
Gegen Ende der Diskussion entstand plötzlich eine allgemeine Aufregung um die Mitteilung, dass draußen vor der JG auf der Johannisstrasse eine Festnahme durch die Polizei erfolge und Tumult herrsche. Hierauf hin habe ich mich gemeinsam mit vielen anderen Teilnehmern der Veranstaltung nach draußen auf die Johannisstrasse begeben.
Beim Hinaustreten aus dem Eingangstor sah ich 2 Polizeibeamte, die einen Punker rechts und links jeweils am Arm festhielten, der sich aber durch Versteifung seiner Arme und Ausweichbewegungen gegen diese Gewaltanwendung wehrte. Die Polizisten versuchten den Punk durch Hebelgriffe vorn über zu beugen, was dieser jedoch durch geschickte Ausweichbewegungen zu verhindern wusste. Ich beobachtete diese Situation im Zuge meiner eher langsamen Annäherung an diese Situation auf dem obersten Podest vor den Schaufenstern der „Neuen Mitte“. Bereits im Zuge meiner Annäherung an die beschriebene Situation habe ich verbal versucht, die offensichtliche gewalttätige Eskalation zu dämpfen, indem ich z.B. rief: „Hey, ganz ruhig! Es ist doch alles im Griff. Hallo! Keine unnötige Gewalt!“
Als Arzt erkannte ich die möglichen Verletzungsrisiken dieses Handgemenges an den durch die beidseitige Fixierung gewaltsam durchgestreckten Extremitäten des Festgenommenen (Gelenkluxationen oder gar mögliche Frakturen durch die stattfindende Hebelwirkung) aber auch für die agierenden Polizeibeamten, für die selbst eine Sturzgefahr durch die Ausweichbewegungen der Person bestand, an deren Armen sie abwechselnd zogen bzw. sich festhalten mussten. Da mein Aufruf Ruhe zu bewahren (welches auch andere Beobachter taten) ganz offensichtlich keine deeskalierende Wirkung erzielen konnte, wendete ich mich persönlich an den mir am nächsten positionierten Polizeibeamten und ergriff mit beruhigender Intention dessen linke Schulter (mit meiner rechten Hand) und seinen linken Unterarm (mit meiner linken Hand) ohne selbst Zug auszuüben und sagte erneut: „Ganz ruhig – es ist doch alles unter Kontrolle.“ Daraufhin fuhr der Polizeibeamte selbst in einer Oberkörperlinksdrehung zu mir herum und schrie mich mit ziemlich feuchter Ansprache an: „Fass mich nich an!!“ Hierauf ließ ich den Beamten erst einmal am linken Unterarm los, um mir seinen Speichel aus dem Gesicht zu wischen und erwiderte: „Das ist gerade sicherlich genau dasselbe, was dieser Mann da auch von Ihnen erwarten würde.“ Der Beamte schrie: „Der muss aber festgenommen werden!“ Ich antwortete ihm: „Aber Sie haben ihn doch schon auf beiden Seiten fest im Griff.“ Darauf er: „Nein – der muss auf den Boden.“ Hierauf erwiderte ich erneut: „Aber warum MUSS er denn auf den Boden? Sie haben ihn doch auf beiden Seiten. Keiner hier will Sie dabei stören. Ihre Kollegen kommen doch auch sicher gleich mit einem Bus.“ Dann wiederholte er: „Nein – der muss auf den Boden.“ Ich antwortete: „Ich denke nicht, dass Sie ihn zur Festnahme unbedingt auf den Boden zwingen müssen. Es ist doch alles im Griff.“
Während dieser gesamten Konversation habe ich immer wieder versucht die Situation zusätzlich durch beruhigenden Körperkontakt mit meinen Händen zu entkrampfen. Hierbei habe ich zu keiner Zeit irgendeine „Gewalt“, auch nicht i.S. eines „Wegziehens“ ausgeübt, wie mir im einseitig subjektiv konstruierten Strafbefehl vom 6.11.2013 vorgeworfen wurde. Für mich könnte die hierzu einzige nachvollziehbare Erklärung für die subjektiv verzerrte Wahrnehmung des agierenden Polizeibeamten maximal darin bestehen, dass dieser durch seine aktiv ausgeführten oder auch passiv nachvollzogenen Bewegungen zu diesem relativen Eindruck gelangt sein muss. Ich für meinen Teil bin sicherlich das eine oder andere Mal dabei in eine Relativbewegung geraten, wobei ich meinen Griff aber mehrfach wieder losgelassen habe, um eben nicht Gewalt auszuüben. Ich kann hier auch glaubhaft versichern, dass wenn es tatsächlich meine Intention gewesen wäre, den Beamten von seiner Festnahmesituation „wegziehen“ zu wollen, so wäre dieses für mich situationsbezogen sicherlich zweifelsfrei möglich gewesen, da der Beamte ja viel zu sehr beschäftigt war, um sich hiergegen quasi nebenbei wehren zu können.
Als der Polizeiwagen und weitere Beamte zur Situation hinzukamen, bin ich zur Seite getreten und habe mit meiner Kamera die Verbringung des Festgenommenen in das Polizeifahrzeug fotografiert. Ein weiteres deeskalatives Einwirken war nunmehr nicht mehr nötig, da sich die vorher beabsichtigte Strategie des Polizeibeamten, den Festgenommenen auf den Boden zu zwingen, nunmehr von selbst erledigt hatte. Es waren 6 oder mehr Beamte damit beschäftigt, den Festgenommenen tragenderweise zum und in das Fahrzeug zu bugsieren. Ich hielt mich die gesamte Zeit bis zum Abtransport in der Nähe der Polizeibeamten auf – eine ggf. notwendige Feststellung meiner Personalien wegen der mir letztlich erst nachträglich zur Last gelegten Vorwürfe hätte dort unmittelbar und problemlos durchgeführt werden können – wenn denn tatsächlich bereits zu diesem Zeitpunkt ein Problem des Beamten bestanden hätte.
Am 30. August 2012 wurde mir dann eine polizeiliche Vorladung zum Zwecke der Vernehmung als Beschuldigter im hier fragwürdigen Sachzusammenhang zugesandt. Die Ermittlungen sollten angeblich wegen „Gefangenenbefreiung u. a.“ erfolgen und in diesem Zusammenhang auch eine „kriminaltechnische Registrierung“ durchgeführt werden.
Allein schon diese Vorladung ohne vorherig eindeutige Identifikation unter dem im späteren Strafbefehl gar nicht erhobenen Vorwurf der Gefangenenbefreiung und mit Androhung einer kriminaltechnischen Registrierung ohne Angabe einer Rechtsgrundlage empfinde ich als amtsanmaßenden Akt einer Polizei, die sich Ermittlungsvorwürfe willkürlich und eigenmächtig zusammenbastelt, um die eigenen fragwürdigen Gewaltpraktiken durch quasi prophylaktische Gegenkonstrukte gegen deeskalativ wirkende, gewaltfreie Interventionen von Vornherein zu kriminalisieren.
Thomas Ndindah
Jena, den 24.11.13