Oury Jalloh
Der dritte Mann
Im Fall des Todes von Oury Jalloh verdichten sich Hinweise auf einen Mord. Die Dessauer Staatsanwälte schweigen bisher
Susan Bonath
14 Okt 2014 - 18:06
Tatort Polizeirevier: Ein Mensch verbrennt binnen 20 Minuten bis zur Unkenntlichkeit, an Händen und Füßen auf eine feuerfest umhüllte Matratze gefesselt. Er ist der dritte, der im Dessauer Revier unter mysteriösen Umständen stirbt. Am 7. Januar 2015 jährt sich der Todestag von Oury Jalloh zum zehnten Mal. Unklar bleibt, wer das Feuer legte. Zurück liegt eine Dekade voller Ermittlungspannen. Untersucht wurde oft nur auf Druck der Nebenklage. Diese, die Initiative »In Gedenken an Oury Jalloh« und Journalisten bissen sich an den offiziell Ermittelnden die Zähne aus. Zu neuen Widersprüchen schweigt die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau bisher ebenso. Eine Anfrage von jW könne sie »erst nach Rückkehr des abwesenden Dezernenten« beantworten, teilte sie am Dienstag mit. Derweil wird die Liste der Indizien, die für ein Verbrechen sprechen, immer länger.
Ein Bericht des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg, der jW vorliegt (siehe jW vom 11.10.), ist nur das neueste von vielen Dokumenten, die an der offiziellen Version zweifeln lassen. Laut dieser soll der alkoholisierte 36jährige mit einem Feuerzeug die Matratze aufgeschmolzen und den Füllstoff angezündet haben. Das Feuerzeug wurde nicht am Tatort gefunden, sondern tauchte Tage später bei den Asservaten auf. 2012 hatte eine vom Magdeburger Landgericht auf Druck der Nebenklage bestellte Sachverständige daran nur Textilfasern gefunden, die nicht aus der Zelle stammten. DNA von Oury Jalloh fehlte ebenfalls. Der Bericht legt erneut nahe, dass das Utensil wohl nie am Tatort war. So seien verkohlte Fasern gänzlich unversehrt darauf gefunden worden, die später hinzugekommen seien. Sie hätten »feucht, wie mit einer öligen Substanz benetzt«, gewirkt. Die Kriminalisten könnten nicht ausschließen, dass sie sich dadurch verändert haben. Zudem fanden sie Tierhaare im Feuerzeug.
Daneben liegen jW Hinweise auf Aussagen eines Landesangestellten vor. Er habe der Polizei erklärt, zu wissen, dass einer der beiden Polizisten, die Jalloh festgenommen hatten, für die Brandlegung verantwortlich sei. Ein Disziplinarverfahren gegen ihn sei die Folge gewesen. Der Angeschuldigte soll danach vor seiner Beamtenlaufbahn in einer Dessauer Chemiefabrik gearbeitet haben. Nach jW-Recherchen war er offenbar auch bei der Feuerwehr tätig. Anfänglich wurde gegen ihn ermittelt, angeklagt wurden nur seine Kollegen Hans-Ulrich M. und Andreas S. Der Betreffende stand schon 2011 im Fokus: Der Polizist Torsten B. sagte vor Gericht aus, ihn und M. kurz vor Ausbruch des Feuers in der Zelle entdeckt zu haben. Beide hätten den ruhig daliegenden Jalloh »augenscheinlich durchsucht«. Die Einlassung widersprach deren Angaben, die Zelle nach der Festnahme nicht betreten zu haben. Auch führte sie Beteuerungen des Angeklagten S. ad absurdum, Jalloh habe die ganze Zeit geschrien. Ermittelt wurde wegen der Widersprüche offenbar nie.
Außerdem entkräftet ein 2013 von der Initiative beauftragtes Brandgutachten die Selbstmordthese. Der Sachverständige Maksim Smirnou dokumentiert darin, dass Verbrennungen, wie sie Tatortfotos des LKA Sachsen-Anhalt aufzeigen, ohne Brandbeschleuniger nicht möglich seien. Oberstaatsanwalt Folker Bittmann leitete daraufhin ein neues Ermittlungsverfahren ein, inzwischen geht es um Mordverdacht. Die Anwälte der Familie Jallohs beantragten bei der Staatsanwaltschaft bereits Anfang August neue Brandtests in der Originalzelle. Auf einen geplanten Umbau sei zu verzichten. Mediziner sollten zudem Indizien nachgehen, wonach Jalloh bei Brandausbruch bewusstlos oder tot gewesen sein müsse. Auch die Anwälte bekamen bisher keine Antwort darauf. Die Journalistin Margot Overath will nun in einem Feature neue »Hinweise auf einen dritten Mann« präsentieren. Mithilfe von Gerichtsmedizinern, Toxikologen und Kriminalbeamten ist sie den Ungereimtheiten nachgegangen. MDR und RBB senden den Bericht am 22. Oktober um 22 Uhr.