Krieg gegen Migrant_innen stoppen!
Der ausfuehrliche Artikel "Das Sterben im Meer beenden? Weg mit den Visaregimen!" befasst sich mit der aktuellen Diskussion rund um die Massnahmen der EU zur weiteren Abschottung der Grenzen. Dabei wird u.a. auf die rassistischen und oekonomischen Dimensionen eingegangen und der [Neo}Kolonialismus kritisiert. Es geht um Gerechtigkeit statt humanitären Floskeln.
In den vergangenen 25 Jahren fanden zehntausende Menschen ihren Tod im Mittelmeer, dass mittlerweile von vielen Menschen als "Massengrab" bezeichnet wird. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ein Ziel vor Augen haben: Das "gelobte" Europa zu erreichen.
Warum wagen so viele Menschen diese gefährliche Überfahrt? Die Schreibtischtäter_innen behaupten, sie würden von "skrupellosen Schlepper_innenbanden" dazu getrieben. Wie bitte?
Menschen machen sich auf einen Weg, von dem sie wissen, dass er vielen das Leben kostet. Sie sehen oft keine andere Möglichkeit, ihrer aussichtslosen Situation zu entfliehen. Und Europa trägt die Verantwortung daür. Hunderte von Jahren Kolonialismus und Sklaverei, von Ausbeutung und Entrechtung finden heutzutage ihre Fortsetzung. :: The Voice Refugee Forum bezeichnet Abschiebungen als das letzte Glied in der Kette der Sklaverei - "Deportation is the Last Ring of Slavery Chain". Denn Abschiebungen helfen, das globale Unrechtssystem aufrecht zu halten. Doch bevor Menschen aus Europa abgeschoben werden können, müssen sie dieses erst einmal erreichen.(*)
Mobilität ...
Für viele Menschen ist es einfacher geworden, zu reisen. Kommunikationsmöglichkeiten wurden durch technische Entwicklungen verbessert. Transnationale Netzwerke existieren allerorts. Es gibt einen Austausch in einer kapitalistisch globalisierten Welt. Dieser Austausch ist nichts neues, denn seit Menschen diesen Erdball bewohnen, reisen sie. Seit Jahrunderten werden Güter quer über den Erdball verschickt. In Zeiten des transnationalen Sklav_innenhandels wurden viele Menschen gehandelt wie ein Sack Zucker. Es war und ist die ökonomische Ausbeutung im Interesse des Profits der Unternehmer_innen, der Wirtschaftsboss_innen und all jener, die daraus Nutzen ziehen, die dafür Verantwortung übernehmen müssen. Wer in Europa lebt, profitiert bis heute von diesem Unrechtssystem. Güter aus allen Ecken dieser Welt werden herbeigeschafft, um den Menschen zu jeder Zeit des Jahres zur Verfügung zu stehen, wie Orangen, Bananen, Manogs, Erdnüsse, frisches Gemüse. Vieles davon wird in Ländern produziert, deren Bewohner_innen die Reisefreiheit verweigert wird.
Durch die Einführung von Visa für die Bürger_innen aus vielen Ländern in den vergangenen 20 bis 25 Jahren wurde eine Möglichkeit geschaffen, Leute am Reisen zu hindern. Nicht allen wird die Reisefreiheit verweigert: Bürger_innen der reichen Staaten des Nordens und (politischen) Westens, oder Industrieländern wie Japan können sich mehr oder weniger problemlos quer über den Erball verteilen. Falls Visa benötigt werden, genügt meist ein Besuch auf dem zuständigen Konsulat oder der zuständigen Botschaft. Oder Reisebüros erledingen alles, beschaffen Flugtickets und notwendige Reisepapiere. Wer über einen europäischen Pass und die notwenidgen finanziellen Mittel verfügt, der_dem stehen alle Türen offen. Und die Bleichgesichter profitieren auch noch von den in ihrer Hautfarbe eingeschriebenen Privilegien, die wie ein Türöffner wirken. Wir, die Autor_innen dieses Artikels zählen zu diesen Privilegierten. Wir genießen Bewegungsfreiheit - und wollen dieses Recht mit allen teilen!
... und ihre Behinderung
Menschen aus den ausgebeuteten Staaten, aus den ehemaligen Kolonien, die aufgrund der ökonomischen Verhältnisse oft keine Perspektive im eigenen Land sehen, werden in Armut gehalten. Ihnen wird die Teilhabe am Reichtum der Welt verweigert. Ihre Güter reisen problemlos. Die Früchte ihrer Ernte, die sie mit harter Arbeit erwirtschaften, gelangen problemlos bis nach Europa - und in andere Teile der Welt. Diese Güter stellen eine billige Ressource dar, die helfen, den Wohlstand in Europa zu sichern. Oft werden sie verarbeitet und zurück geschifft wird, um in den Herkunftsländern zu überteuerten Preisen verkauft zu werden - mit finanzieller Unterstützung der europäischen Staaten bzw. der EU im Rahmen der Exportförderung. Güter werden in sogenannte "Entwicklungsländer" gebracht und erzeugen dort eine Abhängigkeit - von eben diesen Gütern.
Neuerdings haben einige Politiker_innen wie Akteur_innen der Zivilgesellschaften entdeckt, dass "Entwicklungshilfe" hier gegensteuern könnte. Doch sie übersehen, dass diese "Hilfe" seit mehreren Jahren offiziell als "Entwicklungszusammenarbeit" bezeichnet wird. Ohne es zynisch zu meinen, sondern um Tatsachen fest zu halten, muss den Regierenden der EU zugesprochen werden, dass sie diese "Zusammenarbeit" ernst nehmen. Sie zwingen die ehemaligen Kolonialstaaten, deren politische Unabhängigkeit erst vor wenigen Jahrzehnten erkämpft wurde, zur Zusammenarbeit. Die Entwicklungshilfe der EU ist heutzutage an restriktive Maßnahmen zur Verhinderung von Migration gebunden, die den afrikanischen Staaten aufgezwungen werden. Und die - oft korrupten und wie Diktator_innen agierenden - Staatschefs zeigen sich als willige "Helfer" bzw. "Vollstrecker_innen" der :: europäischen Migrations- und Abschottungspolitik. Es ist eine Zusammenarbeit aus gegenseitigem Interesse - vereinfacht ausgedrückt: Es geht um Geld gegen Menschenleben.
[Neo]Kolonialismus
Wie weiter oben bereits erwähnt, bezeichnen Flüchtlinge und Migrant_innen die es nach Europa geschafft haben, die Abschiebepolitik als Fortsetzung des Sklav_innenhandels. Menschen werden entrechtet, werden eingesperrt und verschleppt. Mit Gewalt in ein Land gebracht, das sie oft Jahre zuvor verlassen haben, auf der Suche nach Frieden oder einem besseren Leben. Doch in der EU können sie keinen Frieden finden, zu sehr sehen die Privilegierten ihre Machtposition gefährdet. Auch wenn diese Privilegierten in Europa selbst unterdrückt werden (Stichwort: kapitalistische Ausbeutung), hier sei es immer noch besser als anderswo, um einen rassistischen Terminus zu verwenden: besser als "dort wo der Pfeffer wächst". Die Bewohner_innen Europas wissen, dass der Pfeffer und viele andere Gewürze und Köstlichkeiten von weit her nach Europa geschifft werden - die EU ist die weltgrößte Importeurin von Lebensmitteln.
Doch nicht nur Lebensmittel, alle möglichen Güter werden nach Europa gebracht, wo aufgrund des Massenkonsums höhere Gewinne im Absatz erzielt werden können. T-Shirts, Hosen, Kleider, Computer, Handys, Autos, .... diese Liste kann schier endlos fortgesetzt werden. Den Menschen, die diese Güter produzieren, wird die Reise verweigert. Für sie ist es meist unmöglich, auf legalem Weg nach Europa zu reisen. Sie sind gezwungen, den "Back Way" zu gehen. Bevor sie die Küste des Mittelmeeres oder die Zäune rund um Ceuta und Melilla, die verbliebenen spanischen Kolonien auf afrikanischem Boden, erreichen, müssen sie Wüsten und (Bürger_innen-)Kriegsgebiete durchqueren. Viele schaffen es nicht so weit, ihnen geht das Geld aus oder sie werden in einem der mit EU-Unterstützung errichteten Internierungslagern festgehalten oder verdursten in der Wüste. Immer wieder kommt es vor, dass Migrant_innen von Gangs festgenommen und erst nach Zahlung eines hohen Lösegeldes ihre Reise fortsetzen können. Nicht selten sind staatliche Organe in diese Machenschaften involviert. Sie verbessern so ihr Gehalt - und sie wissen genau, dass sie Menschen, denen jegliche Rechte entzogen werden, ohne Konsequenzen misshandeln können.
Das ist Rassismus!
Werfen wir einen Blick in das Innere der Festung, um zu sehen, wie die staatliche Exekutive hier mit Menschen umgeht: Misshandlungen, Folter und Mord geschehen ohne Konsequenzen. Wer sich die Dokumentation von Todesfällen bei Deportationen und in Polizeigewahrsam auf :: no-racism.net/racismkills näher ansieht, wird schnell merken, dass kein_e Polizist_in für einen Mord aus rassistischen Motiven auch nur einen Tag im Gefängnis verbringen muss. In der Regel werden sie frei gesprochen oder zu minimalen Strafen verurteilt und können ihren (mörderischen) Job weiter ausüben.
Rassismus und Kolonialismus sind zwei Seiten ein und der selben Medaille. Ohne Rassismus könnte der [Neo]Kolonialismus nicht funktionieren. Rassismus dient der Legitimierung von Ausbeutung. Rassismus fördert die Stigmatisierung und Stereotypisierung von Menschen, die "nicht willkommen" geheißen werden. Offiziell befinden sich die Behörden in einem Kampf gegen jene Menschen, die den Entrechteten helfen, das "gelobte Land" zu erreichen, die helfen, einer oft aussichtslosen Situation zu entfliehen und die nicht selten Menschen retten, die sich auf der Flucht vor mörderischen Regimen befinden. Diese Fluchthelfer_innen werden pauschal als "Schlepper_innen" diffamiert und für die "Tragödie im Mittelmeer" verantwortlich gemacht. Doch in Wirklichkeit gilt die Kriegserklärund der EU-Politiker_innen und -Behörden jenen Menschen, um deren Leben sie vorgeblich besorgt sind: Es ist ein Krieg gegen Migrant_innen und Flüchtlinge, bei dem Tote bewusst in Kauf genommen werden.
Seit 1993 dokumentiert UNITED, ein europaweites Netzwerk gegen Nationalismus, Rassismus und Faschismus - und für die Unterstützung von Migrant_innen und Flüchtlingen, :: die fatalen Auswirkungen der Politiken der Festung Europa. Seit mehr als 20 Jahren ist bekannt, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, werden die verantwortlichen Politiker_innen und Beamt_innen immer wieder daran erinnert, wie mörderisch ihre Schreibtischtaten sind. Doch sie halten an ihrer - von rassistischer Ideologie geprägten - Politik fest. Sie tragen die Verantwortung für :: das Sterben im Mittelmeer.
Visaregime abschaffen!
Die einzige Möglichkeit, das Sterben zu beenden, ist die sofortige Abschaffung des Visaregimes. Nur so haben Menschen die Möglichkeit, auf offiziellem Wege in Europa einzureisen und sind nicht auf heimliche und gefährliche Wege angewiesen. Und sie müssten nicht das viele Geld für die Inanspruchname der Dienstleistung Fluchthilfe zur Überquerung von EU-Außen- und Binnengrenzen benötigen. Und gerade diese Dienstleistung ist den Behörden ein Dorn im Auge. Doch wer ist auf diese Dienstleistung angewiesen?
In einem :: Aufruf gegen die exterritorialen Flüchtlingslager der Europäischen Union aus dem Jahr 2005 wird festgehlaten:
"Nach offiziellen Angaben machen die Boat People nur einen sehr kleinen Prozentsatz der schätzungsweise 500.000 Menschen aus, die Jahr für Jahr heimlich und unerlaubt die EU-Südgrenze passieren. Es sind die 'Armen', die sich der Gefahr der riskanten Meerüberquerung aussetzen. Wer es sich leisten kann, kauft sich einen gut gefälschten Pass und nimmt ein Flugzeug. Oder er(sie) nutzt seine(ihre) Verbindungen zu Verwandten und Bekannten in Europa und setzt mit einer der großen Autofähren über."
Wer nicht über die notwendigen Kontakte nach Europa und/oder genügend Geld für entsprechende Papiere verfügt, ist gezwungen, gefährliche Wege zu gehen und die Grenzen heimlich zu überqueren. Ohne die Inanspruchname von Fluchthilfe ist dies meist nicht möglich. Würden die Grundrechte dieser Menschen respektiert und Bewegungsfreiheit für alle gelten, könnte eine Politik der Teilung des Wohlstands die (neo)kolniale Ausbeutung ablösen. Es geht um eine Anerkennung der Gesamtheit der Rechte von Migrant_innen und Geflüchteten, sei es als Arbeitskräfte und Bürger_innen, oder einfach als Menschen.
Bewegungsfreiheit
Seit Jahren wird die Abschottungspolitik der EU massiv kritisiert und eine Änderung gefordert. Die :: euro-afrikanischen Nicht-Regierungs Konferenz mit dem Titel "Migrationen, Grundrechte und Bewegungsfreiheit" im Sommer 2006 in Rabat, Marokko setzte einen Kontrapunkt zur gleichzeitig stattfindenden Regierungskonferenz europäisher und afrikanischer Staaten zu "Migration und Entwicklung".
In einem :: Bericht davon ist zu lesen: "Vor Einführung der Visapflicht war es für Afrikaner_innen üblich, dass jeweils einer aus der Familie für eine bestimmte Zeit nach Europa ging und später durch einen anderen ersetzt wurde - heute ist das kaum noch möglich, und die Beantragung eines Visums (das meist abgelehnt wird) ist zu einer Geldfrage geworden. Im Gegensatz dazu sehen es Europäer_innen als ihr selbstverständliches Recht, überall hinzureisen, zu arbeiten, Häuser zu kaufen und die Reichtümer der Länder Afrikas auszubeuten. Gegen diese Ungleichheit wurde die Abschaffung aller Visa für den kurzzeitigen Aufenthalt gefordert - auf der Basis einer 'positiven Gegenseitigkeit', statt, wie auch von einigen gefordert wurde, ein Visum für ganz Afrika auch für Europäer_innen. Als Perspektive wurde von vielen die Abschaffung aller Visa bzw. die Einführung eines 'globalen Passes' und Öffnung aller Grenzen gefordert.
Im :: Manifest der Nicht-Regierungs-Konferenz in Rabat wird der Krieg gegen Migrant_innen entschieden abgelehnt. "Wir lehnen ebenso ab, in einer Welt zu leben mit mehr und mehr militarisierten Grenzen, die unsere Kontinente teilen und jede Gruppe von Ländern in eine Festung verwandeln wollen." Die Forderungen zielen u.a. auf die Einführung der Bewegungsfreiheit, wirklichen Gleichheit der Rechte aller Personen, die auf demselben Territorium leben, und eine sofortige Legalisierung aller Migrant_innen ohne Papiere. Ebenso wird das globale Unrechtssystem kritisiert und die effektive Respektierung des Rechts auf Entwicklung, wie "die bedingungslose Annullierung der Schulden der Länder des Südens" gefordert.
"Isn't it ironic? In those days the slave merchants went to Africa, exploited and forced the inhabitants to relinquish their responsibilities, and robbed them of their dignity. These human traders then shared the slaves among themselves without the latter's consent. And now that the descendants of the former slaves are willing to embark on similar voyage voluntarily, the door is being closed ala visa."
Mit diesen Worten beginnt ein Mitte 2007 veröffentlichtes :: Plädoyer zur Abschaffung des Visahandels. Der Autor sieht dies als wirksame Möglichkeit zur Eindämmung des "Menschenhandels"(**). Der Handel mit Visa wird in direkte Verbindung mit den Tod vieler Afrikaner_innen gestezt. Die Rate jener, die auf der Suche nach einem besseren Leben in Amerika, Europa oder auch Asien sterben, wird als alarmierend bezeichnet.
Angesichts der seit Jahren anhaltenden tödlichen Überfahrten im Mittelmeer wurde vor etwa einem Jahr die :: Charta von Lampedusa publiziert. Diese verlangt eine radikale Veränderung der sozialen, ökonomischen, politischen, kulturellen und rechtlichen Beziehungen, die das gegenwärtige, :: mörderische Migrations- und Grenzregime kennzeichnen. Diese Beziehungen sind die Basis der globalen Ungerechtigkeit, der Millionen von Menschen derzeit ausgeliefert sind.
Das Sterben wirklich beenden
"Deshalb fordern wir die sofortige Einrichtung einer direkten Fährverbindung für Flüchtlinge aus Tripolis und anderen Orten Nordafrikas bzw. der Türkei nach Europa."
Die Initiative :: "Watch the Med Alarm Phone" wurde angesichts der jahrelangen Tatenlosigkeit der verantwortlichen Politiker_innen und Behörden gegründet. Es war u.a. eine direkte Reaktion auf die Einstellung der italienischen Seenotrettung Mare Nostrum und deren Ersetzung durch die Frontex-Abschottungsmission "Triton" in EU-Küstengewässern.
Das Alarm Phone ging im Oktober 2014 in Betrieb und wird von Aktivist_innen auf beiden Seiten des Mittelmeeres getragen. Menschen, die im Mittelmeer in Seenot geraten, haben die Möglichkeit via Sattelitentelefon die Nummer +334 86 51 71 61 zu verständigen.
Zwar können die Aktivist_innen den Anrufer_innen nicht selbst zu Hilfe eilen, sie sehen ihre Aufgabe viel mehr, öffentlichen Druck aufzubauen und im Fall eines Kenterns die zuständigen Küstenwachen zu informieren, damit diese helfend einschreiten. Denn es sind mittlerweile zu viele Fälle bekannt, bei denen Migrant_innen und Flüchtlinge vor den Augen von Schiffbesatzungen ertrinken.
"Durch Watch the Med und das Alarm Phone-Projekt stehen wir alltäglich mit hunderten Menschen in Kontakt, die das Mittelmeer überquert haben. Angesichts der Scheinheiligkeit der bislang vorgeschlagenen 'Lösungen', sehen wir uns in der Pflicht, einige Irrtümer aufzuklären und zu versuchen, einen alternativen Raum zur Reflektion und zum Handeln zu öffnen. In einer :: Aussendung von Watch the Med wird der 10-Punkte-Plan der EU-Innen- und Außenminister_innen "gegen das aktuelle Sterben im Mittelmeer" kritisiert.(')
"Wir wissen, dass keine Auslagerung von Asylzentren und Grenzkontrollen, keine Ausweitung der Rettungsverpflichtung, keine Intensivierung der Überwachung und der Militarisierung das Massensterben im Meer beenden wird. Alles, was wir dafür kurzfristig brauchen, sind legale Einreisemöglichkeiten und Fähren. Werden die EU und die internationalen Behörden bereit sein, diesen Schritt zu gehen, oder wird die Zivilgesellschaft das für sie tun müssen?"
Humanismus oder Gerechtigkeit?
Doch wie weit sind die Zivilgesellschaften bereit, das Sterben an den Grenzen Europas (und nicht nur im Mittelmeer!) zu beenden und eine nachhaltige Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen?
In den Appellen gegen das Sterben im Mittelmeer werden zwar immer die humanitären Aspekte erwähnt, das Unrechtssystem, dass für der Sicherung des Wohlstandes in Europa dient, meist aber vergessen - bzw. bewusst ausgelassen. In einem :: Kommentar zur Trauerkundgebung "Gegen Unrecht: Stoppen wir das Massensterben im Mittelmeer" am 20. April in Wien wird diese Haltung kritisiert, wenngleich auf einige positive Veränderungen hingewiesen wird. Doch diese sind nicht ausreichend, es geht darum, die Positionen der Zivilgesellschaft zu kritisieren, zu hinterfragen und die Aktions- und Denkräume zu erweitern.
"Denn es ist unser aktives Wegsehen, es ist unser Schweigen, das mithilft, dass die Situation an den Grenzen so unerträglich ist. Dass dieses Wegsehen, dieses Schweigen nun Widerstand sein soll, oder auch nur die Politiker_innen aufrütteln soll, das ist nur mit einer Logik erklärbar, in der Bilder mehr als Taten zählen."
An jene, die mit Tränen in den Augen und humanitären Floskeln das Leid beklagen, an jene, die diese Ungerechtigkeit nicht wahr haben wollen, sei folgender Appell gerichtet: Unterstützt Migrant_innen und Flüchtlinge bei der Ein- und Weiterreise und akzeptiert nicht, dass Menschen entrechtet, eingesperrt und abgeschoben werden.
Eine nachhaltige Veränderung kann nur dann erreicht werden, wenn den Instrumenten der Abschottung und des Rassismus die Legitimation entzogen wird.
Es braucht keine Errichtung neuer Internierungslager in Nordafrika, die von EU-Politiker_innen schönfärberisch als "Willkommenszentren" bezeichnet werden. Es bedarf einer Schließung aller Internierungslager und Schubhäfn für Migrant_innen und Flüchtlinge.
Es bedarf eines Endes der Abschiebungen, die der Aufrechterhaltung des Kolonialsystems dienen.
Und es bedarf vor allem einer Abschaffung des Visaregimes. Nur so ist Gerechtigkeit möglich: Für Bewegungs- und Bleibefreiheit - für alle und überall!
Anmerkungen:
(*) Nicht nur von Europa aus werden Abschiebungen durchgeführt, auch afrikanische Staaten beteiligen sich am Geschäft mit Abschiebungen. Dieser Artikel behandelt jedoch die Migrationspolitik der EU und deren Durchführung.
(*) Der Begriff "Menschenhandel" ist mit Vorsicht zu verwenden, da er von Medien und Politiker_innen gerne dazu verwendet wird, um die repressive und mörderische Abschottungspolitik rechtzufertigen.
(') Am 23. April 2015 fand ein Sondergipfel des Europäische Rates statt. In einem offiziellem Statement erklären die Politiker_innen ihre Maßnahmen gegen die "Tragödie im Mittelmeer": "The European Union will mobilise all efforts at its disposal to prevent further loss of life at sea and to tackle the root causes of the human emergency that we face, in cooperation with the countries of origin and transit. Our immediate priority is to prevent more people from dying at sea." Aller Worthülsen zum Trotz bedeuten die vorgestellten Maßnahmen eine Fortführung der bisherigen Abschottungspolitik: Eine weitere Verschärfung der Repression und eine Intensivierung des Krieges gegen Migrant_innen. Nachzulesen auf :: migrantsatsea.org.
Ihr findet den Artikel hier: http://no-racism.net/article/4727
Mehr zum Thema fluchtweg mittelmeer: http://no-racism.net/thema/38