Refugees Welcome!!!
Die notwendigen, aber fehlenden Dimensionen
Die Anzahl der Menschen, die zwischen Januar 2015 und Dezember 2016 in Deutschland Asyl gesucht hat, war - verglichen mit der Aufnahme von Geflüchteten in vielen anderen wohlhabenden EU-Ländern wie z. B. Großbritannien - beeindruckend. Die Beweggründe für die zeitweilige Politik der offenen Grenzen, die den meisten Geflüchteten erst die Einreise nach Deutschland ermöglichten, mögen fraglich bleiben. Was jedoch inzwischen klar ist, ist der Fakt, dass diese Politik nicht für einen Wechsel in der deutschen Einwanderungspolitik und ihrer Methoden steht. Wenn überhaupt, widerlegt sie auf das Anschaulichste die oft geäußerte, aber nichts desto trotz heuchlerische und schlicht falsche Behauptung von Immigrationsgegner*innen, dass “das Boot voll” sei.
Ganz offensichtlich ist das Boot alles andere als voll. Mehr noch, die ewigen Versuche der unterschiedlichen deutschen Regierungen, durch ihre vorsätzliche Politik der Isolation jeglichen persönlichen Kontakt zwischen Geflüchteten und Deutschen zu unterbinden, sind endgültig gescheitert. Der Kontakt, der nun besteht, kann nicht mehr ohne weiteres ausradiert werden.
Indes kann als stichhaltiges Argument angebracht werden, dass die Regierung auf die Herausforderungen, die die neuen Schutzsuchenden mit sich brachten, schlecht vorbereitet war, wie der Blick auf verschiedene Aspekte des Asylverfahrens der letzten Jahre zeigt. Diese mangelnde Vorbereitung führte zu dem offensichtlichen Chaos und Durcheinander. Sie hat ihre Wurzeln zu allererst in den Dementi der letzten Regierungen, die leugneten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Diese Haltung beraubte die Öffentlichkeit der Möglichkeit, ernst gemeinte und fortschrittliche Einwanderungs- und Integrationsstrategien zu entwickeln.
Zum zweiten beruht die Planlosigkeit der Regierung auf dem Widerspruch, einerseits Grenzen zu öffnen und andererseits in Kurzschlussreaktion mit harschen Änderungen der Asylgesetze und des -verfahrens auf die Aufnahme der Schutzsuchenden zu reagieren. Die Asylgesetze, die bereits zuvor bewusst abgeschwächt worden waren, sind nun nicht mehr als eine Verhöhnung des Konzepts des Internationalen Schutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention und des Asylschutzes, wie ihn die deutsche Verfassung verspricht. Das Possenspiel beruht auf dem Umstand, dass nunmehr nicht jeder einzelne Asylantrag hinsichtlich der individuellen Schutzgründe untersucht wird, sondern politische Entscheidungen auf ganze Gruppen angewandt werden – begründet mit dem Konzept der “Sicheren Herkunftsstaaten”. Dieses willkürliche Konstrukt, das oft in krassem Gegensatz zu erdrückenden Beweismitteln über die Realität vor Ort steht, unterwandert und missachtet automatisiert die Glaubhaftigkeit und Rechtmäßigkeit des einzelnen Asylantrags.
Im Hintergrund dieses Durcheinanders erklang der feierliche Tusch, der gemeinhin als “Willkommenskultur” bekannt ist. Diese entstehende Kultur spricht ein Deutschland an, das sich seit der Vergangenheit “verwandelt” hat und “offen” ist für Immigrant*innen - vor allem für Flüchtlinge, die auf der Suche nach Sicherheit vor Kriegen fliehen. Ikonengleiche Bilder von Deutschen, die Neuankommende in süddeutschen Bahnhöfen mit Snacks und Wasserflaschen “willkommen heißen”, werden dafür Sorge tragen, dass diese Darstellung für immer in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt ist. Während die Regierung die Belastung zu spüren bekam, inmitten der unerbittlichen Kritik von Koalitionspartner*innen und rechten Politiker*innen einen Umgang mit den neu angekommenen Menschen zu finden, fühlten sich viele durch die Parole des “Wir schaffen das” von Angela Merkel inspiriert, welche, um ihre Flüchtlingspolitik zu verteidigen, diesen Slogan als Blitzableiter gegen jegliche Kritik nutzte.
Regierungsorgane, Nicht-Regierungsorganisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen und zahllose Initiativen wurden gegründet oder ausgebaut, um eine “helfende Hand” zu reichen in der als “Flüchtlingskrise” titulierten Situation. Ging es in der Krise um das Schicksal der Abertausenden, die dazu gezwungen wurden, ihre Heimatländer zu verlassen, durch Kriege, die aufgrund ausländischer Interessen und unstillbarer Gier endlos fortgeführt werden? Ging es um das Leiden der Flüchtenden unterwegs, die auf ihrer Suche nach Sicherheit an den militarisierten, von Frontex bewachten Grenzen der EU gestrandet waren? Ging es in der Krise um die ungezählten Menschen, die auf der Flucht tagtäglich im Meer ertranken, während europäische Marine-Schiffe untätig zusahen? Oder ging es um die groben, brutalen Menschenrechtsverstöße, die ebendiese Geflüchteten erlitten, wenn sie das europäische Festland in Griechenland, Ungarn usw. schon erreicht hatten? Oder ging es konkreter gesagt um das selbst-konstruierte Chaos, in dem Geflüchtete gezwungen wurden, selbst im Winter in Turnhallen und Zelten zu hausen, während es zeitgleich zahlreiche leerstehende Gebäude gab (einige davon zum Beispiel in Bremen schon seit Jahren unbewohnt)?
In jedem Fall war es so, dass die “Krise” scheinbar sehr viel weniger mit den tatsächlich leidtragenden Individuen zu tun hatte, als vielmehr mit der Sorge der deutschen und europäischen Machthaber*innen, bei der Lösung eines Problems versagt zu haben, für das sie zum Teil selbst verantwortlich sind.
Wie dem auch sei: Plötzlich schlossen sich Deutsche, die zuvor absolut nichts mit Geflüchteten zu tun hatten, verschiedensten Initiativen an, um diverse Hilfsleistungen für Geflüchtete anzubieten. Unter dem Banner “Refugees Welcome” wurde gespendet, gekocht, Deutsch unterrichtet, zu verschiedenen Behörden begleitet, gestrickt, wurden Fahrräder repariert und Second-Hand-Kleider gesammelt (ob benötigt oder nicht). Auch wenn viele bestimmt aufrichtig und aus ganzem Herzen diese Hilfe anboten, so musste man doch wahrnehmen, von welch gönnerhafter, paternalistischer und bevormundender Attitüde diese Hilfsleistungen getragen wurden. Damit verknüpft war die Erwartungshaltung, dass die Geflüchteten doch überbordend dankbar sein müssten – nicht nur für die Hilfe, die sie erhielten, sondern auch für den bloßen Umstand, in Deutschland in Sicherheit leben zu dürfen. Es ist natürlich wenig überraschend, dass diese Einstellung in vielen Geflüchteten (mit ihren Erfahrungen, nicht wieder gut zu machenden Verlusten und Traumata) Unmut und Missbehagen hervorrief. In manchen Fällen wurde die Situation so problematisch, dass ein professionelles Eingreifen und Unterstützung in der Konfliktbearbeitung notwendig wurde. Ist es dann verwunderlich, dass einige “Helfer*innen” von Geflüchteten höflichst gebeten wurden, sie alleine zu lassen?
Mehr noch als die „Erste Hilfe“-Willkommenskultur eine allgemein freundlichere und Geflüchteten zugewandtere Atmosphäre zu repräsentieren schien, verwiesen die nachfolgenden Entwicklungen auf zwei notwendige und wichtige Dimensionen, die in diesem gewandelten Deutschland fehlen. Als Erstes ist das Fehlen von Selbstreflexion innerhalb der sog. Willkommenskultur festzustellen, da die Hilfe und Dienstleistungen für Geflüchtete sowie die erwartete Dankbarkeit auf den Grundsätzen der Wohltätigkeit und Philanthropie beruhen anstatt auf Solidarität und Gerechtigkeit. Dem Engagement für Geflüchtete fehlt das Verständnis, dass es eine Sache der Gerechtigkeit ist und die Geflüchteten das Recht haben, als gleichwertige Menschen mit Würde behandelt zu werden und nicht aus individuellen oder kollektiven guten Absichten und Höflichkeit – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Fluchtursachen in direktem Zusammenhang mit den ökonomischen Interessen des Westens stehen.
Viele der „Helfenden“ reflektieren nicht ihre Privilegien und Vorurteile, ihre einseitigen Perspektiven und Glaubenssätze sowie ihre lange gehegten Annahmen. Als Ergebnis übernehmen sie automatisch den Gebrauch der Stigmata und der Klischees, die mit dem Label „Flüchtling“ eingeführt und verstärkt werden. Nicht nur deswegen bemerken (und kritisieren) viele der „Helfenden“ nicht das Machtverhältnis in ihrem Kontakt mit Geflüchteten, sie sind kaum in der Lage, diese Geflüchteten als normale Menschen zu sehen, sondern nur als Flüchtlinge: arm, hungrig, aus korrupten und unterentwickelten Ländern, die nun in Deutschland belehrt und zivilisiert werden müssen. Es ist die Regel, dass mit Geflüchteten von oben herab, bestenfalls mit ihnen geredet wird; aber zugehört wird ihnen sicher nicht. Diese Haltung ist so allgegenwärtig, dass sie nicht nur bei den Freiwilligen und den Beschäftigten der zahlreichen Organisationen, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, vertreten ist, sondern auch im Wirtschaftssektor. Die jüngste und vielbeachtete Ausstellung „Helfen & Verdienen“ des Flüchtlingsrats Bremen zeigte mehr als deutlich diesen frappierenden Zynismus der Wirtschaft mit deren zahlreichen lächerlichen und unsäglichen Angeboten für Flüchtlingsunterkünfte, Schlafsäcke und vieles. Es war einfach verblüffend und wirklich unglaublich zu sehen, was diese Unternehmen als Flüchtlingsunterkünfte für geeignet hielten - und das natürlich auch noch als „Hilfe” verkauften.
Aber ich möchte kurz von einer meiner Erfahrungen aus meiner letzten Stelle erzählen, um diesen Punkt auch anhand des „Flüchtlingsmanagements“ zu verdeutlichen.
Vor rund einem Jahr habe ich in einer Sporthalle in Bremen Vahr gearbeitet, in der viele Syrer*innen und einige afghanische Geflüchtete untergebracht waren. Sie wurde von einem der drei großen Flüchtlingsunterkunft-Betreiber in Bremen unterhalten. Kurz vor Weihnachten konnte die Leiterin eine Förderung erreichen, um Sportschuhe für die Erwachsenen im Lager von einem bestimmten Laden zu beziehen und ich war dafür verantwortlich, das zu organisieren. Ich begleitete jeweils zehn Geflüchtete zu dem Laden, wo sie ihre Schuhe bekommen sollten. Nach dem zweiten Besuch rief der Ladenangestellte die Heimleiterin zweimal an, um sich darüber zu beschweren, dass zu viele Geflüchtete zur gleichen Zeit den Laden aufgesucht hätten. Statt gegen die offensichtlich diskriminierende und rassistische Position des Ladenangestellten Stellung zu beziehen, stellte sich die Leiterin auf die Seite des Mannes und gegen die Geflüchteten. Nun, wenn zehn junge deutsche Männer und Frauen in einen Laden gegangen wären, um Schuhe zu kaufen, hätte der Ladenangestellte jemanden angerufen, um sich über die Anzahl zu beschweren? Ich denke nicht. Aber einfach weil Sie Geflüchtete waren, konnten diese Personen nicht wie normale Menschen und Kunden behandelt werden, obwohl sie die Schuhe von dem Laden nicht umsonst bekommen haben. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich im Umgang mit Geflüchteten von dem Flüchtlings-Label und seinen Zuschreibungen zu lösen.
Aber das war noch nicht einmal der Tiefpunkt der Geschichte. In meinen Diskussionen mit der Leiterin über dieses Thema verteidigte ich die Geflüchteten, dass sie ein Recht haben, in dieser Zahl in den Laden zu gehen und dass sie Erwachsene sind, die ich nicht einfach aus dem Laden schicken kann, wie es die Leitung vorschlug. Die Heimleiterin antwortete mir, indem sie mich bat zu verstehen, dass diese Geflüchteten, auch wenn Sie dem Alter nach erwachsen sind, nicht wirklich Erwachsene seien. In ihren Worten: “you have to understand that these are people from different universum (!) and they first have to be brought from there to here and be taught how to live here” (Übers.: Sie müssen verstehen, dass das Leute aus einem anderen Universum sind, die zunächst einmal von dort hierhergebracht und gelehrt werden müssen, wie man hier lebt.) Viele der Geflüchteten, um die es ging, waren älter und gebildeter als sie; sie konnte sie nicht als Erwachsene und normale Menschen sehen, weil sie Geflüchtete waren. Leider kann ich hier nicht die nicht druckfähigen Kraftausdrücke wiedergeben, die sie gelegentlich in Bezug auf die Geflüchteten gebrauchte, einfach nur weil diese es wagten zu fordern, in Privatwohnungen zu leben. Noch will ich weiter auf ihre Gewohnheit eingehen, ununterbrochen in dem Container zu rauchen, der ihr als Büro diente und in dem sie die Geflüchteten empfing; Kinder und Erwachsene. Sind das besondere oder vereinzelte Fälle? Leider nicht, es gibt viele weitere Beispiele, die ich aus der kurzen Zeit, in der ich hier bin, nennen könnte. Es handelt sich um eine auffallende, allgegenwärtige Einstellung und Verhaltensweise, wenn es um Flüchtlinge geht.
Ein anderes Beispiel: Einmal besuchte ich eine Zeltunterkunft in Bremen, in der rund 400 Geflüchtete untergebracht waren, um die dort lebenden Menschen zu einer Demonstration einzuladen, die Privatwohnungen für Geflüchtete forderte. Als der Zeltmanager mitbekam, warum ich dort war, sagte er: „Nein, Flüchtlingen ist es nicht gestattet, zu demonstrieren.“ Als ich nach dem Grund fragte, antwortete er: „Die Flüchtlinge brauchen keine Demonstrationen, sie sind alle glücklich hier, weil sie hier alles bekommen, was sie brauchen.“ Das war eine verblüffende Aussage für jemanden, der eine Zeltunterkunft managte, wo kein Kind zu Schule ging, wo es keine Privatsphäre für Erwachsene gab und wo ein ununterbrochenes Surren des riesigen Generators, der das Zelt beheizte, den Raum beherrschte. Von den dürftigen sanitären Einrichtungen ganz zu schweigen. Hier haben wir einen Zeltmanager, der aller Wahrscheinlichkeit nach in einer Privatwohnung lebt, und der fröhlich und unbegründet für Geflüchtete urteilt, dass sie glücklich sind in Zelten zu leben, wo ihre Grundrechte missachtet und ihre Menschenwürde mit Füßen getreten werden. Es mag herablassend erscheinen, aber ich erzähle dies hier nur, um die gefährlichen Auswirkungen fehlender Selbstreflexion aufzuzeigen und deren Verbreitung in der „Willkommenskultur“.
Die zweite notwendige, aber fehlende Dimension der Willkommenskultur ist der Mangel an kritischen Stimmen und politischem Aktivismus in Form von Protesten und Demonstrationen. Zu einer Zeit erheblicher und verheerender Attacken bisher nicht bekannten Ausmaßes der Regierung auf das Konzept Internationalen Schutzes sind die meisten kritischen Stimmen einfach verstummt. Die Mehrheit dieser sonst politisch Aktiven ist nun im Wesentlichen damit beschäftigt, in der einen oder anderen Form Geflüchteten zu „helfen“, auf Kosten des Politischen, trotz seiner Wichtigkeit. Die politische Dimension der Beschäftigung mit Geflüchteten auf der Basis von Solidarität und Gerechtigkeit und Analysen der stetig zunehmenden vielfachen Fluchtursachen und -gründe, die untrennbar mit den ökonomischen Interessen des Westens verbunden sind, sind nahezu gänzlich verschwunden.
Die Gefahr dieses Fehlens der politischen Dimension in der Willkommenskultur besteht darin, dass es für die meisten derjenigen, die Geflüchteten „helfen“, schwierig zu verstehen, geschweige denn anzuerkennen ist – insbesondere dann, wenn deren Engagement mit Geflüchteten kritische Selbstreflexion vermissen lässt – dass deren Regierung die Mitverantwortung für genau die Gründe tragen, aufgrund derer Menschen aus ihren Ländern fliehen. Das Problem besteht dann, wenn das Politische aus der Gleichung des Engagements für Geflüchtete herausgenommen wird; die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass diese Beziehungen angesichts willkürlicher Regierungsinterventionen wie der Erklärung „sicherer Herkunftsländer“ ziemlich leicht ausgehöhlt werden können. Der Punkt, der hier zu machen ist, ist der, dass während viele „Helfer“ Genugtuung mit sich selbst empfinden mögen und sich selber auf die Schulter klopfen, weil sie Geflüchteten „helfen“ - wofür sie ihre Zeit und Ressourcen opfern (und gleichzeitig ob der ungenügenden Dankbarkeit von Seiten der Geflüchteten frustrieren), solange die Basis dieser Beziehung nicht Solidarität und Gerechtigkeit ist, könnten die Geflüchteten, denen sie helfen, ohne Weiteres weggerissen und abgeschoben werden, weil die Regierung festlegt hat, dass deren Länder sicher seien. Und weil die Beziehung auf Menschenliebe basiert, wird es zu spät sein festzustellen, dass es sich bei dem Recht Geflüchteter, dort zu bleiben, wo sie wollen und nicht abgeschoben zu werden, um eine Frage der Gerechtigkeit handelt. In diesem Fall bleibt den Helfern nur übrig, den nächsten Flüchtling aufzusuchen, dem geholfen werden muss - und den Kreis fortzuführen. Ich möchte jedoch einräumen, dass es eine Debatte darüber geben muss, was produktiver und sinnvoller ist! Ist daran anzusetzen, einen Unterschied zu machen oder Wandel der Strukturen herbeizuführen, indem man von 'innen' durch die Anwesenheit kritischer Stimmen innerhalb der Struktur auf sie wirkt, oder in dem man damit weitermacht, mehr Energie in Mobilisierung und Protest zu investieren, um Druck auf die Autoritäten auszuüben, ihre Politik und Grundsätze zu verändern? Während diese beiden Alternativen sich nicht gegenseitig ausschließen mögen, sprengt diese Debatte den Rahmen dieses Textes und wird besser an anderer Stelle geführt.
Bremen Open Monday Plenary (BOMP)
Genau aus den oben genannten Gründen entschied sich das ehemalige 'Refugees Welcome'-Bündnis in Bremen dazu, sich den neuen Namen „Equal Rights for All“ zu geben und wöchentlich die offenen Montagsplena (Bremen Open Monday Plenary, BOMP) abzuhalten. In aller Fairness hatte die Gruppe niemals den Modus regulärer Willkommensinitiativen und nutzte den Namen nur aufgrund mangelnder Alternativen zu der Zeit. Nichtsdestotrotz schien nach den äußerst lebhaften ersten Monaten, die auf die große Bündnisdemonstration am 3. Oktober 2015 folgten und in denen einige Demonstrationen u.a. für das Recht auf Wohnen, Bildung und Mobilität stattfanden, die Energie verpufft zu sein. Daher experimentierte die Gruppe einige Male mit der Assemblea. Dies war ein offenes Plenum, das Geflüchteten als Forum diente, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, was ihre Erfahrungen und Schwierigkeiten des Lebens in Bremen anging und um zusammen zu brainstormen und mögliche Aktionen zur Verbesserung der Situation zu planen. Die Assemblea zielte unter anderem darauf ab, eine Plattform für die Selbstorganisierung von Geflüchteten bereitzustellen. Jede Versammlung lockte im Durchschnitt 100 Geflüchtete und Deutsche an.
Einander gegenüber gestellt entwickelten sich die Assemblea und das reguläre Montagsplenum unabsichtlich zu einer Art Doppelstruktur. Zwei wesentliche Punkte dieser Entwicklung waren bemerkenswert. Zum einen stellte die Assemblea ein Forum bereit, um Geflüchtete mit Deutschen zusammenzubringen, die da waren, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen und nicht nur, um zu 'helfen'; außerdem bot sie ihnen die Gelegenheit, öffentlich einige ihrer Erfahrungen und Probleme in Deutschland zu diskutieren. Als zweiter Punkt ist zu nennen, dass es zwar ein sehr effektives Forum war, um direkt von Geflüchteten zu hören – wofür viele große Wertschätzung ausdrückten - jedoch keine Lösungen zu den meisten der Problemen, die das Forum identifizierte und keine Struktur für fokussierte und kontinuierliche Planung und ein gemeinsames Einsetzen gegen diese Probleme anbieten konnte. Deshalb konnte es die Erwartungen einiger Geflüchteter nicht erfüllen. Gleichzeitig entstand der Eindruck, dass einige Menschen etwas für die Geflüchteten 'taten', aber nicht wirklich gemeinsam organisiert und geplant wurde, da viele Geflüchtete noch keine Verantwortung für die Organisierung der Veranstaltung übernommen hatten.
Infolgedessen wurde zwischen den verschiedenen Interessensgruppen eine Serie von Rücksprachen und intensiven Diskussionen über den weiteren Weg initiiert. Ausgehend von ähnlichen Erfahrungen in anderen Städten und der Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde die Entscheidung getroffen, die Assemblea und das Montagsplenum zu fusionieren, die Gruppe umzubenennen und das politische Engagement deutlicher hervortreten zu lassen. In Übereinstimmung mit der Flüchtlingsinitiative und dem Kommunikationszentrum Paradox beinhaltet das neue Format gemeinsames Kochen und Essen; parallel zum Abhalten des regulären bietet die Flüchtlingsinitiative rechtliche Beratung während der Dauer des Plenums an.
Das neue Format besteht seit ungefähr zwei Monaten und bisher verlief alles nach Plan, inklusive regelmäßigen intensiven politischen Diskussionen im Plenum, Kochen und Essen, Rechtsberatung in vollem Gang, mit 30-40 Leuten bei jedem Plenum. Das erste öffentliche Ereignis vom BOMP war eine Veranstaltung über Afghanistan, von einem afghanischen Flüchtling, zur Frage, ob Afghanistan ein sicheres Land sei. Die Veranstaltung wurde von rund 50 Teilnehmer*innen besucht. Sie wurde schnell von einer spontanen Kundgebung zu Alleppo gefolgt, als das Bombardement in den paar letzten Wochen zunahm und am 10. Dezember 2016 führte die Gruppe ihre erste Demonstration durch, um das EU-Abschiebe-Abkommen mit Afghanistan und die geplanten Abschiebungen nach Afghanistan anzuprangern. Laut Polizei nahmen 750 Leute an der Demonstration teil. Schließlich gab es eine Veranstaltung zur Situation in Syrien von einem syrischen Geflüchteten, die 80 Teilnehmer*innen anzog.
Während es noch viel Arbeit zu tun gibt, um die Gruppe zu stabilisieren und auszuweiten, bestehen keine Zweifel daran, dass dies eine scharfe Abkehr von dem Verständnis gewöhnlicher Willkommensinitiativen darstellt und dies eine Gruppe ist, die sich angesichts der oben diskutierten Beobachtungen und Kritiken gut entwickelt. Je mehr Geflüchtete damit fortfahren, mit bedeutender Mitwirkung zu ihrem Inhalt Verantwortung für das Funktionieren der Gruppe zu übernehmen, ist es unsere Hoffnung, dass immer mehr Geflüchtete zu politischem Engagement inspiriert werden und weiterhin ihre Fluchtgründe in Verbindung zu der von fremden Mächten in ihren Ländern angerichteten Zerstörung hervorheben. Gleichzeitig hoffen wir darauf, dass andere Flüchtlings-Unterstützungsgruppen motiviert werden, ihren Kontakt und ihr Engagement mit Geflüchteten auszuweiten um diese notwendigen, aber fehlenden Dimensionen in der sogenannten Willkommenskultur aufzunehmen.
Kurzbiografie
Dr. Sunny Omwenyeke ist ein Langzeitaktivist des VOICE Refugee Forum und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen. Er ist der ehemalige Koordinator von Regional Asylum Activism, West midlands/UK und momentan als Netzwerker für den Flüchtlingsrat Bremen tätig.