"Viel wurde über uns geredet, jetzt reden wir!"
Stellungnahme von Geflüchteten in Ellwangen
Video: Flüchtlinge von Ellwangen im Gespräch mit der WSWS
https://www.wsws.org/de/articles/2018/05/08/film-m08.html
Wir dokumentieren eine Stellungnahme von Bewohner*innen der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen zu den Ereignissen der letzten Woche.
"Wir, Bewohner*innen der Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen laden für Mittwoch den 9. Mai 2018, um 17 Uhr zu einer Pressekonferenz ein und rufen ab 18 Uhr zu einer Demonstration auf. Zwischen 12 bis 18 Uhr findet auf dem Marktplatz in Ellwangen eine Mahnwache statt.
Die Pressekonferenz wird direkt vor der Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen stattfinden. Dort wird auch die Demonstration beginnen. Wir rufen alle demokratisch gesinnten Menschen auf, sich an der Demonstration zu beteiligen und diese zu beschützen. Unterstützen sie unseren gerechten Protest und hören sie uns zu, was wir als Betroffene zu dem Polizeieinsatz zu sagen haben. Viele von uns sind durch den bürgerkriegsähnlichen Polizeieinsatz tief verunsichert.
Am Montag den 30. April gegen 2.30 Uhr sollte ein Togoer von der Polizei aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung abgeholt werden. Der Protest entstand spontan. Einige Abschiebungen bei dem die Polizei laut und aggressiv vorgegangen ist, haben wir schon erlebt. Unser Protest war bestimmt, aber zu jedem Zeitpunkt friedlich. Vorwürfe, jemand sei gegen die Polizei mit Gewalt vorgegangen sind falsch und haben sich auch nicht bestätigt. Falsch ist auch, dass die Person die man abschieben wollte, bereits im Polizeiauto saß. Der Togoer stand entfernt neben uns in Handschellen. Die Polizei verließ während des Protests die Landeserstaufnahmeeinrichtung und gab einem dort beschäftigten Security-Mitarbeiter die Schlüssel für die Handschellen. Der Togoer war, nach dem die Polizei sich entfernt hatte, noch etwa eineinhalb Stunden in Handschellen, bis die Security ihm die Handschellen abnahm. Das ist die wesentliche Geschichte vom Montag. Der Betroffene ist auch nicht untergetaucht, wie behauptet wurde. Niemand ist bei dem spontanen politischen Protest zu Schaden gekommen.
Am Donnerstag den 3. Mai 2018 kam es in der Nacht zwischen 3 und 4 Uhr zu einem Polizeieinsatz an dem mehrere hundert Polizisten beteiligt waren. Auch ein Polizeihubschrauber war im Einsatz. Ziel waren drei Gebäude, wovon 292 Personen betroffen waren. In den Gebäuden positionierte sich die Polizei vor sämtlichen Türen und schlug zeitgleich alle Türen ein, obwohl man die Türen in der Einrichtung nicht abschließen kann. Wir waren alle im Bett. Die Polizei leuchtete mit Taschenlampen. Niemand durfte sich anziehen. Alle mussten die Hände in Höhe halten und wurden gefesselt. Die Zimmer wurden durchsucht. Viele wurden bei der Polizeiaktion verletzt. Wer Fragen stellte musste mit Gewalt rechnen.Wir dachten es handelt sich um eine großangelegte Abschiebeaktion. Wie wir später erfuhren, durften die Bewohner*innen der Nachbargebäude ebenfalls die Gebäude nicht verlassen. Die Polizei unterstellte in einer Pressemitteilung wir hätten Waffen und gefährliche Gegenstände. Nichts von dem ist wahr, nichts wurde bei den Durchsuchungen gefunden. Mehr dazu erfahren Sie am Mittwoch bei der Pressekonferenz.
Wer auch immer diesen Polizeieinsatz zu verantworten hat, er war politisch motiviert und inszeniert. Die bundesweite Berichterstattung und Diskussionen über eine nächtliche spontane, friedliche und politische Aktion, zeigt, wie stark dieses Land mit fremdenfeindlichen Ressentiments aufgeladen ist. Viel wurde in den letzten Tagen über uns geredet. Niemand hat uns nach unserer Meinung gefragt. Am Mittwoch möchten wir über die Polizeiaktion und über unsere Situation in der Landeserstaufnahmeeinrichtung sprechen. Wir hoffen, es werden uns viele zuhören."
English:
A Very Big SALUTE to the Refugee Resistance in Ellwangen - The VOICE Refugee Forum https://thevoiceforum.org/node/4511
German:
SALUT dem Flüchtlingswiderstand in Ellwangen - The VOICE Refugee Forum
https://thevoiceforum.org/node/4512
French:
Nous SALUONS la Résistance des Réfugiés à Ellwangen - The VOICE Refugee Forum
https://thevoiceforum.org/node/4513
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Video: Flüchtlinge von Ellwangen im Gespräch mit der WSWS
Von K. Nesan und Ishmael Schardt
8. Mai 2018
In der Nacht zum 30. April verhinderten etwa fünfzig Bewohner der baden-württembergischen Landeserstaufnahme (LEA) Ellwangen die Deportation eines jungen Mannes durch eine solidarische, gewaltfreie Protestaktion. Drei Tage später fand eine Großrazzia gegen sie statt: Mehrere Hundertschaften bewaffneter und vermummter Polizisten überfielen die Einrichtung, überraschten die Bewohner im Schlaf, schlugen und fesselten sie, nahmen Geld mit, das sie fanden, und verhafteten mehrere, die dagegen protestierten.
Interview mit Flüchtlingen in Ellwangen: "Wir wissen nicht, ob wir hier in Sicherheit sind"
Seither wird die Solidaritätsaktion der Flüchtlinge vom 30. April für eine beispiellose Hetzkampagne missbraucht. Das erfundene Narrativ eines „Asylantenaufstandes“ – angeblich hätten 200 gewaltbereite junge Männer vier Polizisten angegriffen – wird propagandistisch ausgeschlachtet. Gestützt auf diese Lüge fordern Politiker aller Parteien immer neue Angriffe auf das Flüchtlingsrecht und die Geflüchteten und rechtfertigen auch den raschen Aufbau sogenannter „Ankerzentren“.
Am Sonntag konnte ein Team der WSWS mit Flüchtlingen vor der Unterkunft Ellwangen sprechen. Nach dem Überfall vom 3. Mai waren sie noch immer von Schock, Angst und Enttäuschung gezeichnet. Einige sagten, sie seien misstrauisch geworden aufgrund der Art und Weise, wie die Medien seit einer Woche über sie berichten. „Es gab keine Kämpfe in dieser Nacht“, so die einhellige Aussage, die alle bestätigten, die mit uns sprachen. „Die Leute schrien nur und sagten [der Polizei], dass sie nicht einverstanden seien. Einen Kampf habe ich in dieser Nacht nicht gesehen.“
Die Flüchtlingsunterkunft liegt zwei Kilometer vom Ortskern entfernt, und die Bewohner haben kaum eine Chance, mit der Einwohnerschaft von Ellwangen Kontakt aufzunehmen. Die LEA ist in einer ehemaligen Bundeswehrkaserne untergebracht, und diese trägt noch heute gut sichtbar den Namen „Walther-Reinhardt-Kaserne“, nach dem letzten preußischen Kriegsminister im Ersten Weltkrieg und späteren Chef der Heeresleitung der Reichswehr.
Die meist jungen Menschen, die hier leben, versuchen zu arbeiten oder zu lernen, doch sie müssen sich wie im Gefängnis vorkommen. Am Tor steht die Security, und wer immer die Anlage verlässt oder betritt, muss seinen Ausweis am Eingang vorweisen und einscannen. Wir beobachteten, wie die Männer, die mit uns gesprochen hatten, anschließend von Sicherheitsleuten angesprochen wurden. Offensichtlich trifft die Aussage eines Geflüchteten aus Lagos (Nigeria) zu: „Die Wahrheit ist: wir wissen nicht, ob wir hier sicher sind.“