14.02.2008 / Inland / Seite 5
Jalloh-Prozeß fortgesetzt Von Anja Hotopp
»Schwarze brennen eben länger«, hatte ein Beamter während einer Führungskräfteberatung am 10. Februar 2005 in der früheren Polizeidirektion Halle geäußert. Diese und andere aktenkundige Äußerungen ähnlichen Kalibers von Polizeibeamten beschäftigten das Landgericht Dessau-Roßlau am gestrigen 39. Verhandlungstag im Prozeß um den Tod des am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh aus Sierra Leone. Zwar hatte die Äußerung seinerzeit zu einem Ermittlungsverfahren geführt, dieses wurde jedoch umgehend wieder eingestellt.
Jalloh soll, obwohl an Händen und Füßen fixiert, Feuer in seiner Zelle gelegt haben. Seit elf Monaten versucht das Gericht die Schuldfrage zu klären. Die beiden angeklagten Polizisten Andreas S. und Hans-Ulrich M. sollen die Alarmsignale der Feuermelder anfänglich ignoriert und zu spät reagiert und so den Tod Jallohs mitverschuldet haben. Ein neues Brandgutachten (jW berichtete) wird frühestens Ende März erwartet, gab Frank Straube, Pressesprecher des Gerichts, gegenüber jW an.
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Rassismusvorwurf gegen Polizei in Halle beschäftigt Landtag
Frank Jansen
14.2.2008 0:00 Uhr
Magdeburg/Berlin - Der Fall liegt drei Jahre zurück und schien vergessen, doch jetzt wird sich der Landtag von Sachsen-Anhalt damit befassen. Abgeordnete aus allen Fraktionen (CDU, SPD, Linke, FDP) wollen von der Regierung Auskunft über die Folgen der rassistischen Äußerung eines leitenden Beamten in der früheren Polizeidirektion Halle. Nachdem im Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau der gefesselte Afrikaner Oury Jalloh verbrannt war, äußerte einen Monat später ein Polizeioberrat bei einer Dienstbesprechung: „Schwarze brennen nun mal länger“. Etwa 25 Kollegen hörten zu, nur einer widersprach. Dieser Oberrat wandte sich kurz darauf an den Präsidenten der Direktion, der an der Besprechung nicht teilgenommen hatte.
Für seinen Mut musste der Oberrat büßen: Er wurde derart gemobbt, dass er die Versetzung nach Dessau beantragte, die dann im März vollzogen wurde. Der Beamte, der den rassistischen Spruch von sich gegeben hatte, kam mit einem Verweis davon. Der Abteilungsleiter Polizei in der Direktion erstattete eine Anzeige wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, doch die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen rasch ein.
Die Abgeordneten wollen nun in der nächsten Sitzung des Innenausschusses von der Landesregierung wissen, wie es zur Versetzung kam. Nach Informationen des Tagesspiegels wurde der couragierte Oberrat in der Direktion Halle als „Nestbeschmutzer“ beschimpft, außerdem gab es in Anspielung auf seine niedersächsische Herkunft Bemerkungen wie „hier ist eine wessifreie Zone“. Anonyme Anrufer beschimpften ihn als „Wessi-Schwein“ und drohten mit Gewalt.
Der Fall wurde am Montag im Untersuchungsausschuss zur Polizeiaffäre bekannt, am Mittwoch besuchte Innenminister Holger Hövelmann (SPD) den Oberrat in Dessau. Hövelmann wollte sich hinterher nicht äußern. Nach Informationen des Tagesspiegels hatte der Minister dem Beamten versichert, er habe sich vorbildlich verhalten. Ein Sprecher des Ministeriums sagte, „wir prüfen, ob etwas gutzumachen ist“. Die Linksfraktion forderte, dass Hövelmann auch auf drei frühere Staatsschützer aus Dessau zugeht, die mit ihrem Widerstand gegen einen Vorgesetzten, der die Bekämpfung rechter Kriminalität bremsen wollte, die Polizeiaffäre ausgelöst hatten und ebenfalls schikaniert werden. Frank Jansen
http://www.tagesspiegel.de/politik/div/;art771,2476264
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Oury Jalloh-Prozess beobachten
Published Online karawane-info
Von: "karawane halle"
Datum: Di, 12.02.2008, 19:52
Vorgeschichte:
Am 07.01.05 kam es zu einem Brand im Dessauer Polizeigewahrsam, in der Zelle Nr. 5 starb Oury Jalloh. Seit März 2007 wird der Fall vor dem Dessauer Landgericht verhandelt. Durch die Anwälte der Nebenklage, die Oury Jallohs Mutter und Bruder vertreten, konnte erreicht werden, dass der Tod von Mario Bichtermann 2003 in den Prozess einbezogen wurde. Dieser starb unter demselben Dienstgruppenleiter, demselben Polizeiarzt und in derselben Zelle !!
Eigentlich hatte das Dessauer Landgericht geplant, in nur 6 Verhandlungstagen den Tod von Oury Jalloh aufarbeiten zu können. Inzwischen fanden bereits 38 Prozesstage statt.
Als Zeugen gehört wurden ein Freund Oury Jallohs und die Reinigungskräfte, die die Polizei am 07.01.05 gerufen hatten. Durch ihren Anruf war Oury Jalloh inhaftiert worden, obwohl sie keine Anzeige erstatten wollten. Ansonsten wurden der Polizeiarzt sowie Dessauer Polizisten bzw. Angestellte der Polizeidirektion Dessau befragt.
Die Polizisten widersprachen sich in ihren Aussagen und hatten offensichtlich versucht sich abzusprechen.
In dem Prozess geht es nicht darum, wie es zum Brand im Polizeigewahrsam kam und ob Oury Jalloh da noch lebte, sondern nur um das, was nach dem Brandausbruch geschah. Der vom Hauptangeklagten, dem Dienstgruppenleiter Sch., angegebene zeitliche Ablauf bildete die Grundlage der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und wurde nun auch im Prozess selbst nicht in Frage gestellt.
Das Konstrukt, auf dessen Grundlage dieser Prozess geführt wird, ist:
Der an Händen und Füßen gefesselte, betrunkene Oury Jalloh hätte die feuerfeste Ummantelung der Matratze aufgerissen (mindestens 8 cm²) und dann mit einem Feuerzeug die Matratze entzündet - und das alles bei über 3 Promille Blutalkohol!
Damit Oury Jalloh die Matratze hätte anzünden können, hätte der Polizist, der ihn durchsucht hat, ein Feuerzeug übersehen müssen. Auch dieser Polizist sitzt mit auf der Anklagebank.
Die Überreste eines Feuerzeugs befinden sich auch tatsächlich in den Asservatentüten (Tüten mit Beweismaterial), deren Inhalt aus der Zelle Nr. 5 stammen soll. Doch wie diese verkohlten Überreste eines Feuerzeugs zu den Beweismitteln kamen, konnte nach wie vor nicht geklärt werden. Sicher ist nur, dass das Feuerzeug erst 2 Tage nach der Spurensicherung in den Asservatentüten gefunden wurde.
Das Konstrukt kommt ins Wanken:
Am 23. Januar wurde dann endlich kein Polizist, sondern der Brandgutachter vernommen.
Es stellte sich heraus, dass - selbst wenn das Konstrukt der Staatsanwaltschaft stimmen sollte - Dienstgruppenleiter Sch. mehrere Minuten verstreichen lassen hat, in denen er Oury Jalloh hätte retten können.
Selbst wenn Oury Jalloh mit über 3 Promille noch fähig gewesen wäre,
1. ein Feuerzeug so zu verstecken, dass es die Polizei bei der Durchsuchung nicht finden konnte, und 2. er mit Handschellen an Händen und Füßen die feuerfeste Matratze aufreißen und anzünden konnte,
ist die Polizei in der Dessauer Polizeidirektion dafür verantwortlich, dass Oury Jalloh starb!
Daraufhin wurden jetzt mehrere schon angesetzte Prozesstermine ausgesetzt.
Ein neues Brandgutachten soll erstellt werden, in dem genau ermittelt werden soll, ab wann die Temperatur so hoch gewesen sein könnte (etwa 100 °C), dass Oury Jalloh durch einen Hitzetod hätte sterben können. Wie gesagt, wenn das Konstrukt der Staatsanwaltschaft stimmt...
Kommende Prozesstage:
9 Uhr Langericht Dessau, Willy-Lohmann-Straße 29
Im Februar: Mi, 13. und Di, 26. Februar 2008
Im März: Di 04., Do 06., Fr 07. und Mi 12. März 2008
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/