Erschienen am 08.04.2008 00:00
Fremdenfeindlichkeit
„Ich weiß, warum Du so braune Haut hast“
Ein Pfarrer und seine Familie verlassen aus Angst Rudolstadt. Doch Amtskirche und Kollegen haben Zweifel an dieser Version
Von Eike Kellermann
Rudolstadt – Im Studier- und Musikzimmer von Pfarrer Johannes Martin Weiss hängt eine Posaune. „Auch noch die Alte“, brummt er, die sei ganz ungeeignet als Foto-Hintergrund. Der Pfarrer sitzt lieber am Tisch, hinter ihm der Eichenschrank mit Wälzern über das Christentum, links ein Gitarrenkoffer, rechts neben dem Fenster ein Plattenspieler und Platten von Gerhard Schöne. Doch nach Musik steht Weiss derzeit nicht der Sinn. Denn Posaunenstöße hört er jeden Tag aus den Medien. Rudolstadt, wo der vollbärtige Mann Pfarrer an der Lutherkirche ist, steht in dem bösen Verdacht, fremdenfeindlich zu sein.
„Es gibt zwei Sichtweisen, mindestens“, sagt Weiss. Die Sichtweise, die er nicht teilt, ist die seines Kollegen Reiner Andreas Neuschäfer. Der 40-jährige Schulbeauftragte der Evangelischen Landeskirche für die Region Südthüringen, seine Frau und seine fünf Kinder wohnen seit vorigem Oktober nicht mehr in der Stadt mit der markanten Heidecksburg. Doch erst jetzt sind die Gründe bekannt geworden. „Wir haben den Druck nicht mehr ausgehalten“, sagt Neuschäfer. Die Familie habe sich gefragt, ob erst Blut fließen müsse.
Neuschäfers 32-jährige Frau Miriam hat eine indische Mutter. Das sieht man ihr und den fünf Kindern wegen der dunklen Haut und den tiefschwarzen Haaren an. Bekannte bezeichnen Miriam Neuschäfer als eine kluge Frau. Theologie hat sie studiert, bevor sie sich der Kinderbetreuung widmete. Sie ist Deutsche wie Jürgen Klinsmann, nur so blond ist sie eben nicht. Damit fällt man in Thüringen auf, wo es kaum Ausländer gibt und Deutsche mit dem viel erörterten Migrationshintergrund. Und das soll der Grund gewesen sein, dass die Neuschäfers nicht willkommen waren in Rudolstadt?
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Warnung vor
Verharmlosung
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Seit dieser Verdacht in der Welt ist, ist nichts mehr wie vorher. Die bündnisgrüne Vize-Präsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, warnte von Berlin aus vor einer Verharmlosung der Vorfälle. Landesbischof Christoph Kähler sah sich zu einer Kanzelabkündigung genötigt. Er verurteilte Fremdenfeindlichkeit, warnte aber auch – mit Hinweis auf den Fall des ertrunkenen Jungen im sächsischen Sebnitz – vor pauschalen Verdächtigungen und „falschem Zeugnis“. Bürgermeister Jörg Reichl (parteilos) kommt kaum noch zum Arbeiten, so viele Interviews soll er geben. Fremdenfeindlichkeit sei sicherlich in den Köpfen mancher seiner Mitbürger, gibt er nach ersten abwiegelnden Äußerungen zu. „Aber das ist nicht mehr oder weniger als anderswo.“
Doch Familie Neuschäfer, seit dem Jahr 2000 in Thüringen zu Hause, war es zu viel. Ihre Eigentumswohnung in dem gediegenen Viertel am Fuß der Heidecksburg steht nun zum Verkauf. Am Briefkasten klebt noch der Name und handschriftlich der ein wenig oberlehrerhafte Hinweis: „Bitte keine Werbung einwerfen. Wir verzichten gerne. Danke.“
Folgt man der Sichtweise von Reiner Andreas Neuschäfer, dann war es eine Flucht. Eine Flucht vor einer „Atmosphäre des Unverständnisses“. Nicht Rechtsextreme seien allein das Problem, sondern eine weit verbreitet Angst vor Andersartigkeit, die Sehnsucht nach überschaubaren Verhältnissen, die „Neo-Ostalgie“, wie es Neuschäfer nennt.
Ihm zufolge wurde seine Frau beispielsweise mitten in der Stadt von einem jungem Mann angespuckt. Seine Kinder seien in der Schule von anderen Kindern als „Ausländerschweine“, „Asiate“ oder „Chinese“ bezeichnet worden. Sein großer Sohn habe deshalb versucht, die braune Haut mit einer Wurzelbürste abzuschrubben. Die Erzieherin im Kindergarten, so Neuschäfer, fand den Vorfall damals eher amüsant.
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Hilflosigkeit in
der Schule
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Der inzwischen achtjährigen Tochter sei von einem Mitschüler gesagt worden: „Ich weiß, warum Du braune Haut hast. – Du schmierst Dich zu Hause mit Scheiße ein.“ Die Lehrerin habe nur hilflos gefragt, was sie denn machen solle. Andere empfahlen, die Neuschäfers – auf dem Familienfoto so deutsch wie aus dem Bilderbuch – sollten sich an den Ausländerbeauftragten (!) wenden.
Und dann gab es noch jene Prügelei vor einem Jahr. Jannik, der große Sohn war beteiligt, der Junge des Bürgermeisters und noch ein paar Gleichaltrige. Die Polizei bestätigte laut Neuschäfer, der Anzeige erstattet hatte, den fremdenfeindlichen Hintergrund. Doch Bürgermeister Reichl widerspricht mit Hinweis auf die Akten der Staatsanwaltschaft. Reichl zufolge waren neun Jungs an einer „Schulhofrangelei, wie sie jeden Tag vorkommt“, beteiligt. Jannik habe bei seiner Befragung durch die Polizei verneint, dass seine Hautfarbe eine Rolle spielte.
Auch Pfarrer Weiss, lange Zeit Beauftragter seiner Kirche für Asylbewerber, hat eine andere Sicht als Neuschäfer. Unstrittig seien „alltägliche Ressentiments“. Aber Neuschäfer heuchele, wenn er behaupte, dass es sie am neuen Wohnort der Familie in Nordrhein-Westfalen nicht gebe. Die Familie selbst habe ihre Integration in Rudolstadt „nicht sehr befördert“. Manche Konflikte seien von ihr auf Fremdenfeindlichkeit geschoben worden, wo es doch einen persönlichen Hintergrund gab.
Gegenüber einigen der 300 Religionslehrer, die er beriet und betreute, habe Neuschäfer selbst die von ihm geforderte Sensibilität vermissen lassen. In Kählers Bischofswort wird dem Pfarrer vorgehalten, seine Vorwürfe nicht zuerst mit der Kirchenleitung besprochen zu haben. Mehrere Gesprächsangebote und einen Stellenwechsel habe er nicht angenommen. Neuschäfers Replik: „Ich habe das Gefühl, nun vom Opfer zum Täter gemacht zu werden.“
Trotzdem gibt es mehr als seine Sicht. In einem Gottesdienst, erzählt Weiss, habe Neuschäfers Sohn Jannik („ein ausgesprochen aggressives Kind“) ein Gesangbuch auseinander genommen. Trotz Aufforderung eines Kirchenältesten sei der Vater nicht eingeschritten. Beleg einer antiautoritären Erziehung, die für Disziplin-gewöhnte Ostdeutsche ein Kulturschock ist? Neuschäfer sagt, Rudolstadts Superintendent Peter Taeger habe ihn einen „arroganten Wessi“ genannt. „Das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen“, entgegnet Pfarrer Weiss.
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Widerstand
gegen Rechte
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Zur anderen Sicht gehört der Blick auf das Fotogeschäft, in dem Frau Neuschäfer angeblich nicht bedient wurde. Es wirbt im Internet mit Hochzeitsfotos von einem Paar, bei dem die Braut erkennbar ein asiatisches Aussehen hat. Weiss ist zudem der Hinweis wichtig auf den erfolgreichen Widerstand der Kirchgemeinde gegen eine Demonstration von Rechtsextremen im Ortsteil Volkstedt. „Da ist es kontraproduktiv, was er jetzt so treuherzig zur Sprache bringt“, sagt der Pfarrer über seinen Kollegen. In Rudolstadt sei auch das der Normalfall: Die Hilfe für Asylbewerber mit Geld, Wohnungen und Arbeitsplätzen.
Ein Indikator für die Weltoffenheit der Stadt und ihrer 25 000 Einwohner ist schließlich das Tanz- und Folkfest. Zehntausende kommen zu diesem Hochamt der Worldmusic mit Musikern aus aller Herren Länder. Am Festival-Wochenende stehe im Polizeibericht weniger als sonst, sagt Pfarrer Weiss. Das ist seine Botschaft über Rudolstadt. Eine Botschaft, die hinauszuposaunen ihm weit besser gefiele.
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Pressemitteilung 75-08
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen
02. April 2008
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Grüne streiten für weltoffenes und tolerantes Thüringen
Astrid Rothe-Beinlich: Keine Scheuklappen - Gesicht zeigen gegen Fremdenhass
Eigentlich war sie nach Rudolstadt gekommen um zu bleiben -- die Pfarrersfamilie Neuschäfer. Nach 7 Jahren anhaltenden Misstrauens und permanenter Attacken gab sie auf. Grund: Frau Neuschäfer hat eine
indische Mutter, alle fünf Kinder der Neuschäfers haben dunkle Haare und eine etwas dunklere Hautfarbe. Permanent sahen sie sich fremdenfeindlichen Übergriffen und unterschwelligem Rassismus ausgesetzt. Dies war für die Familie auf Dauer nicht auszuhalten.
"Die Geschichte der Familie ist bedrückend und macht zugleich deutlich, was lieber verschwiegen wird: die Fremdenfeindlichkeit in Thüringen muss erschrecken und ist leider nahezu allgegenwärtig. Sie tritt direkt und indirekt zu Tage. Beistand für die Betroffenen dieser Menschenfeindlichkeit gibt es kaum, zumal wenn deren einziger Wunsch ist, hier ganz normal zu leben, als Mensch unter Menschen und nicht als Fremder oder Opfer", so Astrid Rothe-Beinlich, Landessprecherin der Thüringer Bündnisgrünen, die zudem aktives Mitglied im Flüchtlingsrat und bei mobit ist.
"Dass Fremdenfeindlichkeit in Thüringen weit verbreitet ist, ist eigentlich bekannt. So wurde mit dem jüngsten Thüringen-Monitor 2007 deutlich, dass 48 % der Befragten der Meinung sind, Ausländer kämen, um
den Sozialstaat auszunutzen, 52 % meinen gar, die Bundesrepublik würde durch Ausländer überfremdet. 19 % antworten, Ausländer sollten nur unter eigenen Landsleuten heiraten. Faktisch macht dies deutlich, dass in
einem Land wie Thüringen mit einem nahezu verschwindend geringen Anteil ausländischer Mitbürger eine regelrecht offene Ausländerfeindlichkeit an der Tagesordnung ist", gibt Astrid Rothe-Beinlich zu bedenken.
"Statt über Abwanderung und demografischen Wandel zu jammern, wollen wir Menschen aller Länder und Kulturen vielmehr nach Thüringen einladen und ihnen hier eine Heimat bieten. Im Zeitalter der Globalisierung sollte
auch in Thüringen Anerkennung finden, dass Vielfalt und unterschiedliche Herkünfte vielmehr bereichern können, wenn Integration von Anfang an tatsächlich von allen Seiten angestrebt wird. Deshalb fordern wir die
Landesregierung auf, sich für Thüringen als weltoffenes und tolerantes Land stark zu machen und Fremdenfeindlichkeit in jeglicher Form eine klare Absage zu erteilen", so Astrid Rothe-Beinlich weiter.
"Thüringens Schulen wollen wir dafür gewinnen, sich an dem Projekt `Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage` zu beteiligen. Dies ist eine tolle Möglichkeit, um sich mit Kindern und Jugendlichen über eine
Selbstverpflichtung dieser Thematik zu nähern und für Toleranz zu werben, sowie das scheinbar Fremde bekannt zu machen", schlägt die grüne Landessprecherin vor.
Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage (SOR-SMC) ist ein Projekt von und für SchülerInnen, die gegen alle Formen von Diskriminierung, insbesondere Rassismus, aktiv vorgehen und einen Beitrag zu einer gewaltfreien, demokratischen Gesellschaft leisten wollen. Nähere Informationen zu diesem Projekt, welches bundesweit schon
MitstreiterInnen gefunden hat und von VertreterInnen aller Parteien, Gewerkschaften und Kirchen unterstützt wird finden sich hier:
http://www.schule-ohne-rassismus.org/faq.html
Familie Neuschäfer fühlt sich in ihrer neuen Heimat Erkelenz endlich wohl.
"Wir bedauern sehr, dass die Familie Thüringen verlassen musste, um Frieden zu finden. Wir wünschen ihr alles Gute. Unser Ziel ist es, dass wir diesen Frieden und damit ein Zuhause künftig auch in Thüringen bieten können. Doch dahin ist es noch ein weiter Weg. Es gilt immer wieder Gesicht zu zeigen und nicht stillschweigend hinzunehmen, dass Menschen, nur weil sie anderen fremd sind, stigmatisiert und diskriminiert werden. Schließlich ist unser Leitspruch: es ist normal, verschieden zu sein", schließt Astrid Rothe-Beinlich.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung, Mario Amling, 0361-5765034
Familie flüchtet vor Rassismus
"Mama, was ist ein Nigger?"
VON MARKUS DECKER
Pfarrer Neuschäfer und seine Familie
+ Pfarrer Neuschäfer und seine Familie (privat)
Eisenach. Die zuständige Oberkirchenrätin versucht gar nicht erst, die Sache schön zu reden. "Ich finde das gelinde gesagt katastrophal", sagt Marita Krüger. Dann setzt die Protestantin aus dem thüringischen
Eisenach hinzu: "Es ist im Osten Deutschlands manchmal nicht leicht, wenn man anderer Hautfarbe ist."
Fremdenfeindlichkeit existiere schließlich auch in Kirchengemeinden. Das freilich in Ost und West. Der Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer und seine Familie sind augenscheinlich Opfer dieser Fremdenfeindlichkeit
geworden.
Im Jahr 2000 zog das Ehepaar Neuschäfer aus dem Rheinland in die thüringische Kleinstadt Rudolstadt, die für sich selbst damit wirbt, "heimliche Geliebte Schillers" zu sein. 2007 - man muss es so sagen - haben das Paar und die inzwischen fünf Kinder die Flucht ergriffen: von Deutschland Ost nach Deutschland West.
Neuschäfer, in Köln-Kalk geboren und als Pfarrer in Gummersbach und Bergneustadt tätig gewesen, war in Thüringen die Stelle eines Schulbeauftragten angeboten worden. Er griff zu. Der 40-Jährige erteilt Religionsunterricht an staatlichen Gymnasien in Saalfeld und Bad Blankenburg. Und er betreut 300 andere Lehrer, die es ihm in Südthüringen gleich tun. Neuschäfer mag seinen Job. Die Familie kaufte sich in Rudolstadt ein Haus. Sie kam, um zu bleiben.
"Wir sind nicht mal schwarz-braun"
Das allerdings erwies sich als schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Denn Miriam Neuschäfer hat eine indische Mutter. Die 32-Jährige selbst und ihre Kinder haben schwarze Haare und eine dunklere Hautfarbe als andere
Menschen in Thüringen.
"Wir sind nicht mal schwarz-braun, sondern noch relativ hell", sagt sie. "Aber es hat gereicht." Beleidigungen waren an der Tagesordnung. Ein Kind kam mit der Frage nach Hause: "Mama, was ist ein Nigger?" Es hatte die Frage aus der Schule mitgebracht.
Der älteste Sohn Jannik Jonas wurde in der Schule von Gleichaltrigen verprügelt - und musste zwei Wochen zu Hause bleiben. Die Schulleitung, sagt Neuschäfer, unternahm wenig, was das Entsetzen noch vergrößerte.
Entschuldigung von Eltern der kleinen Schläger - Fehlanzeige.
Schlimmer für den Jungen waren womöglich seelische Kränkungen. So wurde Jannik Jonas in den sieben Jahren seines Rudolstädter Lebens nicht ein einziges Mal zu einem Kindergeburtstag eingeladen. Miriam Neuschäfer
sagt, sie sei in der Öffentlichkeit grundsätzlich geduzt worden. In manchen Geschäften habe man sie nicht bedient. ",Sowas hat man früher zwangssterilisiert!' - das haben mir die Leute ins Gesicht gesagt."
Während der Pfarrer wenigstens beruflich integriert war, lebten seine Frau und die Kinder im Alter von zehn, acht, fünf, drei und einem Jahr in fast vollständiger Isolation. Irgendwann, sagt Miriam Neuschäfer, "ging es nicht mehr".
Rudolstadts parteiloser Bürgermeister Jörg Reichl sagt dazu: "Mir sind außergewöhnliche VorVorkommnisse nicht bekannt. Es wird manches übertrieben. Hier herrscht keine Ausländerfeindlichkeit."
Ausweg: "Zweitwohnsitz"
Im vorigen Herbst bezogen die Neuschäfers einen "Zweitwohnsitz" im rheinischen Erkelenz; dort haben sie familiäre Kontakte. Und Reiner Andreas Neuschäfer pendelt seither jede Woche zwischen Rudolstadt und
Erkelenz hin und her. Die Distanz beträgt 430 Kilometer. Die Fahrt dauert vier Stunden. Weil das auf Dauer kein Zustand ist, sucht der keineswegs verbitterte Mann jetzt eine Stelle als Schulbeauftragter im
Rheinland. Doch ganz einfach ist der Wechsel nicht. "Es ist schwierig, vom Osten in den Westen zurückzugehen", sagt Neuschäfer. "Osterfahrung ist eher nicht so das, was gesucht wird." Mauern stehen nicht bloß in Thüringen.
Anfänglich waren andere Lösungen im Gespräch. Die ebenso verständnisvolle wie ratlose Oberkirchenrätin Krüger hatte dem Pfarrer vorgeschlagen, eine Pfarrstelle an der früheren innerdeutschen Grenze anzunehmen - auf thüringischem Gebiet. Die Kinder hätten in Hessen oder Bayern zur Schule gehen können. Doch dann, so Neuschäfer, hätten die Gemeindemitglieder gefragt, ob denn die Pfarrerskinder etwas Besseres sind als ihre eigenen.
Zuletzt hatte der Gottesmann auch noch Ärger mit der Kirchenleitung. Neuschäfer hatte in der Kirchenzeitung Glaube und Heimat einen Artikel veröffentlicht, in dem er sich mit der Hetzjagd auf Inder im sächsischen
Mügeln befasst.
Darin verweist er auf die Erfahrungen seiner Familie und schreibt: "Eine ebenso unheimliche wie unterschwellige Feindlichkeit gegenüber Fremdem, Unheimlichem und Anderem gibt es bei uns in Ostdeutschland sowohl bei ,den' Rechten als auch bei ,den' Linken. Auch im Raum der Kirche sind nicht automatisch alle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit!" Die Kirchenleitung habe ihn daraufhin aufgefordert, solche Beiträge nicht nochmal zu veröffentlichen, sagt Neuschäfer. Einen Monat später verließ die Familie Rudolstadt.
"Einzelne haben uns Mut gemacht"
Das Fazit des Pfarrers ist kurz: Wenn die Ostdeutschen das fremdenfeindliche Erbe der DDR nicht aufarbeiteten, werde das Problem nicht zu lösen sein. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), stellt zu dem Fall fest: "Dass Menschen sich - zugespitzt formuliert - im eigenen Land auf die Flucht machen müssen, kennt man eigentlich nur aus nicht-demokratischen Ländern. Es sollte im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit sein, ohne Angst verschieden sein zu können."
Edathy kämpft seit Jahren gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Auch sein Vater war Inder - und Pfarrer. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), sieht "die Zivilgesellschaft gefordert". Es gehe darum, eine Atmosphäre der Gastfreundschaft über alle kulturellen Differenzen hinweg zu schaffen.
"Wer selbst leise Diskriminierung in seiner Nähe wahrnimmt, sollte das zur Sprache bringen", sagte Tiefensee der Frankfurter Rundschau. An den Realitäten, wie sie sich in Rudolstadt darboten, ändert das wenig.
"Einzelne haben uns Mut gemacht", sagt Reiner Andreas Neuschäfer. "Aber wir sind nicht prädestiniert dafür zu kämpfen. Wir können unsere Familie nicht zum Opfer machen." In Erkelenz gebe es keine Anfeindungen. "Wir
sind seit 13 Jahren verheiratet - und glücklich. Den Kindern geht es wunderbar. Das ist wie ein neues Leben."