-Prozess um Tod von Oury Jalloh muss womöglich neu beginnen
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-Jalloh-Prozess: Brand in Dessauer Polizeizelle wird nachgestellt
http://www.lvz-online.de/aktuell/content/60734.html
Sechseinhalb Minuten bis zum Hitzetod
Feuerwehrinstitut stellt die letzten Sekunden Oury Jallohs nach / Krankheitsfälle gefährden Prozess
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Neues Gutachten soll Todesursache Oury Jallohs in Polizeizelle klären - Brand in Feuerwehrinstitut simuliert Von Gudrun Oelze
http://www.pr-inside.com/de/detailgetreu-nachgestaltet-r556987.htm
«Detailgetreu nachgestaltet»
(PR-inside.com 25.04.2008 11:47:17)
Heyrothsberge (AP) Es ist, als sollte Oury Jalloh noch einmal sterben. Die originalgetreue Kopie der Gewahrsamszelle des Dessauer Polizeireviers, in der der 23-jährige Mann aus Sierra Leone am 7. Januar 2005 umkam, ist im sachsen-anhaltischen Feuerwehrinstitut in Heyrothsberge bei Magdeburg nachgebaut. Gleich wird Klaus Steinbach ein Feuerzeug an einen Riss in der mit Kunstleder bezogenen Matratze halten und zündeln. Dann wird die Tür verschlossen und der Brandsachverständige wird die Vorgänge in der Zelle von außen über Video verfolgen.
Er tut es im Auftrag des Landgerichtes Dessau-Roßlau, das sich seit mehr als einem Jahr müht, den mysteriösen Feuertod des Asylbewerbers aus Westafrika aufzuklären. Zwei Polizisten wird vorgeworfen, am Tod Jallohs mit schuldig zu sein. Der alkoholisierte Mann wurde im Januar vor drei Jahren in Gewahrsam genommen. Mehrere Frauen hatten sich von ihm belästigt gefühlt und die Polizei gerufen. Kurz nach seiner Einlieferung aufs Revier war er tot - nach bisherigen Erkenntnissen starb der an Händen und Füßen gefesselte Mann durch Hitzeschock bei einem Brand, den er mit einem Feuerzeug an seiner Matratze selbst entzündet haben soll.
Auf Beschluss des Gerichtes soll der Versuch im Feuerwehrinstitut nun exakte Daten über die Temperatur- und Rauchentwicklung im Kopf- und Oberkörperbereich des Mannes bringen, um nach gerichtsmedizinischer Auswertung dann die genaue Todesursache zu erfahren.
In der Versuchshalle wurde dafür ein etwa 4,5 Meter langer, 2,5 Meter breiter und 2,4 Meter hoher Raum, den Maßen der Dessauer Gewahrsamszelle entsprechend, aufgebaut, Wand und Fußboden teilweise gefliest. «Die Liegefläche ist detailgetreu nachgestaltet», sagt Steinbach.
Auf einem gefliesten niedrigen Podest befindet sich eine Matte genau wie die, auf der Jalloh starb. Auf ihr liegt ein Dummy, bekleidet mit T-Shirt, Kordhose und Strümpfen. Über seinem Kopf und Oberkörper hängen Sensoren, insgesamt elf. Ein Messfühler ist direkt über der Mundöffnung angebracht, andere im Abstand von jeweils zehn Zentimetern.
Zwtl: Hitzeschock oder Rauchgasvergiftung
Wenn die Schaumstofffüllung der Matratze Feuer gefangen hat, wird genau sieben Minuten später der Brand mit einem Handfeuerlöscher gelöscht. Nur innerhalb dieser Frist wäre eine Rettung des Asylbewerbers überhaupt möglich gewesen», erläutert Steinbach. Was während dieser Zeit in der Zelle vorgeht, zeichnen Videokameras sowohl als Echtbild als auch als Infrarotaufnahmen auf.
Den Experten im Feuerwehrinstitut geht es vor allem um die Temperatur- und Rauchentwicklung im Kopfbereich. Werden dort am Ende des Versuchs weniger als 150 Grad Celsius gemessen, wird Hitzeschock als Todesursache möglicherweise fraglich, wenngleich der Kreislauf des Mannes durch Alkohol und Betäubungsmittel beeinträchtig war. Umso interessanter werden dann die Rauchgasmessungen. Verbrennt Schaumstoff, entweichen giftige Gase, die tödlich sein können, wie der Brandschutzexperte sagt.
Sein Gutachten werde er dem Landgericht Dessau in der zweiten Maihälfte übermitteln, schätzt Steinbach. Er liefere jedoch nur Daten, Schlussfolgerungen zur tatsächlichen Todesursache Jallohs können nur Mediziner ziehen.
Zwtl: Beamter soll Rauchmelder-Signal ausgeschaltet haben
Der nächste reguläre Verhandlungstag in diesem sich schon 13 Monaten dahin schleppenden Prozess ist der 16. Mai. Zwei vorherige Termine wurden abgesagt, weil einer der beiden angeklagten Polizisten, der damalige Dienstgruppenleiter Andreas S., einen Schlaganfall erlitt. Ihm wird vorgeworfen, das Signal des Zellen-Rauchmelders zwei Mal ausgeschaltet und ignoriert haben.
Der Staatsanwaltschaft zufolge könnte Jalloh womöglich noch leben, wenn ihm gleich nach Ertönen des ersten Signals geholfen worden wäre. Der zweite Mitangeklagte, der Streifenpolizist Hans-Ulrich M., soll bei der Durchsuchung das Feuerzeug des in Gewahrsam genommenen Asylbewerbers übersehen haben. In der Hauptverhandlung sollen nach Auskunft eines Gerichtssprechers alle Beamten des Polizeireviers Dessau, die am Todestag von Oury Jalloh Dienst hatten, als Zeugen gehört werden.
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Aktuell
Jalloh-Prozess: Brand in Dessauer Polizeizelle wird nachgestellt
Heyrothsberge. Mehr als drei Jahre nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle wird der Brand am Freitag zum wiederholten Mal nachgestellt. Von der Rekonstruktion am Institut der Feuerwehr in Heyrothsberge bei Magdeburg erhofft sich das Landgericht Dessau-Roßlau neue Erkenntnisse über das damalige Geschehen, das bislang nicht restlos aufgeklärt werden konnte. Für die Brandversuche wurde die Gewahrsamszelle in dem Institut nachgebaut. Der 23-jährige Afrikaner war im Januar 2005 bei einem Feuer in der Zelle gestorben, das er trotz Fesselung selbst entfacht haben soll.
Seit einem Jahr stehen deshalb in Dessau-Roßlau zwei Polizisten vor Gericht: Einem Ex-Dienstgruppenleiter wird Körperverletzung mit Todesfolge, einem zweiten Polizisten fahrlässige Tötung vorgeworfen, jeweils durch Unterlassen. Sie sollen dem Opfer nicht rechtzeitig geholfen haben. Am 15. April war der Prozess für unbestimmte Zeit unterbrochen worden, weil ein Angeklagter einen Schlaganfall erlitt.
dpa
Prozess um Tod von Oury Jalloh muss womöglich neu beginnen
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Der Prozess um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh vom Januar 2005 muss möglicherweise wegen der Erkrankung mehrerer Prozessbeteiligter von vorn beginnen. Nachdem bereits einer der angeklagten Polizisten einen Schlaganfall erlitten hatte, sei nunmehr auch einer der beiden Schöffen auf die gleiche Weise erkrankt, sagte der Sprecher des Landgerichts Dessau, Frank Straube.
Dessau-Roßlau (ddp-lsa). Der Prozess um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh vom Januar 2005 muss möglicherweise wegen der Erkrankung mehrerer Prozessbeteiligter von vorn beginnen. Nachdem bereits einer der angeklagten Polizisten einen Schlaganfall erlitten hatte, sei nunmehr auch einer der beiden Schöffen auf die gleiche Weise erkrankt und werde noch im Krankenhaus behandelt, sagte der Sprecher des Landgerichts Dessau, Frank Straube, am Freitag auf Anfrage, der damit einen Vorbericht des MDR-Magazins «Sachsen-Anhalt heute» bestätigte. Der Vorfall habe sich ereignet, nachdem die Hauptverhandlung bereits unterbrochen war.
Straube sagte, falls die beiden Erkrankten nicht innerhalb von neun Wochen wieder verhandlungsfähig seien, müsse die Hauptverhandlung neu eröffnet werden. Der Prozess war am 15. April auf unbestimmte Zeit unterbrochen worden.
Der Asylbewerber war am 7. Januar 2005 nach Ausbruch eines Feuers im Polizeigewahrsam gestorben. Der zuvor wegen Belästigung festgenommene Mann soll die Matratze seiner Zelle angezündet haben, obwohl er an Händen und Beinen gefesselt war. Eine Rekonstruktion der Fesselung ergab, dass der Afrikaner für das Entzünden des Feuers genügend Bewegungsfreiheit hatte.
Seit März 2007 müssen sich zwei Polizisten vor Gericht verantworten. Sie sollen nicht schnell genug auf die Hilferufe des späteren Opfers reagiert haben.
Am Freitag wurde im Institut der Feuerwehr in Heyrothsberge bei Magdeburg der Brand noch einmal nachgestellt, um Aufschlüsse über die genauen Todesumstände zu bekommen. Im Januar hatte das Gericht ein neues Gutachten über das Geschehen in Auftrag gegeben.
(ddp)
Ad-Hoc-News.de - 25.04.2008 16:50
Artikel-URL: http://www.ad-hoc-news.de/Marktberichte/16527844
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Sechseinhalb Minuten bis zum Hitzetod
Feuerwehrinstitut stellt die letzten Sekunden Oury Jallohs nach / Krankheitsfälle gefährden Prozess
Von Hendrik Lasch, Heyrothsberge
Im Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle. Wie der Flüchtling zu Tode kam, soll ein neues Gutachten klären, für das gestern der Brand nachgestellt wurde. Ob der Prozess weitergeht, ist aber offen.
Das Feuerzeug hält Klaus Steinbach in einer Wandnische an die Matratze. Dort ist die rechte Hand der Puppe, die er mit schwarzer Hose und hellem Hemd bekleidet in den teilweise gefliesten Nachbau einer Zelle gelegt hat, an einen Metallbügel gefesselt. Die Naht der in Kunstleder gehüllten Matratze hat der Brandoberrat aufgetrennt, um die Füllung aus Polyurethan entzünden zu können. »Wir glauben, dass es einen solchen Riss gegeben hat«, sagt Steinbach, »sonst entzündet sich die Matratze nicht.«
Am Mittag des 7. Januar 2005 brannte die Unterlage, die in der Gewahrsamszelle 5 des Polizeireviers Dessau auf einem flachen Sockel lag. Darauf hatte seit dem Morgen der 21 Jahre alte Flüchtling Oury Jalloh gelegen. Einer späteren Expertise zufolge war der Mann aus Sierra Leone, der inhaftiert worden war, weil er einige ABM-Kräfte behelligt haben soll, höchstens sechseinhalb Minuten, nachdem die Füllung der feuerfesten Matratze in Flammen aufgeging, tot – gestorben an einem Hitzeschock. Die Polizisten, in deren Obhut sich Jalloh befand, reagierten nicht schnell genug. Gelöscht wurde der Brand erst nach einer halben Stunde von der Feuerwehr.
Ob Jalloh durch geschwinderes Handeln hätte gerettet werden können, versucht seit einem Jahr das Landgericht Dessau zu klären, wo zwei Beamte auf der Anklagebank sitzen. Für die Klärung der Frage, wieviel Zeit vor allem der Dienstgruppenleiter gehabt hätte, hat Steinbach in einer Metallhalle am Institut der Feuerwehr in Heyrothsberge seine Versuchsanordnung aufgebaut: einen Container, der die Zelle darstellt und in dem die Kunststoffpuppe liegt, Bündel von Kabeln und Schläuchen sowie einen Tisch voller Messgeräte.
Sieben Minuten dauert der Versuch; länger, so die Annahme, hätte Jalloh bei einer Temperatur von 150 Grad in Kopfnähe und starker Rauchentwicklung ohnehin nicht überlebt. Wie schnell die Hitze in dieser Zeit aber tatsächlich anstieg und wie schnell der Raum voller giftigem Zyanwasserstoff und Kohlenmonoxid war, soll Steinbach im Auftrag des Richters noch einmal akribisch prüfen. Die Schlussfolgerung, wie lange Jalloh eine Überlelebschance gehabt hätte, überlässt er den Gerichtsmedizinern; auf die Frage, ob die Beamten, die einen Feuermelder zunächst ignorierten, rechtzeitig in der Zelle hätten sein können, muss das Gericht antworten. »Wir«, sagt Steinbach, »liefern nur die Daten.«
Die Rekonstruktion der qualvollen letzten Minuten im Leben Oury Jallohs beschäftigte den 63-Jährigen gestern schon zum dritten Mal. Für zwei Gutachten wurden bereits Versuche in der Originalzelle angestellt. Zunächst sei man von einer falschen Entzündungsstelle ausgegangen, sagt er; eine zweite Expertise warf beim Gericht neue Fragen auf. Dass der Ablauf nicht noch einmal in der Originalzelle nachgestellt wird, hat Kostengründe, sagt Steinbach: »Man müsste hinterher renovieren und die Lüftungsanlage austauschen.«
In den Hallen des Heyrothsberger Instituts, das seit 40 Jahren existiert und bundesweit einzigartig ist, sind solche Versuche Routine – auch wenn es meist nicht um so tragische Fälle wie beim Tod Oury Jallohs geht. Zuvor hat Steinbach Untersuchungen dazu angestellt, wie ein Reetdach brennt und wie es besser gegen Feuer geschützt werden kann. Auch Experimente zum Brandschutz in Tunnels oder zur Schutzwirkung von Feuerwehr-Kleidung finden hier statt, sagt Direktor Reinhard Grabski. Ein Medieninteresse wie beim gestrigen Versuch erlebt die Einrichtung selten: »Das liegt wohl an der politischen Brisanz.«
In der Tat wird die Aufklärungsarbeit des Gerichtes vor allem in der afrikanischen Gemeinde mit Argwohn beobachtet. Dort hält man allerdings bereits die These für wenig plausibel, dass das spätere Opfer die Matratze selbst angezündet hat – eine Annahme, die Steinbach für das gestrige Experiment indes vorgegeben wurde.
Ob dessen Mitte Mai vorliegendes Gutachten für die Verhandlung überhaupt noch von Belang ist, ist derzeit offen. Nachdem zunächst der Hauptangeklagte einen Schlaganfall erlitten hatte, ereilte nun das gleiche Schicksal einen Schöffen. Damit gerät der Ablauf des Prozesses in Gefahr: Die Pausen zwischen zwei Verhandlungsterminen dürfen höchstens zehn Wochen betragen, sagte ein Beteiligter gestern; drei Wochen seien bereits verstrichen. Kann einer der beiden Kranken nicht in den Verhandlungssaal zurückkehren, platzt das Verfahren – und muss ganz von vorn aufgerollt werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/127848.html
25.04.2008