Ein verbrannter Gefangener und ein geächteter Aufklärer
Aus der Berliner Morgenpost vom 29. Mai 2008
Menschenrechte: Amnesty International kritisiert Deutschland wegen ungeklärter Todesfälle in Haft - In Dessau steht ein mutiger Polizist allein Von Dirk Banse
Die Zelle, in der Asylbewerber Oury Jalloh vor drei Jahren unter ungeklärten Umständen verbrannte
Dessau - Die Atmosphäre war ungezwungen, als sich die Dienststellenleiter der Polizeidirektion von Halle an der Saale am Morgen des 10. Februar 2005 zu einer Besprechung trafen. Es wurde viel geredet, gescherzt und gelacht. Dabei waren die Themen, die die 20 bis 30 Teilnehmer der Runde diskutierten, alles andere als lustig. Es ging beispielsweise um den qualvollen Tod des Afrikaners Oury Jalloh, der einen Monat zuvor, an Händen und Füßen gefesselt, in einer Dessauer Zelle verbrannt war.
Bis heute ist der Fall weder aufgeklärt noch ein Urteil gesprochen worden. Der Prozess gegen zwei Polizisten vor dem Landgericht Dessau-Rosslau wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge beziehungsweise der fahrlässigen Tötung zieht sich hin. Am kommenden Montag ist der nächste Verhandlungstag angesetzt. "Das Strafverfahren läuft ziemlich schleppend, weil sich keiner der beteiligten Polizisten erinnern kann", sagt die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Deutschland, Barbara Lochbihler. Sie kritisiert in diesem Zusammenhang die Arbeit der Ermittler: "Wenn Menschen zu Tode kommen, dann muss das besser aufgeklärt werden."
Nur einer war entsetzt
An der Lösung des Falles schienen aber nach Recherchen dieser Zeitung selbst hochrangige Polizeiführer nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein. Als die Umstände des Feuertodes von Oury Jalloh bei jenem Treffen im Februar 2005 erörtert wurden, bemerkte beispielsweise der Leiter des zentralen Verkehrsdienstes von Halle, Reinhard S., nur lapidar: "Schwarze brennen eben mal länger." Von seinen Kollegen aus der Führungsebene der Polizeidirektion Halle störte sich nur einer an dem fremdenfeindlichen Ausspruch. Dem Dezernatsleiter für Aus- und Fortbildung, Heinz-Günther Buß, stieg die Zornesröte ins Gesicht, als er seinen Kollegen hörte. Er drehte sich zu ihm um und sagte: "Das gibt es ja wohl nicht."
Schlagartig verstummte die Runde. Ungläubig starrten die Anwesenden den Polizeioberrat an. Statt Zustimmung spürte er nur Ablehnung. Aus dieser wurde Hass, als Heinz-Günther Buß vier Tage später den Polizeipräsidenten von Halle über den Vorfall informierte. Von nun an war der Polizist, der 1992 aus dem niedersächsischen Emden nach Sachsen-Anhalt gekommen war, isoliert. Der heute 59-Jährige spricht von einer Welle des Mobbings, die er danach erlebt habe.
Inzwischen hat sich Buß in die Polizeidirektion Dessau versetzen lassen. Polizeipräsident Walter Schumann und der Leiter des zentralen Verkehrsdienstes, der sich über den Tod des Afrikaners lustig gemacht hatte, sind dagegen nach wie vor in ihren Ämtern. Das Verfahren wegen Volksverhetzung gegen Reinhard S. wurde eingestellt. Er erhielt lediglich einen Verweis. Während er und sein Kollege glimpflich davonkamen, durchlebte Heinz-Günther Buß eine Zeit des Leidens. Davon hätte die Öffentlichkeit vermutlich nie erfahren, doch einer seiner Kollegen machte den Fall im Februar publik. Er berichtete von den Vorfällen vor dem Untersuchungsausschuss, der derzeit wegen mehrerer Polizeiaffären in Sachsen-Anhalt tagt.
"Ich wollte eigentlich über die ganze Sache schweigen, um das Ansehen der Polizei nicht zu beschädigen. Außerdem gibt es bei uns viele hochanständige Mitarbeiter, die ich nicht einer pauschalen Verurteilung aussetzen wollte. Aber es stimmt: Ich bin durch die Hölle gegangen", sagt Buß.
Wie diese aussah, wird aus Beschreibungen von Bekannten und Kollegen deutlich. Der weltoffene Polizist aus dem Westen, für den die Würde des Menschen unantastbar ist, war den Altkadern von Anfang an suspekt. Dass er den Leiter des zentralen Verkehrsdienstes für dessen Aussage rügte, habe ein großer Teil der Belegschaft als Verstoß gegen den Korpsgeist gesehen. Buß wurde nicht mehr gegrüßt, auf den Fluren des Polizeipräsidiums raunten seine Kollegen Worte wie "Nestbeschmutzer" oder "Wessischwein". Weder vom damaligen Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) noch vom Polizeipräsidenten Walter Schumann habe er Rückendeckung bekommen. "Sie haben versucht, die Sache herunterzuspielen", sagt Buß.
Als "Nestbeschmutzer" beschimpft
Gleichzeitig wurde der Polizeioberrat von anderer Seite massiv unter Druck gesetzt. Er bekam anonyme Drohanrufe und geriet durch eine Intrige von Kollegen selbst in Verdacht, fremdenfeindlich zu sein. Buß stand vor einem Nervenzusammenbruch und trug sich mit Ausstiegsgedanken. Doch er entschloss sich weiterzukämpfen. Seine Familie und seine Freunde hätten ihm Halt gegeben und daran erinnert, dass er immer ein vorbildlicher Polizist war. In Halle hatte Buß beispielsweise den Polizeisportverein geleitet und neun Kinder- und Jugendprojekte gegen Gewalt, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit ins Leben gerufen. Dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet. "Der Polizeisportverein Halle unter Leitung von Herrn Buß war in dieser Hinsicht bundesweit beispielgebend", sagt der Sprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes, Walter Mirwald.
Doch das Selbstbewusstsein des Vorbildpolizisten schwand in dem Maße, in dem sich die Kollegen von ihm abwandten oder ihn aggressiv angingen. Buß sagt, er habe sich zeitweise wie ein Täter gefühlt. Der Glaube an die Gerechtigkeit sei ihm abhandengekommen.
Doch nach Bekanntwerden der Mobbing-Vorfälle erhielt Buß auch Unterstützung aus der Politik. Der neue Innenminister Holger Hövelmann (SPD) traf sich mit ihm mehrfach zu persönlichen Gesprächen. "Der Minister ist entsetzt über diese fremdenfeindliche Äußerung. Leider ist es aber nicht möglich, das Verfahren gegen den Polizeioberrat neu aufzurollen", sagt Hövelmanns Sprecher Martin Krems. In einem Brief und bei den Treffen sei Buß aber für sein couragiertes Verhalten ausdrücklich gelobt worden.
Heinz-Günther Buß sagt, er würde immer wieder so handeln. "Ich bin kein Held. Aber als ein guter Polizist darf man solche Entgleisungen wie die meines Kollegen nicht hinnehmen", sagt er. In wenigen Monaten wird Buß seine Uniform aus Altersgründen in den Schrank hängen. Dann verliert Sachsen-Anhalt einen guten Polizisten.
Aus der Berliner Morgenpost vom 29. Mai 2008 http://www.morgenpost.de/content/2008/05/29/politik/964827.html
+++
Politik
Ungeklärt: Der Fall Oury Jalloh
Dessau - Der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh starb am 7. Januar 2005 zwischen 12 Uhr mittags und 12.10. Er verbrannte bei lebendigem Leib, weil er von der Matratze nicht aufstehen konnte, auf der er lag: Seine Hände und Füße waren an den Boden gekettet.
Der Fall wirft bis heute viele Fragen auf: Wie kam ein Feuerzeug, dessen verschmorte Reste im Brandschutt gefunden wurden, in die Zelle? Wie kann ein an Händen und Füßen gefesselter Mann eine angeblich schwer entflammbare Matratze in Brand setzen? Und: Wie kam die Leiche Oury Jallohs zu einem gebrochenen Nasenbein, einer Verletzung, die zuvor niemand festgestellt hatte? Diese Fragen sind bis heute nicht restlos geklärt, obwohl mehrfach versucht wurde, den Brand zu rekonstruieren.
So viel immerhin steht fest: Jalloh war am Morgen des 7. Januar in stark alkoholisiertem Zustand von zwei Streifenbeamten festgenommen worden. Zwei Straßenreinigerinnen hatten sich von ihm belästigt gefühlt und die Polizei gerufen. Jalloh wollte sich nicht ausweisen und widersetzte sich der Festnahme. Auf dem Revier wurde er durchsucht, ein Arzt nahm ihm Blut ab. Jalloh verhielt sich renitent und wurde deshalb in der Zelle im Keller des Polizeireviers mit Händen und Füßen angekettet. Nach Darstellung der Polizei sollte so eine "Selbstgefährdung" ausgeschlossen werden. Wenige Minuten nach 12.00 Uhr löste der Rauchmelder in Jallohs Zelle Alarm aus. Der zuständige Dienstgruppenleiter soll sich daraufhin zu spät auf den Weg in den Keller gemacht haben. Dadurch habe er Jallohs Tod verschuldet. Als er dann mit einem zweiten Beamten die Zellentür öffnete, quoll den beiden dichter, schwarzer Rauch entgegen. Einer der beiden lief weg, um Hilfe zu holen. Der andere versuchte, die brennende Matratze mit einer Decke zu löschen. Jalloh konnte er nicht retten, weil er keine Schlüssel für die Hand- und Fußschellen bei sich trug. BM
Aus der Berliner Morgenpost vom 29. Mai 2008
http://www.morgenpost.de/content/2008/05/29/politik/964829.html