»Die meisten Flüchtlinge haben Depressionen«
Bewohner einer Sammelunterkunft fordern Schließung ihres Heims und menschenwürdige Unterbringung. Ein Gespräch mit Tawfik Lbebidy
Interview: Jana Frielinghaus
Tawfik Lbebidy (20) ist seit November 2002 einer der Bewohner der Sammelunterkunft für Flüchtlinge im thüringischen Gehlberg und engagiert sich in der Flüchtlingsorganisation The Voice und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
Die Bewohner des Asylbewerberheims in Gehlberg in Thüringen wollen am 24. Juli eine Kundgebung vor dem Landratsamt abhalten. Was sollen sie dort fordern?
Sie wollen, daß das Lager geschlossen wird. Die Veranstaltung steht unter dem Motto »Abschaffung der Residenzpflicht – Bewegungsfreiheit und Abschiebestopp für alle – dezentrale Unterbringung und Arbeitsrecht erkämpfen!«
In Gehlberg leben insgesamt 38 Flüchtlinge, unter ihnen 23 Kinder. Was stört Sie an der Sammelunterkunft?
Das Schlimmste ist die Isolation. Das Lager liegt mitten im Wald, bis zum Bahnhof sind es 40 Minuten Fußweg. Wir wollen mit unserer Kundgebung deutlich machen: Isolation macht krank – die meisten Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft haben Depressionen, müssen regelmäßig Schlafmittel und andere Medikamente nehmen. Viele waren in psychiatrischer Behandlung, einige haben bereits mehrere Selbstmordversuche hinter sich.
Die meisten Erwachsenen haben nur 40 Euro Taschengeld monatlich, einkaufen müssen sie mit Gutscheinen. Eine Unterbringung in einer Stadt würde es uns auch erleichtern, Beratungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Bei Gehlberg kommt noch hinzu, daß der Ort am Rande des Ilmkreises liegt. Geht einer von uns in Richtung Oberhof, dann verletzt er sofort die Residenzpflicht, denn die Ausländergesetze verbieten es den Bewohnern, den Landkreis zu verlassen.
Der zuständige Landrat Benno Kaufhold (CDU) hat kürzlich gesagt, es sei bei weitem nicht so schlimm. Der Betreiber des Heimes biete den Bewohnern zweimal wöchentlich eine Fahrt zum Einkaufen nach Gräfenroda an sowie zweimal im Monat auch Fahrten nach Ilmenau oder Arnstadt für Ämterbesuche. Außerdem kümmert sich nach seiner Aussage ständig eine Sozial-betreuerin um die Heimbewohner, die sie im Bedarfsfall auch zum Arzt bringen würde. Warum reicht Ihnen das nicht?
Ein Hausarzt ist zweimal pro Woche in Gehlberg. Aber wenn er einem Heimbewohner eine Überweisung zu einem Facharzt gibt, dann darf der gar nicht einfach dort hinfahren, sondern muß erst das Gesundheitsamt in Ilmenau aufsuchen, um dort eine Genehmigung zu beantragen. Die Fahrtkosten nach Ilmenau bekommt er nach Wochen zurückgezahlt. Für diese Prozedur müssen die Kranken den Berg runter und rauf zum Bahnhof laufen und dann mit dem Zug drei bis fünf Stunden auf sich nehmen. Erst nach der Genehmigung durch das Gesundheitsamt in Ilmenau können sie einen Termin bei einem Facharzt vereinbaren und zu ihm fahren.
Es gab in Thüringen auch in einer anderen Flüchtlingsunterkunft, nämlich in Katzhütte, Proteste und die Forderung nach Schließung der Einrichtung. Die Wortführer der Bewohner dort wurden aber in andere Heime zwangsverlegt, und jetzt droht zumindest einem von ihnen die Abschiebung. Fürchten Sie nicht ähnliche Repressionen?
Ich persönlich kann mich jetzt ohne große Gefahr für ein menschenwürdiges Leben der Bewohner engagieren, weil der Antrag meiner Familie auf Asyl vor zwei Monaten anerkannt
worden ist.
Wer unterstützt die Gehlberger Flüchtlinge in ihren Forderungen?
Neben der Flüchtlingsselbsthilfeorganisation The Voice unterstützen uns die Partei Die Linke, die Grünen, die DKP, Flüchtlingsrat und die Gewerkschafter gegen rechts und die Antifa X Thüringen.
Meinen Sie nicht, daß Ihre Forderungen auch aus finanziellen Gründen abgelehnt werden? Der Landrat beruft sich auch darauf, daß es einen erst 2010 auslaufenden Vertrag mit dem Heimbetreiber gibt.
Wir sind überzeugt, daß eine Unterbringung in Wohnungen sogar günstiger ist, schon weil Fahrtkosten weitestgehend wegfallen und nicht nur Ämter und Ärzte, sondern auch Kindergärten und Schulen zu Fuß zu erreichen wären. Abgesehen davon hat Sabine Berninger, Landtagsabgeordnete der Linkspartei, auf eine kleine Anfrage hin erfahren, daß der Ilmkreis innerhalb der letzten fünf Jahre etwa 800000 Euro weniger für Unterkunft und Versorgung der Flüchtlinge ausgegeben hat als ihm zu diesem Zweck vom Land gezahlt worden sind.