06.10.2008 / Inland / Seite 6
Abschiebung, Residenzpflicht, Isolation
Karawane der Flüchtlinge veranstaltet Aktionskonferenz in Thüringen
Von Anke Engelmann, Weimar
Am vergangenen Wochenende feierte die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen mit einer Aktionskonferenz in Thüringen ihren zehnten Geburtstag. Zeit für Austausch und Aktionen, Seminare und Konzerte.
Wie ein Gefängnis: das Flüchtlingswohnheim in Apolda
Foto: ND/Engelmann
»Hallo, the Caravan is here«, »Hallo, die Karawane ist da«, begrüßt afrikanischer Gesang die Weimarer auf dem Goetheplatz. »Wir haben einiges geschafft: Leute aus Abschiebeknästen rausgeholt, Lager geschlossen«, schallt es in Richtung Frauenplan. Vom Bratwurststand schauen Männer misstrauisch herüber. Ungefähr fünfzig Teilnehmer zählt die Kundgebung, Menschen mit schwarzer und heller Hautfarbe, aus Afrika, Osteuropa, Nahost und Deutschland.
Fast zur selben Zeit gehen im vogtländischen Reichenbach Karawane-Aktivisten für Claudia Omoroghomwan auf die Straße. Der aus Nigeria stammenden Frau verweigert das Jugendamt den Kontakt zu ihren drei Adoptivtöchtern. Die Mädchen waren aus dem Asylbewerberheim in Posseck in ein Kinderheim der Arbeiterwohlfahrt geflohen, weil sie das Leben in Posseck nicht ertragen konnten. Die Polizei brachte sie mit Gewalt zurück. Nachdem sie sich über die Lebensbedingungen in der Unterkunft beschwert hatte, war der Mutter im Juli die Vormundschaft für die Töchter ihres verstorbenen Bruders entzogen worden.
»Schnelles und gezieltes Handeln ist eine der Stärken der Karawane«, sagt Ralf Santana Lourenco von dem Ableger der Hamburger Karawane. Die Initiative schafft Öffentlichkeit und gewährt juristischen Beistand. Ihre erste koordinierte und bundesweite Aktion startete sie 1998, kurz vor der Bundestagswahl. Mit dem Slogan: »Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme«, zog der Trupp durch 44 Städte. Inzwischen ist das Netzwerk in elf Städten organisiert, wird von Flüchtlingen und Akti-visten aus antifaschistischen und antirassistischen Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Religionen und Hautfarben getragen.
Die Karawane kämpft gegen Abschiebungen, die Residenzpflicht, die den Bewegungsradius der Asylsuchenden einschränkt, macht Zusammenhänge zwischen der Politik der reichen Industrieländer und den Migrationen deutlich.
Die Thüringer Gruppe heißt »The Voice Refugee Forum Jena«. Derzeit hat sie vor allem mit den Flüchtlingsprotesten in Gehlberg und Katzhütte zu tun. Um deren Kampf zu unterstützen und den Bewohnern Mut zu machen, klapperte die Karawane am Freitag berüchtigte Unterkünfte ab. Erster Halt: Apolda, Stobraer Straße. Nach einigem Hin und Her erhielten die etwa 50 Karawane-Teilnehmer Zutritt zu dem zweistöckigen Gebäude mit den vergitterten Fenstern.
Nur wenige Bewohner sind da. Wie Lowa Geworgian. Der 39-Jährige aus Aserbaidshan sieht älter aus, ist schmal. Er hat Tuberkulose, soviel weiß er aus den ärztlichen Gutachten, von denen er kein Wort versteht. Sprachunterricht bekommt er nicht. Im Zimmer läuft ein Ölradiator, die Heizung funktioniert nicht. Geworgian hustet Blut, trotz Ansteckungsgefahr muss er Sanitäranlagen und Küche mit anderen teilen. Die Duschen sind weit, sagt er, die Wasserhähne so eingestellt, dass das Wasser nur kurze Zeit läuft. Er friere. In einem anderen Zimmer lebt ein Mann aus Vietnam seit 16 Jahren. Er wirkt verschreckt, scheint nicht zu verstehen, was passiert. Auch er spricht fast kein Deutsch, ebenso wenig wie der chinesische Flüchtling, der seit acht Jahren im Heim lebt.
»Wo wir auch hinkommen: Angst ist überall zu spüren«, erzählt ein Karawane-Aktivist aus Wuppertal. »Das Leben im Lager frisst die Leute auf.« Die Menschen haben oft in ihrer Heimat Gewalt erlebt. In Deutschland machten sie ähnliche Erfahrungen. Das schüchtert viele ein.
Doch nicht alle. Tawfik Lbebidy ist einer der Voice-Aktivisten. Der syrischstämmige Redskin lebt im Asylbewerberheim in Gehlberg und ist seit sechs Jahren in Deutschland. Wenn die Unterkunft geschlossen werden sollte, ist das kein Gnadenakt vom Landratsamt, sondern ein Ergebnis des Kampfes der Flüchtlinge, macht Lbebidy deutlich. »Wir schließen die Lager.«
URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/136649.abschiebung-residenzpfli…
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01.10.2008) Asylorganisation feiert Geburtstag
Die Flüchtlings-Karawane zieht weiter
Die größte Flüchtlingsorganisation der Bundesrepublik, Karawane, feiert ihren zehnten Geburtstag. Doch die Lage von Flüchtlingen in Deutschland gibt nicht viel Grund zum Feiern. VON ANKE ENGELMANN
Noch immer werden Flüchtlinge in Lagern kaserniert - die Karawane fordert eine dezentrale Unterbringung. Foto: dpa
WEIMAR taz Angefangen hat es kurz vor der Bundestagswahl 1998. Unter dem Motto: "Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme" reisten Menschen unterschiedlicher Nationalitäten durch 44 Städte. Aus dieser ersten koordinierten bundesweiten Aktion von Flüchtlingen ist inzwischen die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen geworden, die größte unabhängige Flüchtlingsorganisation der Bundesrepublik. In elf Städten arbeitet das Netzwerk, in dem sich hauptsächlich MigrantInnen zusammengeschlossen haben.
Ab Donnerstag feiert die Karawane mit einer viertägigen Aktionskonferenz in Weimar und Jena ihren Geburtstag. In Thüringen protestieren Flüchtlinge seit einiger Zeit gegen ihre Unterbringung in Lagern. Sie werden vom einer weiteren Flüchtlingsorganisation unterstützt, The Voice Refugee Forum Jena. Das Forum ist seit 1998 Mitglied der Karawane. Zum Geburtsprogramm der Karawane gehören eine Demonstration gegen die Flüchtlingspolitik in Thüringen, Seminare sowie Konzerte und Filme. Außerdem brechen die Teilnehmer zu einer Lagertour nach Katzhütte, Gehlberg und Apolda auf (www.thevoiceforum.org).
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Im April diesen Jahres hatten die BewohnerInnen der Unterkunft in Katzhütte ihre Situation erstmals öffentlich gemacht. Sie prangerten insbesondere den Schimmel in den Zimmern an und Schikanen durch die Lagerleitung. Wasser zum Duschen gab es etwa nur zu bestimmten Zeiten. Proteste in anderen Heimen folgten. Die Karawane kämpft dafür, dass Flüchtlinge dezentral untergebracht werden.
Die Karawane-Themen sind seit Jahren aktuell: die Residenzpflicht, die den Radius der Asylsuchenden einschränkt. Nur in dem Landkreis, in dem ihre zuständige Ausländerbehörde sitzt, dürfen sie sich frei bewegen. Die Hintergründe der Wanderungsbewegungen, die der Slogan "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder kaputtmacht" umreißt. Der Kampf gegen Abschiebungen.
Die Karawane konnte einige Erfolge erringen. In anderen, tragischen Fällen scheiterte sie. So wurde der Syrer Hussein Daoud trotz Protesten im Dezember 2000 abgeschoben und noch auf dem Flughafen vom syrischen Sicherheitsdienst festgenommen. Er saß lange in Haft und wurde Amnesty International zufolge dort gefoltert.
Seit dem Ende der Achtziger habe sich die Situation der Asylsuchenden stetig verschlechtert, berichtet Ralf Santana Lourenco von der Hamburger Karawane.
1993 hatte die Bundesregierung das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt im Zuge des Umbaus der Europäischen Union in die Festung Europa. "Damals wurde das Menschenrecht auf Asyl in ein Abweisungs- und Abschieberecht des Staates verkehrt", kritisierte das Komitee für Grundrechte und Demokratie im Juli.
Auch die Karawane wird als Organisation oft nicht anerkannt, so weigerte sich die zuständige Landrätin, die Mitglieder als Gesprächspartner bei einem Gespräch über das Lager Katzhütte überhaupt einzuladen. "Wir werden im Grunde nicht anerkannt, allenfalls, wenn wir Druck machen", berichtet Lourenco. Das Netzwerk macht Fälle öffentlich und wehrt sich, wenn nötig, per Anwalt.
Im Fall von Mohammed Sbaih, dem Sprecher des Lagers Katzhütte, war das erfolgreich. Wegen seines Engagements drohte dem Palästinenser die Abschiebung. Nach einem Eilantrag musste die Ausländerbehörde das Verfahren stoppen. ANKE ENGELMANN
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/die-fluechtlings-kara…
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