Breaking News - Prozesstag am Freitag 5. Dez. in Dessau fällt aus
Hallo MitstreiterInnen,
wie wir mitbekommen haben fällt der Plädoyertag in Dessau Morgen aus. Ohne verstehebare Begrundung haben wir erfaren dass Morgen werden keine Plädoyers und kein Prozess geben. Das ist das zweite Mal diese Woche schon.
Pressemitteilung zum Ende des Gerichtsprozesses im Fall Oury Jalloh.
Initiative In Gedenken an Oury Jalloh ruft zu einer Demonstration am 8. Dezember in Dessau auf
Ab 9:00Uhr Kundgebung,
11:30 Presse Konferenz und
12:00 Demo,
alles vor dem Landgericht Dessau Willy-Lohmann-Str. 29
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Ein Gericht will sich drücken
Verfahren um Tod in der Zelle wahrscheinlich ohne Urteil von Hans Holzhaider, Süddeutsche Zeitung vom 3.12.2008
Brennen wie von selbst: Jungle World Nr. 49,4. Dezember 2008 von Matti Steinitz
Beinahe vier Jahre, nachdem Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, nähert sich der Prozess gegen zwei Polizisten dem Ende. Selbst die Anklage rechnet mit Freisprüchen. War wirklich »Murphys Gesetz« für Jallohs Tod verantwortlich?
von Matti Steinitz
Sechs Verhandlungstage waren angesetzt, fast 60 sind es mittlerweile geworden. Am Montag soll nun im Landgericht Dessau das Urteil im Prozess gegen die Polizeibeamten Andreas S. und Hans-Ulrich M. verkündet werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vor.
Oury Jalloh, ein Flüchtling sierraleonischer Staatsangehörigkeit, verbrannte am 7. Januar 2005 in einer Zelle der Dessauer Polizei. In dem mittlerweile anderthalb Jahre dauernden Prozess gingen der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff und die Staatsanwaltschaft von Anfang an davon aus, dass sich Oury Jalloh selbst verbrannte, obwohl er von den Beamten gefesselt worden war. Eine Mordanklage wurde nicht in Betracht gezogen. In der ausführlichen Verhandlung sollte ausschließlich die Frage geklärt werden, ob die Angeklagten die Jalloh unterstellte Selbsttötung hätten verhindern können.
Schuldig: ein Feuerzeug. Die Komplizen: unglückliche Zufälle. So könnte bald die offizielle Darstellung von Oury Jallohs Tod aussehen (Foto: PA/Chromorange)
Hans-Ulrich M. wird vorgeworfen, bei Jallohs Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen zu haben, das diesem später den vermeintlichen Suizid ermöglicht habe. Sein Freispruch scheint bereits seit längerem sicher zu sein. Die Vorwürfe gegen den damaligen Dienststellenleiter Andreas S. wiegen schwerer: Er hatte zwei Mal den ausgelösten Feueralarm leise gestellt, »um«, sagt er, »den weiteren geordneten Arbeitsablauf im Dienstraum zu gewährleisten«, bevor er sich nach mehreren Minuten in die Zelle begab.
Dennoch dürfte Andreas S. freigesprochen werden, glaubt man den Einschätzungen der beteiligten Anwälte und den Vertretern verschiedener antirassistischer Organisationen, die den Prozess von Anfang an beobachtet haben. Dabei sah es bis vor wenigen Monaten noch ganz anders aus, wie Ullrich von Klinggräff, der Anwalt des Vaters von Oury Jalloh, bestätigt: »Wir waren lange Zeit sicher, dass die Verhandlung nur in einem Schuldspruch für Andreas S. münden könnte, und auch heute würde ich noch sagen, dass er absolut verurteilungsreif ist. Die Gutachten der Brandsachverständigen stellten aber einen Wendepunkt im Prozess dar.«
In diesen Gutachten ging es zum einen um die Frage, wie Jalloh die feuerfeste Matratze in Brand hätte setzen können. Indem er den Bezug mit einem spitzen Gegenstand aufgekratzt und dann den Schaumstoff entzündet habe, besagt der Befund. Hauptsächlich beschäftigten sich die Gutachter aber mit der Frage, wie schnell das Feuer eine Temperatur entwickeln konnte, die den als Todesursache diagnostizierten Hitzeschock auslöste. Es sollte geklärt werden, ob Oury Jalloh hätte gerettet werden können, wenn Andreas S. nach Auslösen des Feueralarms nicht so viel Zeit hätte verstreichen lassen. Nach der Auswertung der Gutachten könne nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass Oury Jalloh auch gestorben wäre, hätte sich Andreas S. sofort zu der Zelle begeben, heißt es mittlerweile.
Viele entscheidende Fragen bleiben auch nach der Verhandlung unbeantwortet. Wie konnte das später gefundene Feuerzeug in die Zelle gelangen, nachdem der Festgenommene nach Aussage von Hans-Ulrich M. gründlich durchsucht worden war? Wie schaffte es ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch, eine feuerfeste Matratze in Brand zu setzen? Warum verwickelten sich beinahe alle Beamten in der Befragung zum Hergang des Vorfalls in erhebliche Widersprüche? Warum wurden alle Aussagen von Beamten, die den Dienststellenleiter belasteten, ohne Angabe von Gründen zurückgezogen? Was hat es mit der Tatsache auf sich, dass bei einer Obduktion der Leiche von Oury Jalloh festgestellt wurde, dass die Nase gebrochen und das Mittelohr verletzt war? Warum ist das Video der Tatortermittlergruppe verschwunden? Um welche Flüssigkeit handelte es sich bei der Pfütze, die von mehreren Zeugen in der Mitte der Zelle gesehen wurde?
»Die Sache stinkt zum Himmel. Das ist klar«, sagt Regina Götz, die Anwältin der Mutter von Oury Jalloh, hinsichtlich der Aussagen und der vollständigen Verweigerungshaltung der meisten befragten Polizisten. Dennoch stimmt sie mit Klinggräff darin überein, dass man dem Gericht keinen mangelnden Willen zur Aufklärung der Geschehnisse vorwerfen kann. »So frustrierend und unverständlich das Ergebnis sein mag, muss man sagen, dass der Richter eine ungewöhnlich genaue und umfassende Beweisführung ermöglicht hat«, sagt Klinggräff.
Das sehen verschiedene Vertreter migrantischer Organisationen anders. »Das Ganze ist eine große Farce, ein Scheinprozess«, sagt Yufanyi Mbolo, Sprecher der Flüchtlingsorganisation »The Voice« und der »Initiative Oury Jalloh«, die sich Ende Juni aus Protest gegen den Verlauf der Verhandlung aus der Prozessbeobachtung zurückgezogen haben. Für die Gruppen, die sich in den Jahren seit Oury Jallohs Tod mit der gemeinsamen Forderung nach »Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung« zusammengeschlossen haben, handelt es sich um einen Mordfall, der durch den vorgeschobenen Aufklärungswillen und eine enge Kooperation von Justiz und Polizei vertuscht werden soll.
Die Gruppen werfen auch den Vertretern der Nebenkläger vor, die von Richter Steinhoff vorgegebene Grundannahme der Verhandlung akzeptiert, anstatt vehement auf eine Mordanklage gedrängt zu haben. Yonas Endrias, der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Mitglied des Afrika-Rats in Deutschland, hält die Strategie der Anwälte für beispielhaft für das Unvermögen vieler weißer Linker, die Dimension von Oury Jallohs Fall zu erkennen. Für die schwarze Community in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern habe er eine überaus große Bedeutung: »Natürlich wird nicht alle Tage irgendwo ein Afrikaner verbrannt. Aber die meisten von uns wissen, wie es sich anfühlt, als Schwarzer weißen Polizisten oder anderen Beamten ausgeliefert zu sein. Deswegen ist es für uns unmöglich, solche angeblichen juristischen Sachzwänge zu akzeptieren.« Endrias und andere verlangen, dass eine unabhängige internationale Kommission eingesetzt wird, um die Geschehnisse aufzuklären. Sie wollen den Fall sowohl vor den Europäischen Gerichtshof als auch vor die Uno bringen.
Richter Steinhoff nimmt hingegen an, dass eine unglaubliche Verkettung unglücklicher Zufälle zu Oury Jallohs Tod führte, mehrmals sprach er während des Prozesses von »Murphys Gesetz«. Jedenfalls starb Jalloh in einer deutschen Kleinstadt, in der Rassismus alltäglich ist. Das zeigt auch die Geschichte von Mouctar Bah, eines guten Freunds von Oury Jalloh. Bah gründete die »Initiative Oury Jalloh«, in dem von ihm betriebenen Telefonladen trafen sich nach dem 7. Januar 2005 die Unterstützer der Kampagne. Von da an war Bah den Bedrohungen und Angriffen örtlicher Nazis ausgesetzt. Einer von ihnen reichte mehrere Beschwerden gegen das Geschäft beim Dessauer Ordnungsamt ein, das schließlich im Februar 2006 Bahs Bewerbung um eine Erneuerung des Gewerbescheins mit folgender Begründung ablehnte: »Ein Verhalten, das wiederholt polizeiliche Ermittlungen notwendig macht, lässt unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen auf große charakterliche Mängel Ihrer Person und auf das Vorhandensein einer doch fehlenden Akzeptanz der Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland schließen.«
03.12.2008 05:00 Uhr Drucken
Ein Gericht will sich drücken
Wenn ein Mensch, der von der Polizei festgenommen und in eine Zelle gesperrt wird, in dieser Zelle ums Leben kommt, dann ist das in jedem denkbaren Fall ein Skandal. Wer einen anderen einsperrt, ihn auch noch an Händen und Füßen ankettet - so wie es am 5. Januar 2005 in Dessau mit dem Asylbewerber Oury Jalloh geschah -, der ist ohne jede Einschränkung verantwortlich für dessen Leben und körperliche Unversehrtheit.
Strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann freilich nur derjenige, dem jenseits vernünftigen Zweifels eine persönliche Schuld nachzuweisen ist. Das aufzuklären, ist Sache eines Gerichts. Das Landgericht in Dessau hat einen sehr hohen Aufwand betrieben, um die Umstände des Todes von Oury Jalloh aufzuklären. Wenn es dabei zu dem Schluss gekommen sein sollte, dass den beiden Angeklagten keine individuelle Schuld nachzuweisen ist, dann müsste man das hinnehmen, so unbefriedigend es auch sein mag. Immerhin ist nach der Beweisaufnahme mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass der Afrikaner die Matratze, auf der er lag, selbst angesteckt hat, eine Aktion, die etwas durchaus Selbstmörderisches an sich hat. Dass eben dieses Gericht jetzt aber offensichtlich nach einem Weg sucht, sich um ein Urteil herumzudrücken, kann auf keinerlei Verständnis stoßen.
Rechtsfrieden hin oder her - nach einem solchen Ereignis, nach einem solchen Prozess muss ein Gericht Farbe bekennen. Wenn es ausreichende Beweise für eine Schuld der Angeklagten sieht, muss es verurteilen. Wenn nicht, muss es freisprechen. Alles andere wäre ein schäbiger Rückzug aus der Verantwortung, die der Justiz in einem Rechtsstaat zugewiesen ist. hh
Orte Dessau (76)
Teil 2: Prozess vor Einstellung*
Dessau-Roßlau
Fortgang im Jalloh-Prozess offen
Im Prozess um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Polizeizelle ist der Fortgang des Verfahrens offen. Das ursprünglich angekündigte Plädoyer der Staatsanwaltschaft am Landgericht Dessau-Roßlau fiel am Dienstag überraschend aus.
Ein für Dienstag angesetzter Verhandlungstag am Landgericht Dessau-Roßlau wurde verschoben.Wie eine Gerichtssprecherin mitteilte, sei der Abschluss des Verfahrens noch nicht ausreichend vorbereitet. Das habe ein Gespräch aller Prozessbeteiligten am Vormittag ergeben. Nähere Angaben wurden wegen der vereinbarten Vertraulichkeit nicht gemacht. Der für Freitag geplante nächste Verhandlungstermin solle stattfinden, könne aber auch kurzfristig aufgehoben werden, sagte die Sprecherin. Dann sollten nach ursprünglichen Planungen die Plädoyers der Verteidigung gehalten werden. Für den kommenden Montag (8. Dezember) wurde das Urteil angekündigt.
Angeklagte bestreiten Vorwürfe
In dem seit März 2007 laufenden Prozess müssen sich zwei Polizisten verantworten. Einem ehemaligen Dienstgruppenleiter wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen, dem anderen Polizisten fahrlässige Tötung - in beiden Fällen durch Unterlassen. Sie sollen eine Mitschuld am Tod des 23-jährigen Ouri Jalloh tragen. Laut Obduktion war der Afrikaner am 7. Januar 2005 an einem Hitzeschock infolge der extrem heißen Brandgase bei dem Feuer gestorben. Dem Ex-Dienstgruppenleiter wird vorgeworfen, den Brandmelder aus der Gewahrsamszelle im Keller des Polizeireviers Dessau ignoriert und Jalloh nicht rechtzeitig geholfen zu haben. Zuvor soll der andere Polizist bei der Durchsuchung des Asylbewerbers aus Sierra Leone ein Feuerzeug übersehen haben. Beide Angeklagte bestreiten die Vorwürfe im Wesentlichen.
Weitere Proteste angekündigt
Das Gericht geht davon aus, dass Jalloh - obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war - den Brand in der gekachelten Zelle selbst gelegt hat. Dazu soll er die Matratze, auf der er lag, angezündet haben. Richter Manfred Steinhoff hat während der 22 Monate dauernden Verhandlung zahlreiche Zeugen teils mehrfach befragt, darunter Polizisten wegen des Verdachts der Falschaussage. Von Seiten der Initiative zum Gedenken an Jalloh sowie von Menschenrechtlern wurde im Laufe des Prozesses mehrfach Kritik an den "schleppenden und unzureichenden Ermittlungen der Justiz" geäußert. Weitere Proteste sind angekündigt.
Ein Gutachter hat den Brand mehrfach nachgestellt und analysiert.Brand mehrfach nachgestellt
Im Institut der Feuerwehr Sachsen-Anhalt wurde der Brand in der Zelle mehrfach von einem Gutachter nachgestellt und analysiert. Der Prozess selbst musste aufgrund der Erkrankung eines Angeklagten und eines Schöffen teilweise unterbrochen werden. Jalloh war damals festgenommen worden, weil er in Dessau mehrere Frauen bei ihrer Arbeit belästigt und Widerstand gegen die Polizei geleistet haben soll.
Zuletzt aktualisiert: 02. Dezember 2008, 18:15 Uhr
Fortgang im Jalloh-Prozess offen
Frühere Meldungen
16. Oktober 2008
Jalloh-Prozess: Zwei Polizisten im Zeugenstand
http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/5840923.html
05. September 2008
Gutachten: Jalloh starb innerhalb kurzer Zeit
http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/5747103.html
02. August 2008
Dessau: Erinnerung an Oury Jalloh
http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/dessau/5669352.html
03. Juni 2008
Neues Gutachten im Jalloh-Prozess gefordert