Alles scheint möglich im Fall Oury Jalloh
AP Associate Press: 04. Dezember 2008
Magdeburg - Fast vier Jahre nach dem Feuertod von Oury Jalloh wollte das Landgericht Dessau in Sachsen-Anhalt eigentlich am Montag (be)urteilen, ob der Asylbewerber aus Sierra Leone bei rechtzeitig erfolgter Hilfeleistung noch leben könnte. Von einem Urteil ist jetzt aber keine Rede mehr. «Zum Abschluss gebracht» werden soll das Verfahren am 8. Dezember, teilte das Gericht am Donnerstag mit. Es hob zugleich einen für Freitag angekündigten Termin auf, an dem ursprünglich die Plädoyers der Verteidigung vorgesehen waren.
Bereits am Dienstag dieser Woche war der Termin, an dem Staatsanwaltschaft und Nebenklage plädieren sollten, überraschend entfallen. «Zur Vorbereitung des Abschlusses des Verfahrens werde mehr Zeit benötigt, als die Kammer und Verfahrensbeteiligten abgesehen haben», hieß es zur Begründung.
In dem schon seit März 2007 laufenden Prozess stehen in Dessau in Sachsen-Anhalt zwei Polizisten vor Gericht, die die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung beziehungsweise Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt hatte. Der 23-jährige Jalloh war am 7. Januar 2005 in Dessau in Gewahrsam genommen worden, nachdem zwei Frauen, die sich von dem alkoholisierten Mann belästigt fühlten, am frühen Morgen jenes Tages die Polizei gerufen und Beamte ihn aufs Revier gebracht hatten. Wenig später war er tot.
Tod in der Ausnüchterungszelle
Er starb in einer Ausnüchterungszelle an den Folgen eines Hitzeschocks. Der auf einer feuerfesten Matratze auf dem Boden liegende Mann, an Händen und Füßen gefesselt, soll mit einem Feuerzeug selbst einen Brand entfacht haben. Weil der Dienstgruppenleiter das Signal des Zellen-Rauchmelders zwei Mal ausgeschaltet und ignoriert und ein Streifenpolizist bei der Durchsuchung des Mannes das Feuerzeug übersehen haben soll, warf die Anklage den beiden Polizisten eine Mitschuld vor.
Sie war davon ausgegangen, dass Jalloh noch leben könnte, wäre ihm gleich nach Ertönen des ersten Signals geholfen worden. Seit gut eineinhalb Jahren versucht das Gericht in Dessau, die genauen Umstände des schrecklichen Todes aufzuklären. Alle Beamten, die am Todestag des Asylbewerbers Dienst im Dessauer Polizeirevier hatten, wurden als Zeugen gehört. Sie machten zum Teil widersprüchliche Aussagen, sodass einige Polizisten erneut vorgeladen wurden.
Mehrfach ordnete das Gericht Brandversuche am Feuerwehrinstitut Sachsen-Anhalt an, um Aufschluss über die genaue Todesursache und den exakten zeitlichen Ablauf zwischen Ausbruch des Feuers und dem letzten Atemzug Jallohs zu erhalten - jenen Augenblicken also, in denen er hätte gerettet werden können. Beide beschuldigten Polizisten hatten vor Gericht eine Mitverantwortung am Tod des Asylbewerbers bestritten.
Der Prozess zog sich auch deshalb so in die Länge, weil einer der Angeklagten sowie ein Schöffe im Frühjahr schwer erkrankten. Die letzte Runde in dem ursprünglich mit nur sechs geplanten, inzwischen aber auf fast 60 Prozesstage angewachsenen Verfahrens gibt Beobachtern Rätsel auf.
Gespräche zwischen Prozessbeteiligten seit Dienstag
Seit Dienstag laufen Gespräche zwischen den Prozessbeteiligten, zum Inhalt wurde Stillschweigen vereinbart. Theoretisch, sagt die Gerichtssprecherin, sei in einem Prozess generell alles möglich - eine Verurteilung, ein Freispruch oder auch eine Einstellung eines Verfahrens.
Die Initiative «In Gedenken an Oury Jalloh» hat für kommenden Montag zu einer bundesweiten Demonstration aufgerufen und wiederholt erklärt, dass der ganze Prozess eine Farce sei. Dem Gericht in Dessau sei an einer Aufklärung der Todesumstände Oury Jallohs nicht gelegen gewesen, sagte ein Sprecher. Vor allem in der letzten Phase des Verfahrens sei es offenbar nur noch von einer Verkettung ungünstiger Umstände ausgegangen, in deren Folge der Asylbewerber starb.
http://www.net-tribune.de/article/041208-176.php
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Dessau-Roßlau
Erneut Termin im Jalloh-Prozess abgesagt
Das Landgericht Dessau-Roßlau hat bereits zum zweiten Mal in dieser Woche einen Termin im Prozess um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh abgesagt.
Auch der für Freitag angekündigte Termin am Landgericht Dessau-Roßlau wurde abgesagt.Nach Angaben einer Sprecherin findet der für Freitag angekündigte Verhandlungstermin nicht statt. Dennoch soll das seit gut eineinhalb Jahren laufende Verfahren am Montag abgeschlossen werden. Weitere Details nannte sie nicht. Es wäre möglich, dass Staatsanwaltschaft, mehrere Nebenkläger und die
Verteidiger der zwei angeklagten Polizisten am Montag ihre Plädoyers halten und das Gericht dann sein Urteil verkündet. Andererseits könnte das Verfahren aber auch gänzlich oder teilweise eingestellt und - im letzteren Fall - nur gegen einen Polizisten ein Urteil gefällt werden.
Angeklagte bestreiten Vorwürfe
Zwei Polizisten sind wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie fahrlässiger Tötung, jeweils durch Unterlassen, angeklagt. Sie sollen eine Mitschuld am Tod des 23-jährigen Asylbewerbers aus Sierra Leona tragen, der im Januar 2005 bei einem Brand in einer Zelle im Polizeirevier Dessau ums Leben gekommen war. Der Diensthabende soll den Feueralarm der Zelle ignoriert, der zweite angeklagte Polizist zuvor ein Feuerzeug bei der Durchsuchung Jallohs übersehen haben. Die 48 und 45 Jahre alten Männer bestreiten die Vorwürfe im Wesentlichen.
Vertrauliches Gespräch könnte Grund sein
Nach Angaben der Nebenklage ist ein Grund für die Verschiebung des Verhandlungstages ein Gespräch beim Vorsitzenden Richter, an dem am Dienstag Vertreter von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage teilnahmen. Nun müsse die Familie Jallohs über den vertraulichen Inhalt des Gesprächs informiert werden. Wie Nebenklagevertreterin Regina Götz mitteilte, sei es jedoch nicht leicht, die Familie zu erreichen. Die Mutter lebe in Guinea. Bereits am Dienstag war ein Prozesstermin abgesagt worden, an dem eigentlich das Plädoyer der Staatsanwaltschaft gehalten werden sollte.
Jalloh starb an Hitzeschock
Der Anwalt eines der angeklagten Polizisten, Sven Tamoschus, rechnet damit, dass er am Montag sein Plädoyer halten und auch ein Urteil gesprochen wird. Götz, die die Mutter des Opfers vertritt, äußerte sich ähnlich.
Laut Obduktion starb Jalloh bei dem Feuer in der Gewahrsamszelle an einem Hitzeschock. Trotz Fesselung an Händen und Füßen soll er den Brand in dem gekachelten Raum mit einem Feuerzeug selbst entfacht haben, indem er die Matratze angezündet haben soll. Jalloh war festgenommen worden, weil er Frauen belästigt und Widerstand gegen die Polizei geleistet haben soll.
Zuletzt aktualisiert: 04. Dezember 2008, 16:03 Uhr
http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/5966135.html
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Rätselraten vor Prozessende
Dezember 04, 2008 Von: admin Kategorie: Meldungen
Dessau-Roßlau/dpa. Knapp 60 Verhandlungstage, zahlreiche Zeugen, mehrere Gutachter und dicke Ordner mit Protokollen: Das Landgericht Dessau-Roßlau verhandelt seit März 2007 einen Fall, der im In- und Ausland für Aufsehen sorgte. Der Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone stirbt am Morgen des 7. Januar 2005 bei einem Brand in einer Zelle des Polizeireviers Dessau. Die zwei angeklagten Polizisten sollen mitschuldig sein am Tod des 23-Jährigen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem damaligen Dienstgruppenleiter Körperverletzung mit Todesfolge und dem zweiten Polizisten fahrlässige Tötung, jeweils durch Unterlassen, vor.
Überraschend ist nun das Ende des langen Prozesses in Frage gestellt. Das mit Spannung erwartete Plädoyer der Staatsanwaltschaft wurde kurzfristig verschoben. Das Gericht braucht offenbar noch Zeit. Ungewiss ist, ob wie geplant am 8. Dezember das Urteil verkündet wird. Gibt es eine Verurteilung, einen Freispruch oder - nach gut eineinhalb Jahren Dauer - eine Einstellung des Verfahrens? «Rein theoretisch ist in einem Prozess immer alles möglich», sagte eine Gerichtssprecherin lediglich.
Eine Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh kündigte Proteste an. Das Verfahren sei ein Scheinprozess, behauptet sie. Menschenrechtler hatten schon früher eine ihrer Meinung nach schleppende und unzureichende Aufarbeitung des Falls kritisiert. Der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff bat Anfang der Woche Kläger, Nebenkläger und Verteidiger zu einem Gespräch hinter verschlossenen Türen. Was besprochen wurde, ist bislang geheim. Lediglich, dass die Nebenkläger mit der Familie des Opfers reden müssten, gelangte an die Öffentlichkeit. «Es geht um Gerechtigkeit und lückenlose Aufklärung», sagt Marco Steckel, Chef der Dessauer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt.
Das Gericht ließ den Brand von Gutachtern mehrfach nachstellen. Doch auch Experten vom Feuerwehrinstitut Sachsen-Anhalt oder der bekannte Freiburger Rechtsmediziner Michael Bohnert stießen bei ihren Analysen und Berechnungen auf Grenzen. Was tatsächlich in jeder Sekunde in der Zelle geschah, kann niemand mit hundertprozentiger und abschließender Sicherheit sagen. «Man kann sich der Wahrheit nähern, aber man wird im Nachhinein nie beweisen können, wie es war», sagt Bohnert. «Das ist immer eine Frage der Wahrscheinlichkeiten.» Die Experten konnten nur theoretisch mit Berechnungen und Dummys das Geschehen rekonstruieren - und die Frage, wann jemand im Verlauf eines Brandes stirbt, stellt sich bei Brandopfern normalerweise eher nicht.
Was in Jalloh vorging, als er an Händen und Füßen gefesselt bei dem Feuer in der Zelle 5 im Keller des Polizeireviers Dessau allein war, hat er mit ins Grab genommen. Beißender, schwarzer Rauch und extrem heiße Brandgase füllten jedenfalls den Raum, so die Gutachter. Auf der brennenden Matratze werde Jalloh in Panik an seinen Fesseln gezerrt haben, ehe er einen grausamen Tod starb. Laut Obduktion war die Todesursache ein Hitzeschock.
Die beiden angeklagten Polizisten im Alter von heute 45 und 48 Jahren bestreiten eine Mitschuld am Tod Jallohs, der festgenommen wurde, weil er Frauen belästigt haben soll und sich gegen die Polizei wehrte. Der Feueralarm aus der Zelle war im Raum des angeklagten früheren Dienstgruppenleiters Andreas S. zu hören, wie eine Zeugin bestätigt. Doch der Polizist telefonierte und drückte den Lautsprecher aus, heißt es in der Anklage. Der andere angeklagte Polizist soll bei der Durchsuchung von Jalloh ein Feuerzeug übersehen haben. Mit dem Feuerzeug soll der betrunkene und gefesselte Mann die Matratze angezündet haben, auf der lag. Warum ist bis heute ungeklärt.
Quelle: MZ-Web
http://news.die-gruppe-md.de/2008-12ratselraten-vor-prozessende
Quelle: MZ-Web
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Plädoyers im Prozess um Tod in Polizeizelle vertagt
Hauptverhandlung soll nach rund 20 Monaten am 8. Dezember zu Ende gehen
Dessau-Roßlau (epd). Im Prozess um den Tod eines Afrikaners in einer Haftzelle der Polizei in Dessau-Roßlau sind die für Dienstag vorgesehenen Plädoyers vertagt worden. Die Beteiligten hätten sich am Vormittag in einem sogenannten Rechtsgespräch darüber verständigt, dass für die "Vorbereitung des Abschlusses des Verfahrens" mehr Zeit benötigt werde, sagte eine Sprecherin des Landgerichts dem epd in Dessau-Roßlau. Der weitere Verhandlungstermin am Freitag sowie die für Montag angesetzte Urteilsverkündung würden "nach bisheriger Planung" bestehen bleiben.
Der Asylbewerber Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 bei einem Brand in einer Gewahrsamszelle, den er an einer Liege gefesselt selbst ausgelöst haben soll, an einem Hitzeschock gestorben. Angeklagt sind Polizeihauptkommissar Andreas S. (48), der damals Dienstgruppenleiter war, wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Polizeimeister Hans-Ulrich M. (45) wegen fahrlässiger Tötung.
Eine Rettung wäre laut Anklage möglich gewesen, wenn die Beamten rechtzeitig und richtig reagiert hätten. Im Prozess gab es die meisten Widersprüche beim zeitlichen Ablauf der Geschehnisse ab der Fesselung Jallohs an einer Liege bis zu dem vergeblichen Versuch, seinen brennenden Körper zu löschen. Seit März 2007 wurden 63 Zeugen sowie medizinische Gutachter und Brandsachverständige befragt.
Nach Einschätzung von Prozessbeobachtern ist auch nicht auszuschließen, dass das Verfahren im Einvernehmen mit allen Beteiligten ohne Urteil eingestellt wird. Anhand der jüngsten gutachterlichen Aussage eines Rechtsmediziners könne die genaue Dauer vom Ausbruch des Brandes bis zum Eintritt des Todes von Jalloh nicht eingeschätzt werden. Diese Frage ist aber entscheidend für die Feststellung einer möglichen Schuld des Hauptangeklagten Andreas S. Für Hans-Ulrich M. hatten die drei Nebenklagevertreter bereits Mitte dieses Jahres beantragt, das Verfahren gegen ihn abzutrennen und ihn freizusprechen. Dies war vom Gericht jedoch abgelehnt worden.
Die überwiegend aus Flüchtlingen bestehende "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" hat in einer vor Verhandlungsbeginn am Dienstag verbreiteten Erklärung ihren Mordvorwurf erneuert. Zudem handele es sich um einen Scheinprozess, "da das Gericht die tatsächliche Todesursache nicht aufdecken will". So habe zum Beispiel die "rassistisch begründete Verhaftung" Jallohs im Verfahren "keinerlei Rolle mehr" gespielt, heißt es in der Mitteilung.
Der Polizei in Dessau-Roßlau hatte die Initiative von Anfang an latente Ausländerfeindlichkeit vorgeworfen. Jalloh war festgenommen worden, weil sich Frauen der Stadtreinigung von ihm belästigt gefühlt und die Polizei um Hilfe gerufen hatten. Die Beamten nahmen den sich heftig wehrenden Flüchtling in Gewahrsam, um seine Aufenthaltspapiere zu überprüfen, obwohl er ihnen bekannt war. (6126/02.12.2008)
http://www.epd.de/ost/ost_index_59456.html
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