Vor vier Jahren starb ein Afrikaner im Polizeiarrest in Dessau. Der Prozess gegen zwei Beamte geht nun zu Ende - die meisten Fragen bleiben offen
Renate Oschlies
DESSAU. In dem kleinen Internet-Café in der Friedrich-Naumann-Straße, einer schmalen Seitenstraße, sitzen sie am Nachmittag zusammen. Sie sind ratlos und sprechen von einem "Scheinprozess". Sie pinnen Plakate an die Wände, in denen zu einer Demonstration am Montag vor dem Landgericht aufgerufen wird. Es ist der Tag, an dem das Gericht ein Urteil darüber sprechen soll, ob zwei Beamte der Dessauer Polizei Schuld tragen am Tod von Oury Jalloh. So hieß der junge Asylbewerber aus Sierra Leone, der am Mittag des 7. Januar 2005 in der Arrestzelle Nummer fünf im Keller des Dessauer Polizeireviers, angekettet an Händen und Füßen, auf einer schwerentflammbaren Matratze bei lebendigem Leibe verbrannte.
Etwa ein Dutzend schwarze Asylbewerber sind an diesem Nachmittag im Café, um mit ihren Familien in Afrika zu telefonieren. Sie reden miteinander, essen, spüren den Zusammenhalt. Nach dem Tod ihres Freundes haben sie eine Initiative gegründet, die sich dafür einsetzt, dass die Umstände seines Todes aufgeklärt werden. Im Auftrag der Familie Oury Jallohs, die mittlerweile in Guinea lebt, engagierten sie Anwälte, die als Nebenkläger vor Gericht auftreten.
Mehr als zwei Jahre vergingen nach dem Feuertod Jallohs, bis ein Prozess gegen zwei angeklagte Polizisten begann. Nur wenige Prozesstage hatte Richter Manfred Steinhoff damals eingeplant, achtundfünfzig sind es bisher geworden. Niemand weiß im Moment, ob es am Montag überhaupt ein Urteil geben wird. Oder ob das Verfahren gegen Polizeihauptkommissar Andreas Sch., angeklagt wegen Körperverletzung mit Todesfolge, und Polizeimeister Hans-Ulrich M., angeklagt wegen fahrlässiger Tötung, eingestellt wird.
Dreiundsechzig Zeugen hörte das Gericht während des Prozesses an, immer neue medizinische Gutachten gab es in Auftrag, mehrfach wurde der Brand im Feuerwehrinstitut Sachsen-Anhalts nachgestellt. Dennoch kann heute niemand wirklich sagen, was sich genau in der Todeszelle und im Polizeirevier an jenem Tag abspielte.
Klar ist, dass Oury Jalloh am Morgen von einer Polizeistreife mit aufs Revier genommen wurde, um seine Ausweispapiere zu überprüfen. Drei Mitarbeiterinnen der Stadtreinigung hatten sich von dem jungen Mann belästigt gefühlt. Er hatte sie immer wieder gebeten, ihm ein Handy zu leihen, weil seines nicht funktionierte. Genervt wählten sie die 110.
Oury Jalloh kam damals aus einer Disco. Er war schwer betrunken und wehrte sich heftig gegen die Festnahme, heißt es. Er war der Polizei im Zusammenhang mit Drogendelikten schon vorher aufgefallen. Auf dem Revier entnahm ihm ein Arzt Blut und bestätigte trotz eines Alkoholpegels von fast drei Promille und Kokainspuren im Blut seine Haftfähigkeit. Und weil er sich immer noch wehrte, durchsuchte man seine Kleidung und kettete ihn im Keller in einer Arrestzelle an. Dort brach - unter bis heute ungeklärten Umständen - ein Feuer aus.
Fest steht nach 20 Monaten Verhandlung nur: Oury Jalloh starb kurz nach zwölf Uhr mittags am 7. Januar 2005 einen schrecklichen, qualvollen Tod. Die Oberfläche des Leichnams sei zu 100 Prozent verbrannt gewesen, Yallohs Herz habe Anzeichen hoher Adrenalinausschüttung aufgewiesen, berichtete der Rechtsmediziner Michael Bohnert von der Universität Freiburg vergangene Woche vor Gericht. Bohnert war mit einem weiteren medizinischen Gutachten beauftragt worden. "Er wird rufen - er wird schreien - er wird sich maximal bewegen. Der wird ziehen und zerren, um wegzukommen ", erläuterte Bohnert das wahrscheinliche Verhalten eines angeketteten Menschen beim Ausbruch eines Feuers.
Oury Jalloh schrie um sein Leben. "Kommt, macht mich los, Feuer", rief er. Das hat die Polizistin Beate H. vor Gericht ausgesagt, die an jenem Januartag 2005 zusammen mit ihrem Vorgesetzten, dem Dienstgruppenleiter Sch., Dienst im Revier hatte. Die Gewahrsamszelle im Keller, in die man Jalloh gebracht hatte, ist durch eine Sprechanlage mit den Diensträumen der Beamten im zweiten Stock verbunden.
Doch Sch. hatte zunächst die Sprechanlage mehrmals leise gedreht, weil er sich von den Rufen Jallohs in seiner Arbeit gestört fühlte. Beate H. drehte sie wieder auf. Auch als ein Rauchmelder in der Zelle zwei Mal mit Piepton anschlug, drückte Sch. nur den Aus-Knopf, erinnerte sich seine Kollegin. Erst als auch ein Rauchmelder aus dem Lüftungsschacht Alarm gab, machte er sich auf Druck der Kollegin auf den Weg in den Keller. Er wollte einen Kollegen mitnehmen, der aber gerade telefonierte. Dann stellte er fest, dass er die Schlüssel für die Fesseln des Gefangenen vergessen hatte - so verging vielleicht lebensrettende Zeit.
Als Sch. endlich im Keller die Zelle Nummer fünf aufschloss, hoffte seine Kollegin im zweiten Stock auf eine Rettung. Als sie den Schlüssel im Schloss per Sprechanlage hörte, waren noch ein Rasseln der Ketten und die Worte des Gefangenen "Kommt, macht mich los, Feuer" zu hören. Per Überwachungskamera beobachtete Beate H. den Flur des Zellentrakts im Keller. Auf dem Monitor sei zu sehen gewesen, wie "pechschwarzer Qualm aus der Zelle kam", hat Beate H. vor Gericht ausgesagt. Dann habe das Kettenrasseln aufgehört. "Gott sei Dank", habe sie gedacht, "sie haben ihn rausgeholt". Erst später sei ihr klar geworden, dass sie nicht die Rettung verfolgt hatte, sondern "dass Herr Jalloh gestorben war".
Die Staatsanwaltschaft ging in dem Prozess davon aus, das Oury Jalloh das Feuer in der bis zur Decke gefliesten Zelle selbst entzündet hat. An beiden Händen und Füßen am Boden angekettet soll der Afrikaner eine Matratzennaht aufgetrennt, Teile der Schaumstofffüllung herausgepult und trotz der Fesseln ein Feuerzeug aus der Tasche gefingert haben, das der Beamte M. bei der Leibesvisitation übersehen haben soll. Dann habe sich Jalloh selbst angezündet. Sch. hätte ihn durchaus retten können, wenn er sofort nach dem ersten Feueralarm zum Unglücksort geeilt wäre, so sah es die Anklage.
Doch der Prozess konnte nicht klären, wie ein Feuerzeug - dessen verkohlte Reste erst Wochen nach dem Unglück entdeckt wurden - in die Zelle gelangte. Der Beamte M. bestritt vehement, ein Feuerzeug bei dem Afrikaner übersehen zu haben. Auch als ein Polizeibeamter sich drei Jahre nach dem Todesfall plötzlich erinnerte, am 7. Januar 2005 ein Feuerzeug verloren zu haben, ließ sich damit nichts beweisen. Die Anwälte der Nebenkläger bezweifelten die These von Anfang an.
Es konnte nicht geklärt werden, wann genau der Tod Oury Jallohs eintrat, wie viel Zeit blieb, ihn aus dem Feuer zu retten. Man könne die Wirklichkeit nicht nachstellen, "und wenn wir noch fünfundzwanzig Versuche machen", musste Oberstaatsanwalt Christian Preissner am Ende eingestehen.
Fast alle im Revier arbeitenden Polizisten wurden als Zeugen gehört. Einige verstrickten sich in Widersprüche, selbst die Hauptbelastungszeugin Beate H. variierte ihre Aussagen mehrfach. Sie wurde offensichtlich massiv von Kollegen unter Druck gesetzt.
Auch sonst gab es in dem Prozess einige Pannen. Von einem mindestens einstündigem Video, das am Brandtag von Kriminalbeamten in der Zelle gedreht wurde, waren nur die ersten vier Minuten brauchbar. "Ich begebe mich jetzt in die Zelle, in der sich ein schwarzer ausländischer Mitbürger angezündet hat", mit diesen Worten des filmenden Polizisten unterlegt beginnt der Film und zeigt die Begehung des Reviers bis zur Leiche in der Zelle. Danach: Filmausfall. Ferner wurde nicht geklärt, wieso Oury Jalloh bei seinem Tod einen frischen Nasenbeinbruch hatte, der erst bei der zweiten, von der Nebenklage veranlassten Obduktion entdeckt wurde.
Bekannt wurden Telefonprotokolle von Gesprächen der Beamten am Unglückstag auf dem Revier, etwa das Telefonat mit dem einbestellten Arzt Dr. B., der die Blutprobe bei Jalloh entnehmen sollte. "Pikste mal 'nen Schwarzafrikaner", wird der Arzt von einem Polizisten gefragt. "Ach du Scheiße", antwortet der. "Da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen." Lachen. Mitgeschnitten wurde auch ein Dialog am 7. Januar 2005, nachdem sich der Alarm in der Zelle Nummer fünf herumgesprochen hatte: "Hat er sich aufgehangen, oder was?"- "Nee, da brennt's." - "Wieso?" - "Weiß ich nicht. Die sind da runtergekommen, da war alles schwarzer Qualm." - "Ja. Ich hätte fast gesagt, gut. Alles klar, schönes Wochenende, ciao, ciao."
Diese Worte seien alle nicht so gemeint gewesen, wie sie klingen, sagte Sch. vor Gericht. Er und M. bestritten von Anfang an jede Mitschuld am Tod Jallohs. "Ich bedaure zutiefst, was am 7.1.2005 geschah", sagte Sch. "und dass es mir nicht vergönnt war, das Leben des Herrn Jalloh zu retten".
Die Anwälte der Familie Jalloh brachten in das Verfahren einen weiteren Todesfall ein. Im Oktober 2002 starb schon einmal ein Mann, ein Obdachloser, in einer Zelle des Dessauer Reviers. Viele Stunden ließ man den Mann im Keller liegen, der vermeintlich schlief, aber an einem Schädelbruch und inneren Verletzungen gestorben war. Auch damals hatte Andreas Sch. Dienst; derselbe Arzt wie bei Oury Jalloh attestierte die Gewahrsamstauglichkeit. Die Ermittlungen wurden 2002 eingestellt.
Ob der aktuelle Prozess wieder so endet, wird nun mit Spannung erwartet. Eine internationale Beobachtergruppe, Anwälte und Menschenrechtler aus Frankreich, Südafrika, Großbritannien, verfolgt das Verfahren. Einige fürchten einen Freispruch für beide Angeklagte, da vielleicht keinem ein individuelles Vergehen, das direkt zum Tode führte, nachgewiesen werden kann.
Das Gericht verhandelte in dieser Woche geheim mit den Prozessbeteiligten, offenbar um eine Einstellung des Verfahrens ohne Urteil bei einer Entschädigungszahlung an die Familie des Opfers durchzusetzen. Dies würde eine Revision unmöglich machen. Aber die Familie in Guinea wollte kein Geld. Sondern "bei allem Respekt vor dem Gericht: ein Urteil", sagt Oury Jallohs Vater.
Dass die Geschichte vom Tod Oury Jallohs in Dessau an die Öffentlichkeit gelangte, ist vor allem dem Druck von Bürgerinitiativen zu verdanken. "Wir konnten nur Schadensbegrenzung betreiben", sagt Marco Steckel von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Dessau. Er und einige Mitstreiter sorgten dafür, dass die Mutter und ein Bruder Oury Jallohs zum Prozess nach Deutschland reisen konnten. Sie stellten Berichte über jeden Verhandlungstag ins Internet. Steckel stellte auch Strafanzeige gegen die NPD, auf deren Website der lebendig verbrannte Jalloh verhöhnt wurde. Allein zwanzig rechtsradikale Angriffe habe es im dritten Quartal in der Umgebung gegeben, sagt Steckel, neun davon in Dessau. Die Region gilt neben dem Vorharz und Magdeburg als rechte Problemzone in Sachsen-Anhalt.
Die Stadt Dessau zeichnete sich im Fall Jalloh in der Vergangenheit vor allem durch Tatenlosigkeit aus. An der Trauerfeier für den Afrikaner im März 2005 nahm kein Vertreter der Stadt teil. Der neue Polizeipräsident für Sachsen-Anhalt Ost, Karl-Heinz Willberg, hat nun angekündigt, dass das Verhalten der beiden angeklagten Polizisten - unabhängig vom Ausgang des Prozesses - dienstrechtliche Folgen für die Beamten haben werde.
Auch die Bewohner von Dessau zeigten bisher kaum Anteilnahme. Als aber kürzlich die ARD-Dokumentation "Tod in der Zelle" über das Schicksal von Oury Jalloh gezeigt wurde, erzählt Mouctar Bah, einer der Freunde Jallohs, seien am nächsten Tag einige Anwohner ins Café gekommen, um ihnen die Hand zu drücken. "Sie haben sehr darauf geachtet, nicht von anderen Nachbarn gesehen zu werden", fügt er hinzu.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/…
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Film «Oury Jalloh» wird geehrt
Streifen über verbrannten Asylbewerber erhält Menschenrechts-Filmpreis
erstellt 06.12.08, 15:39h, aktualisiert 06.12.08, 16:52h
Gedenken an Oury Jalloh
Gedenken an Oury Jalloh: Der Mann aus Sierra Leone starb am 07. Januar 2005 in Polizeigewahrsam. (Foto: dpa)
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Nürnberg/Dessau/dpa. Der Film «Oury Jalloh» über den Fall eines in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers ist einer der Träger des diesjährigen Deutschen Menschenrechts-Filmpreises. Das teilten die Initiatoren des Preises am Samstag in Nürnberg bei der Bekanntgabe der insgesamt fünf ausgezeichneten Filme mit. Jede vierte der 226 eingereichten Film- und Fernsehproduktionen befasse sich mit Deutschland. «Menschenrechtsverletzungen finden nicht nur in weiter Ferne statt», sagte Filmpreis-Koordinator Klaus Ploth. Die Preisverleihung sollte am Samstagabend in Nürnberg sein.
Der Deutsche Menschenrechts-Filmpreis wird seit 1998 alle zwei Jahre vergeben. Anlass ist der Internationale Tag der Menschenrechte (10. Dezember). Zu den derzeit 17 Initiatoren des Preises gehören Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sowie Verbände aus der Bildungs- und Kulturarbeit.
Der Filmemacher Simon Jaikiriuma Paetau setze mit «Oury Jalloh» ein Zeichen gegen eine «inhumane Verwaltungsmaschinerie», heißt es in der Begründung der Jury. Auch die alltägliche Ausgrenzung von Flüchtlingen in Deutschland werde in dem halbdokumentarischen Kurzfilm thematisiert, den die Jury in der Kategorie «Amateure» auszeichnete.
Knapp vier Jahre nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Polizeizelle endet an diesem Montag am Landgericht Dessau- Roßlau der lange Prozess gegen zwei Polizisten. Unklar ist aber, ob ein Urteil verkündet wird. Das Landgericht hatte die vergangenen beiden Termine für die Plädoyers kurzfristig abgesagt. Möglich ist auch, dass das Verfahren gegen einen oder beide Polizisten ganz oder teilweise eingestellt wird.
In der Kategorie «Profi» erhielt die Autorin Susanne Babila vom Südwestrundfunk den mit jeweils 1500 Euro dotierten Filmpreis. Sie porträtiert in der einstündigen Dokumentation «Im Schatten des Bösen» Frauen und Mädchen, die im Kongo Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden - etwa durch Vergewaltigungen. Babila sei es gelungen, trotz «der strikten Tabuisierung von Vergewaltigungen» das Vertrauen der Frauen zu gewinnen, teilten die Initiatoren des Filmpreises mit.
In einem weiteren preisgekrönten Stück geht es um die Lage der Sinti und Roma in Italien. Die Autoren Clemens Riha und Alessandro Allaria berichten in dem für den Sender 3sat produzierten Magazinbeitrag «Italiens harte Hand» über einen Beschluss der italienischen Regierung, wonach Sinti und Roma bei den Behörden ihre Fingerabdrücke abgeben sollen.
Für ihren Abschlussfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film zeichnete die Jury die Autorin Christiane Schmidt aus. In ihrem Dokumentarfilm «comme tout autre humain» (Wie jeder andere Mensch) geht es um Asylsuchende, die in Brüssel eine Kirche besetzen, um damit ihre Aufenthaltsgenehmigung zu erstreiten. In der Kategorie «Bildungspreis» wurden die Filmemacher Rebecca Gudisch und Tilo Gummel vom Westdeutschen Rundfunk für die Reportage «Kindersklaven» ausgezeichnet.
http://www.naumburger-tageblatt.de/ntb/ContentServer?pagename=ntb/
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