Die Zügellosigkeit der Polizei
Leider kam der bestialische Mord an Alexis Grigoropoulos nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er war kaltblütig, widersinnig und vollkommen grundlos; trotzdem war es ein "Tod mit Ansage", unabhängig davon, was bisher von dem Mörder-Bullen und seinem Verteidiger-Paten gesagt wird. Und zwar deshalb, weil die Hand des Mörders geführt wurde von der verbreiteten, ungestraften und legalisierten Polizeigewalt der letzten Jahren gegen Migranten, Drogenabhängige, Roma und "lebenslustige" Jugendliche. Sie wurde bewaffnet von der allgemein eingeführten Polizeiherrschaft, der Verfestigung des polizeilichen Kannibalismus und der Figur des Rambo-Bullen, der stolz darauf ist, wie viele Migranten er geschlagen und wie viele Fixer er erniedrigt hat.
Alexis wurde auf dem Altar der “Sicherheit” geopfert. Im Namen dieser Sicherheit füllen sich die Städte mit uniformierten Mördern, werden Migranten in der Ägäis ertränkt, wird versucht, die Berufstätigen und die Arbeitslosen, die Entlassenen und die "Arbeitsfähigen" zu überzeugen, dass sie nicht von den Reichen, dem Kapital, dem Staat und den Multinationalen Konzernen bedroht werden, sondern von den noch Ärmeren als sie selbst, den Gejagten, den Parias, den Obdachlosen, denen, die "anders" sind.
Wie sehr es auch utopisch und gegen die Logik erscheinen mag, wir bestehen auf unseren Forderungen:
- Auflösung der Bereitschaftspolizei und der polizeilichen Sondereinheiten
- Entwaffnung der Polizei
Die Plünderung unseres Lebens
Neoliberalismus bedeutet mehr als nur der enthemmte Markt und mehr als nur die größere Ausbeutung und Unterdrückung derer "von unten". Es ist vor allem die ungezügelte Herrschaft der Reichen über die Armen, die absolute Mißachtung individueller und kollektiver Rechte und noch schlimmer: ihre Dämonisierung mit der Behauptung, daß diese Rechte schuld seien an der Besitzlosigkeit und der Verelendung, die auf dem Planeten herrschen.
Glücklicherweise ist der Mythos vom "Ende der Geschichte" zusammengebrochen. Dies Ideologie vom "Wohlstand der freien Märkte" steht am Pranger. Die Weltwirtschaftskrise läßt keinen Raum für auch nur die geringste Illusion über die Lügen der Herrschenden.
Die Regierung Karamanlis hat den öffentlichen Sektor demontiert, die Teuerung in die Höhe getrieben, hat den staatlichen Besitz geplündert, die Sozialversicherungskassen beraubt, hat Hunderttausende von Menschen zu prekären Lebensbedingungen verurteilt, zu Besitzlosigkeit und sozialem Ausschluß. Damit ihr das alles gelingen konnte, hat sie der Allesfresserei der Kirche gehuldigt sowie dem Kannibalismus von Justiz und Polizei. Dies ist die Regierung der allgemeinen Ausplünderung, eine Regierung, die sich selbst das Recht angemaßt hat, von "Plünderungen" und "Schutz des Eigentums" zu sprechen.
Diese Regierung, die die Umwelt zerstört, die den öffentlichen Sektor ausverkauft, die die menschliche Arbeit erniedrigt, die Flüchtlinge tötet und Kinder mordet, muß weg. Nicht, um von dem PASOK des Mordes an Kaltezas und des Verabschiedens der Terrorgesetze gefolgt zu werden, sondern weil wir sie nicht mehr ertragen, weil uns ein menschenwürdiges Leben zusteht.
Die Erhebung
Der finstere Mord an Alexis führte zu der größten Erhebung seit dem Ende der Juntazeit 1974. Breiter, massenhafter, das ganze Land umfassend und entschlossener als am 25. Mai 1976 gegen das Gesetz Nr. 330, als beim Polytechnikum 1980, als die Bewegung anläßlich des Mords an Michael Kaltezas 1985, als der Ausbruch, der auf den Mord an Nikos Temboneras im Januar 1991 folgte.
Diese Erhebung wurde nicht nur durch die brutale Hinrichtung von Alexis Grigoropoulos hervorgerufen. In ihr kommt der Druck, die Wut und der Haß einer ganzen Bevölkerungsgruppe (die "Prekären" nennen sie sie) zum Ausdruck, die tagtäglich die Wirklichkeit der tugendhaften Welt der Reichen auszuhalten hat: unsichere Lebensverhältnisse, Umherirren in der Arbeitswelt, tägliche Erniedrigungen, Polizeigewalt auf Plätzen, in Stadien und Straßen, Erstickung jeder Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben.
Unter den Tausenden von Menschen, die sich Straßenschlachten mit den Bullen liefern (die aber auch Banken und – leider, aber vollständig erklärlich – kleinere Geschäfte zerlegen), befinden sich große Teile unserer Jugend, Unterbeschäftigte, Arbeitslose, Schüler und Studenten, Einheimische und Migranten, Politisierte und Entpolitisierte, die die Gelegenheit ergreifen, ihren Haß auf die Bullen auszudrücken, auf die Reichen, auf die Symbole der Macht, des Reichtums und des Konsums; aber auch auf das, was sie sich wünschen und in diesem System des betrügerischen Luxus und der "Scheinheiligkeit des Wohlstands" nicht haben.
Zu ihrer Ehre muß gesagt werden, daß – außer dem anarchistisch-antiautoritären Umfeld, das aus Prinzip an den Zusammenstößen teilnimmt – große Teile der radikalen Linken, trotz aller Widersprüche mit dem "Entglasen" und den "Verwüstungen", sich nicht dem Ruf nach Recht und Ordnung angeschlossen und die "Auswüchse" nicht verurteilt haben, sondern auf die Straße gegangen sind. Sie demonstrierten mit den "Vermummten" und riefen: "Sie reden von Gewinnen und Verlusten, wir reden von menschlichen Leben". Sie verstanden, daß "die Praxis vor der Theorie kommt" und stellten sich bedingungslos der polizeilichen Barbarei entgegen. Wir hoffen, das bleibt so…
Wenn die Jugend erschossen wird, muss die Linke sich nicht rechtfertigen!
Ungehorsam und Zusammenstoß
Von Brixton und Los Angeles bis zu Genua und dem Aufstand in den Pariser Vorstädten zeigt sich, daß – gut oder schlecht, aber auf jeden Fall in der Realität – die Furten und Wege des sozialen Widerstands von dem allgemeinen Zustand der Gesellschaft und der Bewegung abhängen. Was sollen wir machen? Der Zustand der Gesellschaft, der Bewegung und der Linken (aller ihrer Strömungen) erlauben, daß wir mit vielen Tausenden wegen der Ermordung eines 15jährigen auf die Straße gehen, aber er reicht nicht aus für die Herausbildung einer kämpferischen Bewegung mit einem umfassenden politischen Plan. Würden wir Jahrestage des Protestes vorziehen? Vielleicht ist es besser, die Art und Weise zu überdenken, in der sich dieses gesellschaftliche Potenzial, das geplündert und erstickt wird, wirkungsvoll ausdrücken könnte.
Als Netzwerk nehmen wir bedingungslos an der Erhebung gegen die Regierung, die Reichen und die Polizei teil und unterstützen diese Bewegung.
Wir begrüßen die gesellschaftliche Wut gegenüber der plündernden und terroristischen Regierung; wir begrüßen die Empörung von Millionen von Menschen über den Mord an Alexis Grigoropoulos; wir begrüßen die Teilnahme von Zehntausenden Jugendlicher und junger Leute an den Angriffen auf Polizeireviere.
Gegenüber den Äußerungen des Ministerpräsidenten, mit "harter Hand" durchgreifen zu wollen, gegenüber der Anbetung der gesetzmäßigen Ordnung durch die größte Oppositionspartei [PASOK], den "Wohlverhaltensaktionen" von Bullen, "aufgebrachten Bürgern" und Faschisten, gegenüber den Verbeugungen des Gewerkschaftsdachverbands GSEE und der "unversöhnlich klassenkämpferischen" Kommunistischen Partei vor der Legalität und Recht und Ordnung, gegenüber den Verdrehungen der Wirklichkeit und den Verleumdungen der Massenmedien, vor allem der Fernsehkanäle, erklären wir, daß die Antwort nur eine sein kann:
Die gesellschaftlichen Kämpfe sind weder "unschuldig" noch "schuldig"; sie sind gerecht. Wenn Tausende von Menschen sich vermummen, haben sie ein Gesicht!
9. Dezember 2008
Netzwerk für Politische und Soziale Rechte
http://gipfelsoli.org/Repression/5862.html
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Greece: These days are ours, too
(...that ties of solidarity are being formed and strengthened across different sectors of the Greek society - a wonderful thing!)
Tuesday, December 16 2008 @ 07:13 AM CST
http://news.infoshop.org/article.php?story=20081216071358338
Following the assassination of Alexis Grigoropoulos we have been living in an unprecedented condition of turmoil, an outflow of rage that doesn’t seem to end. Leading this uprising, it seems, are the students - who with an inexhaustible passion and hearty spontaneity have reversed the whole situation. You cannot stop something you don’t control, something that is organised spontaneously and under terms you do not comprehend. This is the beauty of the uprising. The high school students are making history and leave it to the others to write it up and to classify it ideologically. The streets, the incentive, the passion belongs to them.
Greece: These days are ours, too
(The following text was distributed at the student picket outside the police headquarters today by people from Athens’ Haunt of Albanian Migrants. I wanted to translate and upload it here because it shows something very important: that ties of solidarity are being formed and strengthened across different sectors of the Greek society - a wonderful thing!)
These days are ours, too
Following the assassination of Alexis Grigoropoulos we have been living in an unprecedented condition of turmoil, an outflow of rage that doesn’t seem to end. Leading this uprising, it seems, are the students - who with an inexhaustible passion and hearty spontaneity have reversed the whole situation. You cannot stop something you don’t control, something that is organised spontaneously and under terms you do not comprehend. This is the beauty of the uprising. The high school students are making history and leave it to the others to write it up and to classify it ideologically. The streets, the incentive, the passion belongs to them.
In the framework of this wider mobilisation, with the student demonstrations being its steam-engine, there is a mass participation of the second generation of migrants and many refugees also. The refugees come to the streets in small numbers, with limited organisation, with the spontaneity and impetus describing their mobilisation. Right now, they are the most militant part of the foreigners living in Greece. Either way, they have very little to lose.
The children of migrants mobilise en mass and dynamically, primarily through high school and university actions as well as through the organisations of the left and the far left. They are the most integrated part of the migrant community, the most courageous. They are unlike their parents, who came with their head bowed, as if they were beging for a loaf of bread. They are a part of the Greek society, since they’ve lived in no other. They do not beg for something, they demand to be equal with their Greek classmates. Equal in rights, on the streets, in dreaming.
For us, the politically organised migrants, this is a second french November of 2005. We never had any illusions that when the peoples’ rage overflew we would be able to direct it in any way. Despite the struggles we have taken on during all these years we never managed to achieve such a mass response like this one. Now is time for the street to talk: The deafening scream heard is for the 18 years of violence, repression, exploitation and humiliation. These days are ours, too.
These days are for the hundreds of migrants and refugees who were murdered at the borders, in police stations, workplaces. They are for those murdered by cops or “concerned citizens.” They are for those murdered for daring to cross the border, working to death, for not bowing their head, or for nothing. They are for Gramos Palusi, Luan Bertelina, Edison Yahai, Tony Onuoha, Abdurahim Edriz, Modaser Mohamed Ashtraf and so many others that we haven’t forgotten.
These days are for the everyday police violence that remains unpunished and unanswered. They are for the humiliations at the border and at the migrant detention centres, which continue to date. They are for the crying injustice of the Greek courts, the migrants and refugees unjustly in prison, the justice we are denied. Even now, in the days and nights of the uprising, the migrants pay a heavy toll - what with the attacks of far-righters and cops, with deportations and imprisonment sentences that the courts hand out with Christian love to us infidels.
These days are for the exploitation continuing unabatedly for 18 years now. They are for the struggles that are not forgotten: in the downs of Volos, the olympic works, the town of Amaliada. They are for the toil and the blood of our parents, for informal labour, for the endless shifts. They are for the deposits and the adhesive stamps, the welfare contributions we paid and will never have recognised. It is for the papers we will be chasing for the rest of our lives like a lottery ticket.
These days are for the price we have to pay simply in order to exist, to breathe. They are for all those times when we crunched our teeth, for the insults we took, the defeats we were charged with. They are for all the times when we didn’t react even when having all the reasons in the world to do so. They are for all the times when we did react and we were alone because our deaths and our rage did not fit pre-existing shapes, didn’t bring votes in, didn’t sell in the prime-time news.
These days belong to all the marginalised, the excluded, the people with the difficult names and the unknown stories. They belong to all those who die every day in the Aegean sea and Evros river, to all those murdered at the border or at a central Athens street; they belong to the Roma in Zefyri, to the drug addicts in Eksarhia. These days belong to the kids of Mesollogiou street, to the unintegrated, the uncontrollable students. Thanks to Alexis, these days belong to us all.
18 years of silent rage are too many.
To the streets, for solidarity and dignity!
We haven’t forgotten, we won’t forget - these days are yours too
Luan, Tony, Mohamed, Alexis…
Haunt of Albanian Migrants