VON THOMAS STEINBERG, 16.01.09, 21:11h, aktualisiert 16.01.09, 22:16h
DESSAU/MZ. Was bleibt nach 60 Verhandlungstagen und einem Freispruch? "Wut und Frust", gesteht Bernd Mesovic von Pro Asyl. Der Menschenrechtler erfährt nicht zum ersten Mal, dass ein Prozess um den Tod eines Asylbewerbers mit Freisprüchen endet. Der Fall von Oury Jalloh war - vorerst? - der letzte Prozess dieser Art.
Bemerkenswerte Urteilsbegründung
Mesovic war einer der Gäste, die von der Deutsch-Afrikanischen Initiative Dessau, dem Multikulturellen Zentrum und dem Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt zum Podiumsgespräch ins Schwabehaus geladen worden waren: "Der Prozess zum Tod von Oury Jalloh - Rückblick und offene Fragen". Offene Fragen hat der Prozess reichlich gelassen, der vor einigen Wochen mit einer bemerkenswerten Begründung des Richters endete: ein rechtsstaatliches Verfahren sei wegen des Verhaltens der Polizei unmöglich gewesen.
Jallohs Tod und mehr noch der Prozess hatten hinter den Kulissen tiefe Gräben aufgerissen zwischen denen, die sich für Asylbewerber einsetzen und diesen selbst. Die Flüchtlings-Plattform "The Voice" hatte früh von Mord gesprochen, was andere in dieser Schärfe nicht hinnehmen wollten. Und so war der eigentliche Erfolg des Donnerstagsabends das sachliche Gespräch miteinander.
Ja, sagte Ulrich von Klinggräf, einer der Verteidiger der Nebenklage, er halte es nach wie vor für richtig, nicht der Forderung von "The Voice" nachgekommen zu sein, sich aus dem Prozess zurückzuziehen. Auch wenn man am Ende "grandios gescheitert" sei - das Gericht habe der Nebenklage viele Möglichkeiten zur Aufklärung eingeräumt. Eine Erkenntnis zumindest hätte der Prozess zutage gefördert - die potenziell rassistische Stimmung bei der Polizei: "Es gab keinen Grund, Jalloh festzunehmen." Er sei nur deshalb verhaftet worden, weil er schwarz war. Eine These, die Mesovic untermauerte: drei Viertel aller im europäischen Polizeigewahrsam zu Tode gekommenen seien Schwarze, und alle Toten insgesamt seien Schwache und Hilflose, eine Gruppe, zu der auch der zweite Tote im Dessauer Polizeirevier gehörte. Da die Polizei zur Selbstkontrolle unfähig sei, schlug er eine bürgerschaftliche Kontrolle vor. Eine Anregung, die Beifall fand im Podium. Die Frage indes bleibt, wie das zu bewerkstelligen sei. Jeder lokale Tierschutzverein hat mehr Unterstützer als etwa der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, von dem ein Schwarzer wissen wollte, was dieser für Asylanten tue.
Es sei "eine verdammt mühsame Arbeit"", gestand Frauke Sonnenburg, Fortschritte seien nur mühsam zu erzielen und nur im Miteinander. Ihre wichtigste Forderung: die zentralen Flüchtlingsunterkünfte (die von Klinggräf als Lager bezeichnet), müssten abgeschafft werden. Sie erzögen zur Unselbständigkeit, nicht zuletzt, weil sie weitab lägen. Sangerhausen habe mit der dezentralen Unterbringung gute Erfahrung gemacht (und nebenher sogar Geld gespart), ein Hinweis, der das Interesse von Stadtrat Holger Schmidt (Bürgerliste / Die Grünen) fand: "Das können wir also selbst entscheiden?" - "Ja."
Stillschweigen in Magdeburg
Während Marco Steckel von der Opferberatungsstelle Im Multikulturellen Zentrum ein erstarktes Selbstbewusstsein der schwarzen Gemeinschaft in Deutschland ausmachte, sah Susi Möbbeck als Integrationsbeauftragte der Landeregierung auch Bewegung bei dieser. Nach dem Tode Jallohs war aus Magdeburg damals wochenlang kein Wort zu vernehmen; inzwischen mache sich der neue Innenminister stark gegen Rechtsextremismus. Veränderungen in der Polizei aber könne man nicht einfach verordnen, beispielsweise ein von Empathie getragenes Menschenbild bei den Beamten, was Klinggräf eindeutig zu wenig war. "Die rassistische Sondergesetzgebung muss abgeschafft werden", lautet sein Schluss nach etlichen Prozessen, die er für Asylbewerber geführt hat. Und, so ergänzte Steckel, es müsse mehr Unterstützung auf lokaler Ebene geben.
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Dt/Eng.)
Oury Jalloh Initiative will unabhängige Kommission - demand Independent Commission: Gedenken an Oury Jalloh, Dessau 7.1.09