Remscheid: Wir sind keine Gefangenen – wir fordern die sofortige Abschaffung der Videoüberwachung und der Anwesenheitskontrollen:>>> mehr
Wdr von Cosmos Tv Remscheid, offener Brief der Flüchtlinge bezüglich Anwesenheitskontrollen und Überwachungskameras Anwesenheitskontrollen und Überwachungskameras: Texts in English, Turkish, French
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Asylbewerber in Remscheid wollen mehr Freiheiten
Flüchtlinge klagen über Schikanen
Von Stephanie Zeiler
Tägliche Kontrollen, Videoüberwachung, kleine Zimmer: Asylbewerber mahnen Missstände in einigen kommunalen Sammelunterkünften an. In Remscheid haben Flüchtlinge jetzt erfolgreich gegen die Zustände in ihrem Wohnheim protestiert.
Antreten zur Anwesenheitskontrolle
Beim Appell gibt es kein Pardon: Zweimal täglich eine Stunde hat der Flüchtling Nikolai K. aus der Ukraine Zeit, seinen Namen beim Hausmeister in eine Liste einzutragen. Eine am Morgen, eine am Nachmittag. Falls er oder ein anderer der rund 230 Flüchtlinge in Remscheids Übergangsheimen diesen Termin verpassen, drohen harte Sanktionen. "Dann bekomme ich nur Gutscheine, das Sozialamt kürzt mir mein Geld und einmal haben sie mich sogar aus dem Wohnheim abgemeldet und ich habe gar kein Geld mehr bekommen", erkärt der 28-Jährige, der seit vielen Jahren in deutschen Übergangswohnheimen lebt.
Exzessive Kontrollwut?
Claudia Dolk, Anwältin und Expertin für Flüchtlingsfragen, beobachtet solche Vorgänge mit großer Sorge. Bislang seien ihr solche Geschichten nur aus den Neuen Bundesländern bekannt gewesen. Inzwischen werde aber auch in NRW, wo 23 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland untergebracht sind, beispielsweise im Kreis Wesel, mit ständigen Kontrollen Druck auf die Bewohner ausgeübt. Dabei verweisen sie auf die Residenzpflicht der Flüchtlinge: Sie dürfen einen bestimmten Bezirk nicht verlassen. "Residenzpflicht heißt gesetzlich aber gar nicht, dass der Flüchtling verpflichtet ist, sich jeden Tag per Unterschrift in seinem Wohnheim zu melden", erklärt die Oberhausener Juristin. Flüchtlinge einfach abzumelden, nur weil sie einige Tage im Wohnheim gefehlt haben, sei rechtswidrig. Die Kommunen haben für das Einhalten der Residenzpflicht zu sorgen. Und das wird unterschiedlich streng gehandhabt.
Offener Brief an die Stadt
Saccoh T. (l.) und Nikolai K.
In Remscheid wehren sich die Flüchtlinge. "Remscheid macht seine eigenen Gesetze." Saccoh T. hat kein Vertrauen mehr in die Stadt, in der er seit zehn Jahren lebt - immer im Übergangswohnheim. Der ehemalige Kindersoldat aus Sierra Leone wehrt sich: Zusammen mit 52 anderen Flüchtlingen hat er am 20. Januar einen Offenen Brief an den Sozialdezernenten geschrieben. Die Flüchtlinge beschreiben darin, wie sie durch die täglichen Anwesenheitskontrollen und Überwachungskameras auf dem Heimgelände in ihrer Freiheit eingeschränkt werden: "Wir fordern, dass wir Flüchtlinge in Remscheid in Zukunft wie Menschen mit Würde und respektvoll behandelt werden", lautet der Schlusssatz des Schreibens.
Stadt weist Vorwürfe zurück
"Die Kameras dienen allein dem Schutz des Heims vor Übergriffen von rechten Gewalttätern. Auch die täglichen Anwesenheitskontrollen dienen nicht dazu, die Menschen zu drangsalieren", weist Sozialdezernent Burkhard Mast-Weisz den Vorwurf von sich. Die Regelung stamme noch aus der Zeit, als es noch weit über 1.000 Flüchtlinge und allein 27 Wohnheime in Remscheid gab. Bei so vielen Menschen sei es für einen Hausmeister schwer gewesen zu erkennen, ob alle regelmäßig anwesend waren. Eine Kopie des Offenen Briefes ging auch an die innenpolitische Sprecherin der Grünen des Landes NRW, Monika Düker. Diese hatte im November 2008 ein Remscheider Wohnheim besucht und die Klagen der Bewohner angehört. "Die Unterschriftenliste ist in Frage zu stellen", sagt Düker. Sie habe gefragt, ob das nicht flexiber zu gestalten sei. Daraufhin hatte die Stadt den Flüchtlingen einen Runden Tisch mit den zuständigen Personen zugesagt. In der kommenden Woche (9. bis 15.02.09) soll dieses Treffen nach vielen Verzögerungen endlich stattfinden. Bei den Flüchtlingen liegen mittlerweile die Nerven blank - auch wegen der ihrer Meinung nach teilweise schlechten Unterbringung: "Die behandeln uns wie Müll", schimpft Nikolai K. In seinem Wohnheim ständen 14 von 40 Zimmern leer - einige davon sehr geräumig. Trotzdem müssten viele Bewohner in Räumen von nicht einmal fünf Quadratmetern leben.
Große Unterschiede zwischen den Kommunen
Neue Unterkünfte für Asylbewerber in Münster
Andere Kommunen in NRW nutzen ihren Spielraum bei der Auslegung der Gesetze mehr aus: In Essen und Leverkusen leben die Flüchtlinge in sehr preisgünstigen Privatwohnungen. In Münster leben mittlerweile rund 210 Personen, in modernen Wohnheimen, die 2003 im Rahmen eines neuen Integrationsplanes gebaut wurden und wie Reihenhäuser aussehen. "Als Kommune ist man keineswegs verpflichtet, die Menschen einzusperren", sagt Jochen Köhnke, Dezernent für Migration und interkulturelle Angelegenheiten der Stadt Münster. Anwesenheitskontrollen durch Unterschriften oder Chipkarten gebe es in Münster nicht.
Lösung in Sicht?
Wie Gesetze anderswo in NRW umgesetzt werden, speziell das Asylbewerberleistungsgesetz, darüber hat sich derweil auch Sozialdezernent Burkhard Mast-Weisz informiert. Den Streit zwischen den Flüchtlingen, dem Sozialamt und dem alle Remscheider Wohnheime betreuenden Verein "Begegnen, Annehmen, Fördern" (BAF) will Mast-Weisz persönlich schlichten. Bei dem kommenden Treffen mit den Bewohnern zweier Unterkünfte will er ein Angebot machen: Statt der täglichen Kontrollen könnte es demnach Unterschriftenabfragen in größeren Zeitabschnitten geben.
http://www.wdr.de/themen/politik/nrw04/remscheid_wohnheime/index.jhtml
Stand: 06.02.2009, 06:00 Uhr
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KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
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