08.05.2009
Linkezeitung-Interview mit Flüchtlingen die bei der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrantinnen mitmachen. Ergänzt durch Zitate einer Rede von Seid Seidi (Karawane Bremen) über den zehnjährigen Kampf der Karawane.
Isaac Jawara, Flüchtling aus Sierra Leone lebt in Remscheid. Ali, Flüchtling aus Palästina, lebt in Düsseldorf.
Linkezeitung: Hunderte Menschen sterben jedes Jahr bei dem Versuch, von Afrika nach Europa zu gelangen. Ende Januar starben gleich etwa 200 Menschen. 250 Flüchtlinge hatten versucht, in einem für 50 Menschen zugelassenen Boot überzusetzen. In stürmischer See kenterte das Boot. Wovor flüchten die Menschen?
Isaac Jawara: Flüchtlinge fliehen aus ihren Ländern aus unterschiedlichen Gründen: Kriege, Vergewaltigungen, Bedrohung ihres Lebens durch die politische Herrschaft in ihrem Land, Armut, religiösen Konflikte, mangelnde Gesundheitsversorgung oder einfach weil sie ihre Lebensbedingung verbessern wollen. Die meisten fliehen, weil sie ihr Leben schützen wollen, weil sie leben wollen.
... „Flüchtlinge sind das Produkt von Krieg, Hunger, Unterdrückung. ... die Mächtigen der Welt zerstören unsere Länder mit Hilfe ihrer Marionetten-Regierungen, was uns zwingt zu fliehen und dabei unsere Familien und Freunde zurückzulassen." (1)
Linkezeitung: Was sind die persönlichen Schicksale, welche die Menschen antreibt, ein solches Risiko einzugehen?
Isaac Jawara: Es gibt unterschiedliche Erfahrungen, die Menschen bewegt die Risiken einer Flucht zu den verschiedenen Orten dieser Erde aufzunehmen. Wenn in einem Land der Krieg ausbricht, fliehen die Menschen um sich in Sicherheit zu bringen, sie fliehen vor dem Feind oder dem Friendly Fire.
Wenn sie fliehen, suchen sie nur einen Ort, wo sie Sicherheit und Schutz finden können, aber meist finden sie sich in einem Ort wieder, wo es ihnen nicht unbedingt besser geht. Sie werden in den Aufnahmeländern oft nicht gut behandelt. Es ist als ob du von einer Bratpfanne fliehst und in einem Feuer dich wiederfindest. Du wirst selten als Mensch behandelt. Dein Leben als Flüchtling wird zur Hölle gemacht. Hier in Deutschland musst du in Isolationsheimen ausharren und deine Bewegungsfreiheit wird durch die Residenzpflicht eingeschränkt.
.... „Sie haben vergessen oder ignorieren, dass die meisten von uns bereits viele Grenzen überquert haben, um Freiheit zu finden. Sie haben vergessen, dass wir Gesetzlose sind, dass wir die Menschen sind, die nicht die Hölle akzeptieren, die in unseren Ländern installiert wurde durch ihre Marionetten-Regierungen. Wir sind geflohen von diesen Bedingungen." (1)
Linkezeitung: Und was erwartet die Flüchtlinge in Europa? Erfüllen sich ihre Hoffnungen?
Isaac Jawara: In Europa oder woanders in der Welt sind die Flüchtlinge isoliert. Wir werden psychisch, mental und moralisch vernichtet. Es finden kaum Wechselbeziehungen zwischen den Flüchtlingen und der Gesellschaft, in der sie Schutz suchen statt. Die Träume der Flüchtlinge werden nicht erfüllt. Sie fliehen und suchen Schutz, aber gerade dieses wird ihnen verweigert. Statt dessen setzt man alles dran, dich zu zerstören. Ich würde gerne wissen, ob das Leben von Menschen unterschiedlich bewertet wird? Es ist Gott, der uns alle erschaffen hat. Warum werden Menschen durch Rassisten verfolgt und ihr Leben bedroht. Die Führer dieser Welt machen unser Leben zur Hölle.
Linkezeitung: Was sind Eure Schwerpunkte in der nächsten Zeit?
Ali: Einer unserer Schwerpunkte bildet seit Jahren der Kampf gegen das Schweigen in der hiesigen Gesellschaft, welches die Morde an Oury Jalloh, Dominique Koumadio, Halim Dener und vielen anderen zulässt. Wir wollen das Schweigen brechen, in dem es Norm wird, dass Polizisten unsere Brüder und Schwestern in Polizeizellen am lebendigen Leibe verbrennen oder vergewaltigen, wie sie es mit unseren Schwestern in Bremen getan haben. Seit dem Tode Oury Jallohs haben wir sehr viel Öffentlichkeit erreicht. Wir haben es erzwungen, dass ein Gerichtsverfahren eröffnet wird. Wir haben durch unsere ständige Präsenz und klaren Worte viele gezwungen, zu sprechen. Um die hiesige Politik und ihre Masken zu durchbrechen, sind wir gerade im Aufbau einer unabhängigen Kommission im Falle Oury Jallohs. Wir werden dort die Familien und Freunde der Opfer und viele anderen Menschen sammeln um unsere Wahrheit zu erzählen. Im Mai werden wir ein erstes großes Treffen zur Vorbereitung dieser Kommission haben.
Weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist der Kampf gegen Isolationslager und der Widerstand gegen Abschiebungen. In Thüringen sind mehrere Heime durch die Aktivitäten der Flüchtlinge, des The VOICE Refugee Forums geschlossen worden. Das Lager in Gehlberg in der Nähe von Saalfeld wird demnächst geschlossen. In Remscheid haben die gemeinsamen Aktionen von Flüchtlingen viel Öffentlichkeit erreicht und zur Verbesserung der konkreten Lebenssituation geführt. Es finden tagtäglich Aktivitäten statt. Wer mehr erfahren will, kann es auf unserer Internetseite (http://thecaravan.org) erfahren.
1) Beitrag beim Karawanetreffen vom 30.01 - 01.02 2009 von Seid Seidi (Karawane Bremen) über den zehnjährigen Kampf der Karawane. Quelle: https://thevoiceforum.org/node/1110
Wikipedia über Oury Jalloh
Artikel in der Linkezeitung zu Oury Jalloh
Auf Englisch: Mumia Abu Jamal spricht über Oury Jalloh - youtube
Film: Tod in der Polizeizelle: warum starb Oury Jalloh?
Weblog zu Oury Jalloh: Break the silence
Das Interview führte Francis Byrne
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&i…