Acht Jahre sind keine acht Tage
Es geht nicht um mehr und nicht um weniger als das dauerhafte und gesicherte Aufenthaltsrecht für ALI SAFIANOU TOURÉ.
ALI SAFIANOU TOURÉ wurde 1973 in Bafilou, Togo geboren. Unter der Diktatur des Generals Eyadema Gnassingbe und seinem Familienclan war Bafilou in unmittelbarer Nachbarschaft der Region Kara, von wo der Eydema Clan stammt, immer starker Unterdrückung ausgesetzt. So gab es insbesondere in der Jugend viele aktive Regimegegner. Ali erinnert an seine frühe Schulzeit. Er und ein Freund kritisierten einmal, dass die Schüler häufig anstatt zu lernen Animationen und anzchoreografien für den Präsidenten üben müssen. Alle Eltern bezahlen Schulgeld, damit ihre Kinder etwas lernen, um später eine Arbeit oder ein Studienplatz zu finden. Viele sind sehr arm und es ist schwer das Schulgeld aufzubringen. Als der Schuldirektor von der Kritik erfuhr, rief er ALI SAFIANOU TOURÉ zu sich, fragte ihn, ob er etwa Demokrat sei und warnte ihn solchen Ideen nachzugehen.
Aus der Hauptstadt Lomé kamen über Transportarbeiter Zeitungen der Opposition nach Bafilo. ALI SAFIANOU TOURÉ begann sich in der Jugendarbeit der PDR zu organisieren. Die Zeitungen die regelmäßig nach Bafilou kamen, verteilte er. Da viele Leute nicht lesen gelernt haben, organisierte er zusammen mit seinem Schulfreund Abdou Gafar Tchedre Djibril Versammlungen, wo sie die Zeitung vorlasen und zusammen über die Themen diskutierten. Da die Drohungen in der Schule zugenommen hatten verließen sie die Schule. Als ALI SAFIANOU TOURÉ und andere gegen eine Versammlung der Präsidentenpartei in Bafilou mobilisierten, kam es zu Angriffen der Sicherheitskräfte und zu vielen Festnahmen. In der gleichen Zeit starb ein Onkel bei einem Angriff der Armee in Sodu. ALI SAFIANOU TOURÉ, der bisher bei seiner Großmutter und dem Bruder seines Vaters gelebt hatte, war ins Visier der Sicherheitskräfte gekommen und musste Bafilou verlassen.
Er ging nach Lomé. Dort ging er bei einem Schneider in die Lehre. Aufgrund seiner Behinderung – eine Poliomyelitis hat ein Bein in einem stark unterentwickelten, deformierten Zustand gelassen – war es nicht einfach einen Arbeitsplatz zu finden. Nach einer Weile knüpfte er an seine politische Arbeit aus Bafilou an. Er nähte Banner für die Opposition und verteilte Flugblätter. Vor den Präsidentschaftswahlen 2002 war die Repression besonders hoch und viele hatten Angst vor allem wegen der Spitzel, die überall auftauchten. ALI SAFIANOU TOURÉ ging trotzdem zur Universität.
Ein RPT Parteiführer, den er aus der Schulzeit kannte, erkannte ihn und fragte, was er aus dem Norden hier im Süden will. ALI SAFIANOU TOURÉ antwortete: egal ob Süden oder Norden, wir wollen Demokratie und einen neuen Weg. Die Diktatur muss verschwinden. Danach verteilte er die Flugblätter. Abends bekam er eine Warnung nicht nach Hause zu gehen. Er blieb bei Freunden. Bei der nächtlichen Durchsuchung seiner Wohnung wurden Flugblätter gegen die Straflosigkeit von Militärs und Polizisten gefunden – Täter aus dem Militär und dem Polizeiapparat sind für tausende Tote verantwortlich.
Nach manchen Massakern wurden die Leichen von Hubschraubern aus ins Meer geworfen, von wo sie an die Strände von Lomé getrieben wurden.
Besonderes Interesse galt einem Video aus Deutschland, das der bereits im Exil lebende Jugendfreund, Abdou Gafar, geschickt hatte. Das Video dokumentiert die scharfen Proteste togoischer Oppositioneller in Hannover gegen den Auftritt des Diktators Eyadema bei der EXPO 2000.
Nach der Razzia brachten Freunde ALI SAFIANOU TOURÉ nach Ghana von wo er nach Deutschland floh.
In der zentralen Aufnahmestelle Mecklenburg- Vorpommerns, eine ehemalige NVA Kaserne einige Kilometer von dem Dorf Boizenburg entfernt stellte ALI SAFIANOU TOURÉ 2002 seinen Asylantrag. Er wurde in ein isoliertes mitten im Wald gelegenes Lager geschickt. Das „Dschungelheim“ - wie es von den Flüchtlingen bezeichnet wurde und der Begriff zu einem Synonym für die vielen ähnlichen Lager in deutschen Einöden wurde – war eine Ansammlung von Baracken aus Holz- und Hartfaser Plattenwerkstoffen und einem Gebäude aus gemauerten Stein.
In diesem Gebäude saß die Lagerleitung sprich Hausmeisterei und Sicherheitsdienst, in den Baracken lebten die Flüchtlinge. Bevor ALI SAFIANOU TOURÉ dorthin kam gab es nicht einmal eine befestigte Straße zu der mehrere Kilometer von der Landstraße entfernten Waldlichtung. Bei starkem Regen konnte kein Auto dorthin kommen. Statt den als Sommerferienlager in den 60er Jahren gebauten völlig maroden Komplex zu räumen, wurde für viele zehntausende D-Mark der Waldweg asphaltiert.
Der Zustand der Baracken blieb. Drinnen gab es schwarzen Schimmel und von der Decke tropfendes Regenwasser, draußen gab es eine häufig überlaufenden Sickergrube und jede Menge wilde Tiere. In schneereichen Wintern war das Lager komplett von der Außenwelt abgeschnitten.
Die Baracken waren kaum warm zu kriegen. Oft gab es Stromausfälle durch Schnee- oder Sturmschäden. Die Kinder im Lager gingen nicht zur Schule bis die Proteste der Eltern die Behörde zwang einen Fahrdienst zur Schule einzurichten. Einkaufen konnten die Flüchtlinge nur mit Lebensmittelgutscheinen in zwei Supermärkten im ca. zehn km entfernten Sternberg. Elf Jahre lebte hier der nigerianische Flüchtling, Menschenrechtsaktivist und Mitglied von The VOICE Refugee Forum Akubuo Anson Chukwudi. Zusammen mit anderen Flüchtlingen kämpfte er intensiv für die Schließung des Lagers und gegen ihre Diskriminierung und inhumane Behandlung. Im Jahr 2004 wurde das Lager aufgrund der anhaltenden Proteste der Flüchtlinge und einer wachsenden Unterstützung für sie geschlossen. Eine Sammelunterkunft am Stadtrand von Parchim – frisch renoviert, umzäunt mit Tor und Wache – wurde die neue Bleibe von ALI SAFIANOU TOURÉ und anderen Flüchtlingen aus den Dschungelheimen Peeschen und Tramm. Im gleichen Jahr begann die Kampagne gegen die Diktatur in Togo , wurde sein Asylantrag abgelehnt, und es fand von Hamburg aus die erste Charterdeportation nach Togo Westafrika statt. Aus den Erfahrungen mit dem Konkurrenzverhalten zwischen den verschiedenen Oppositionsgruppen der togoischen Diaspora gründete Abdou Gafar Tchedre Djibril unter dem Dach des KARAWANE Netzwerks eine für alle offen stehende „Internationale Kampagne gegen die Diktatur in Togo und anderen afrikanischen Ländern“. Neben der Öffentlichkeitsarbeit über die Verbrechen des Regimes war auch die Kollaboration der deutschen Regierung und ihrer Behörden mit dem Regime ein zentrales Thema.
Ungeachtet der brutalen Gewaltherrschaft unter dem Eyadema Clan fanden viele Abschiebungen nach Togo statt. Häufig mussten die Abgeschobenen umgehend erneut in die Nachbarländer fliehen. Manche verschwanden oder wurde inhaftiert und gefoltert. Regelmäßig berichteten abgeschobene Togoer, dass die togoischen Behörden die Asylunterlagen aus Deutschland bekamen. Das Auswärtige Amt versuchte mittels seiner Lageberichte, die eine Grundlage für die Entscheidung der Verwaltungsgerichte über das Asylbegehren bilden, die tatsächliche Situation in Togo schön zu färben und zu verharmlosen. Dennoch waren alle überrascht, als das Asylgesuch von ALI SAFIANOU TOURÉ rechtskräftig abgelehnt wurde. Erstens war er schon seit Kinderzeit an ein enger Freund des exponierten Regimegegners Abdou Gafar, zweitens war er sowohl in Togo wie auch von Beginn an im Exil an allen Aktivitäten und Kampagnen beteiligt und drittens war für jeden klar, dass seine starke körperliche Behinderung ihn selbst in eine gefährliche exponierte Lage bringt. Mit zahlreichen Demonstrationen, Veranstaltungen, Einladungen von Menschenrechtsgruppen, einem Hungerstreik auf dem Berliner Gendarmenmarkt sensibilisierten Abdou Gafar Tchedre Djibril, ALI SAFIANOU TOURÉ und andere eine wachsende Öffentlichkeit.
Im Frühjahr 2006 kam es zu einer Anhörung im Mecklenburger Landtag über die Situation in Togo und die der togoischen Flüchtlinge. Mehrere geladene Sachverständige berichteten über die Situation in Togo und die der Flüchtlinge. Mecklenburg-Vorpommern erließ einen Abschiebestop nach Togo. Nach Absprachen zwischen den Innenministerien der Länder und dem Bundesinnenministerium wird ein Abschiebestop nicht länger als sechs Monate ausgerufen. Ohne erneute Prüfung der unveränderten Sachlage wurden die Abschiebungen wieder aufgenommen.
Nach dem Putsch des Sohnes des ehemaligen Diktators im Jahr 2005 hat dieser seine Macht gefestigt, einige Oppositionelle eingekauft, die Straflosigkeit beibehalten und jede ernstzunehmende Kritik unterdrückt. Die Stabilität seiner Machtstruktur garantiert ihm die Unterstützung Frankreichs und Deutschlands. Das Auswärtige Amt bescheinigt heute dafür sogar einen begonnenen „Demokratisierungsprozess“. Das ist Wasser auf die Mühlen der Abschiebebehörden und ein Argumentationsmuster für die unzähligen Asylwiderruf-Verfahren.
Trotz seiner schweren gesundheitlichen Lage und seines ungesicherten Status ist ALI SAFIANOU TOURÉ bis heute bei The VOICE Forum, der KARAWANE und dem NO Lager Netzwerk im Kampf für die Anerkennung der Grund- und Menschenrechte der Flüchtlinge aktiv. Viele kennen ihn unter dem Spitznamen „president“, den ihm andere Flüchtlinge gaben, weil er immer für alle da ist, weil er immer bemüht ist mit allen den Kontakt zu halten, weil sein Ohr und sein Herz für alle offen ist.
Sein eigenes Aufenthaltsverfahren liegt seit über zwei Jahren von der Ausländerbehörde Parchim unbeantwortet ein Antrag auf Anerkennung aus humanitären Gründen vor. Die eingeschränkte ärztliche Versorgung für geduldete Flüchtlinge, die Lagerunterbringung, die Residenzpflicht und die reduzierten Sozialleistungen haben seine gesundheitliche Situation über die Jahre verschlechtert. Konnte er früher noch mit Gehhilfen längere Wege zurücklegen, zwingen ihn heute schon kurze Wege zu ständigen Pausen und starken Schmerzen. Bei den vielen Fußmärschen zu Behörden und Ärzten im Landkreis Parchim ist ALI SAFIANOU TOURÉ mehrmals schwer gestürzt. Mittlerweile bemüht sich ein UnterstützerInnenkreis aus Hamburg seine Lebenslage etwas zu verbessern. Die wachsenden körperlichen Einschränkungen und die Schmerzen, die in den ganzen Körper ausstrahlen, lassen sich jedoch dauerhaft nur mit anzupassenden orthopädischen Hilfsmitteln und regelmäßiger kranken-gymnastischer Behandlung begrenzen. Dies ist nicht in Togo – es sei denn man besitzt ein Vermögen – und unter den gegebenen Bedingungen nicht in Parchim möglich.
Nachdem sein berechtigtes Asylbegehren abgewiesen wurde, wird sein zweites Aufenthaltsrecht aufgrund des gesundheitlichen Zustands ignoriert. Das bedeutet, dass die Ausländerbehörde gut um die berechtigten Gründe weiß und deshalb auf eine günstige Gelegenheit für eine Ablehnung mit schneller anschließender Abschiebung wartet.
Acht Jahre sind keine acht Tage.
ALI SAFIANOU TOURÉ kann nicht weiter auf Kosten seiner Gesundheit und seines Lebens warten. Wir haben mit der engagierten Rechtsanwältin Sigrid Töpfer und dem Anwaltsbüro Budapester Straße 49 in Hamburg beschlossen eine Entscheidung einzuklagen. Wir wissen, dass dies dazu führen kann, dass die Ausländerbehörde Parchim unter dem Leiter Heiko Lohrenz nach ihrer Passivität eine negative Aktivität entwickelt. Dennoch muss ALI SAFIANOU TOURÉ den Schritt wagen, der jetzige Zustand ist nicht mehr aushaltbar. Wir wollen Euch sensibilisieren, Euch bereit zu halten, für alles was nötig sein wird, das Recht auf einen gesicherten dauerhaften Aufenthalt für ALI SAFIANOU TOURÉ endlich zu erstreiten.
Kontakt:
KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen Hamburg
c/o Internationales Zentrum B5 , Brigittenstrasse 5 , 20359 Hamburg
Tel: +49-40-43 18 90 37; Fax +49-40-43 18 90 38 mail: free2move[ät]nadir.org
Spendenkonto:
Verein zur Förderung der Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen
Hamburger Sparkasse
BLZ: 200 505 50
Kontonr: 126 813 42 59
Stichwort: president
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