Seit fünf Jahren kämpft der Guineer Mouctar Bah für die Wahrheit im Fall des toten Asylbewerbers Jalloh. Der Cafébetreiber war immer wieder Schikanen der Polizei ausgesetzt. VON MICHAEL BARTSCH
"Die Wahrheit ist uns wichtiger als eine Bestrafung!": Mouctar Bah. Foto: dpa
Mouctar Bah gehörte an jenem 8. Dezember 2008 zu den Afrikanern im Saal des Landgerichts Dessau-Roßlau, die nach der Urteilsverkündung ihre Empörung nicht verbergen konnten. "Nehmen Sie es einfach so hin", hatte der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff noch gebeten, wohl ahnend, welches Echo der Freispruch für die beiden angeklagten Polizisten auslösen würde. Im Saal brach Tumult aus. Rufe wie "Ihr Schweine!" wurden laut. Umso mehr Genugtuung zeigte Bah nun nach dem Urteil des 4. BGH-Strafsenats ins Karlsruhe, das den Freispruch im Falle des Polizisten S. aufhob. Mouctar Bah erinnerte an die Mutter des Toten, die sinngemäß geäußert habe: "Die Wahrheit ist uns wichtiger als eine Bestrafung!" Deshalb hatte die Familie von Oury Jalloh einen möglichen Vergleich in Form einer Geldleistung abgelehnt.
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Mouctar Bah stammt aus Guinea und war so etwas wie ein väterlicher Freund für den lediglich geduldeten 23-jährigen Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone. "Ich habe ihn betreut", erzählt Bah, als es beispielsweise um die Freigabe von Jallohs Kind zur Adoption gegangen sei. Oury sprach noch wenig Deutsch, Mouctar aber hat mit einer deutschen Frau drei Kinder.
Umso tiefer saß der Schock über den Feuertod von Jalloh, insbesondere über die mysteriösen, jeden Verdacht nährenden Umstände. Die Widersprüche bei den Ermittlungen und erst recht der Prozessverlauf ab März 2007 ließen Bah keine Ruhe. Er gründete eine Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh, die mit anderen Menschenrechtsorganisationen vernetzt ist, versäumte so gut wie keinen der 60 Prozesstage und betrieb nach Kräften eigene Aufklärungsarbeit. So sammelte seine Initiative das Geld für eine zweite Autopsie des Toten, die ein gebrochenes Nasenbein und weitere zunächst nicht erkannte Verletzungen zutage förderte.
"Warum wollen sie alles vertuschen?", fragt sich Mouctar Bah bis heute. Seine Frage bezieht auch die Staatsanwaltschaft Dessau ein, die "alle Wege verbaut" habe. Die fünf Jahre Kampf um die Wahrheit hätten ihn persönlich "viel Kraft gekostet". Mit seinem Engagement gilt er Behörden wie auch Einwohnern in Dessau offenbar als Störenfried. Um sein 2003 in der Naumannstraße im südlichen Stadtzentrum Dessaus eröffnetes Telecafé ist eine Art Stellvertreterkrieg entbrannt. Es ist zum Anlaufpunkt für viele hier lebende Afrikaner geworden. Doch es gab Nachbarn, die sich über "Negerpisse" beschwerten und auch mal tätlich wurden, und es gab mehrere Anzeigen gegen Inhaber Bah, die jedoch alle ins Leere liefen.
Auch die Stadtverwaltung sieht ihn offenbar als Nestbeschmutzer an. Unter dem Vorwand, den Drogenhandel zu begünstigen, wurde Bah wegen "charakterlicher Nichteignung" die Lizenz für den Laden entzogen. Gutwillig sieht Mouctar Bah darin nur besondere Dessauer Verhältnisse. Er erkennt auf der anderen Seite das Bemühen von Innenminister Holger Hövelmann (SPD) an, das Bild der Polizei in Sachsen-Anhalt generell zu verbessern. Die Einstellung der Landespolizei zu Rassismus und Rechtsextremismus war durch den stellvertretenden Chef der Polizeidirektion Dessau offenbar geworden, als dieser Untergebene aufforderte, "nicht so genau hinzuschauen".
Dieser und fünf weitere Fälle beschäftigten sogar einen Untersuchungsausschuss des Landtags. Hövelmann ging konsequent gegen gefälschte Rechtsextremismusstatistiken vor und richtete im Vorjahr eine Polizeibeschwerdestelle ein, die die Grünen lange gefordert hatten. Die Gewahrsamsordnung hatte noch sein Vorgänger verbessert.
Von dieser Polizei wird es wesentlich abhängen, ob ein Revisionsverfahren mehr Aufklärung im Fall Jalloh bringen wird. In den Köpfen scheint sich wenig geändert zu haben. "Es riecht nach Schikane", kommentiert Mouctar das fortgesetzte Verhalten von Polizei und städtischen Ämtern. Am 16. Dezember 2009 war es erneut zu einer Razzia im Telecafé gekommen. Wieder wurde ein Drogendealer aus dem nahen Stadtpark verfolgt. Ohne richterlichen Beschluss besetzte die Polizei das Café, pöbelte Anwesende an und unterzog sie einer Leibesvisitation. Praktisch ohne Ergebnis. Bah wies wiederholt darauf hin, dass er als Erster Anzeige gegen den Drogenhandel in der Nähe erstattet hatte.
Nach dem Polizistenurteil vom Dezember 2008 forderte die Landesregierung in Magdeburg eine "Stärkung der interkulturellen Kompetenz" der Polizei. Dies scheint nach wie vor dringend geboten.