Öffentlicher Teil des Protokolls vom bundesweiten KARAWANE Treffen vom 14/15 August 2010 in Hamburg
vertreten u.a. Karawane NRW (Wuppertal), Karawane Bremen, Karawane Hamburg, Flüchtlingsinitiative Biberach, Flüchtlingsinitiative Möhlau, Flüchtlingsaktivisten aus Meinersen, Plauen, Lüneburg, The Voice Berlin, The Voice Thüringen, Initiative Oury Jalloh
1.
einzelne Stellungnahmen zum Karawane-Festival in Jena juni2010:
Festival und Mobilisierung gab gute Möglichkeit des Treffens und des Austausches. Die politische Botschaft konnte vermittelt werden. Wichtig war das Zusammenkommen verschiedener Organisationen aber vor allem der Austausch zwischen den Flüchtlingen.
Festival war für uns ein großer Erfolg. Leute, die sich lange Zeit aus den Augen verloren hatten, treffen sich jetzt regelmäßig.
Von künstlerischer Seite her war das Festival genial und vielfältig. Dieses erste große Festival war eine große Herausforderung. Organisatorisch und kulturell ist alles gelungen. Auch unsere Botschaft ist wahr genommen worden. Aber wie stark die inhaltliche Seite eingewirkt hat, ist zu untersuchen. Im Themenblock – wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört – war die inhaltliche Seite ausgeprägt.
Trotzdem stellen wir uns die Frage ist die politische Botschaft allseits wahr genommen worden oder war es ein kulturelles Ereignis?
Die Präsentationen der Kampagnen in der Öffentlichkeit waren positiv. Es gab Aufmerksamkeit und auch Spenden von Passanten.
Das Festival gab ein Gefühl des Vertrauens und der Solidarität zueinander. Solidarität und Widerstand waren ein deutliches Signal. Die Behörden z.B. in Remscheid haben Angst vor mehr Öffentlichkeit.
Wir waren zusammen wie eine große Familie, wir setzten die Regeln, füllten den Raum und öffneten Raum für alle.
Verschiedene Gruppen trotz ihrer Konflikte und Widersprüche sind beim Festival zusammen gekommen, was positiv zu bewerten ist.
Insbesondere neu dazu gekommene Flüchtlinge haben unsere Organisierung und unseren Widerstand gesehen. Sie konnten sich mit anderen austauschen und die Erfahrung, der Möglichkeit zu kämpfen, mit zurück nehmen.
Festival hat viele Leute zusammengebracht, z.B. seit zwei Jahren Leute aus Sachsen-Anhalt nicht mehr gesehen, beim Festival wieder getroffen. Über das Festival konnte auch für spätere Aktionen mobilisiert werden, z.B.Gedenken an Alberto Adriano in Dessau.
Spürbar war, dass wir während der drei Tage in Jena auf vier Plätzen und den Raum dazwischen für uns besetzt hatten. Wir haben den Raum genommen und gefüllt in einer Atmosphäre des Respekts, Vertrauens und Offenheit. Entgegen der staatlichen Vorgaben von law and order, Sicherheit und Ordnung, Gesetz und Staat haben wir unseren Raum genommen und selbstbestimmt. Das hat auch vielen Jenaer BürgerInnen gefallen und sie haben sich uns gerne angeschlossen, ob beim Memorial, der Maskerade oder beim Kinderfest genauso wie bei Vokü oder Konzert und nicht nur konsumierend auch aktiv teilnehmend und helfend.
Die Präsentation des Themenblocks Abschiebung auf dem Holzmarkt fand positive Resonanz. Vieles war wurde zwar spontan entwickelt aber das Ergebnis war ok. Das einprägsame Theaterstück über die Stationen der Abschiebung aus Bielefeld und die anschließenden Beiträge von Flüchtlingsaktivisten über ihre eigene Erfahrung mit der Abschiebung hat immer wieder Leute zum Stehenbleiben, Zuhören und Nachdenken gebracht.
Frage nach Reaktion der Delegierten aus Mali von AME (einer der Delegierten war selbst Flüchtling in Deutschland und wurde abgeschoben). Antwort: sehr positiv – sie wollen die Arbeit und die Kontakte intensivieren. Es wird eine europ-afrikan Tour Dakar-Mali für nächstes Jahr geplant. Die Vertreter von AME besuchten auch das Lager Möhlau und veröffentlichten einen Bericht/Kommentar dazu. Diese Aktion ist eine sehr gute Unterstützung der Kämpfe der Lagerinsassen.
Drei Aufgaben/Anforderungen die sich aus dem Festival ergeben:
das Tribunal, was schon seit der Konferenz zum zehnjährigen Bestehen der Karawane angedacht war, ergibt sich aus der Vielzahl der Aktivitäten, Kampagnen und Widerstand. Der Austausch über die konkreten Vorstellungen zu einem internationalen Tribunals mit zahlreichen ZeugInnen und Betroffenen über die Politik und die Behandlung von in Deutschland Schutz suchenden Menschen werden in Zukunft alle Planungstreffen begleiten.
der Lagerfocus – aufgrund der unerträglichen Situation in den Lagern, des hartnäckigen Widerstand wie bspw. in Möhlau und Remscheid und auch der Austausch unter Flüchtlingen aus Lagern während des Festivals haben eine Reihe von Protesten und offenen Briefen in Gang gesetzt, um die Lagerisolation zu brechen und die Lager zu schließen.
Dokumentation des Festivals – z.B. Film und Broschüre
2.
Berichte aus den Lagern:
Flüchtlingsinitiative Biberach:
Festival hat uns gestärkt. Vor dem Festival hat sich unsere Flüchtlingsinitiative unter Teilnahme von 40 Flüchtlingen gegründet. Einige hatten wegen Residenzpflicht Angst nach Jena zu kommen aber andere waren da und haben die Botschaft aus Biberach nach Jena und von Jena zurück nach Biberach gebracht.
Die Situation in Biberach für Flüchtlinge ist unmenschlich. Deshalb haben sie einen offenen Brief mit Forderungen verfasst. Es dreht sich dabei um drei Hauptpunkte: 1. Essen und Hygiene; 2. Kleidersystem; 3. Residenzpflicht
70% der Flüchtlinge aus dem Landkreis haben unterschrieben. Sie veröffentlichten den Brief und übergaben ihn im Sozialamt. Es gab bisher keine Antwort. Ein Journalist hat ein ausführliches Interview geführt und auch mit den Behörden gesprochen. Diese schoben - wie gewohnt und unrichtigerweise die Verantwortung auf Landes- und Bundesebene. Behörde will Namen von den Flüchtlingen, die protestieren. Zu einem evt. Gespräch mit dem Sozialamt werden alle gemeinsam gehen, damit nicht einzelne ins Visier der Behörde kommen.
Es ist aber zu sehen, dass - seitdem die Flüchtlinge anfingen sich zu wehren - die Behörde nervös ist und manche Punkte ändern und diskutieren will. Zum Beispiel werden jetzt Sachen eher repariert oder sauber gemacht.. Damit soll wieder Ruhe hergestellt werden. Die Stadt Biberach möchte nicht noch mehr Öffentlichkeit. Eine erste Ohrfeige für die Behandlung der Flüchtlinge haben sie sich eingefangen, deshalb müssen sie jetzt etwas tun. In Biberach gibt es drei Heime (zwei außerhalb uns eins innerhalb der Stadt) Flüchtlinge wollen mehr Protest und fühlen sich endlich ermutigt. Seit Jahren versprachen Sozialarbeiter Veränderungen, aber nichts ist passiert. Seit wir aufgestanden sind und protestiert haben, hat es sich zu ändern begonnen.
Flüchtlinge aus Meinersen: Bericht online
Fast alle der Flüchtlinge im Lager Meinersen sind an den bisherigen Protesten beteiligt. Trotzdem ist Angst vor Repression durch den Landkreis Gifhorn bei einigen stark. Der Landkreis ist in Niedersachsen bekannt für sein stures, rassistisches und ignorantes Vorgehen. Essensgutscheine für 112 Euro im Monat heißt, dass es für 20 Tage reicht, die letzten zehn Tage des Monats hungern wir. Anzeigen wegen Beleidigung gegen den Leiter des Lagers sind ohne Folge geblieben. Er kontrolliert und funktioniert als Spitzel für die Behörde. Post wurde geöffnet. Uns wird zu viel Energieverbrauch vorgeworfen, dabei waschen der Leiter des Lagers und der Hausmeister jede Menge private Wäsche am Wochenende. Fast keiner hat Bargeld alles Gutschein und Taschengeld ist meist gekürzt bis gestrichen. Ärzte sind 17 Km weit weg in Gifhorn. Fahrkosten betragen 7 Euro und wenn ein Notarzt oder Krankenwagen ins Lager gerufen wird, kommt es vor, dass die Anfahrt verweigert wird. Die Menschen leben zu 4,5 und sogar zu 6 in einem Zimmer. Auch die Familien 4 bis 6 köpfig haben nur einen Raum.
Sie haben mit Unterstützung anderer Gruppen und des Flüchtlingsrat Niedersachsen eine erste Demonstration gemacht, um die Unterbringung in Wohnungen und die Schließung des Lagers zu erreichen. Da es von den Verantwortlichen keine konkrete Reaktion gab, ist für Samstag, den 28. August 12°° Uhr Bhf Gifhorn die zweite Demonstration geplant. Am 23.08. findet ein Gespräch mit Vertretern der Grünen und der SPD statt. Aktivisten aus Remscheid. Wuppertal,Bremen, Kiel und Hamburg sagen Unterstützung für die Demo zu.
Gotha:
Von zehn zum Festival angereisten Flüchtlinge hatten 5 eine Kontrolle und erhalten Strafandrohung. (Hinweis: bei der zur Zeit in der öffentlichen Diskussion stehenden Residenzpflicht sollten die Leute auf jeden Fall Widerspruch machen). Nach einer der erfolgreichen Verteidigungskampagne gegen Abschiebung nach Sierra Leone bauen die Beteiligten eine aktive Gruppe auf. Ein Musikfestival, das den kulturellen Aspekt vor den politischen Aspekt stellt, soll vorbereitet werden.
Remscheid:
Der Kampf vor Ort ist weiter gegangen. Das Geld, was den Leuten für Reinigung zu steht und nie bezahlt wurde, wird jetzt ausbezahlt. Wir müssen uns immer zur Wehr setzen. Alleine schaffst du das nicht, du musst dich mit anderen zusammen schließen. Deutschland ist extrem rückständig, was den Umgang und die Behandlung von Flüchtlingen angeht, das sieht man schon deutlich am Beispiel der Residenzpflicht aber auch an der Lagerisolation. Obwohl mittlerweile xmal bewiesen, dass Unterbringung in Wohnungen genauso viel bzw. weniger kostet als Lagerbetreibung, werden die Lager vom Staat verteidigt. Ihr müsst Euch überall zusammentun, wir in Remscheid haben unsere Erfahrungen mit dem Kampf um unsere Rechte gemacht und wir werden alle anderen unterstützen.
Nach unseren Protesten und offenen Briefen heißt es jetzt aus dem Bürgermeisteramt, dass im nächsten Jahr die Lager geschlossen werden und die Leute in
Wohnungen kommen. Ein Sammelunterkunft als „Erstaufnahme“ soll bestehen bleiben.
Velbert:
Über die Flüchtlinge aus Remscheid haben sich auch in Velbert Flüchtlinge gegen die Bedingungen in ihrem Lager gewandt. Nach Herstellen von Öffentlichkeit konnte das Gutscheinsystem abgeschafft werden. Aber es gibt eine Reihe weiterer Missstände, wie z.B. defekte sanitäre Anlagen, die nicht repariert werden aber auch die Enge und viele anderen Lager typischen Zustände.
Gerstungen, Breitenworbis, Ganglöffsömmerda (Thüringen): frühere Delegationsberichte
Gerstungen: alle sind schockiert von der Geschichte von Banga aus Westafrika. Er hat durch dass Zusammenspiel von Behörde, Polizei, Justiz sein Augenlicht verloren. Ohne ausreichende Behandlung seiner Diabetes in der Zeit als er im Gefängnis war, bekam er massive Sehprobleme, dann wurde er ins Krankenhaus zur Augenoperation gebracht, danach wieder in den Knast ohne weitere Behandlung verlor er sein Augenlicht. The VOICE hat einen kurzen Film über seine Geschichte gemacht. Weitere Viedodokumentationen wurden in den Lagern in Thüringen gemacht.
Möhlau:
Nach den langen zähen Kämpfen sind jetzt teilweise die Gutscheine weg. Einige Familien wurden in Wohnungen umverteilt – einige haben Aufenthalt bekommen. Nächstes Jahr soll das Isolationslager Möhlau geschlossen werden. In Dessau Roßlau erhalten Flüchtlinge Wohnungen und es werden keine Heime oder Lager mehr unterhalten. Es ist eine politische Entwicklung aus den Protesten der Flüchtlinge, die Unterstützung aufgebaut haben und Parteien, NGOs und Teile der sog. Zivilgesellschaft in die Auseinandersetzung einbezogen haben und Verhalten eingefordert haben.
Lüneburg:
Konflikt zwischen Flüchtlinge und Wachmännern des Wachdiensts im Lager Meisterweg in Lübeck.
Bedrohungen, Störung der Privatsphäre, nächtliches Fensterleuchten mit starkem Licht, Post öffnen, Grillen vor den Augen und Mündern der mit Gutscheinen unterversorgten Flüchtlinge, Eindringen in die Privaträume sind nur einige Vorwürfe gegen den Wachdienst im Lager. Beschwerden haben nichts gebracht. Räumliche Enge im Lager wird dadurch verstärkt, dass ca. die Hälfte der BewohnerInnen einen Aufenthaltstitel hat, aber nicht auszieht.
Der Anwalt eines Flüchtlings wirft in der Klage wegen Mangelversorgung seines an Diabetes erkrankten Mandanten den Lüneburger Behörden vor, Nahrungsentzug als Zwangsmittel einzusetzen bzw. da dies über einen langen Zeitraum bereits geschieht, als Bestrafung, was beides illegal ist.
Allgemeine Ergebnisse:
Alle Kontakte in die Lager und alle Kämpfe sollen weiter unterhalten, verstärkt und dokumentiert werden.
Das Filmmaterial aus Thüringen soll weiter bearbeitet und als Mobilisierungsmaterial benutzt werden.
Demonstration in Gifhorn – Schließung des Lagers Meinersen – wird unterstützt mit Aufruf, Redebeitrag und Delegation
Die Situation und die Auseinandersetzung in den Lagern rückt in den Focus. Der Lageralltag hinterlässt schlimmste Verwüstungen in der menschlichen Seele. Der Leidensdruck ist enorm – nur durch gemeinsame Aktion und Solidarität von außen können die Flüchtlinge in den Lagern sich der staatlich organisierten psychischen Vernichtung erwehren.
Jeder Besuch und jede Aktion dokumentieren
Alle Dokumentation zusammenbringen zu einem gemeinsamen Dokument. Ergänzend Interviews mit Personen aus den Lagern, die eine bewusste Rolle in den Protesten einnehmen.
Zusätzliche Daten über die Lager sammeln.
Delegationsreisen zu den Lagern, insbesondere von Flüchtlingen aus anderen Lagern um Austausch und Ermutigung zu verstärken.
Für die Arbeit mit dem Focus Lager wird einiges an Geld gebraucht, es sollte einen speziellen Aufruf/Spendenkampagne geben
3.
Finanzielle Bilanz
Das Kosten des Festivals einschließlich des größten Teils der Fahrtkosten, der Mieten für Geräte, Zelte, Bühnen, Technik, Fahrzeuge konnte finanziert werden. Dank gilt allen HelferInnen, die durch Initiative die Kosten zu senken halfen. Dank an alle SpenderInnen und vor allem auch die Menschen, die Spenden gesammelt und Spendenbriefe geschrieben haben. So geht es fast schuldenfrei aus dem Festival aber die wachsenden Proteste in den Lagern brauchen jetzt dringend Unterstützung – besonders um Reisekosten für Zusammenkünfte und Kosten für Aktionen und Dokumentationen tragen zu können.
Die finanzielle Situation für die neu entstandenen Flüchtlingsinitiativen ist extrem mies. Es braucht Unterstützung. KARAWANE muss einen allgemeinen Spendenaufruf für die Lagerkämpfe und die neu entstehenden Gruppen entwickeln und vor allem damit arbeiten. Alle wissen, dass Geld für Fahrtkosten und Arbeitsmaterial unerlässlich sind. Ideen und Vorschläge bitte an die aktiven Gruppen.
Spendenkonto:
Für diese Spenden stellen wir auf Wunsch Spendenquittungen aus. Die Spenden für den Förderverein Karawane e.V. sind steuerabzugsfähig.
Bankverbindung:
Förderverein Karawane e.V.
Kontonummer: 4030780800
Bankleitzahl: 43060967
GLS Gemeinschaftsbank eG
4.
Bericht und Diskussion zu:
- „Sammelvorführung Benin“ und Aufenthaltskampagne von Salomon Wantchoucou
Entscheidung politisch gegen die 5. Vorladung zu kämpfen. Mitwirkungspflicht immer erfüllt. Es reicht, deshalb öffentliche Verweigerung. Richtiger Schritt, der Reaktionen auslösen wird und der unsere volle Solidarität braucht. Siehe: Faxkampagne Salomon Wantchoucou
Ergänzung vom 24.8.2010: Wie uns heute Herr Wantchoucou mitteilte, hat die Ausländerbehörde des Landkreises Wittenberg die "Sammelvorführung Benin" mit einer „Expertendelegation aus Benin“ schriftlich abgesagt.
- Situation von Claudia Omoroghomwan und ihren Kindern und die Angriffe durch den Vogtlandkreis
Siehe: Bericht Vogtlandkreis
5.
Residenzpflichtdebatte
http://www.thevoiceforum.org/node/1734
https://thevoiceforum.org/node/1735
https://thevoiceforum.org/node/1735
The VOICE berichtet über aktuelle Debatte. Einige linke Kreise/Personen haben die Lockerung der Residenzpflicht zwischen Berlin und Brandenburg als Erfolg (ihrer Arbeit) gefeiert. Die Stellungnahme von the VOICE greift dies auf und übte Kritik. Bis in die eigenen Netzwerke war Unsicherheit in der eigenen Position zu spüren.
The VOICE hat auf dem Jenaer Flüchtlingskongress 2000 die Kampagne des zivilen Ungehorsams zur Abschaffung der Residenzpflicht ins Leben gerufen. Akitvisten begannen sich der Strafverfolgung wegen Residenzpflichtverletzung zu wider setzen. Es wurde um keine „Behördenerlaubnis“ mehr gefragt. Mit zivilen Ungehorsam, Protestaktionen und juristischen Prozessen bis zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde gegen die Residenzpflicht als Ganzes – für ihre komplette Abschaffung gekämpft. 2001 wollte der Flüchtlingsrat Thüringen das Ziel der Lockerung/Abschaffung der Residenzpflicht Thüringen weit in einer Kampagne anstreben. The VOICE lehnte eine Teilnahme ab, weil es keinen Kompromiss mit dem Gesetz gibt.
Mit Ausstellungen, weiteren Gerichtsprozessen, Öffentlichkeitsarbeit, einer umfassenden Broschüre wurde der Kampf für die Abschaffung weitergeführt. Ein trauriger Höhepunkt war die Abschiebung von Felix Otto im Jahr 2009. Doch der zivile Ungehorsam und der Kampf zur Abschaffung der Residenzpflicht geht weiter.
Doch es gibt Kreise, die aus unseren Kämpfen politisches Kapital schlagen wollen. In den meisten Veröffentlichungen zur Zeit wird weder der Widerstand der Flüchtlinge, noch die Schärfe der Thematik „Residenzpflicht ist Menschenrechtsverletzung“ genannt.
Es gab Stimmen, die sagten die Kampagne von the VOICE ist vorbei, wir starten eine neue Kampagne. So gab es eine dem Staat genehme und angepasste Kampagne und deren SprecherInnen, die von den Kämpfen und den Aktionen des zivilen Ungehorsams ablenkten. Staatsmacht und NGO finden Kompromiss und die Opfer bleiben außen vor.
Das Gesetz wird angepasst, wobei für einige Gruppen ( z.B. im laufenden Asylverfahren) die Residenzpflicht zwischen Berlin und Brandenburg aufgehoben wird, für die große Zahl derjenigen, deren Asyl abgelehnt wurde und die oft viele Jahre hier mit Duldung leben, bleibt alles wie es ist. Bewegung verboten. Auch in NRW, Bayern und Bremen gibt es Debatten in der Politik um eine Reform oder Modernisierung der Regelung. Auch hier spricht niemand von der kompletten und ersatzlosen Abschaffung mit Ausnahme der Flüchtlinge und der angebundenen Netzwerke.
Es gibt Kreise, die meinen uns zu unterstützen, und die Lockerung der Residenzpflicht als Erfolg feiern. Wir dagegen sehen darin einen faulen Kompromiss und eine Verharmlosung des Gesetzes zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Wir machen keinen Kompromiss mit der Verletzung der Menschenrechte durch das deutsche Apartheidsgesetz.
Was würden linke Aktivisten sagen, wenn jemand aufgrund des Gesinnungsparagraphen 129a statt zu Knast zu Hausarrest verurteilt würde?
Immer noch entscheiden die Ausländerbehörden über uns und unsere Bewegung. Aber es ist unser Recht, wir brauchen niemanden um Erlaubnis zu fragen, uns zu bewegen.
Es gibt nur eine Forderung und ein Ziel die vollständige und ersatzlose Abschaffung der Residenzpflicht!
Es ging dem Staat nie darum etwas für uns leichter zu machen. Alles muss hart erkämpft werden. Manchmal wird das eine abgeschafft und das andere eingeführt, was dann wieder aufs Gleiche kommt. Es gibt im Moment Flüchtlinge in Lagern, die isoliert liegen und die bekommen kein Bargeld. Selbst wenn es keine Residenzpflicht für sie gäbe, können sie sich kaum von dort weg bewegen. Wenn die Aufhebung der Residenzpflicht im laufenden Asylverfahren vorgesehen ist, heißt das, wenn das Asyl abgelehnt ist, dann wird Dir auch dein Recht auf Bewegungsfreiheit genommen. Das ist sowieso ihr System, unsere Asylgesuche kaputt zu machen und uns dann in Lagern zu isolieren und dann mit der Sonderbehandlung zur Zurichtung und Vorbereitung auf die Abschiebung oder erneute Flucht ins Exil, in die Psychose, in den Tod …
Mit der jetzigen Residenzpflichtdebatte fällt sofort die Bleiberechtsdebatte ein. Der Bleiberechtskompromiss erwies sich als faules Spiel der Politik und wirkte eher wie eine Kampagne für billige Arbeitskräfte auf Widerruf.
Unser ziviler Ungehorsam und unser Kampf gegen die Residenzpflicht geht weiter. Die Residenzpflicht wurde nicht abgeschafft und das rassistische Kontrollsystem, was mit ihr gerechtfertigt wird, auch nicht.
Es wird eine Aktion bzw. Pressekonferenz von The VOICE und KARAWANE vorbereitet um unsere Position zu der Debatte, die über unsere Rechte verhandelt, darzulegen.
6.
weiteres:
ICAD (International Committee Against Disappearance) veranstaltet vom 6-12 Dezember in London seine 6. Konferenz. Themen sind: Kriege, nationale Bewegungen und Verschwindenlassen in Haft siehe Ankündigung. Bereits 2006 nahmen Delegierte der KARAWANE an der ICAD Konferenz in Diyarbakir/Kurdistan teil.
Im Oktober beginnt der neue Prozess vor dem OLG Magdeburg. Initiative in Gedenken an Oury Jalloh beginnt mit der Öffentlichkeitsarbeit. Am Tag des Prozessbeginn - Mobilisierung nach Magdeburg. Im Vorfeld Informations- und Mobilisierungsveranstaltungen.
Felix Otto in Kamerun weiter in schlechter Situation. Anwaltsarbeit geht nicht weiter. Es müssen nochmal alle Aspekte durchsehen werden.
Solidaritätserklärung mit Ebs von KARAWANE München wird verfasst und veröffentlicht
Hamburg, 23.08.2010