Das Lagersystem gehört abgeschafft – wir müssen in ordentlichen Wohnungen untergebracht werden.
Salah Aldin stammt aus dem Irak und ist einer der Sprecher der Flüchtlingscommunity im Lager Zella-Mehlis
06.12.2010 / Inland / Seite8 Inhalt
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»Die Behörden spielen mit unserer Gesundheit«
Im Flüchtlingslager Zella-Mehlis herrschen menschenunwürdige Zustände. Heimleitung und Ämter unternehmen nichts. Gespräch mit Salah Aldin
Interview: Gitta Düperthal
Salah Aldin stammt aus dem Irak und ist einer der Sprecher der Flüchtlingscommunity im Lager Zella-Mehlis
In Thüringen herschten in den letzten Tagen Temperaturen von minus 15 Grad nachts und tagsüber von neun Grad unter null. Im Flüchtlingslager Zella-Mehlis ist die Heizung defekt, seit dem Kälteeinbruch gibt es kein warmes Wasser. Wie lebt man unter solchen Bedingungen?
Seit Jahren fristen wir unser Leben in unterkühlten Räumen, teilweise mit zerbrochenen Fenstern und feuchten, schimmligen Wänden. Wenn dann auch noch die Heizung nicht funktioniert, ist das bei der jetzigen Kälte unerträglich. Wir sind von der Flüchtlingscommunity in Zella-Mehlis zu dritt nach Jena gekommen, um die Konferenz der Organisation »The Voice« vorzubereiten, die am 18. Dezember in der Uni stattfindet: Said Seklawe, Milud Lahmar-Cherif und ich. Andere Mitbewohner des Heims in der Industriestraße 29 wären gern mitgekommen, um über die Zustände dort zu sprechen, aber Mitarbeiter des Ausländeramts in Schmalkalden-Meiningen haben ihnen Urlaubsscheine verweigert. Deshalb spreche ich für viele der rund 170 Flüchtlinge im Lager: Wir können uns weder warm duschen noch waschen und kein Geschirr spülen. Wir frieren ständig, ohne uns aufwärmen zu können. Die Kinder haben Husten. Einer unserer Freunde liegt seit einer Woche mit Grippe im Krankenhaus und kann nicht entlassen werden, weil es im Flüchtlingslager zu kalt ist. Ein Mitbewohner hat gesagt: »Ja, wollen die denn, daß wir sterben?«
Wissen der Heimleiter und die Behörden darüber Bescheid?
Die Heimleitung weiß es und bleibt dennoch untätig. Diskussionen sind nutzlos. Auf Nachfrage von Aktivisten von »The Voice« hat Manuela Kühhirt, Fachdienstleiterin des Ausländer- und Personalstandswesen im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, geantwortet, von Problemen mit dem warmen Wasser hätte sie »mal was gehört«. Von ausfallenden Heizungen wüßte sie nichts, werde aber nachfragen. Einzelne Flüchtlinge werden unter Druck gesetzt, wenn sie sich an Medien oder Menschenrechtsorganisationen wenden. Als vor einigen Tagen die Mutter eines drei Wochen alten Kindes immer schwächer wurde und sich Sorgen um die Gesundheit des Neugeborenen machte, hatten die Flüchtlinge Angst, einen Arzt zu rufen. Als schließlich externe Unterstützer den Arzt gerufen hatten, fürchteten sie sich davor, diesen am Wächterposten abzuholen und zu begleiten. Viele haben einfach Angst vor Abschiebung. Die Mutter möchte zum Vater des Kindes nach Köln fahren, erhält aber keinen Urlaubsschein. Die Behörden spielen mit unserer Gesundheit und dem Leben eines Babys.
Was unternehmen die zuständigen Ämter?
Als kürzlich jemand über die Kälte klagte, hieß es beim Sozialamt, daß dieses Asylheim vermutlich geschlossen wird. Doch was hilft uns das jetzt? Viele von uns leben bereits fast ein Jahrzehnt so – ohne Perspektive auf menschenwürdige Unterbringung. Seit 2008 erhalten einige noch nicht einmal Gutscheine für Kleidung – nur einen Gutschein im Wert von 126,80 Euro für Lebensmittel. Das war’s. Sie müssen sich vorstellen, bei der Kälte: kein Schal, keine Mütze, keine Socken, keine Jacke. Anderswo sei so etwas undenkbar, haben uns Flüchtlinge bestätigt. Manchmal gehen wir ins benachbarte Flüchtlingswohnheim in Suhl, um eine warme Dusche zu nehmen. Doch wegen der Sondergesetze dürften wir das gar nicht. Wenn wir den Landkreis Schmalkalden/Meiningen verlassen, machen wir uns strafbar. Im Ausländeramt redet man häufig respektlos mit uns: »Warum gehen Sie nicht in Ihr Herkunftsland zurück?« heißt es da beispielsweise
Wie kann man Ihnen helfen?
Wenn angemeldete Delegationen des Parlaments kommen, geht es uns relativ gut – aber es bringt nichts. Leute von der Kirche, von öffentlichen Institutionen und Parteien sollten sich das Heim einfach mal ohne Termin anschauen.
Was fordern Sie?
Das Lagersystem gehört abgeschafft – wir müssen in ordentlichen Wohnungen untergebracht werden. Ohne sofortige Hilfe überstehen einige von uns den Winter nicht.
Wer sich über die Zustände beschweren will: Ausländeramt Schmalkalden/Meiningen Telefon: 03693/48 51 34, Mail: info@lk-sm.de, in Kopie an thevoiceforum@emdash.org
links:
Lagerleitung lässt Flüchtlinge schuften und Schimmel gedeihen - Zella-Mehlis, Thüringen:
https://thevoiceforum.org/node/1885
Update Thüringen: "Viele Leute sind schon krank!" - Kein warmes Wasser und defektes Heizsystem in Zella-Mehlis Asylbewerberheim
https://thevoiceforum.org/node/1884
Langeweile und Angst: Delegations-Report der Tour von The VOICE durch Flüchtlingsheime in Thüringen
https://thevoiceforum.org/node/1861
DEUTSCH: Aufruf zur Spende für die Flüchtlingscommunitys in den Lagern: Brecht die Isolation! Alle Lager schließen!