Bewohner von Sammellagern trafen sich auf Einladung von »The Voice« in Jena. Mit Solidaritätskundgebung forderten sie Schließung der Unterkunft in Zella-Mehlis
26.04.2011 / Inland / Seite 4Inhalt
Besuch für Flüchtlinge
Bewohner von Sammellagern trafen sich auf Einladung von »The Voice« in Jena. Mit Solidaritätskundgebung forderten sie Schließung der Unterkunft in Zella-Mehlis
Von Gitta Düperthal
Protest vor dem Flüchtlingslager in Zella-Mehlis am Ostersonntag
Foto: Jeanne Charlotte Vogt
http://www.jungewelt.de/2011/04-26/018.php
Am Sonntag versammelten sich rund 150 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung vor einem Flüchtlingslager im thüringischen Zella-Mehlis. Etwa 70 der Teilnehmer waren Delegierte aus Flüchtlingslagern, die zuvor an einer zweitägigen Konferenz in Jena teilgenommen hatten. Die Demonstranten forderten die Schließung des Lagers in der Industriestraße 29.
Lagerunterbringung sei immer schlimm. In Zella-Mehlis sei die Situation aber besonders schrecklich, berichtete Saeed Maissara am Montag im Gespräch mit junge Welt. Er ist seit acht Monaten in Deutschland und lebt in einem Flüchtlingswohnheim in Braunschweig. »Als wir dort ankamen, trauten sich nur wenige der Bewohner, an unserer Kundgebung teilzunehmen. Viele der 170 Flüchtlinge schauten aus den Fenstern. Das Klima ist von ständiger Kontrolle und Angst bestimmt«, berichtete Maissara. In das Lager durfte man nur nach Vorzeigen eines Personalausweises. Das habe fast zur Eskalation geführt, weil zwei 15jährigen Mädchen die Nutzung der Toilette verweigert worden sei, berichtete Clemens Wigger, ein Unterstützer von »The Voice« und der Flüchtlingscommunity Zella-Mehlis, die zur Kundgebung vor dem Lager aufgerufen hatten.
Die Aktion sei für die Flüchtlinge ermutigend gewesen, so Wigger. Auch wenn sich viele der Bewohner nicht an den zwei Wachleuten, der Sozialarbeiterin und dem Hausmeister an der Pforte vorbei getraut hätten, weil sie anschließende Repressionen befürchteten. Miloud Lahmar Cherif, einer der Insassen, bedankte sich bei den Demonstranten und versuchte, die Ängste der Bewohner zu erklären: »Eine Sozialarbeiterin kann einen Urlaubsschein ablehnen, Taschengeld kürzen, einen Krankenschein verweigern oder einem sonst das Leben schwermachen«. Zudem habe sich eine Polizeifotografin mit Kamera unter die Flüchtlinge gemischt, die nach der Kundgebung vorm Lager musizierten, Hähnchen aßen und Ostereier verspeisten, die deutsche Sympathisanten ihnen geschenkt hatten.
»Wir verstehen nicht, wieso sie das tun«, sagte Rex Osa, Flüchtlingsaktivist aus Biberach in Baden-Württemberg. »Sie stellen uns wie Waren im Industriegebiet ab – als wären wir keine Menschen – und wollen uns mit allen Mitteln isolieren. Das letzte ist für gewöhnlich die Abschiebungsdrohung.« Die Polizei habe sich während der Aktion aber in angemessener Entfernung gehalten.
Schwierig waren schon die Anfahrt zur Konferenz in Jena und zur Solidaritätsveranstaltung in Zella-Mehlis. Ursprünglich wollten 24 Flüchtlinge, Außenstelle Braunschweig, teilnehmen. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Braunschweig verweigerte ihnen die Genehmigung zum Verlassen des Landkreises. Erstens hätten Asylbewerber während des laufenden Verfahrens kein Recht, sich politisch zu betätigen. Zweitens hätte das Bundesamt schlechte Erfahrungen damit gemacht, in solchen Fällen Genehmigungen zu erteilen. »Durch das Vereiteln politischen Engagements setzen deutsche Behörden die Unterdrückungs- und Verfolgungsstrukturen diktatorischer Herkunftsländer fort«, kritisierte Osaren Igbinoba, Sprecher der Flüchtlingsorganisation »The Voice« gegenüber junge Welt.
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Wände streichen ist keine Lösung
26. April 2011
Flüchtlinge aus ganz Deutschland trafen sich zum Aktionstag in Zella-Mehlis
»Wir sind Menschen und wir haben Rechte!« Darauf beharren Flüchtlinge auch im Thüringer Zella-Mehlis. Sie trafen sich am Ostersonntag zum Aktionstag.
Musik und Trommeln waren am Sonntagnachmittag im Industriegebiet von Zella Mehlis zu hören. Vor dem Gebäude der Industriestraße 29 haben sich knapp 100 Menschen versammelt. Viele sind Flüchtlinge aus der gesamten Republik, die über Ostern an einer antirassistischen Konferenz in Jena teilgenommen hatten.
"Im Anschluss sind wir nach Zella Mehlis gefahren, um die Bewohner in diesem Lager zu unterstützen“, meine Salomon Wantchoucou, der sich seit Jahren im Rahmen des Netzwerks The Voice für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt. Ein besonderes Anliegen ist für ihm der Kampf gegen die Residenzpflicht, die Flüchtlingen verbietet, den ihnen zugewiesenen Landkreis ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde zu verlassen. Für Wantchoucou ist das eine klare Verletzung des Grundrechts auf Bewegungsfreheit. Die Aktion am Sonntag sei auch ein Akt des zivilen Ungehorsams betont er. Schließlich hat sich ein Großteil der Teilnehmer über die Residenzpflichtregeleung hinweggesetzt, um die Flüchtlinge in Zella Mehlis zu unterstützen.
Die hatten im März in einen Offenen Brief auf unhaltbare hygienische Zustände im Lager hingewiesen. So sei es an vielen Wänden zu Schimmelbefall gekommen. „Die Behörden sind nach unseren Protesten verwirrt, aber geändert hat sich bisher wenig“, meint Heimbewohner Miloud El Cherif aus Algerien. Allerdings wäre es auch keine Lösung für ihn, wenn die Wände des Heims bunt angestrichen würden, betont er. „Das Problem ist die Enge, die isolierte Lage zwischen Fabrikgebäuden, Autobahn und Wald und die ständige Kontrolle“, meint El Cherif und zeigt auf den Eingang. Dort achtet Wachpersonal darauf, dass keine Unbefugte das Heim betreten.
Einmal kommt es zu einem Wortgefecht zwischen Bewohnern und den Wachdienst. Nach wenigen Minuten ist der Konflikt entschärft. Es wird aber deutlich, wie gespannt die Situation in dem Heim ist.
Lahal Sharif kommt aus dem Irak und lebt schon mehrere Jahre in dem Heim am Rande von Zella Mehlis. „Wichtige Jahre meines Lebens lebe ich wie im Gefängnis“, klagt er. Ihm seinen alle Möglichkeiten genommen worden. Bevor er nach Deutschland floh, war er erfolgreicher Boxer. Heute hat er keine Perspektive und sein Aufenthaltsstatus ist noch immer ungeklärt. „Die Ungewissheit und die Lebensumstände macht vielen Menschen auch psychisch zu schaffen“, betont Selam Shenam. Die syrische Oppositionelle lebt ebenfalls in Zella Mehlis und beteiligt sich am Kampf für die Schließung des Heims. Einige Bewohne schauen aus dem Fenster und signalisieren durch Applaus Zustimmung, als die Kundgebungsteilnehmer die Parole „Das Heim muss weg“ skandieren. Doch sie trauen sich nicht an der Aktion teilzunehmen. Dazu trägt auch die Präsenz der Sicherheitsleute und der Sozialarbeiter bei, die schließlich auch für die Bewilligung von Eingaben und die Verteilung von Gutscheinen zuständig sind. „Daher befürchten manche Heimbewohner Nachteile, wenn sie sich offen an den Protesten beteiligen“, befürchtet Shenam.
Am Ostersonntag unterstützten nur einige junge Menschen aus Suhl die Kundgebung. Doch es Kontakte in die Region, unter Anderem zu evangelischen Kirche und zur Linkspartei, betont El Cherif. Die Kontakte werden weiter gepflegt und werden sicher auch noch gebraucht. Die Flüchtlingsaktivisten kündigten an, die Proteste vor dem Heim fortzusetzen, bis es geschlossen wird und die Bewohner in eigenen Wohnungen leben können.
Dass diese Forderungen keine Utopie bleiben müssen, zeigt sich in der Nachbargemeinde Suhl, die knapp 200 Meter neben dem Heim beginnt. Während in Suhl Flüchtlinge in eigenen Wohnungen leben können, hält die Ausländerbehörde von Schmalkalden-Meiningen, der für Zella Mehlis zuständig ist, weiter an dem Heim fest.Viele Flüchtlinge sehen darin eine bewusste Politik. „Wir sollen an den Rand gedrängt und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden“, beklagt Wantchoucou. Doch ans Aufgeben denken weder er noch seine Mitstreiter. „Wir sind Menschen und wir haben Rechte“, rufen sie und sie wirken sehr entschlossen, diese auch zu erkämpfen.
https://neues-deutschland.warenform.de/artikel/196167.waende-streichen-…
http://peter-nowak-journalist.de/2011/04/26/wande-streichen-ist-keine-l…
Peter Nowak
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Artikel aktualisiert: 26. April 2011, 09:23 Uhr » zur Übersicht Zella-Mehlis
Isolation angeprangert
Die Bedingungen im Asylbewerberheim Zella-Mehlis sind in der Kritik. Am Ostersonntag gab es hier erneut eine Kundgebung.
Zur Kundgebung wurde nicht nur die Isolation, sondern auch der Zustand des Heimes in der Industriestraße angeprangert.
Für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht demonstrierten am Ostersonntag Asylbewerber vor dem Heim in Zella-Mehlis. Foto: frankphoto.de.
http://www.insuedthueringen.de/lokal/suhl_zellamehlis/zella-mehlis/art8…
Zella-Mehlis - Die Isolation zu brechen, in der die 30 Kinder und 140 Frauen und Männer leben, die im Zella-Mehliser Asylbewerberheim untergebracht sind, sei Ziel dieser Aktion, sagt Araz Ardehali aus Wuppertal. Er und etliche andere Mitglieder des Netzwerkes "The Voice Refugee" und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge kamen nach ihrer zweitägigen bundesweiten Konferenz in Jena in die Zella-Mehliser Industriestraße, um mit hier lebenden Asylbewerbern Solidarität zu üben.
"Schauen Sie sich um, unser Gebäude ist eingekeilt zwischen Betrieben und dem Wald - wir leben ganz weit entfernt von anderen Menschen am Rande der Gesellschaft", sagt Miloud Lahmar Sherif aus Algerien, der seit zehn Monaten in diesem Heim lebt. Deshalb gehe es mit dieser Kundgebung auch um mehr als um die Lebensbedingungen in dem heruntergekommenen Haus, in dem die Wände schimmeln, auch wenn sie wieder und wieder gestrichen werden. Es gehe um die Abschaffung des Isolationssystems. Mit einem Blick auf das etwa 500 Meter entfernte Ortseingangsschild von Suhl, sagt Miloud, dass es in der Stadt nebenan eine bessere Lösung gebe. "In Suhl sind die Menschen dezentral untergebracht und können besser unterwegs sein als wir. Wir dürfen ja nicht mal nach Suhl", prangert er wie die anderen auch die längst in Kritik geratene Residenzpflicht an. In anderen Ländern wie beispielsweise Brandenburg, sie diese schon abgeschafft, auch wenn noch immer ein Antrag gestellt werden muss, wenn man sich weiter weg entfernen wolle, sagt Araz Ardrhali.
Um in diesem Kampf zusammenstehen zu können, seien etliche Asylbewerber nach Zella-Mehlis gereist, obwohl sie dafür mit Strafen zu rechnen haben. Auch die Ausgabe von Gutscheinen, statt der Gewährung von Bargeld für die Einkäufe wurde erneut angeprangert. Ebenso, dass Asylbewerbern verwehrt wird, einer Arbeit nachzugehen.
Bewegung im Landkreis?
Zentrum der sechsstündigen Kundgebung aber ist die Isolation, die Asylbewerber ausgrenze und traumatisiere, sagt Araz Ardrhali. Manche von ihnen leben schon 12 Jahre in dem Heim. Er, der vor 27 Jahren aus dem Iran nach Deutschland kam, Familie und einen guten Job als Ingenieur in einer namhaften Firma in Wuppertal habe, seit Beispiel dafür, "wie wir uns integrieren können, wenn man uns lässt".
Für die Betreibung des Asylbewerberheim hat sich der Landkreis Schmalkalden-Meiningen bisher einer Firma bedient. Landrat Ralf Luther denkt darüber nach, die Trägerschaft in die Hände des Kreises zu geben. Und auch darüber, in Kürze fünf bis sieben Familien, die schon lange in dem Heim sind, Wohnungen anzubieten (Freies Wort berichtete). Dass sich erst jetzt etwas bewegen soll, begründet Ralf Luther damit, dass bislang weder Probleme noch kritische Hinweise zum Zella-Mehliser Asylbewerberheim an ihn herangetragen wurden.
Die Kundgebung verlief laut Aussagen von Polizei-Beamten ohne besondere Vorkommnisse. Lediglich zu Beginn habe es Gerangel mit dem Wachpersonal gegeben, als Kundgebungsteilnehmer in das Haus wollten, sagt PI-Chef Ulrich Endter. Einerseits sei festgelegt, dass die Kundgebung vor dem Gebäude stattzufinden habe, andererseits sei aber auch das Besuchsrecht der Heimbewohner zu gewährleisten - ein behördliches Spannungsfeld, das fürwahr diplomatisches Geschick braucht.
Pressemitteilung von The VOICE Refugee Forum zur Kundgebung in
Zella-Mehlis am 24.April
https://thevoiceforum.org/node/2096
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