03.06.2011 / Inland / Seite 8Inhalt
»Wir wollen wissen, was genau passiert ist«
Afrikanische Kulturvereine fordern Aufklärung um tödlichen Schußwaffeneinsatz im Jobcenter Frankfurt/Main. Gespräch mit Manga Diagne
Interview: Gitta Düperthal
Manga Diagne ist Mitglied der Initiative »Christy Schwundeck« und Sprecher der Senegalesischen Vereinigung im Land Hessen
Hartz-IV-Betroffene zündeten am Dienstag vorm Jobcenter in Frankfurt am Main Kerzen für die am 19. Mai dort von einer Polizistin erschossene Christy Schwundeck an. Für Samstag, den 18. Juni, will die nach ihr benannte Initiative eine Demonstration organisieren. Was ist ihr Anliegen?
Wir wollen wissen, was genau passiert ist. Viele Schwarze aus ganz Hessen haben sich am Dienstag an unserer Mahnwache beteiligt. Müssen wir jetzt alle Angst haben, ins Jobcenter zu gehen oder auch vor der Polizei? Unvorstellbar: Christy Schwundeck kommt am Morgen des 19. Mai in das Frankfurter Jobcenter, weil sie 50 Euro braucht – und dann hat sie plötzlich eine Kugel im Bauch. Bislang ist nur bekannt: Es gab Streit mit dem Sachbearbeiter, der sich weigerte, den Betrag auszuzahlen – obgleich er dazu verpflichtet gewesen wäre. Der Hartz-IV-Antrag der 39jährigen Nigerianerin war bereits genehmigt. Deshalb ist die Situation eskaliert; der Sachbearbeiter hat die Polizei gerufen. Christy Schwundeck soll dann ein Messer aus ihrer Tasche gezogen und einen Polizisten verletzt haben, woraufhin dessen Kollegin den tödlichen Schuß abgab. Weil wenig an die Öffentlichkeit dringt, sind insbesondere wir Schwarzen in Frankfurt stark beunruhigt. Mitarbeiter des Jobcenters müssen geschult werden, damit sie psychologisch einfühlsam vorgehen. Häufig gehen sie kaum darauf ein, wenn jemand die bürokratische Sprache nicht versteht. So ein Verhalten macht alle unsere Bemühungen zunichte, Weiße und Schwarze zusammenzubringen.
Sie fordern also Aufklärung?
Es scheint, als gäbe es etwas zu verbergen. Das Jobcenter hatte unmittelbar nach der Tat mehrere Tage geschlossen und keine Nachricht herausgegeben. Der Name der Getöteten wurde geheim gehalten. Polizei und Staatsanwaltschaft haben Medien nur unvollständig informiert. Zunächst war keine Rede davon, daß es sich um eine Nigerianerin handelte. Ähnliche Erfahrungen haben wir im Fall der am 14. Juli 2001 von einem deutschen Polizisten getöteten Senegalesin N’Deye Mareame Sarr in Aschaffenburg gemacht. Sie wollte damals ihre Kinder bei ihrem Mann abholen, der ihr die Tochter nicht übergeben wollte. Wir können nicht verstehen, daß Polizisten, die ausgebildet sind, jegliche Situation mit Ruhe und Gelassenheit zu bewältigen, immer bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe drauflos schießen – so, daß die Frauen dabei zu Tode kamen. Wir fragen uns, ob sie ein Bild im Kopf haben, daß es sich bei Schwarzen um wilde Tiere handelt, die man mit einem Schuß erlegen kann. Für uns steht fest, daß Christy und N’Deye Mareame getötet wurden, weil sie schwarz sind. In beiden Versionen heißt es: Die Frau hatte ein Messer. Üblicherweise legt die Polizei vergleichbare Konflikte bei – ohne daß jemand zu Tode kommt. Wir erwarten jetzt Transparenz. Im Fall des am 7. Januar 2005 in seiner Zelle im Dessauer Gefängnis verbrannten Oury Jalloh mußten wir zur Kenntnis nehmen, wie die Polizei mauert und lügt. Das werden wir nicht hinnehmen.
Wie war die Situation Christy Schwundecks?
Ich habe mit ihrem Ehemann geredet: Er glaubt weder, daß sie ein Messer hatte, noch daß sie gewalttätig geworden ist. Es ist schwer, mit ihm in Kontakt zu kommen; eventuell auch, weil ihre Verwandten jetzt Angst haben. Die Erfahrung im Fall Oury Jalloh zeigt, daß das nicht unberechtigt ist. Dessen Freund Mouctar Bah wurde – nachdem er Aufklärung und Gerechtigkeit gefordert hatte – die Gewerbelizenz für sein Telecafé entzogen. So etwas darf in Frankfurt nicht passieren, das bringt Haß zwischen Schwarze und Weiße. In Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die über wenig Geld verfügen. Deshalb nehmen in Jobcentern Auseinandersetzungen zu. Sachbearbeiter reden mit Erwerbslosen häufig respektlos. Wer arm ist und nicht mit Kostüm oder Anzug und Krawatte auftaucht, ist in ihren Augen nichts wert.
Was fordern Sie?
Als Senegalese und Frankfurter möchte ich, daß die Sache glaubwürdig geklärt wird. Viele Schwarze haben leidvolle Erfahrung mit rassistischer Polizeigewalt. Ich selber hatte in einem Fall die Polizei gerufen, weil mein Nachbar mich mit Schlägen bedrohte. Die kam, aber statt sich mit meinem weißen Nachbarn zu beschäftigen, verlangte sie, meine Papiere zu sehen. Vor meinen Kindern haben sie mich beleidigt: »Du stinkst.« Da fragen wir Schwarzen uns: An wen sollen wir uns wenden, wenn wir bedroht werden?
Demonstration: Sonnabend, 18.6., 14 Uhr, Hauptbahnhof, Frankfurt/Main