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"Die Leute waren wirklich wütend, sie kamen mit roten Augen aus dem Film", erzählt Osaren Igbinoba: "Viele konnten sich eine solche Situation nicht vorstellen. Sie waren schockiert." Igbinoba, der als nigerianischer Flüchtling in Jena lebt, engagiert sich in den Netzwerken "Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen" und "Plataforma". Er gehört zu den Gründern der Flüchtlingsinitiative "The Voice" in Jena, die seit über zehn Jahren aktiv gegen Repressionen ankämpft - mit Aktionen und Informationsveranstaltungen für unbeschränkte Bewegungsfreiheit, gegen die so genannte Residenzpflicht und gegen das System der Abschiebung. Nach der erneuten Verschärfung der Lage für Flüchtlinge in der Bundesrepublik und Enttäuschungen in der Zusammenarbeit mit deutschen antirassistischen Gruppen drängen in der Arbeit der Aktivisten seit einiger Zeit Debatten über die Möglichkeiten der Selbstorganisation und Vernetzung und die Notwendigkeit neuer Aktions- und Öffentlichkeitsformen in den Vordergrund.
Eine Station dieser Reflexion stellt die im Mai 2005 unter dem Titel "Menschen unter Landkreisarrest" veranstaltete Filmtour durch mehrere thüringische Städte dar. Gezeigt wurde Forst von Ascan Breuer, Ursula Hansbauer und Wolfgang Konrad, ein bedrückendes Filmexperiment, das in so abstrakten wie düsteren Schwarzweißbildern und Klängen die forcierte Isolation und Ausgrenzung von Flüchtlingen in Deutschland zeigt, ohne sich auf die geläufigen dokumentarischen Inszenierungen von Authentizität zu verlassen. Stattdessen sieht man langsame Fahrten, dunkle Nahaufnahmen von Stämmen und Wurzeln, finstere Gänge. Dazu aus dem Off eine O-Ton-Montage von Berichten über die Wirkung eines Systems, das dazu angelegt ist, Menschen auf Essen und Trinken zu reduzieren, auf Schlaf und die Erwartung der Abschiebung, eines Systems, das die Stagnation zum Normalzustand werden lässt.
Nach und nach lösen sich aus den Schatten Gestalten, schemenhaft noch bringen sie sich zur Geltung. Sie kommen näher, schlagen "Karawane"-Plakate an die Bäume, besprechen sich gebeugt über eine Landkarte: Erste Schritte der Selbstorganisation. Erfolgreiche Selbstorganisation, berichtet der Film in einer exemplarisch verdichteten Erzählung, kann es immerhin möglich machen, sich einer drohenden Abschiebung durch Flucht in den Untergrund zu entziehen. Das ist auch Osaren Igbinobas Geschichte: Monatelang musste er sich verstecken, inzwischen hat er - nach drei drohenden Abschiebungen - endlich politisches Asyl erhalten. Doch die Darstellung der gelungenen Flucht kontrastiert mit den Bildern der Isolation, schließlich mit der Darstellung brutaler Vorbereitungen für die Abschiebung oder Verlagerung einer ganzen Gruppe von Flüchtlingen am Ende des Films.
Die Autoren sehen ihren Film in der Tradition dessen, was Bill Nichols als "performativen Dokumentarfilm" bezeichnet hat. Diese "verkörpern ein Paradox", schreibt der amerikanische Filmwissenschaftler in seinem vielbeachteten Aufsatz Performing Documentary: "Sie erzeugen ein klares Spannungsfeld zwischen szenischer Darstellung und Dokument, zwischen dem Persönlichen und dem Typischen, dem Körperhaften und dem Körperlosen, kurz gesagt, zwischen Geschichte und Wissenschaft. Das eine ist poetisch und evozierend, das andere dient als Beweis und betont die Referenz."
Schon der Titel des Films zeugt von dieser paradoxen Ästhetik: "Forst" ist zugleich der Name eines, inzwischen geschlossenen, berüchtigten Erstaufnahmelagers im Wald am Stadtrand Jenas, abseits, abgeschnitten vom öffentlichen Nahverkehr, und Metapher für die Strategien der Ausgrenzung. Der Titel benennt die Grenzen, hinter denen Menschen in der deutschen Gesellschaft unsichtbar werden, und die Arglosigkeit oder Gleichgültigkeit derer, die von all dem nichts ahnen oder ahnen wollen.
Der Film stellt das System der Isolation jedoch nicht einfach als Lebensrealität einer kleinen Gruppe dar, er appelliert nicht an das Mitleid oder den Reformwillen der Verantwortlichen. "Diese Filme beziehen sich auf uns", schreibt Nichols. Und dies nicht im Sinne eines unverbindlichen Existenzialismus, sondern als politische Frage: Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, die solche Dinge mit Menschen anstellt? Die Flüchtlinge erscheinen dabei nirgends als sprechende Gesichter, die Empathie erbeten - im Gegenteil, der Blick des Films geht, wie Ascan Breuer es nennt, "in präventive Abwehrstellung gegen die mögliche repressive oder vereinnahmende, auf jeden Fall ‚verstehende' Attitüde" der Zuschauer. Er vermittelt nicht, sondern konfrontiert. Wütend werden muss der Betrachter schon selbst.
"Der Film zeigt die Isolation so deutlich, dass manche Leute nicht in der Lage sind, es auszuhalten. Sie weigern sich, zu akzeptieren, dass dieses Problem tatsächlich existiert", erklärt Osaren Igbinoba. "Ich glaube, Forst ist eine der wichtigsten Referenzen für die Analyse der Situation und des Kampfes der Flüchtlinge. Viele Aktivisten haben gesagt: Er ist zu abstrakt. Sie können nichts damit anfangen. Aber wenn man sich hinsetzt und über den Film nachdenkt, fallen einem so viele Dinge ein. Je öfter man ihn sieht, desto mehr verschiedene Schlüsse zieht man. Es ist ein besonderer Film. Ein Film, der uns in der letzten Zeit viel Motivation gegeben hat. Eine Kritik lautete, dass der Film einem nicht die Kraft gibt, die Situation zu verändern. Er hinterlässt einen deprimiert. Aber wenn es so ist, dann ist das nicht die Schuld des Films."
Jan-Frederik Bandel ist Literaturwissenschaftler und Publizist (www.jfbandel.de)
Ascan Breuer, Ursula Hansbauer, Wolfgang Konrad: Forst. Österreich/Deutschland 2005, 50 min. (Verleih: sixpackfilm). Mehr dazu unter: www.forstfilm.com und www.thevoiceforum.org
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The System of Isolation
„Forst“ – a film on marginalization and self-organization
By Jan-Frederik Bandel
“Some people were really angry, they had red eyes when they left the film”, Osaren Igbinoba says: “Many of them couldn’t even imagine a situation like this. They were just shocked.” Igbinoba, a Nigerian refugee who lives in Jena, is engaged in the networks “Caravan for the Rights of Refugees and Migrants” and “Plataforma”. He is also one of the founders of the refugee initiative “The Voice” in Jena, a group that has been actively fighting repression for the last ten years – spreading information and organizing actions for the freedom of movement, against the so called “Residenzpflicht” and against the system of deportation. After the refugees’ situation in Germany has become even worse – and being disappointed about cooperations with German antiracist groups, the activists have recently concentrated on debates about the chances of self-organization, networks an new forms of actions and publicity.
One phase of this process of reflection was the film tour “Menschen unter Landkreisarrest” (“People under Local Arrest”) in several cities and towns in Thüringen that took place in May 2005. The film presented was “Forst” by Ascan Breuer, Ursula Hansbauer and Wolfgang Konrad, a depressing experimental film. It uses abstract, dark black-and-white pictures and sounds to demonstrate the forced isolation and marginalization of refugees in Germany. Yet, it doesn’t rely on the well-known documentary productions of authenticity. The camera slowly moves along tree-trunks, roots, dark corridors. Voices off report about the effects of a system that is designed to reduce people’s lives to eating and drinking, to sleeping and expecting deportation – a system that makes stagnation a permanent state.
Slowly, one by one, figures become visible in the shadows, coming closer, putting “Caravan”-posters to the trees, coming together, studying a map, discussing: First steps on the way to self-organization. Successful self-organization, so the film’s condensed narration says, can at least make it possible to escape deportation by going underground in time. This is also Osaren Igbinoba’s story: He had to hide for months. Now – after three efforts to deport him – he finally was given political asylum. But the story of this successful escape is being contrasted by pictures of isolation and finally by showing brutal preparations for the deportation or transportation of a whole group of refugees in one of the last scenes of the film.
The filmmakers see their film in the tradition of what Bill Nichols calls “performing documentary”. This type of film “embodies a paradox”, the American film critic explains: “They create an obvious tension between scenic play and document, between the personal and the typical, between the bodily and the bodiless, to be short: between history and science. One of these is poetic and evocating, the other serves as a proof and stresses reference.”
The film’s title already hints at these paradox aesthetics. “Forst” is at the same time the name of a notorious “Erstaufnahme”-camp in a forest near Jena, cut off from public transport (the camp has been closed now), and a metaphor for all these strategies of exclusion. The title refers to the borders serving to make people invisible to our society and to the guidelessness or indifference of all those who refuse to know about it.
Yet, the film doesn’t just show this system of isolation as the conditions under which a certain group of people has to live in Germany, it doesn’t plead for pity or concessions. “These films refer to us”, as Nichols says. This doesn’t imply any non-committal existentialist view, but a political question: Do we really want to be part of a society that does things like these to people? The refugees aren’t shown as talking faces pleading for empathy, on the contrary, the film’s view is, as Ascan Breuer explains, “made to ward off any possible repressive or absorbing, any ‘understanding’ attitude.” It doesn’t intervene, it confronts. It’s up to the viewer to become angry.
“The film shows isolation so clearly that many people just aren’t able to stand it. They refuse to accept that this problem really exists”, Osaren Igbinoba explains: “I think that ‘Forst’ is one of the most important references in the analysis of the refugees’ situation and struggle. Many activists said: It’s too abstract. They couldn’t see anything in it. But if you sit down and reflect about the film, so many things come to your mind. The more you see it, the more diverging conclusions you come to. It’s a special film. A film that has given us a lot of motivation. Some people criticized that the film doesn’t give you the power to change the situation. It leaves you depressed. But this is not the fault of the film.”
Ascan Breuer, Ursula Hansbauer, Wolfgang Konrad: Forst. Austria / Germany 2005, 50 min. (sixpackfilm). For more information see: www.forstfilm.com and www.thevoiceforum.org
Jan-Frederik Bandel is a literary specialist and journalist (www.jfbandel.de).
From: iz3w 288 (2005).