Demonstration in Dessau Hbf um 13:00 Uhr
Abfarht: Ein Bus von Jena um 10:00 Uhr nach Dessau
Was bisher geschah
7.1.2005 – Dessau
Ein Mensch verbrennt in einer polizeilichen Gewahrsamszelle auf einer feuerfesten Matratze an allen vier Extremitäten fixiert. Die Staatsanwaltschaft Dessau postuliert umgehend eine Hypothese, nach der Oury Jalloh aus Sierra Leone die feuerfeste Unterlage mit einem – bei der vorschriftlichen Leibesvisitation mutmaßlich „übersehenen“ – Feuerzeug selbst entzündet haben soll und die verantwortlichen Polizeibeamten nur nicht schnell genug hätten reagieren können.
2005-2013 – Dessau, Stendal, Halle/Saale, Naumburg, Magdeburg
8 Jahre systematischer Vertuschung und Manipulation beweisrelevanter Dokumentationen durch alle beteiligten exekutiven und Strafverfolgungsbehörden sowie der judikativen Institutionen des Landes Sachsen-Anhalt (Polizei, Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, Gerichtsmedizin, Landeskriminal¬amt, Innenministerium, Landgerichte in Dessau und Magdeburg).
Auch der Prozess am Magdeburger Landgericht hat gezeigt, dass die vom BGH schon im vorangegangenen Prozess am Landgericht Dessau kritisierten Unzulänglichkeiten vor anhaltinischen Gerichten keine angemessene (Auf)Klärung bzw. Würdigung finden werden.
Die zuständige 1. Große Strafkammer des Landgerichts in Magdeburg unter Vorsitz von Richterin Claudia Methling und auch Oberstaatsanwalt Christian Preissner als Klageführer haben es in den 23 Monaten ihrer Verfahrensführung tunlichst vermieden, den seitens des BGH eingeforderten Mindestanforderungen an das Revisionsverfahren auch nur annähernd gerecht zu werden– eine objektivierende Vervollständigung der Beweisaufnahme wurde nachhaltig verhindert, eine umfängliche Benennung und Würdigung der offensichtlich stattgehabten, pflichtverletzenden Verantwortlichkeiten wurde zu keiner Zeit angestrebt und der explizit zuerkannte Anspruch der Hinterbliebenen auf ein rechtsstaatliches Verfahren wurde erneut boykottiert!
Im Verlauf dieses Prozesses stellte sich heraus, dass das (nachträglich!) „asservierte“ Feuerzeug weder DNA-Spuren Oury Jallohs noch Faseranhaftungen seiner Kleidung oder aber der feuerfesten Matratze aufwies und damit – bei aller Beharrlichkeit im Bestehen auf der abstrusen Hypothese von der Selbstentzündung Oury Jallohs – gar nicht das mutmaßliche „Tatwerkzeug“ gewesen sein kann. Die richterliche Kammer zeigte sich hiervon jedoch vollständig unbeeindruckt und wollte (bewusst?!) nicht der höchstrichterlichen Revisionsvorgabe nach nachvollziehbarer Ermittlung der Brandentwicklung entsprechen, da sie Beweisanträge der Nebenklage zur gutachterlichen Untersuchung ggf. alternativer Brandentstehung und – mit Blick auf das Brandergebnis – möglicher Verwendung von Brandbeschleunigern immer wieder strikt zurückgewiesen hat.
„Man braucht keine Verschwörungstheorien um festzustellen, dass etwas nicht stimmt.“, führte Nebenklagevertreterin Gabriele Heinecke in ihrem Plädoyer aus. Wieso gibt Oberstaatsanwalt Preissner vor, ein Vorprüfungsverfahren eingeleitet zu haben, obwohl er in seinem Plädoyer davon sprach, nach wie vor keine Anhaltspunkte für Mord zu sehen?
Als Anwalt des Vaters von Oury Jalloh trägt Philipp Napp in seinem Plädoyer die wichtigsten Fragen zusammen, die sich in den letzten Monaten prozessual aus der Indizienlage ergeben haben:
Woher kommt das Feuerzeug?
Es ist keine DNA von Oury Jalloh, keine Stoff- und Faserreste seiner Kleidung oder der Matratze, auf der er lag, am Feuerzeugrest nachweisbar.
Was hat es mit dem undokumentierten Aufenthalt der Polizisten Hans-Ulrich März und Udo Scheibe in der Zelle 5 auf sich, in welcher Oury Jalloh von denselben Beamten einige Stunden zuvor an Händen und Füssen gefesselt worden war?
Ein Kollege hatte die beiden dort eine halbe Stunde vor Brandausbruch angetroffen. Was haben die beiden bei Oury Jalloh gemacht?
Warum sind zentrale Beweismittel verschwunden?
Verschwunden sind unter anderem: die rechte Handfessel, ein 8 cm langes Stoffstück (das unter dem Kopf von Oury Jalloh gefunden wurde), das entscheidende Videomaterial der Tatortgruppe, das Fahrtenbuch von März und Scheibe (der entsprechende Journaleintrag wurde auf mysteriöse Weise gelöscht), ein Gesprächsvermerk (in welchem es um das öffentlich bekannte, rassistische Vorgehen der Dessauer Polizei ging).
Wie ist die Auffindesituation von Oury Jalloh zu erklären?
Abgebrannte Matratzenecken, Amputation der Finger der linken Hand, Stoffreste unter Oury Jallohs Hinterkopf, unbekleidete Brust, vor Gericht vorgeführte Hosenreste passen nicht zu den Verbrennungen seines Gesäßes.
Warum wurde bei einem derart wichtigen Ereignis am Tatort kein Photonendetektor eingesetzt?
Wie ist die Abwesenheit von Noradrenalin erklärbar?
Die Kammer geht darüber hinweg, dass Oury Jalloh bewusstlos gewesen sein muss. Noradrenalin entsteht bei Stress und ist innerhalb von 10-30 Sekunden im Urin nachweisbar.
Hat der Dienstgruppenleiter Andreas Schubert Oury Jalloh am 7. Januar 2005 lebend gesehen?
Schubert bestreitet dies, obwohl mehrere Zeugenaussagen davon berichteten, dass der Angeklagte im Gewahrsamsbereich war.
Vor diesem Hintergrund gerät die richterliche Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf die Feststellung und entsprechende Würdigung der Unrechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme Oury Jallohs einschließlich der Unterlassung einer haftrichterlichen Prüfung mit dem Hinweis auf gewohnheitsmäßige Rechtsbrechung im Polizeirevier Dessau zwangsläufig zur konsequenten Nebensache. Zudem sei unbedingt auch noch an den ungeheuerlichen Vorschlag der Kammer, dem Prozess per Einstellung des Verfahrens nach § 153a gegen Zahlung einer Geldstrafe ein unwiderrufliches Ende zu bereiten, erinnert. Da stellt sich doch die zielführende Frage nach den hier zugrundeliegenden, „rechtsstaatlichen“ Wertmaßstäben einer solchen Entscheidungsfindung.
Ein dem Anlass des Revisionsverfahrens entsprechender Unterschied im Streben nach umfänglicher rechtsstaatlicher Aufklärung der unsäglichen Vorkommnisse am 07.01.2005 im Dessauer Polizeirevier zwischen dem Dessauer Richter Steinhoff und der zuletzt agierenden Richterkammer in Magdeburg wurde dem geneigten Beobachter in dieser nunmehr 8 Jahre andauernden Kapitulation vor dem „Was nicht sein darf(!)“ nicht wirklich ersichtlich. So gesehen ist das mit aller richterlichen Macht durchgesetzte, „zügige“ Ende der Magdeburger Verhandlung eines mit anhaltendem Schrecken, der offensichtlich kein rechtsstaatliches Ende finden soll – zumindest nicht in den Gerichten Sachsen-Anhalts, deren vorgebliche juristische Unabhängigkeit sich zwanghaft von ministerialer Einflussnahme und staatsanwaltlicher Unfähigkeit korrumpiert zeigt.
Die Magdeburger Strafkammer stellt in ihrer Urteilsverkündung fest:
Fahrlässige Tötung durch Unterlassen (der optischen Überwachung des fixierten Opfers) verbunden mit der expliziten Feststellung, dass der angeklagte Dienstgruppenleiter Andreas Schubert das Leben des brennenden Oury Jalloh auch bei unverzüglicher Reaktion auf den Feueralarm nicht hätte retten können.
Die Richterkammer schließt eine Brandauslösung durch Defekt oder andere Personen als Oury Jalloh selbst ausdrücklich aus – Oury Jalloh habe das Feuer entzündet, um auf sich aufmerksam zu machen.
Verstöße gegen das Polizeigesetz (unrechtmäßige Verhaftung) sowie die Gewahrsamsordnung (Richtervorbehalt) könnten dem Angeklagten wegen Unwissenheit (bezüglich der Haftgründe) und gewohnheitsmäßiger Rechtsbeugung im Polizeirevier Dessau (bezüglich des richterlichen Vorbehaltes bei anhaltender Ingewahrsamnahme ) nicht zur Last gelegt werden.
Es könne nicht nachgewiesen werden, dass fehlende oder gelöschte Beweismittel (elektronisches Dienstprotokoll, Fahrtenbuch, Video der Beweisaufnahme in Zelle Nr. 5, rechte Handfessel usw.) gezielt vernichtet oder manipuliert (Feuerzeug) worden wären.
Strafmaß: 120 Tagessätze à 90€, wovon 20 Tagessätze mit Blick auf die Länge des Verfahrens erlassen werden.
Bisher ist (mit Ausnahme der BGH-Entscheidung) zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entstanden, dass eine Aufklärung der ungeheuerlichen Vorkommnisse um den Feuertod Oury Jallohs geradezu notwendig für die Glaubwürdigkeit des staatlichen Machtmonopols von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz in ihren jeweiligen Bereichen wäre – ganz im Gegenteil wird hier in haarsträubend verfassungswidriger Kungelei von Exekutive und Judikative genau dieses verhindert!
Wenn derartig menschenverachtende und tödliche (hier sogar auch noch wiederholte!) Übergriffe von Polizeibeamten kein angemessener Riegel in Form rückhaltloser Aufklärung vorgeschoben werden will, ist in diesem Lande wohl prinzipiell alles möglich – jedenfalls solange man eine Uniform trägt und alleine damit schon „Welpenschutz“ unter richterlichen Roben findet, weil für das ‚vorrangig‘ zu schützende „Ansehen“ des jeweiligen Landes die ‚Leichen in polizeilichen Gewahrsamskellern‘ lieber billigend in Kauf genommen werden!
Die hier praktizierte, institutionalisierte Kapitulation eines mutmaßlichen Rechtsstaates im Angesicht tödlicher Handlungsweisen polizeilicher Beamter ist nicht ‚nur‘ ein unerträgliches Signal für die Hinterbliebenen der Opfer, sondern insbesondere ein fatales an die (beschützten) Täter – ein ‚rechtsstaatlich‘ unverhohlenes „Weiter so!“.
Links;
Der polizeigemachte Tod Oury Jallohs bleibt unaufgeklärt - Prozessbeobachter des Grundrechtekomitees http://www.grundrechtekomitee.de/node/537
taz press: Das Urteil ist ein Signal, dass nicht alle gleich sind - Alte Zweifel, neue Irritationen http://taz.de/Kommentar-Oury-Jalloh/!107399/
jungewelt press: Jalloh-Prozeß: Alle Prozeßbeteiligten legen Revision gegen Magdeburger Urteil ein Von Susan Bonath http://www.jungewelt.de/2012/12-20/039.php
Deshalb:
Kommt mit zur Trauer- und Erinnerungsdemo nach Dessau
7. Januar 2013
13:00 Uhr – Hauptbahnhof Dessau
Busabfahrt ab Jena (Inselplatz) 10:00 Uhr
Anmeldung unter: daswarmord@riseup.net
Brecht mit uns die Mauer des Schweigens und Vertuschens!
Angesichts der immer noch anhaltenden Vertuschungsmentalität von Polizei, Staatsanwaltschaft und den Gerichten Sachsen-Anhalts fordern wir:
die Erhebung einer Anklage auf Beihilfe zu Körperverletzung und Mord gegenüber allen am 7.1.05 verantwortlich diensthabenden Polizeibeamten des Dessauer Reviers ,
die Durchführung eines regelkonformen Gerichtsverfahrens unter Beiordnung unabhängiger und internationaler Prozessbeobachter mit Durchführung eines unabhängigen, ergebnisoffenen Brandgutachtens zur Ermittlung verlässlicher Kriterien bezüglich der Brandentstehung und des Brandverlaufes,
die Schaffung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung von systemrelevanten Menschenrechtsverletzungen gegen MigrantInnen in Deutschland durch Täter in staatlichem Auftrag, die bereits zu vielen Todesfällen geführt haben – inklusive der sich regelmäßig anschließenden, institutionalisiert rassistischen Kollaboration zwischen Exekutive, Legislative und Judikative in der Bundesrepublik Deutschland zur Gewährleistung opferverachtender Straffreiheit.
Gerechtigkeit für und Anteilnahme mit den Opfern staatlicher Gewalt!
MORDANKLAGE IM FALL OURY JALLOH!
Sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben wie zuletzt auch die Nebenklagevertretung der Angehörigen und Freunde Oury Jallohs fristgerecht Revision gegen das Magdeburger Urteil beim BGH eingelegt.
Während die Staatsanwaltschaft moniert, dass das Landgericht nicht geklärt habe, ob die aufgetretenen Verstöße gegen das Polizeigesetz möglicherweise auch als Freiheitsberaubung mit Todesfolge zu werten seien und dies aber nochmals geprüft und rechtlich bewertet wissen will, hält die Verteidigung den Schuldspruch der Magdeburger Richterkammer in einer gemeinsamen Erklärung mit der Gewerkschaft der Polizei für ein absolutes Fehlurteil, da nicht hingenommen werden könne, dass ein Polizeibeamter persönlich für die unzulängliche personelle und technische Ausstattung der Dienststellen einstehen soll .
Allein die Nebenklagevertretung fordert die Klärung der Umstände des Todes Oury Jallohs durch ein unabhängiges und v.a. ergebnisoffenes Brandgutachten ohne manipulative Vorgaben seitens der Richter_innen sowie eine angemessene richterliche Würdigung der bestehenden Widersprüchlich¬keiten im Zusammenhang mit der Spurenlage am nachträglich „asservierten“ Feuerzeug und der Abwesenheit von Stresshormonen beim Toten – mithin die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, das seinen Namen auch wirklich verdient bzw. diesem Anspruch gerecht wird.
Genug ist genug – Wir lassen uns nicht zum Schweigen verurteilen!
Fortlaufende Infos
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V.
http://initiativeouryjalloh.wordpress.com
The VOICE Refugee Forum
https://thevoiceforum.org/taxonomy/term/21
The VOICE Refugee Forum Jena
Internet: https://thevoiceforum.org
E-Mail: thevoiceforum@gmx.de
Kontakt: Tom Ndindah, +49 (0) 176 99621504