Video Testimonies of Deportation to Nigeria and Togo:
Testimony of Deportation to Nigeria
Vor dem Hintergrund der Forderungen der seit Frühjahr stattfindenden Proteststreiks von Asylsuchenden in Deutschland und der jüngsten Farce der Verleihung des (mittlerweile wohl eher „sogenannten“!) Friedensnobelpreises an EU möchte ich im Folgenden versuchen die Problematik und Funktion von FRONTEX – der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontières extérieures) – im Kampf bzw. Krieg gegen Migration nach Europa näher zu beleuchten.
Die Kernforderungen der Asylstreiker sind:
1) Abschaffung der Residenzpflicht
(nur in Deutschland als gesetzliche Fortschreibung kolonialer bzw. nationalsozialistischer Unmenschlichkeit - einmalig in Europa)
2) Schließung aller Isolationslager für Asylsuchende
(im Bürokratendeutsch „Gemeinschaftsunterkünfte“, da hier angeblich das Leben in der Gemeinschaft „trainiert“ werden soll)
3) Beendigung der organisierten Abschiebepraxis von Menschen aus Deutschland, Europa und weltweit
Zunächst stellt sich natürlich die Frage, was diese vorwiegend nationalen Gesetze und Praktiken mit FRONTEX und den europäischen Außengrenzen zu tun haben sollen, weswegen ich meine Einsichten gerne mit der geschichtlichen Einordnung dieser Phänomene in das koloniale Erbe europäischer (christlich-abendländischer!) Tradition beginnen möchte:
Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Internierungen und Deportationen von Menschen waren seit jeher manifeste Unterdrückungspraktiken kolonialer Machtausübung und finden in der „modernen“ Asylpolitik der europäischen Union lediglich ihre konsequente Fortschreibung. Sie waren und sind scheinbar „legitime“ Mittel zur Durchsetzung und Festschreibung ökonomischer und hegemonialpolitischer Interessen in einer sich unverändert als „überlegen“ definierenden (weißen) Gesellschaftsideologie.
Waren es in der Vergangenheit die Barbarei der Sklaverei und die skrupellose Ausbeutung fremder Ressourcen, welche mit einem unverhohlen rassischen Überlegenheitskonstrukt „begründet“ wurden, so stellt sich die aktuelle Migrationspolitik Europas im Zeitalter der freiheitlichen Demokratie und vor dem Hintergrund der universellen Menschenrechte (inklusive der europäischen Menschenrechts- und der Genfer Flüchtlingskonvention) naturgemäß komplexer dar.
In der europäischen Entwicklung nach dem 2.Weltkrieg war Migration zum Zwecke des wirtschaftlichen Wiederaufbaues zunächst absolut erwünscht und wurde mit diversen Verträgen auch gezielt gefördert.
Im Weiteren entstand mit der europäischen Integration über EWG und EG hin zur EU ein zunehmendes Geflecht an Verträgen und Abkommen, in der die Umsetzung der europäischen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen „neu“ definiert und institutionalisiert wurden.
Bezüglich der gemeinsamen Migrationspolitik wurde seitdem ein grundlegendes Bedrohungsszenario heraufbeschworen, nach welchem den Migrant_innen die Ausnutzung und Überlastung der Sozialsysteme, die Überlastung der nationalen Arbeitsmärkte, der Import nicht-„demokratischer“ Lebensweisen (Unterdrückung der Frauen, politisch/religiös-fundamentalistischer Extremismus etc.) und letztlich insgesamt die Schwächung der kulturellen Identität des „christlichen Abendlandes“ vorgehalten werden.
Diese konstruierte „Bedrohung“ diente und dient nicht nur als propagandistische Grundlage zur Entwicklung einer zunehmenden Militarisierung und Externalisierung von „Migrationsabwehr“ („Das Boot ist voll“), in deren Ergebnis die Installation der FRONTEX-Agentur stand, sondern ist auch ein archetypisches Merkmal rassistischer, hegemonialer und/oder faschistischer Ideologien, in denen die Betroffenen einer aggressiven Vorgehensweise immer wieder selbst als vorgebliche Ursache der anzuwendenden Gewalt instrumentalisiert werden.
Bereits 1978 begann die „informelle“ Zusammenarbeit der Innenminister der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften in der sogenannten TREVI-Gruppe (Terrorisme, Radicalisme, Extrémisme et Violence Internationale), welche schon damals bewusst außerhalb des eigentlichen institutionellen Rahmens der europäischen Legislativorgane etabliert wurde. Nach der weiteren vertraglichen Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft mit dem Schengener Abkommen 1985, Gründung einer Ad-Hoc-Gruppe Einwanderung der EG 1986 und dem Dubliner Abkommen 1990 wurde die Einwanderungs-und Asylpolitik der EG 1991 gemeinsam mit dem Kampf gegen organisierte, internationale Kriminalität (z.B. Drogen- und Menschenhandel!) der 3. Säule der EG/EU (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit) zugeordnet, womit eine Festschreibung in den jeweils souveränen, nationalen „Gestaltungsrahmen“ erfolgte und sie somit effektiv von anderweitigen internationalen Verträgen abgeschottet werden konnte.
Mit der Aufnahme des Schengener Abkommens in den Rechtsrahmen der EU, dem Inkrafttreten der sogenannten „Drittstaatenregelung“ 1997 sowie der Vereinbarung über Rücknahmeabkommen im Programm von Tampere 1999 begann der zunehmende Aufbau und Austausch von Personendaten (europäische Fingerabdruckdatei EURODAC, Visa Information System SIS und Prümer Vertrag [Schengen II] mit Schengen Information System II [DNA-Datenbanken, biometrische Datenbanken, Kraftfahrzeugregister]) und deren praktische Anwendungen im Rahmen des Dublin II-Abkommens ab 2003 sowie bei der Umsetzung der systematischen Einbindung von extraeuropäischen Transitstaaten in die Grenzsicherung und ein „integriertes EU-Grenzschutzsystem“ (Haager Programm 2004).
Nach Schaffung all dieser Voraussetzungen konnte die FRONTEX-Agentur ab Mai 2005 dann endlich ihre operative Arbeit aufnehmen – wohlgemerkt eine Agentur und keine Behörde. Die parlamentarische Kontrolle dieser hochgradig autonomen Agentur besteht lediglich in der Beschlussfassung des (bisher) jährlich wachsenden Budgets – der seit 2005 durchgängig bestellte Exekutivdirektor Ilkka Laitinen (finnischer Brigadegeneral) ist von offiziell-exekutiver bzw. legislativer Einflussnahme seitens europäischer oder nationaler Parlamente oder Regierungen absolut unbehelligt und durch die intern „nur“ koordinative Funktion der national entsandten Grenzschutzbeamten auch gegen die oft genug tödlichen Verantwortlichkeiten gefeit.
Die multinational handelnden Grenzpolizisten in den Gemeinschaftsoperationen von FRONTEX schieben sich die tödlichen Konsequenzen ihres Handelns gegenseitig in die Schuhe oder werden von den jeweils nationalen Behörden gegen strafrechtliche Verfolgung abgeschottet – und im Todesfalle findet sich meistens so oder so kein Kläger mehr!
(bezüglich einer ausführlicheren Analyse bezüglich der Struktur, den Aufgaben und rechtlichen Bedenken gegenüber FRONTEX möchte ich an dieser Stelle auf die Informationsstelle Militarisierung e.V. http://www.imi-online.de/download/FRONTEX-Broschuere.pdf verweisen)
Fakt ist, dass das „Integrated Border Management“ von FRONTEX nicht nur die weltweit tödlichste Grenzlinie mit jährlich Tausenden von Toten (v.a. im Mittelmeer) produziert hat und aufrecht erhält, sondern dass dieses „Management“ im Namen eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtes“ für alle die, die nicht durch eine EU-Staatsbürgerschaft privilegiert sind Illegalisierung, Kriminalisierung, Entrechtung, Isolierung, Perspektivlosigkeit und Tod bedeutet – also Unfreiheit, Unsicherheit und Unrecht.
Die hochtechnisierte Überwachungsmaschinerie mit Satelliten, Flugzeugen, Hubschraubern, Drohnen, Schiffen und landgestützten Radaranlagen an den südlichen Seegrenzen Europas sollte Boote jeglicher Größe überall orten und entsprechend internationaler Seerechtskonventionen aus etwaigen Notsituationen retten können – doch entgegen internationaler Vereinbarungen hat die EU nicht nur den gesamten internationalen See Raum im Mittelmeer und westafrikanischen Atlantik wirtschaftlich privatisiert und durch FRONTEX operativ militarisiert, sondern kriminalisiert tatsächliche Helfer aus der (See-) Not auch noch systematisch durch die Bezichtigung des Menschenhandels.
Zudem agiert FRONTEX nach entsprechenden Abschlüssen jeweiliger Einzelverträge mit nord- und westafrikanischen Staaten bereits in deren nationalen Hoheitsgewässern, um schon die Abreise der Flüchtenden aus ihren Heimatländern zu verhindern.
Hier werden durch die Kopplung wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Vertragsparameter einerseits die Ressourcen in den Heimatländern der Migrant_innen z.B. durch Überfischung und Landgrabbing geplündert und damit Lebensgrundlagen vor Ort nachhaltig zerstört – andererseits wird der europäisch-operative Sicherungs- und Überwachungsraum im Krieg gegen die Migration bereits ebenda installiert.
Im Nebeneffekt werden durch zusätzliche bilaterale Verträge zur „Wirtschaftsförderung“ und „Europäisierung“ zwischen Einzelstaaten der EU und afrikanischen Nationen unterschiedliche Einflußsphären geschaffen (z.B. Magrheb-Staaten) oder regionale Wirtschaftszonen (wie z.B. ECOWAS in Westafrika) durch externe Verträge derart unterlaufen, dass die angestrebten Effekte gemeinsamer Märkte nicht mehr tragfähig sind.
FRONTEX exportiert und etabliert europäische Sicherheits- und Überwachungsstandards und –technik und drängt die afrikanischen und osteuropäischen Vertragspartner dazu, Asylantragstellungen für den europäischen Raum bereits dort abzuwehren bzw. die Weitereise der Flüchtenden zu illegalisieren. Hierbei spielt die Demokratiefähigkeit der Diktaturen vor Ort, deren jeweilige Anerkennung der Genfer Flüchtlingskonvention oder der allgemeinen Menschenrechte keine Rolle – da werden die zur Ausstattung der zu betreibenden Internierungslager für die Rückhaltung und Zurückschiebung der Flüchtenden obligatorischen Leichensäcke gerne auch gleich mal mitgeliefert.
Bemerkenswert hierbei ist, dass durch die Abwicklung dieser menschenrechtswidrigen Verträge über FRONTEX eine parlamentarische Nachvollziehbarkeit der Vertragsinhalte auf nationaler und europäischer Ebene quasi ausgeschlossen wird und mithin schriftlich nicht auffindbare Vereinbarungen schon effektiv umgesetzt werden können – zumindest solange niemand ernsthaft nachfragt.
Doch zurück zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen und nach Deutschland und den aktuell weitreichenden Protesten selbstorganisierter Asylsuchender:
WENN es Migrant_innen trotz FRONTEX oder bereits vor 2005 gelungen ist Deutschland zu erreichen, hat der Albtraum noch lange kein Ende – und FRONTEX bleibt auch hier die willfährig exekutive Agentur der Wahl.
Seit der faktischen Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl in Deutschland 1993 im Zuge der anhaltenden „Balkankrise“ und der erfolgreichen Rückkehr des wiedervereinten Deutschlands in die Riege kriegführender Nationen, bemüht sich die deutsche Politik auffällig um möglichst repressive Regelungen in der Abwehr von Zuwanderung und hat der EU hierbei deutlich seinen Stempel aufgedrückt (z.B. Ausweitung der deutschen „Drittstaatenregelung“ auf das Dublin II-Abkommen, Ausweitung der deutsch-österreichischen Verträge von Prüm in Schengen II oder zuletzt die restriktive Erteilung von ohnehin fakultativen Arbeitserlaubnissen erst nach 9 statt europaweit geplanten 6 Monaten).
Deutschland verfügt zwar im Gegensatz zu manchen anderen europäischen Mitgliedsstaaten über ein soziales Netz, das – wenn auch mit deutlichen Abstrichen – auch Nicht-Deutschen zur Existenzsicherung zur Verfügung steht, hat aber andererseits ein perfides Restriktions-, Isolations- und Repressionssystem gesetzlich fixiert, welches nicht nur den selbst anerkannten universellen Menschenrechten nach Diktion der Vereinten Nationen, sondern konsequenterweise auch noch dem eigenen Verfassungsersatz namens Grundgesetz zuwider läuft (wie unlängst der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes anlässlich seiner Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der Leistungssätze des Asylbewerberleistungsgesetzes auch ganz allgemein festgestellt hat.
(http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl00…)
Informationen aus dem umfangreichen Datenpool der FRONTEX-Agentur – dem seit 2006 europaweit für Migrationsbehörden nutzbaren ICONet – nutzen auch deutsche Ausländerbehörden gerne als Grundlage für Kriminalisierung, Ausgrenzung, schikanöse Willkür und v.a. die Androhung und Durchführung europaweit koordinierter Abschiebungen. Hierbei werden in Kooperation mit den Botschaften willfähriger „Drittstaaten“ (wie z.B. Nigeria) teilweise herkunftsunabhängige Ausreisedokumente erstellt und die betroffenen Menschen gegen ihren ausdrücklichen Willen und unter Gewaltanwendung in diese Länder abgeschoben. FRONTEX fällt auch hierbei die zentral koordinierende und vertragsbeschaffende Rolle zu – innerhalb dieses viel gepriesenen „Raumes der Freiheit, Sicherheit und des Rechtes“ namens EU.
Im Interesse der Übersichtlichkeit möchte ich an dieser Stelle wie folgend zusammenfassen:
Zum Erhalt ihrer wirtschaftlichen und politischen Hegemonie haben sich Deutschland und die EU in Selbstvergessenheit ihrer eigenen kolonialen Verantwortungslosigkeiten und den vorgeblichen Lehren aus 2 Weltkriegen mit der Gründung von FRONTEX nicht nur von der Anerkennung der universellen Menschenrechte konsequent verabschiedet, sondern ihren hegemonialen Anspruch in der Verkleidung und durch die Verklärung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch zusätzlich zementieren können.
In Deutschland wurde das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft, so dass Fluchtgründe, wie sie für Migration aus Deutschland und Europa heraus immer wieder bestanden haben (sei es wirtschaftlich-existenziell oder kriegsbedingt), für Nichtdeutsche bzw. –europäer hier und heute effektiv diskreditiert, illegalisiert und kriminalisiert werden.
Integratives Grenzmanagement a´ la FRONTEX mit Militarisierung und Externalisierung findet in der Grauzone einer weder legislativ, noch exekutiv kontrollierbaren Agentur statt, die neben der tödlichen, militärischen Praxis auch noch exzessive Datenbanken zur lückenlosen Überwachung, Kriminalisierung und Repression von Migrant_innen bereithält.
Die EU steht damit für die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Menschen in ihren Heimatländern durch wirtschaftlich-imperiale Dominanz, Fremdausbeutung von Ressourcen, Krieg, Landgrabbing und angeheizten Klimawandel bei gleichzeitig effizient-tödlicher Ausgrenzung der Betroffenen und Externalisierung des eigenen Grenzmanagements in diese Heimatländer.
In diesen Zusammenhängen war die Verleihung des „Friedensnobelpreises“ an die EU nicht nur eine Farce, sondern auch ein Akt skandalöser Überheblichkeit im Angesicht des seit Jahrhunderten verbrochenen und des immer und immer noch weiter verursachten Leides an der Menschheit weltweit!
PS für alle die sich sicher fühlen wollen:
Nach dem Vorbild von FRONTEX wird nun übrigens auch die „interne“ Vollüberwachung der EU-Staatsbürger durch EUROPOL (Agentur seit 2010) und der im Aufbau befindlichen europäischen Geheimdienst-Agentur SitCen organisiert werden, welche dann ungeachtet allen Datenschutzes und der Trennungsvorgabe von Polizei und Geheimdiensten munter alle Datenbanken untereinander abgleichen werden können…und…FRONTEX managt auch alle internationalen Flughäfen der EU!
GLEICHE RECHTE FÜR ALLE !!!
This is an unpublished article after the Break Isolation Summer Camp 2012 in Erfurt
Thomas Ndindah
The VOICE Refugee Forum
https://thevoiceforum.org/
Email.: thevoiceforum@gmx.de
Testimonies of Deportation to Togo
Weitere Informationen zu den Kämpfen von Flüchtenden und Migrant_innen in Deutschland unter: http://thecaravan.org