»Im Süden der Republik liegt einiges im argen«
Auch Thüringen schafft Residenzpflicht für Flüchlinge ab – sie gilt noch in Sachsen und Bayern. Gespräch mit Miloud Lahmar Cherif aus jungeWelt vom 03.07.13
Interview: Gitta Düperthal
Miloud Lahmar Cherif aus Algerien ist in der Flüchtlingsorganisation »The voice« in Thüringen aktiv.
Schluß mit der Residenzpflicht: Ab 1. Juli wird Flüchtlingen die Bewegungsfreiheit innerhalb Thüringens zugestanden. Hat die dortige CDU-SPD-Landesregierung endlich eingesehen, daß sie Grundrechte der Asylsuchenden hierzulande achten muß?
Es wäre falsch zu behaupten, CDU und SPD würden neuerdings gesteigerten Wert auf Grundrechte und Humanität legen. Die Landesregierung hat zwar beschlossen, unsere Bewegungsfreiheit innerhalb Thüringens nicht mehr einzuschränken. Flüchtlinge müssen also nicht mehr wie bisher um Erlaubnis betteln, wenn sie den Landkreis oder die Stadt verlassen wollen, wo sie untergebracht sind.
Ein Zeichen von Einsicht ist das aber nicht. Sie haben jetzt nachgegeben, weil Flüchtlingsaktivisten seit Jahren mit beharrlichen Protesten, Aktionen und Veranstaltungen Druck machen. Immer mehr Deutsche haben sich dem Kampf für unsere Rechte angeschlossen. Diesem öffentlichen Druck mußte die Landesregierung nachgeben.
Ein zweiter Grund für die Abschaffung der Residenzpflicht in Thüringen ist typisch deutsch: Die Bürokratie beschäftigt sich mit sich selber. 70 Prozent der Ausländerämter waren nur aus dem simplen Grund für die Abschaffung, weil ihnen der Aufwand zu groß war, dauernd Anträge auf Reiseerlaubnisse zu bearbeiten: Zu viel Arbeit halt!
Vermuten Sie, daß es nun weniger rassistische Kontrollen der Polizei geben wird?
Nein. Die Kultur des Rassismus und des Fremdenhasses ist damit nicht durchbrochen. »Sicherheit« wird als Grund für die Kontrollen angegeben, es gehe darum, »illegale« Ausländer zu kontrollieren. Die Auffassung, Flüchtlinge seien eine Gefahr, wird weiterhin verbreitet. Fazit: Wir werden weiterhin aufgrund unseres Aussehens diskriminiert, angehalten und kontrolliert. Nach der Ausweiskontrolle wird es aber künftig heißen: Sie sind aus Thüringen, und dürfen sich in diesem Bundesland also frei bewegen. Die Residenzpflicht muß aber für die ganze Republik aufgehoben werden.
Sie haben sich geweigert, Bußgeld zu zahlen, als die Polizei Sie außerhalb des Landkreises Schmalkalden-Meiningen kontrolliert hatte. Der Fachbereich Ordnung und Sicherheit des Landratsamts wollte sie deshalb ins Gefängnis schicken ...
2010 hatte mich die Bundespolizei in Erfurt angehalten und mir die Weiterreise untersagt: Ich dürfe mich nicht außerhalb des Landkreises bewegen, hieß es. Das daraufhin vom Landratsamt verhängte Bußgeld von 62 Euro habe ich bis heute nicht gezahlt. Ich habe öffentlich erklärt: »Meine Freiheit steht nicht zum Verkauf – die Residenzpflicht gehört abgeschafft!« Mit der angedrohten Erzwingungshaft wollte mich die Behörde nötigen zu zahlen. Am Samstag habe ich nun ein Schreiben erhalten: Der Haftantrag ist zurückgenommen. Geht doch! Ich sage nicht danke. Grundrechte zu achten, ist in einer Demokratie selbstverständlich.
In Thüringen haben Flüchtlingsaktivisten viele Rechte durchsetzen können. Wie sieht es im Rest der Republik aus?
Wir haben es geschafft, daß schimmelverseuchte und marode Flüchtlingslager wie in Zella-Mehlis und Sömmerda geschlossen wurden. Aber wir haben noch zu tun: Als nächstes müssen die Lager Breitenworbis und Gerstungen dichtgemacht werden. Die Flüchtlinge müssen menschenwürdig in Wohnungen untergebracht werden.
Lebensmittelgutscheine wurden in Thüringen auch abgeschafft, außer in Apolda und Greiz erhalten Asylsuchende Bargeld. Auch in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Bremen, Berlin wurden Verbesserungen erreicht und die Residenzpflicht abgeschafft – sie gibt es nur noch in Sachsen und Bayern. In letzterem Bundesland werden Flüchtlinge immer noch dadurch erniedrigt, daß sie nur Essenspakete erhalten. Im Süden der Republik liegt einiges im argen.
Aber in Bayern gab es doch gerade den Hunger- und Durststreik von 55 Flüchtlingen.
Ja, sie haben aber eine andere Denkweise als wir: Sie wollen ihren eigenen Aufenthalt durchsetzen – dann ist wieder Schluß. Oder: Für ein einzelnes Lager soll eine Lösung her. So läuft unser Kampf nicht. Wir wollen das Lagersystem abschaffen, setzen uns Ziele. Ist eins erreicht, wird mit ganzer Kraft das nächste angestrebt. Dafür planen wir Kampagnen für politische Aktionen.