The delegates Observation Reports on the Process – Oury Jalloh Trial in Dessau.
https://thevoiceforum.org/node/471
https://thevoiceforum.org/node/477 Zweite Prozessrunde in Dessau + Ausschnitte
aus den Berichten der internationalen Delegation der ProzessbeobachterInnen
https://thevoiceforum.org/node/477
Am Donnerstag, den 19. April, wird um 9.00 Uhr am Landgericht Dessau für zwei Tage der Prozess gegen zwei Polizeibeamte fortgesetzt, die für den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verantwortlich sein sollen. Es wird die Aussage der Polizeibeamtin Beate H. erwartet, die ihren Vorgesetzten Andreas Sch. in einer ersten Polizeivernehmung schwer belastete. Sch. habe Hilferufe ignoriert und den Feueralarm ausgeschaltet, statt zügig Hilfe zu leisten. Mit ihrer Aussage steht und fällt das auch von der Nebenklagevertretung geteilte Interesse an einer Schuldsprechung des Dienstgruppenleiters. Abzuwarten bleibt zudem, wie weit ihr Auftritt vor Gericht der genaueren Aufklärung der Todeumstände dienen wird.
Aber nicht nur aus dieser Sicht ist die zweite Prozessrunde von Belang. Die Anwesenheit einer großen und kritischen Öffentlichkeit bei der Fortsetzung des Prozesses würde auch zeigen, dass es weiterhin Menschen gibt, die Zweifel haben, dass mit der Rechtsprechung, unabhängig vom Ausgang des Urteils, das letzte Wort zum Todesfall von Oury Jalloh gesagt sein kann. Die systematische Missachtung mancher Menschen, sei es bei einer nbegründbaren Identitätskontrolle, einer leichtfertigen Festnahme oder einer Vernachlässigung des Verhafteten, weist über Sachverstand von Experten und die Anwendung von bestehenden Gesetzen hinaus. Die ersten Prozesstage bekräftigten, dass jede Station des Leidensweges von Oury Jalloh durch nichts gerechtfertigt und vermutlich von rassistischen Feindbildern motiviert war:
- Die Polizeibeamten, die von zwei Reinigungskräften zu Hilfe gerufen wurde, weil Oury Jalloh sie angeblich belästigte, wollten eine "Identitätsfeststellung" durchführen, ohne jegliche rechtliche Grundlage. Es lag keine Anzeige und keine Straftat vor. Oury Jalloh dürfte das Pech gehabt haben, dass er ihren rassistischen Vorurteilen entsprach.
- Die gewalttätige Festnahme war nicht gerechtfertigt, die Eskalation vermutlich bedingt von generell respektlosem Verhalten gegenüber Schwarzen.
- Oury Jalloh, der stark betrunken war, hätte in ein Krankenhaus gefahren werden sollen, er hätte nicht in eine Polizeizelle gesperrt werden dürfen.
Der Arzt, der die so genannte "Gewahrsamstauglichkeit" attestierte, ist nicht angeklagt.
- Die Ankettung eines Menschen an Händen und Füßen über Stunden stellt einen Akt der Misshandlung dar. Und das ohne triftigen Grund, denn die behauptete "Eigensicherung" ist nicht nur im Nachhinein betrachtet ad absurdum geführt wurden.
- Der Hauptangeklagte Andreas Sch. ließ Oury Jalloh über Stunden angekettet schreien und protestieren, bis er, so Sch., "sich beruhigt habe". Die Identität von Oury Jalloh hätte er in Minuten klären können.
- Wie das Feuer ausbrechen konnte, ist auch nach vier Tagen Prozess völlig ungeklärt. Es mehren sich die ungeklärten Fragen.
Treffpunkt für interessierte BeobachterInnen, die von Berlin nach Desssau fahren wollen, ist Mittwoch Abend um 18.30 Uhr der S-Bahnhof Friedrichstraße (vor dem DB-Reisecenter). Es gibt ca. dreißig Schlafplätze in Dessau, Isomatten und Schlafsäcke sollten mit im Gepäck sein.
Unabhängig davon gibt es einen Treffpunkt in Dessau, der ab Mittwoch um 20 Uhr
zugänglich ist: das Kiezcafe in der Berthold-Brecht-Straße 29. Weitere Infos Infos unter: 0152.05868548
Initiaive in Gedenken an Oury Jalloh
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Zitate aus den Berichten der Internationalen Delegation von ProzessbeobachterInnen zur Auftaktrunde des Oury-Jalloh-Prozesses vom 27. bis 30. März 2007
Stimmungen inner- und außerhalb des Landgerichts in Dessau
„Was für ein Frühlingstag
Knospen überall, Vogelzwitschern
Lichtvoll sonnenseits, lichtvoll im Innern des polizeilich-hündisch
bewachten Gerichtssaals.
ZeugInnen werden vernommen. Sie wissen
Fast nichts mehr.
Dass und wie am 7. Januar vor über zwei Jahren
Oury Jalloh jämmerlich mörderisch um High Noon verbrannte.
Polizeikettig fixiert, angeblich um auszunüchtern
Über drei Stunden voll Unruhe und Jammern und Schreien –
Niemand jedoch zu hören. Polizeiohren taub technisch verstärktem Lärm zum
Trotz. Wer hörte schon Schwarze?!
Was für ein Verfahren
Mehr als zwei Jahre danach
Lüge der Wahrheitssuche deutschen Gerichts
Die Kunst im Zeit- und Erinnerungsloch zu finden. Was man zuvor
Hineingesteckt.
Das Urteil, wie immer es fällt, wird falsch
Strukturen, Funktionen deutscher Vorurteile, der Personen, die sie körpern
-
Sie bleiben.
Und Jallohs Mutter
Am ersten Tag zugegen,
Weint bitterlich, heult das Unsägliche –
Sie verbirgt ihr -, sie verbirgt unser Gesicht.“
[Wolf-Dieter Narr]
„In einem Moment, als Ulrich M. (der Polizist, der das vermeintlich entscheidende Feuerzeug übersehen haben soll) den Gerichtssaal verließ und von einer Vielzahl seiner uniformierten Kollegen herangewunken wurde, die den Hintereingang des Gerichts bewachten, hatte man den Eindruck, es mit einer Fußballmannschaft bei einem Heimspiel zu tun zu haben. Auf gewisse Weise konnte man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass die nverhältnismäßigen Sicherheitsmaßnahmen und die starke Polizeipräsenz die zwei Angeklagten zu unterstützen schienen. Es war offensichtlich, dass die Anzahl der anwesenden Polizeibeamten eine Reaktion darauf war, dass die Organisation Polizei als als ganzes angeklagt war.“ [Elliot Perkins]
„Die Kräfteverhältnisse vor Gericht waren jedenfalls merklich anders. Während der
gesamten vier Prozesstage war die Besuchertribüne voll gefüllt mit Unterstützenden, von denen die Mehrheit selber Flüchtlinge oder AsylbewerberInnen waren. [...]. Tatsächlich ist es wichtig, festzuhalten, dass erstmalig von einer schwarzen Menschen aus dem
Publikum laut das Wort „Rassismus“ erwähnt wurde. Er stand auf und protestierte lauthals, als ein Transkript eines Telefongesprächs vorgelesen wurde, was rassistische
Bemerkungen enthielt. Er verließ den Gerichtssaal und kam nicht wieder.“ [Elliot Perkins]
Zur Wahrheitsfindung
„Noch mehr als zuvor fällt bei diesen beiden Zeuginnen auf, wie skandalös es war und ist, dass das Verfahren erst ca. 2 ¼ Jahre nach dem Verbrennungsfall im Polizeigewahrsam stattfindet. Darum sind Erinnerungslücken ein prozessdurchgehender Refrain.“ [Wolf-Dieter Narr]
„Die Zeugin verharrt stumm. Bis in die Sprache nicht allein des Richters hinein, sondern der Wahrheitsfindungsfiktion des 2 Jahre danach präsent gestellten Rekonstruktionsverfahrens gemäß, an die sich alle Beteiligten halten müssen, werden erinnernde Re-Konstruktionen und ihre Rekonstrukteure permanent überfordert. Diesen Umstand belegen zusätzlich deswegen unsinnige Fragen: ob die Befragte das seinerzeitige Geschehen um 12.27 oder 12.37 zeitorten könne.“ [Wolf-Dieter Narr]
Die Delegitimierung eines Opfers oder die Antwort vor der Frage
„Der Mutter von Oury Jalloh wurden die Details der grausamen und inhumanen Art und Weise, wie Oury festgenommen, zur Polizeiwache geschleift und verbrannte, nicht erspart. Die harten Fragen des Richters, ob Oury Haschisch rauchte, ob er überhaupt eine Therapie begonnen hatte, wie aggressiv er war. Trank er Alkohol? Warum trinken Menschen? Er fuhr fort, Oury Jalloh in der Gegenwart seiner Mutter und seines Halbbruders, welche aus Guinea angereist waren, um den Prozess und den letzten Tag ihres Nahestehenden beizuwohnen, zu kriminalisieren“ [Regina Kiwanuka]
„Richter Steinhoff hat sich offenbar ein Bild von Oury Jalloh zurechtgelegt oder benutzt jedenfalls ein solches Bild als motivierenden Hintergrund seiner Fragen. Das wird aus der Sequenz seiner insistierenden Fragen erkenntlich. Oury Jalloh, der in Dessau von Gutscheinen zu leben hatte, das gibt sein Mitbewohner an – die grund- und menschenrechtlich gewertet würdewidrige Schlechtscheine darstellen -, soll Richter Steinhoff gemäß als jemand erkannt werden, der unzuverlässig, wahrscheinlich alkohol- und von anderen Drogen abhängig, schon früh gezeigt hat, dass er mit seinem Leben in Dessau nicht zurecht kommt. [...] Der Befragte sollte ohne jedes richterliche Verständnis dafür, dass dem Befragten die deutsche „Gerichtskultur“ kaum verständlich sein konnte, geradezu in Richtung erwarteter Antworten „genotzüchtigt“ werden. [...] Das war meines Erachtens der Tiefpunkt der ersten drei Tage. Er entdeckte strukturelle
Vorurteile und Unfähigkeiten im Fragehabitus des Richters. [Wolf-Dieter-Narr]
Grenzen der Verantwortung oder die organisierte Verantwortungslosigkeit
„Udo S. war verantwortlich für die Durchsuchung des Oberkörpers, Ulrich M für die andere Hälfte. In diesem Diensteifer wird der Körper von Oury Jallohs Austragungsort eines Konflikts, in dem die beteiligten Beamten sich selbst von jeder Mitschuld freisprechen wollen. Es wird buchstäblich eine Linie über seinen Körper gezogen und allein der genaue Verlauf dieser Linie bestimmt über Schuld oder Unschuld der Beteiligten. Die Gleichgültigkeit der einzelnen Beamten gegenüber dem, was jenseits ihrer Linien passiert, kann nur als engstirnige Pflichterfüllung beschrieben werden, in der sowohl moralische wie auch verfahrenstechnische Aufgaben für die Beamten von geringem Interesse sind, wenn sie nicht in ihr Aufgabengebiet fallen.“ [Elliot Perkins]
„Als M. von Regina Götz gefragt wurde, was passiert sei, nachdem die Feuerwehr den Ort des Geschehens verlassen hatte, antwortete dieser: „Nichts, wir sind wieder Streife gefahren.“ Als nächstes versuchte Götz eine Antwort auf die Frag zu finden, die die meisten Anwesenden in den hinteren Reihen des Zuschauerraumes sich stellten: „Sie haben sich nicht gefragt, ob noch jemand dort unter in der Zelle gefesselt sein könnte? Sie haben sich nicht gefragt, ob diese Person noch am Leben ist?“ Dieses und zahlreiche weitere Beispiele zeugen von bürokratischer Narkose, in der Regeln und Vorschriften jeden Ansatz von Mitgefühl betäuben und die Beteiligten gefühllos werden lassen für die ungeschriebenen moralischen Verpflichtungen, welchen sie in ihrer Stellung als Polizeibeamte verpflichtet wären.“ [Elliot Perkins]
„ „Oh nein, nicht schon wieder, sind wir verflucht? Wieso passiert das immer uns?“ Dieser Gefühlausbruch zeigt deutlich, dass es sich bei der Reue über den Verlust eines Menschenlebens, welche von diesen Beamten gezeigt worden war, nicht um Bedauern handelt, sondern vor allem um Selbstmitleid und Ärger über die persönlichen und
öffentlichen Probleme, die diese Geschehnisse ihnen bringen würden.“ [Elliot Perkins]
„Das, was insbesondere im Umkreis der Polizei seit der Inhaftierung Oury Jallohs
geschehen oder vor allem nicht geschehen ist, kann günstigstenfalls als institutionalisierte Achtlosigkeit, Schlamperei und als ein bedrückender Mangel an Vorstellung für den polizeiunterworfenen Anderen bezeichnet werden. Hier beginnt die „Banalität des Bösen“. Alle vielleicht noch entschuldbare Schlamperei im einzelnen übertrifft zum einen der Mangel an Brandschutz; zum anderen der Mangel an Sorgfalt im Umgang mit polizeilich ohnmächtig gemachten Personen; zum dritten der Mangel an nicht bürokratisch und technologisch arbeitsteiliger Kümmernis um eben solche total abhängig gemachte Personen.“ [Wolf-Dieter Narr]
Abseits von Einzelfall und Paragraph – wie manche Menschen systematisch weniger zählen
„Aus heutiger Sicht ist keineswegs von der Hand zu weisen, dass bereits die Umstände der Kontrolle, der Festnahme und Identifizierung von Oury Jalloh mit Rassismus zu tun haben – zumal Jalloh einen gültigen Ausweis bei sich trug und erst wenige Monate zuvor schon einmal auf demselben Revier eine Identitätsüberprüfung hatte über sich ergehen lassen müssen, was zumindest einer der Angeklagten wusste. Jalloh hätte also rasch identifiziert werden können, stattdessen ist er stundenlang in eine Zelle gesperrt worden. Solche wiederholten, auch schikanösen Prozeduren erleben Flüchtlinge und besonders Schwarze hierzulande tagtäglich. Man hat es im Gerichtssaal, wo viele Schwarzafrikaner dem Prozess folgen, förmlich gespürt, dass in diesem Verfahren auch ihre demütigenden Alltagserfahrungen Thema sind – besonders spürbar, wenn Polizeibeamte als Zeugen vernommen werden, Zeugen, die sich häufig an nichts mehr erinnern wollten und in eklatante Widersprüche zu ihren früheren Vernehmungen verwickelten.“ [Rolf Gössner]
„[...] bereits jetzt besitzt die internationale Delegation, die den Verlauf dieses Prozesses verfolgt hat, genügend Informationen, um zu verstehen, dass der Tod von Oury Jalloy zu großen Teil das Ergebnis der Missachtung fundamentaler Menschenrechte von Immigranten und all derer ist, deren Leben als weniger achtenswert – da weniger wertvoll -, als das menschliche Leben anderer erscheint. Dieser Prozess wird den Verdienst haben, das Gericht und einer große Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, zu entdecken oder zu überprüfen, dass der Achtung der Menschenrechte entgegenstehende Verhaltensweisen fest in der Polizei verankert sind. [...] Die ganze Welt kennt die Missachtung gegenüber all denjenigen, deren Leben allein aufgrund ihrer Geburt als weniger wertvoll und folglich als weniger achtenswert erscheint. Diese Missachtung ist ein alter Bestandteil der Methoden der Knechtung und Zerstörung, die durch die alten Kolonialmächte den Menschen angetan wurden, die das Pech hatten, unter ihre Herrschaft zu fallen“ [Rosa Amelia Plumelle-Uribe]
„Der während der ersten vier Prozesstage immer erneut genährte Verdacht hat sich verstärkt: über unentschuldbaren institutionellen und personellen Mängel hinaus dürfte die institutionalisierte, mutmaßlich vom gesellschaftlichen Kontext bestärkte Achtlosigkeit, wenn nicht das Missachten, gar die Herunterachtung von Ausländern eine letztlich tödliche Rolle spielen, insbesondere wenn ihre Hautfarbe nicht ins Bild passt.“ [Wolf-Dieter Narr]
Der Gerichtsprozess kann und wird kein Fanal sein
„Am Freitag den 30. März gab die Delegation am Ausgang des Gerichts eine Pressekonferenz, an deren Ende Frau Luwadio-Ngeyisadila, deren junger Bruder Dominique Koumadio von der Polizei in Dortmund am 14. April 2006 getötet wurde, sich gewünscht hat, dass die Regierung Begegnungen zwischen der Polizei und der eingewanderten Bevölkerung fördert, damit sie verstehen, dass MigrantenInnen zu töten keine akzeptable Verhaltensweise ist. Ich wende mich an alle, die gerne am Aufbau eines Ort der Verständigung mit dem Anderen und der Annäherung zwischen Menschen teilnehmen wollen. Und ich schlage vor, dass in diesem Ort die Problematik, die durch die Anwesenheit von MigrantenInne hier in Europa, genauso wie die historischen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen dieser Einwanderung, im Zentrum unserer Überlegungen stehen.“ [Rosa Amelia Plumelle Uribe]
„Die einzige Möglichkeit, eine wirkliche Veränderung in der Behandlung dieser sozialen Gruppen zu erreichen, läge in der Einführung effektiver und nachvollziehbarer Verantwortlichkeit und Rechenschaft eines jeden Polizeibeamten, Sozialamtsangestellten, Vermieters, Gemeindeangestellten, Lehrers, die um ihre Stelle fürchten müssten, wenn sie die Regeln brechen. Im Fall von Oury Jalloh stellten sich Fragen der Verantwortlichkeit viel zu spät und die Frage ist jetzt, wie ein einzelnes öffentliches Rechtsmittel entwickelt werden kann, welches nicht Staub auf den Regalen der hohen Bürokraten Staub ansetzt, sondern Allgemeingut wird.“ [Elliot Perkins]