Feuertod von Oury Jalloh von Katrin Löwe, 14.12.07,
Mühevoller Weg zur Wahrheit
Prozess wird wohl ein Jahr dauern - Zahlreiche Probleme bei der Polizei offenbart
von Katrin Löwe, 14.12.07, 20:52h, aktualisiert 14.12.07, 21:04h
Dessau/MZ. Zum letzten Mal in diesem Jahr wurde am Freitag in Dessau gegen zwei Polizisten verhandelt, denen eine Mitschuld am Tod von Oury Jalloh vorgeworfen wird. Ein Urteil ist nicht in Sicht.
Es ist der 34. Tag, an dem Marco Steckel im Zuschauerraum von Saal 118 des Landgerichts Dessau-Roßlau sitzt. Er lauscht dem kratzenden Tonbandgeräusch eines mitgeschnittenen Telefonats, das mehr Klarheit in den Feuertod von Oury Jalloh bringen soll. Wie stets hat der Opferberater seinen Block dabei, schreibt jedes Detail mit. Mehr als 130 Stunden hat er mit Kollegen vom "Dessauer Netzwerk gegen Rechts" seit März im Gericht verbracht. Bis nachts saßen sie zu Hause an Berichten, "um den Prozess transparent zu machen", sagt er.
Am 7. Januar 2005 verbrennt Jalloh, Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone, in Zelle 5 des Dessauer Reviers - gefesselt an Händen und Füßen, fixiert an einer Matratze. Die Polizei hatte ihn festgenommen, weil er unter Drogen und betrunken in Dessau Frauen belästigt hatte. Es dauert Tage, Wochen, ehe die Tragweite des Geschehens um seinen Tod offenbar wird. Kritiker vermuten, es solle etwas vertuscht werden, der Fall ist von Anfang an von öffentlichen Protesten begleitet. Seit März 2007 sind es zwei Polizisten, die wegen Jallohs Tod vor Gericht stehen: Dienstgruppenleiter Andreas S. wirft die Anklage vor, den Brandalarm ausgeschaltet und dann nicht schnell genug reagiert zu haben. Sein Kollege soll bei der Durchsuchung Jallohs ein Feuerzeug übersehen haben. Damit, so die Anklage, habe Jalloh trotz Fixierung die schwer entflammbare Matratze angezündet.
Inzwischen wurden aus geplanten sechs Prozesstagen 34, sind nicht nur elf weitere bis Februar, sondern 15 bis März vorgesehen. 45 Zeugen wurden bisher gehört. "Im Grunde ist manches verwirrender als vorher", sagt Steckel. Der Vorwurf, das Gericht wolle etwas vertuschen, sei nicht haltbar. "Es arbeitet sehr gründlich." Dennoch sei man unzufrieden mit dem späten Prozessbeginn. Und mit Aussagen von Polizisten, die sich heute nicht erinnern oder deren Angaben sich widersprechen. "Die Erinnerungsverluste sind nicht alle glaubhaft", sagt Ulrich von Klinggräf, einer der Nebenklage-Anwälte.
Am zehnten Prozesstag platzt Richter Manfred Steinhoff der Kragen. Er vermutet, Polizisten würden bewusst lügen. Selbst Attila Teuchtler, Verteidiger von Andreas S., räumt ein, dass manch Zeugenaussage von Polizeibeamten "durchaus peinlich" war. An gesteuerte Absprachen glaubt er nicht. Eher daran, dass Erinnerungen durch veröffentlichte Details gefärbt sind, Polizisten sich dem Generalvorwurf des Rassismus widersetzen.
Nach 34 Verhandlungstagen sind noch viele Fragen offen. Welche der mal be-, mal entlastenden Aussagen der Polizistin und Hauptzeugin Beate H. stimmt? Was ist mit der Behauptung einiger Polizisten, ihre Erstaussagen seien ungenau protokolliert? Vor allem: Wäre es Andreas S. möglich gewesen, Jalloh zu retten? "Wir gehen auch nach den bisherigen Zeugenaussagen davon aus: Ja, wenn er unverzüglich Rettungsmaßnahmen eingeleitet hätte", sagt von Klinggräf.
Erst im November hatte die Aussage eines Polizisten für Aufsehen gesorgt, der S. mit den Worten zitierte: "Hätte ich mich doch nicht durch das Telefonat ablenken lassen." Von Klinggräf wertet das als Bestätigung der Vorwürfe. Teuchtler sieht es anders. Die zunächst als "Wende" bezeichnete Aussage sei bedeutungslos, zwischen Brandalarm und der Reaktion darauf habe es kein Telefonat gegeben. Dass im Revier einiges im Argen lag, sieht der Verteidiger durchaus. Da seien mangelnde Brandschutzkenntnisse und -vorkehrungen im Revier. Da herrsche Personalmangel, der die Zellenkontrolle erschwert. Und erst nach Jallohs Tod sei klar geregelt worden, wann ein Betrunkener ins Krankenhaus statt zur Polizei gehört. Strafrechtlich sieht Teuchtler S. aber nicht belastet, denkt an Freispruch. Er beruft sich auch auf ein Gutachten, nach dem Jalloh ein bis sechs Minuten nach Brandausbruch an Hitzeschock gestorben sei. Einen frühen Tod unterstellt, "konnte mein Mandant nicht rechtzeitig da sein".
Wie die Gutachten eingeordnet werden, ist offen. Die Experten werden erst noch gehört. So halten sich Kammer und Staatsanwaltschaft mit einer Bewertung des Prozessverlaufs zurück. "Dafür ist es zu früh", so der Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann. "Aber es wird ein sehr abgewogenes Urteil geben. Egal, wie es ausfällt." Der Prozess wird am 11. Januar fortgesetzt.
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