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In Dessau gilt die Omertà
Wie starb Oury Jalloh? In 34 Verhandlungstagen ist man der Antwort darauf nicht näher gekommen. Anwälte werfen der Polizei Falschaussagen vor
AUS DESSAU UND BERLIN CHRISTIAN JAKOB
"Die Beamten weichen aus, lügen, antworten nicht." Ein düsteres Bild vom Verlauf des Prozesses um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh zeichnen Anwälte nach 34 Verhandlungstagen. "Den Polizeizeugen geht es nicht um Wahrheitsfindung. Und Zeugen außerhalb des Polizeiapparates gibt es nicht", sagt die Berliner Anwältin Regina Götz, die Jallohs Eltern vor Gericht vertritt.
Seit dem 27. März läuft vor dem Landgericht Dessau die Verhandlung gegen zwei Polizisten. Dem Dienstgruppenleiter Andreas S. wirft die Staatsanwaltschaft "gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge" vor. Er soll den Alarm des Feuermelders zweimal abgestellt und erst beim dritten Mal versucht haben, Jalloh zu helfen. Der Beamte Hans-Ulrich M. wird der "fahrlässigen Tötung" beschuldigt. Er habe bei der Durchsuchung Jallohs in dessen Hosentasche ein Feuerzeug übersehen. Damit, so die These der Staatsanwaltschaft, habe der schwer alkoholisierte und fixierte Gefangene die mit feuerfestem Stoff bezogene Matratze selbst in Brand gesteckt.
Für die Rechtsanwältin Götze weist diese Version "viele Unstimmigkeiten" auf. Doch diese aufzuklären sei schwierig: "Aus falscher Solidarität bauen die Polizisten eine Mauer des Schweigens auf." Tatsächlich hat die Hauptbelastungszeugin, die Polizeibeamtin Beate H., die in ihrer ersten Zeugenaussage Andreas S. belastet hatte, ihre Aussage später widerrufen - auf Druck der Kollegen, wie Götze mutmaßt. Stattdessen bestätigte der stellvertretende Revierleiter die Behauptung des Angeklagten S., unverzüglich dem Feueralarm nachgegangen zu sein. "Dabei ist mittlerweile zweifelsfrei erwiesen, dass S. erst beim dritten Anspringen auf den Alarm reagiert hat", sagt Götz. Besonders erbost ist sie darüber, dass es bisher kein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage gegen die Beamten gab. "Gäbe es Sanktionen, hätten wir mit Sicherheit eine andere Erkenntnislage", meint ihr Kollege Felix Isensee. Dabei hatte der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff zwischenzeitlich selbst die Nase voll von den offensichtlichen Lügen der Polizisten: "Der Beamte, der hier falsch ausgesagt hat, muss ans Kreuz genagelt werden", empörte er sich am 10. Prozesstag.
Laut Götz weist das Verfahren gravierende Mängel auf. So seien nur noch wenige Minuten von einer wichtigen Videoaufzeichnung der Spurensicherung auffindbar. Das für die Verwahrung zuständige Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt habe behauptet, die Kamera könnte sich "möglicherweise selbst ausgestellt haben". Auch sei nur ein kleiner Teil der zum Zeitpunkt des Brandes im Polizeigebäude anwesenden Beamten frühzeitig vernommen worden. Die meisten hätten erst vor Gericht ausgesagt - mehr als zwei Jahre nach Jallohs Tod. "Diese Zeugen sind in der Zwischenzeit alle beeinflusst worden," ist sich Götz sicher.
Ein "ganz heißes Thema" sei ein angeblich in der Zelle gefundenes Feuerzeug. Dies war jedoch in der ersten Asservatenliste nicht aufgeführt. Erst Tage nach dem Brand tauchten seine Reste auf einer zweiten Asservatenliste auf. "Wir wissen noch immer nicht, wie dieses Feuerzeug genau gefunden worden sein soll", sagt Götz - zumal der Angeklagte Hans-Ulrich M. ausgesagt hat, dass er bei Jallohs Durchsuchung "mit Sicherheit" ein Feuerzeug entdeckt hätte.
15 weitere Prozesstermine sind bis Ende Februar angesetzt. Bisher wurde weder der medizinische Sachverständige noch der Brandgutachter gehört.
Antirassistische Initiativen versprechen sich davon nicht viel. Auf zwei Konferenzen, die sie am Wochenende aus Anlass des Todestags von Jalloh in Berlin beziehungsweise Dessau veranstalteten, erhoben sie schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden. So kritisierten Vertreter afrikanischer Organisationen auf einem Hearing im Berliner Mehringhof die Selbstmordthese der Staatsanwaltschaft. "Wir haben viele Erfahrungen im Umgang der Polizei mit farbigen Menschen. Immer wieder kommen Afrikaner durch Polizeigewalt zu Tode. Wenn jemand unter Umständen wie Oury Jalloh verbrennt, dann glauben wir, dass es Mord war. Und zwar so lange, bis uns jemand das Gegenteil beweist", sagte ein Sprecher des Afrika-Rates Berlin.
Eine Teilnehmerin verlas Passagen eines Artikels des US-amerikanischen Aktivisten Mumia Abu-Jamal zu Jalloh. "Wie kann die Polizei behaupten, dass jemand, der völlig gefesselt in einer Zelle liegt, sich selber angezündet hat?" In der Abschlusserklärung der "Black Africa Conference" verlangten die Unterzeichner, die Anklage auf Mord zu ändern.
07.01.2008
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"Große charakterliche Mängel"
Mouctar Bah hatte den Tod von Oury Jalloh bekannt gemacht. Seither wird er von den Dessauer Behörden schikaniert
DESSAU taz Wenn sich heute Mittag ein paar hundert Menschen am Dessauer Bahnhof versammeln werden, um an den vor drei Jahren in Polizeigewahrsam verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh zu erinnern, ist dies nicht zuletzt Mouctar Bahs Verdienst. Der Guineer, ein ehemaliger Kühlhausarbeiter mit abgebrochenem Wirtschaftsstudium und Freund des Verstorbenen, trug erheblich dazu bei, dass der Fall öffentlich bekannt wurde. Er bewirkte die zweite Obduktion von Jallohs Leiche und sorgte dafür, dass dessen in Sierra Leone lebende Eltern als Nebenkläger zugelassen wurden. Der Tod von Jalloh machte ihn zum Aktivisten. Dadurch aber wurde er - diese Vermutung legen die Fakten nahe - zu einer Hassfigur der Dessauer Behörden.
Im Jahr 2003 hatte Bah in einer Seitenstraße der Dessauer Innenstadt einen Telefonladen eröffnet. Weil es bis dahin keinen Ort in der Stadt gab, an dem sich Afrikaner richtig willkommen fühlen konnten, wurde sein kleines Geschäft, in dem er auch Palmöl, Jamswurzeln und afrikanisches Shampoo verkaufte, bald zu einem Anziehungspunkt für Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe die Treffpunkte der Deutschen lieber meiden. Das gefiel nicht jedem. Einige Nachbarn verfassten eine Eingabe an das Ordnungsamt. Von "Zusammenrottungen von Schwarzafrikanern" war darin die Rede, von Drogenhandel, der "vorprogrammiert" sei, von "unerträglichem Lärm und Gestank" und "Einschüchterung" der Bürger.
Beim Ordnungsamt fanden diese Ausführungen ein offenes Ohr. Ende 2005 - inzwischen war Bah durch die Medien zu einer gewissen Bekanntheit gelangt - entzog ihm die Behörde die Gewerbelizenz. Die Begründung: "Teile der Kundschaft nutzen das Café als Treff- und Aufenthaltsort, um von dort aus im Stadtpark dem Drogenhandel nachzugehen." Dass einige seiner Kunden tatsächlich Drogen verkauft haben, bestreitet Bah nicht. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg bestätigte ihm, dass er über mehrere Monate hinweg "bei der zuständigen Ordnungsbehörde Bemühungen um ein Einschreiten gegen den Drogenverkauf angestellt" habe. Doch als entlastend wollte das Gericht diesen Umstand nicht sehen und bestätigte in letzter Instanz den auf ein Jahr befristeten Entzug der Lizenz.
Danach übernahm ein Deutscher den Laden; Bah arbeitete als Angestellter weiter. Im Februar 2007 beantragte er die Wiedererteilung seiner Gewerbelizenz. Im Oktober kam der Ablehnungsbescheid. Das Ordnungsamt entblödete sich nicht, in der Begründung aus der "Eingabe" der Nachbarn zu zitieren.
Und das war noch nicht alles. Bah sei wegen "behördlicher Auffälligkeit" nicht dazu geeignet, ein Gewerbe zu betreiben. "Ein Verhalten, das wiederholt polizeiliche Ermittlungen notwendig macht, lässt unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen auf große charakterliche Mängel Ihrer Person und offensichtlich fehlende Akzeptanz der Normen und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland schließen."
Welche "Auffälligkeiten" gemeint waren? Zum Beispiel zwei Anzeigen wegen Körperverletzung. Bah schildert die Vorfälle so: "Als ich vor meinem Laden sauber gemacht habe, stand mein Nachbar plötzlich hinter mit und hat gesagt: 'Hier stinkts nach Negerpisse.' Als ich mich umdrehte, habe ich erst einen Faustschlag ins Gesicht und dann in den Magen bekommen." Er habe den Angreifer weggeschubst und sich eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung eingehandelt. Doch ein Richter glaubte seiner Version und sprach ihn frei. Der Nachbar sann auf Rache, kam ein weiteres Mal in Bahs Geschäft und schlug erneut auf ihn ein. Diesmal wehrte sich Bah, der Nachbar musste im Krankenhaus behandeln werden. Dieses Verfahren läuft noch. Eine drittes Verfahren wurde eingestellt; bei der vierten Anzeige schließlich ging es um einen Polizisten, der sich bei der Eröffnung des Prozesses wegen Jallohs Tod von Bah "beleidigt" gefühlt hatte.
Eine Initiative schrieb einen langen Brief an die Dessauer Behörden. Bah habe ein tadelloses polizeiliches Führungszeugnis, die Handelskammer und das Finanzamt hätten keine Einwände und einen Beweis dafür, dass in Bahs Laden mit Drogen gehandelt wurde, habe es nie gegeben. Das Amt blieb stur. In seiner letzten Korrespondenz teilte es Bah mit: "Die von Ihnen beantragte Gewerbeausübung muss Ihnen zum Schutz der Allgemeinheit versagt bleiben." Weil Bah der einzige Angestellte in dem kleinen Geschäft war, habe er faktisch weiterhin Leitungsfunktionen übernommen und damit gegen den Lizenzentzug verstoßen.
Im Oktober hat Bah Widerspruch dagegen eingelegt. Dem deutschen Geschäftsinhaber wurde das Ganze zu heikel. Er gab den Laden zum 31. Dezember auf. Bah hat sich arbeitslos gemeldet. Zu Neujahr hat eine deutsch-afrikanische Initiative den Laden vorläufig übernommen. Bah ist nun bei ihr eingestellt, sein Gehalt wird mit dem Arbeitslosengeld verrechnet. Ob dies von den Behörden geduldet wird, ist offen.
CHRISTIAN JAKOB
07.01.2008
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Asylbewerber Oury Jalloh - Sein letztes Wort war "Feuer"
Am Nachmittag vor seinem Tod betritt Oury Jalloh ein Callcenter in Dessaus Innenstadt. Er ist aufgebracht zu diesem Zeitpunkt, seine Ex-Freundin will den gemeinsamen Sohn zur Adoption freigeben, er hat als Asylbewerber keine Chance, das zu verhindern. Er telefoniert kurz, dann bittet er seinen Freund Mouktar Bah, der den Laden leitet, einen Anwalt zu kontaktieren. Am frühen Abend geht er wieder. Es ist der 6. Januar 2005. Oury Jalloh hat noch etwa 18 Stunden zu leben.
Zwei Tage später veröffentlicht die Dessauer Polizei eine knappe Pressemeldung. Ein Asylbewerber, heißt es darin, habe Frauen belästigt und sich anschließend in einer Gewahrsamszelle das Leben genommen. Das Opfer, ein Mann aus Sierra Leone, wurde 36 Jahre alt. Die offizielle Todesursache: Hitzeschock. Oury Jalloh ist verbrannt.
Selbstmord im Polizeikeller? Freunde des Opfers haben ihre Zweifel. Sie werden nicht kleiner, als bald schon erste Fakten über die Todesumstände bekannt werden. Nun beginnen auch Hilfsorganisationen zu recherchieren, Journalisten stellen Fragen, und als der Fall schließlich über Dessaus Grenzen schwappt, steht ein Verdacht im Raum. Zumindest aber eine drängende Frage: Wie kann sich ein schwer alkoholisierter Mann, der an Händen und Füßen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze liegt, mitten in einem Polizeirevier selbst verbrennen?
Es ist eine Frage, die sich das Landgericht Dessau seit einem Jahr mit wachsendem Interesse stellt. Noch im März 2007 glaubte Manfred Steinhoff, der Vorsitzende der 6. Strafkammer, an einen kurzen Prozess. Sechs Tage wollte man damals den Tod des Asylbewerbers verhandeln. Inzwischen sind mehr als 50 terminiert. Richter Steinhoff mag es nicht, wenn er angelogen wird. Schon gar nicht von Polizisten. Deswegen will er nun so lange verhandeln, "bis einer umfällt".
Es ist ein denkwürdiger Prozess, der sich im kargen Saal des Landgerichts Woche für Woche vor den Augen einer internationalen Beobachterdelegation abspielt. Auf der Anklagebank sitzen der Streifenpolizist Hans-Ulrich M. und sein damaliger Dienstgruppenleiter Andreas S. Ersterer soll bei Jallohs Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen haben, Letzterer dem brennenden Mann in der Zelle viel zu spät zu Hilfe geeilt sein. Beide bestreiten die Vorwürfe.
Deswegen versucht das Gericht seit fast einem Jahr, den 7. Januar 2005 in jeder minutiösen Einzelheit zu rekonstruieren. Drei Jahre später sollen Zeugen erklären, ob Türen am Ende eines Flures geöffnet oder geschlossen waren, wer wann wo gesehen wurde, wer was zu wem gesagt hat, wer wann wie reagiert hat. Jede Sekunde kann dabei von entscheidender Bedeutung sein. Das wissen auch die fast 30 Polizisten, die bislang von Steinhoff in den Zeugenstand gerufen wurden und dort zum Teil fast druckreif Geschichten vortrugen, die immer mal wieder zu geschönt waren, um wahr zu sein - so lange, bis der entgeisterte Richter rief: "Wir leben in keiner Bananenrepublik!"
Unstrittig ist bislang nur dies: Am Morgen des 7. Januar 2005 begegnen drei Frauen der Dessauer Stadtreinigung vor der Gaststätte Kartoffelwaage dem betrunkenen Oury Jalloh. Der Mann kommt gerade aus der Disco, er will telefonieren, aber sein Handy funktioniert nicht, deswegen bittet er die Frauen um ein Mobiltelefon. Weil er nicht locker lässt, wählt eine der Frauen die 110.
Dann kommt die Polizei. Gegen halb neun bringt die Streife Jalloh ins Revier in der Wolfgangstraße, wo er von Hans-Ulrich M. durchsucht wird. In Jallohs Taschen findet der Beamte nur ein Handy, eine 50-Cent-Münze und benutzte Papiertaschentücher - ein Feuerzeug will er nicht bemerkt haben. Er ist sich da ganz sicher. Weil Jalloh schreit und sich wehrt, wird er schließlich in die Gewahrsamszelle 5 gebracht und dort an Händen und Füßen fixiert.
Oben, im ersten Stock des Reviers, führt Dienstgruppenleiter Andreas S. unterdessen ein bemerkenswertes Telefonat mit dem Neurologen Andreas B. "Wir bräuchten dich mal" - "Was haste denn?" - "Na 'ne Blutentnahme" - "Na, dann mach' ich das" - "Ja, piekste mal 'nen Schwarzafrikaner" - "Ach du Scheiße, da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen" - "Na bring' doch 'ne Spezialkanüle mit." Das ist so der Umgangston im Polizeirevier Dessau. Im Nachhinein findet der Polizist S., da könnte etwas "falsch rübergekommen" sein.
Gegen 9.15 Uhr untersucht der Arzt den Asylbewerber. Er findet eine Vene und stellt fest, dass Oury Jalloh 2,98 Promille Alkohol im Blut hat. Gleichwohl hält er den Betrunkenen für gewahrsamstauglich. Dann geht er wieder. Etwa jede halbe Stunde wird Jalloh, der immer wieder ruft und an seinen Fesseln zerrt, im Anschluss von Polizisten kontrolliert. Irgendetwas Auffälliges bemerken sie nicht. Dann, gegen zwölf, hört Polizeiobermeisterin Beate H. oben im Dienststellenraum über die Gegensprechanlage "ein plätscherndes Geräusch". Kurz darauf springt die Alarmanlage an. "Feuer", hört H. Jalloh noch sagen. Dann nichts mehr.
Was in diesen wenigen Minuten, in denen Oury Jalloh qualvoll bei 330 Grad Celsius verbrennt, im Polizeirevier Dessau vor sich geht, das ist auch nach gut 40 Prozesstagen ungeklärt. Der Asylbewerber, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, hätte gerettet werden können, wenn gleich nach dem Alarm gehandelt worden wäre. Stattdessen aber habe der Dienststellenleiter S. wertvolle Minuten vertrödelt, den Alarm mehrfach abgeschaltet, weil er ihn nicht ernst nahm, und somit ein Menschenleben auf dem Gewissen. Ein Vorwurf, den S. so nicht stehen lassen möchte.
Andreas S. ist 47 Jahre alt. Er ist ein kleiner Mann mit aschblondem Haar und traurigen, müden Augen. Er hat den Gesichtsausdruck eines Menschen, der Salz isst, obwohl er Zucker erwartet hat - und dem so etwas andauernd passiert. Er wirkt gebückter, als es seinem Alter entspricht. Vor Gericht aber zeigt er sich stets tadellos, der graue Anzug ordentlich gebügelt, die Krawatte ordentlich gebunden, die Schuhe ordentlich geputzt. Andreas S. ist der perfekte Biedermann: Er tut alles dafür, um nicht mit einem Brandstifter verwechselt zu werden.
S. sagt, er habe an jenem Mittag vor drei Jahren sofort gehandelt, nachdem auch der Rauchmelder im Gewahrsams-trakt angesprungen war. Er habe danach zwar noch einen Kollegen gesucht, der ihn begleiten solle und auch von der Pförtnerloge im Erdgeschoss aus noch geschwind seinen Vorgesetzten angerufen. Das alles aber sei "zügig" gegangen. Offenbar nicht zügig genug: Als er im Keller ankam, sei ihm bereits beißender Rauch entgegen gekommen, ein Vordringen in die Zelle sei nicht mehr möglich gewesen.
War es so? Der Polizeibeamte Gerhard M. erzählte dem Gericht eine andere Version. Nachdem er jahrelang geschwiegen hatte, platzte es im Prozess aus ihm heraus: Ja, er sei noch bei der Zelle gewesen, ja, er habe Jalloh auf seiner Pritsche liegen sehen. Aber, so M.: "Ich konnte ihm nicht helfen. Es ging nicht. Ich hatte keine Schlüssel." Die hätte sein Vorgesetzter S. haben müssen, aber der war ja weg - "um Luft zu holen", wie er sagt. Seltsam auch: An ein Telefonat zwischen S. und seinem Vorgesetzten kann sich außer diesen beiden niemand im Revier erinnern. M., der daneben stand, schwört, dass es nie stattfand. Wer lügt hier? Und warum?
Noch entscheidender für die Staatsanwaltschaft allerdings ist, dass die Polizeiobermeisterin Beate H., die lange als Hauptbelastungszeugin galt, ganz plötzlich andere Erinnerungen offenbarte: Hatte sie in ihren ersten Vernehmungen noch beteuert, S. habe den Feueralarm zweimal hintereinander ausgestellt und sich erst beim dritten allmählich in Bewegung gesetzt, wollte sie davon vor Gericht nichts mehr wissen. Dort war sie plötzlich sicher, dass am Tag, als Oury Jalloh starb, "alles zügig" ablief.
Es ist längst nicht die einzige Merkwürdigkeit in diesem zähen Prozess, den Richter Steinhoff inzwischen mit mühsam beherrschtem Groll führt. Da ist etwa das Feuerzeug, mit dem sich der gefesselte Jalloh - nach einer Serie athletischer Verrenkungen - selbst angezündet haben soll: Auf der ersten Asservatenliste vom Tatort taucht es nicht auf. Auf der zweiten schon. Wie es dahin kam und warum es erstaunlich wenig verschmort ist, darüber gibt es unterschiedliche Theorien. Da ist der Nasenbeinbruch von Oury Jalloh, den man erst nach einer zweiten, von der Nebenklage veranlassten Obduktion feststellte.
Und da ist das Treffen aller Polizei-Zeugen, das der inzwischen abgelöste Revierleiter Monate nach Prozessbeginn anordnete. Wozu? Ein Kaffeekränzchen, da sind sich fast alle einig, scheidet als Erklärung aus. So viele Fragen. Und so wenig überzeugende Antworten. "Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt", herrschte Richter Steinhoff zwischenzeitlich einen Polizisten an. Was er erntete, war Schweigen.
Draußen, in den Schwarzen-Communitys von Dessau, Berlin und anderswo, ist man deswegen längst überzeugt davon, dass es den Polizisten darum geht, ein "unverzeihliches Verbrechen" zu vertuschen. Der 7. Januar 2005, das ist für die Initiativen, die sich im Gedenken an den Toten aus Sierra Leone gegründet haben: "Der Tag, an dem Oury Jalloh ermordet wurde." Sie haben zu viel erlebt mit den Freunden und Helfern aus Sachsen-Anhalt. Sie trauen ihnen offenbar alles zu.
Erst neulich, sagt Jallohs Freund Mouktar Bah, sei ein Schwarzer wieder auf den Straßen von Dessau von Polizisten gewürgt und zum Revier geschleift worden. Die Begründung: Gegen ihn liege ein Haftbefehl vor. Später stellte sich das Ganze als Verwechslung heraus, Folgen für den Schwarzen wird es trotzdem haben. Er wird sich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten müssen. Der Mann heißt übrigens ebenfalls Jalloh.
Und ist nicht gerade erst der Polizeivize aus Dessau aufgeflogen, weil er seine Beamten aufgefordert hat, das rechte Auge häufiger zuzudrücken? Haben Polizisten nicht Statistiken geschönt, damit das Land nicht mehr als Hort kahlrasierter Dumpfdeutscher durch die Schlagzeilen geistert? "Das ist die Hölle hier", sagt ein weiterer Freund Oury Jallohs. Ihn würde es nicht wundern, sollte sich herausstellen, dass das Feuer im Polizeirevier von Männern in Uniform gelegt wurde.
Dass sich das herausstellen wird, hält nicht mal der Nebenkläger-Anwalt Ulrich von Klinggräff für wahrscheinlich. Nach Lage der Dinge spreche wenig dafür, dass Oury Jalloh kaltblütig ermordet wurde. Anderseits, sagt von Klinggräff, sei auch die Version der Staatsanwaltschaft wenig überzeugend. "Aber ich bin nicht in der Lage, eine Gegenthese zu formulieren."
Offensichtlich ist für den Anwalt einstweilen nur, dass im Polizeirevier von Dessau bis zum 7. Januar 2005 und weit darüber hinaus ein merkwürdiger Corpsgeist geherrscht haben muss. "Die Dreistigkeit, mit der hier gelogen wird, ist ungeheuerlich", sagt von Klinggräff. Er hat seine Zweifel, dass man dem Warum noch auf die Spur kommen wird. Drei Jahre, eine endlose lange Zeit, wenn es um Sekunden geht. Auch wenn Richter Steinhoff nicht locker lässt. Und unermüdlich verhandelt und verhandelt. Bis einer umfällt. Wenn einer umfällt.
Irgendwo in Deutschland lebt unterdessen ein viereinhalbjähriges Kind, das vermutlich nie erfahren wird, dass sein Vater in einer Polizeizelle verbrannt ist. Es hat neue Eltern, ein neues Leben. Mouktar Bah aber sucht noch immer nach dem Sohn seines Freundes. Er glaubt, das ist er ihm schuldig. Er weiß, dass er im Grunde keine Chance hat, den Jungen zu finden. Aber er will weiter suchen, so lange es geht. Das hat er Oury Jallohs Mutter versprochen.
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08.01.2008 / Inland / Seite 1
Zum Inhalt dieser Ausgabe |
http://www.jungewelt.de/2008/01-08/061.php
Aufklärung im Fall Oury Jalloh gefordert
Drei Jahre nach Tod in Dessauer Gefängniszelle: Gedenken an Flüchtling aus Sierra Leone
Von Frank Brunner
Bei strömendem Regen erinnerten am Montag Dessauer Bürgerinnen und Bürger an den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh vor drei Jahren. Die Einwohner der sachsen-anhaltinischen Stadt legten Blumen nieder und entzündeten Kerzen. An der Veranstaltung, die von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt und den Grünen organisiert wurde, nahmen Oberbürgermeister Klemens Koschig (parteilos) und auch Polizeipräsident Karl-Heinz Willberg, teil. »Es ist positiv, daß nun auch von offizieller Seite Bedauern über den schrecklichen Tod Jallohs geäußert wurde«, sagte Marco Steckel von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalttaten gegenüber jW. Nach dem Gedenken demonstrierten rund 200 in Deutschland lebende Afrikaner gegen rechte Gesinnung bei der Polizei.
Der aus dem westafrikanischen Sierra Leone stammende Jalloh war am 7. Januar 2005 in einer Zelle der Dessauer Polizeiwache gestorben. Nach Darstellung der Polizei sei es dem an Händen und Füßen gefesselten Jalloh gelungen, ein Feuerzeug aus der Tasche zu ziehen und damit eine schwer entflammbare Matratze zu entzünden. Wegen des Falls müssen sich zwei Polizisten vor dem Landgericht Dessau verantworten. Dem ehemaligen Dienstgruppenleiter und einem weiteren Polizisten werden Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vorgeworfen. Johanna Bartl von der Deutsch-Afrikanischen Initiative Dessau macht sich allerdings kaum Hoffnungen, daß alle Hintergründe noch ans Licht kommen werden. Die Aufklärung wird vor allem durch sehr widersprüchliche Aussagen der damals anwesenden Polizisten erschwert. »Da ist ein Mensch verbrannt, und Zeugen versuchen, einem Kollegen durch bewußte Falschaussagen einen Freispruch zu verschaffen«, kritisierte Steckel. Afrikanische Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen fordern, die beiden Polizisten wegen Mordes anzuklagen. Der inzwischen 35. Verhandlungstermin findet am 11. Januar statt.
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Drei Jahre nach dem Feuertod von Oury Jalloh
Trauer, Wut und die Forderung nach mehr Schutz
In dem Fall ist bis jetzt eigentlich nur eines klar: Oury Jalloh starb einen schrecklichen Tod, als er vor drei Jahren bei lebendigem Leib in einer Zelle der Polizeiwache Dessau verbrannte. Inzwischen befasst sich das Gericht mit dem Fall, im März soll es ein Urteil geben.
Mehr Schutz für afrikanische Flüchtlinge
In Dessau versammelten sich auch in diesem Jahr rund 150 Vertreter afrikanischer Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen, am Nachmittag zogen sie vor die Polizeiwache, in der Jalloh starb. Sie forderten vor allem einen besseren Schutz von afrikanischen Flüchtlingen, eine lückenlose Aufklärung des Falles und eine Anklage wegen Mordes gegen zwei Polizisten.
Erstmals nahmen an der Gedenkveranstaltung auch Polizisten teil. Man wolle damit ein Zeichen setzen, sagte der Dessauer Polizeipräsident Karl-Heinz Willberg. Für Johanna Bartl von der Deutsch-Afrikanischen Initiative Dessau ist die gemeinsame Veranstaltung mit der Polizei ein "erster Schritt". Doch "ich habe wenig Hoffnung, dass alle Hintergründe um den Tod von Oury Jalloh noch ans Tageslicht kommen", erklärte sie.
Tragischer Unfall oder Mord?
Der Tod Jallohs ist bis heute nicht aufgeklärt. Die offizielle Version: Der an Händen und Füßen gefesselte Asylbewerber aus Sierra Leone soll das Feuer gelegt haben - eine Rekonstruktion der Fesselung habe ergeben, dass Jalloh genügend Bewegungsfreiheit gehabt hatte, um das Feuer zu entzünden. Nach Darstellung der Polizei handelt es sich also um einen tragischen, selbstverschuldeten Unfall. Angehörige und Freunde sprechen dagegen von Mord. Flüchtlings- und Opferorganisationen räumen allerdings ein, dass es dafür bislang keine Anhaltspunkte gibt.
Unterlassene Hilfeleistung
Die Staatsanwaltschaft legt den zuständigen Beamten unterlassene Hilfeleistung zur Last. Denn Jalloh könnte nach Einschätzung der Ankläger heute noch leben, wäre ihm sofort nach dem Ertönen des Rauchmelders geholfen worden. Denn - das ist sicher - der Mann starb erst sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers. Auf Basis dieser Ermittlungsergebnisse wirft die Staatsanwaltschaft zwei Polizeibeamten Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vor.
http://www.tagesschau.de/inland/dessau4.html
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Dessauer erinnern an Asylbewerber Oury Jalloh
Dessau (ddp-lsa). Drei Jahre nach dem Tod des Asylbewerbers Oury Jallow haben am Montag vor dem Dessauer Polizeirevier etwa 30 Demonstranten an das Schicksal des Afrikaners erinnert. Sie entzündeten Kerzen und legten Blumen nieder. Am Nachmittag wollten Vertreter afrikanischer Initiativen durch die Innenstadt ziehen und vor der Wache demonstrieren, in der der Mann aus Sierrra Leona 2005 auf ungeklärte Weise ums Leben kam.
Jalloh war am 7. Januar 2005 nach Ausbruch eines Feuers in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers gestorben. Der zuvor wegen Belästigung festgenommene Asylbewerber soll die Matratze seiner Zelle angezündet haben, obwohl er an Händen und Beinen gefesselt war. Eine Rekonstruktion der Fesselung ergab, dass der Afrikaner für das Entzünden des Feuers genügend Bewegungsfreiheit hatte.
Zwei Polizisten müssen sich wegen dieses Falls seit Ende März 2007 vor dem Landgericht Dessau verantworten. Dem ehemaligen Dienstgruppenleiter und einem weiteren Polizisten werden Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige
http://news.abacho.at/politik/artikel_anzeigen/index.html?news_id=47435
Blumen und Lichter vor dem Polizeirevier Fall Oury Jalloh: Demonstranten fordern vehement Aufklärung
von Annette Gens
Dessau-Roßlau/MZ. Lichter und Blumen im Gedenken an einen toten Menschen am Morgen, Transparente mit teils nachdrücklichen Forderungen nach Aufklärung, Wahrheitsfindung und Entschädigung der Hinterbliebenen am Nachmittag - das kennzeichnete die Ereignisse in Dessaus Innenstadt am Todestag des Afrikaners Oury Jalloh.
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07.01.2008, 15:21 Uhr – Politik
Kerzen vor der Polizeiwache
Dessauer erinnern an Asylbewerber Oury Jalloh - Afrikaner fordern mehr Schutz in Deutschland
Dessau (ddp-lsa). Drei Jahre nach dem Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle haben am Montag Dutzende Bürger sowie Vertreter afrikanischer Menschenrechtsinitiativen an das Schicksal des Mannes erinnert. Vor dem Dessauer Polizeirevier, in dem der Mann aus Sierra Leona am 7. Januar 2005 ums Leben kam, versammelten sich etwa 30 Demonstranten. Sie legten Blumen nieder, entzündeten Kerzen und bildeten mit Lichtern den Schriftzug »Oury«.
An der von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt und den Grünen in Sachsen-Anhalt organisierten Veranstaltung nahm erstmals auch die Polizeispitze der neuen Direktion Ost teil. Am Nachmittag zogen rund 150 Afrikaner durch die Innenstadt.
Jalloh war vor drei Jahren nach Ausbruch eines Feuers in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers gestorben. Der zuvor wegen Belästigung festgenommene Asylbewerber soll die Matratze seiner Zelle angezündet haben, obwohl er an Händen und Beinen gefesselt war. Eine Rekonstruktion der Fesselung ergab, dass der Afrikaner für das Entzünden des Feuers genügend Bewegungsfreiheit hatte.
Wegen dieses Falls müssen sich seit neun Monaten zwei Polizisten vor Gericht verantworten. Dem ehemaligen Dienstgruppenleiter und einem weiteren Polizisten werden Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vorgeworfen. Sie sollen zu spät auf Signale des Rauchmelders aus dem Verwahrraum reagiert beziehungsweise bei der Durchsuchung des Afrikaners ein Feuerzeug übersehen haben. Ein Ende des Verfahrens ist vorerst nicht in Sicht.
Während der Demonstration riefen die Teilnehmer: »Oury Jalloh - das war Mord.« Auf Transparenten forderten sie, die Tat dürfe nicht vertuscht werden. Die Demonstranten beklagten auch den aus ihrer Sicht fehlenden Schutz von Afrikanern in Deutschland und forderten eine lückenlose Aufklärung des Todes des Asylbewerbers. Vor dem Landgericht Dessau verlangten die Teilnehmer ein schnelles Urteil. Dort verharrten sie auch in einer Schweigeminute.
Der Präsident der neuen Polizeidirektion Ost, Karl-Heinz Willberg, wollte mit seiner Teilnahme an der Gedenkfeier vor der Wache ein Zeichen setzen und »sich der Diskussion stellen«, wie er sagte. Es mache ihn traurig und betroffen, dass damals ein Mensch ums Leben gekommen ist, der »sich in unserer Obhut befand«.
Grünen-Landeschef Christoph Erdmenger sagte mit Blick auf die Kritik seiner Partei an der Arbeit der Polizei, inzwischen habe sich ein konstruktiver Dialog mit der Polizei einwickelt. Dessaus Oberbürgermeister Klemens Koschig (parteilos) äußerte Verständnis für den Unmut der Betroffenen über die lange Dauer des Prozesses.
Der Leiter des Dessauer Bündnisses gegen Rechtsextremismus, Günter Donath, rief die Einwohner der Stadt auf, jedem Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Er sei entsetzt, dass sich die juristische Aufarbeitung des Falles so lange hinziehe.
(ddp)
08.01.2008 / Inland / Seite 2
Zum Inhalt dieser Ausgabe |
http://www.jungewelt.de/2008/01-08/061.php
»Die Anklage im Fall Jalloh muß auf Mord lauten«
Schwarze trauen sich in Deutschland oft nicht zur Polizei, wenn sie Opfer von Straftaten sind. Ein Gespräch mit Moctar Kamara
Interview: Claudia Wangerin
Moctar Kamara ist Mitorganisator der 2. Black African Conference (Konferenz von Schwarzafrikanern), die am Sonntag zum Gedenken an den Asylbewerber aus Sierra Leone stattfand, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte
Am Sonntag fand in Dessau die zweite Konferenz von Schwarzafrikanern statt. Was hat Ihr erstes Treffen bisher bewirkt?
Durch unsere Öffentlichkeitsarbeit ist es im Fall Oury Jalloh wenigstens zum Prozeß gekommen. Es war ja zunächst von Selbstmord die Rede, nachdem er von Dessauer Polizisten schwer verprügelt und in einer Zelle eingeschlossen worden war, die später in Flammen aufging. Obwohl Beamte in der Nähe waren, rettete ihn niemand. Im Gegenteil, die Lautstärke des Feueralarms wurde heruntergestellt und Jalloh verbrannte.
Am Montag haben wir mit einer Demonstration in der Dessauer Innenstadt an seinen dritten Todestag erinnert. Und etwa 30 Dessauer hatten sich mit Kerzen vor dem Polizeirevier versammelt.
Welche Forderungen stellen Sie jetzt?
Wir Schwarzafrikaner sind überzeugt, daß es sich um Mord handelt. Deshalb fordern wir, daß die auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge lautende Anklage geändert wird. Wir haben schließlich im Prozeß erleben müssen, daß es abwechselnd um ein, zwei oder gar kein Feuerzeug ging, mit dem Jalloh seine Matratze angezündet haben soll. Außerdem ist ein Video der Polizei verschwunden, das nach dem Auffinden des Toten in der Zelle aufgenommen wurde.
Die Verantwortlichen müssen bestraft und nicht nur versetzt werden. Der damalige Chef des Polizeireviers Dessau, Polizeidirektor Gerald Kohl, z. B. wurde nach Köthen versetzt, nicht aber entlassen. Ebenso fordern wir die Entlassung von Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt, die früher in der Polizeidirektion Dessau-Roßlau veranwortlich war – sie wurde zum 1. September 2007 ins Innenministerium Sachsen-Anhalt versetzt. Die Familie von Oury Jalloh muß entschädigt werden, soweit das überhaupt möglich ist.
Was muß sich für Schwarzafrikaner in Deutschland als erstes ändern?
Es gibt viele Fälle von Polizeigewalt und Morden an Schwarzen in Deutschland, die aufgeklärt werden müssen. Z. B. hat die Schwester von Dominique Kouamadio auf unserer Konferenz gesprochen – mit Tränen in den Augen. Ihr Bruder wurde am 14. April 2006 in Dortmund von der Polizei erschossen. Anläßlich des Jahrestages wollen wir am 12. April in Dortmund demonstrieren. Die Staatsanwaltschaft hat es damals als Notwehr abgetan, obwohl Dominique unbewaffnet war. Zum Prozeß kam es gar nicht erst. Das nenne ich institutionellen Rassismus.
Ebenso die Fälle von Laye-Alama Condé in Bremen, John Achidi in Hamburg, N’deye Mareame Sarr in Aschaffenburg und andere, in denen die Ermittlungen offiziell abgeschlossen sind. Sie alle müssen neu aufgerollt werden.
Wie drückt sich der institutionelle Rassismus unterhalb von Tötungsdelikten aus?
Z. B. durch rassistische Polizeikontrollen auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Ich werde z. B. oft willkürlich kontrolliert, wenn ich mich als einziger Schwarzafrikaner in einer Menschenmenge bewege.
Die Polizei würde abstreiten, daß dies rassistisch ist, und es »verdachtsunabhängige Kontrolle« nennen. Wie wollen Sie im Einzelfall den Nachweis führen?
Das mag schwer sein, aber das Gesamtbild ist eindeutig. Schwarze werden in Deutschland so oft von der Polizei schikaniert und verdächtigt, daß sich viele nicht mal mehr trauen, zur Polizei zu gehen, wenn sie beleidigt oder verprügelt worden sind. Ich kenne einige, die rassistische Übergriffe nicht angezeigt haben, weil sie von der Polizei weitere Übergriffe befürchtet haben. Wir müssen die Öffentlichkeit sensibilisieren, sonst gibt es keine Chance auf Gerechtigkeit für die afrikanischen Opfer des institutionellen Rassismus der Polizei. Außerdem muß endlich die Residenzpflicht für Flüchtlinge abgeschafft werden, die es erst möglich macht, daß sie durch das Verlassen ihres Landkreises gegen Gesetze verstoßen, die für Deutsche gar nicht gelten.
Der Fall Oury Jalloh - Feuertod drei Jahre später noch ungeklärt (pdf, 92,8 KB)
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