Willkürlicher Polizeiübergriff nach LLL-Demo in Berlin
http://www.jungewelt.de/2008/01-15/038.php
Heute, am 13. Januar kam es in Berlin zu einem groß angelegten Polizeiübergriff gegen ca. 55 Personen, die zu der alljährlichen Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration aus Nordrheinwestfalen angereist waren.
Nach der Teilnahme an der Demonstration gingen die Betroffenen zu einem Immigrantenverein in Neukölln und brachen schließlich um kurz vor halb sechs mit einem für die Fahrt zur Demo angemieteten Bus zur Heimfahrt auf. Doch leider kam man nicht weit. Bereits auf dem Weg zur Autobahn stoppte die Polizei den Bus jäh auf dem Columbiadamm kurz hinter der Bushaltestelle Columbiadamm/Friesenstraße und Einsatzkräfte stürmten mit laufenden Videokameras in den Bus und filmte und fotografierte die Insassen. Die Polizei versuchte daraufhin, die zur LLL-Demo angereisten Linken, mehrheitlich mit Migrationshintergrund, in kleinen Gruppen aus dem Bus zu holen, um ihre Personalien festzustellen und provozierte durch brutales Verhalten. Dieses willkürliche und durch nichts gerechtfertigte Vorgehen lehnte die Gruppe vehement ab.
Durch entschlossenen Protest konnte schließlich erreicht werden, dass alle im Bus bleiben konnten. Allerdings nahm die Polizei ausnahmslos von allen Anwesenden die Personalien auf, obwohl ausdrücklich darauf bestanden wurde, die Ankunft einer verständigten Anwältin abzuwarten.
Auf mehrfache Fragen nach dem Grund dieses willkürlichen Überfalls Dutzender Polizisten äußerte der Einsatzleiter sich widersprüchlich. Vage Behauptungen wie „es handele sich um eine Überprüfung“ wechselten mit der Angabe des Vorwands der „Gefahrenabwendung“. Selbst gegenüber der herbeigerufenen Anwälte weigerte der Einsatzleiter sich, den konkreten Grund des Einsatzes anzugeben, „vor Morgen sage ich dazu gar nichts“ war das einzige, was der Vertreter des Rechtsstaates, der bereits unzählige willkürliche Gewaltakte gegen Linke und Migranten auf dem Gewissen hat, gegen den brutalen Übergriff auf die Businsassen vorzubringen hatte.
Der Tod von Oury Jalloh, der gefesselt in einer Polizeizelle verbrannte, oder der auf offener Straße erschossene Dominique Koumadio sind ebenfalls Folgen genau dieser Willkür, die in Deutschland „Rechtsstatt“ genannt wird.
Wir verurteilen diesen willkürlichen Akt polizeilicher Gewalt gegen die LLL TeilnehmerInnen, der sich heute Abend in Berlin ereignet hat aufs Schärfste. Die Aufnahme der Personalien aller Insassen ohne Angabe von Gründen sowie das Festhalten von über 50 Personen über ca. 2 Stunden in einem Bus stellen einen Eingriff in die demokratischen Rechte dar, den wir nicht schweigend hinnehmen werden.
DEKÖP-A (Plattform der demokratischen Massenorganisationen in Europa), Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, AGIF-Jugend, The VOICE Refugee Forum, Rote Antifa – Du/Dü, Young Struggle, Plataforma der MigrantInnen und Flüchtlinge, ICAD, We Want Freedom Campaign
13. Januar 2008
---------------------------- Original Message ----------------------------
Subject: Willkürlicher Polizeiübergriff nach LLL-Demo in Berlin
From: "Antirassistische Initiative"
Date: Mon, January 14, 2008 2:16 pm
To: ari-berlin@gmx.de
--------------------------------------------------------------------------
WDR 3, Tageszeichen
z.Hd. Beatrix Novy
Sendedatum: 21.1.2008
Sendelänge: 5´10´´
Ungeliebt in Wuppertal
Vom Polizeigriff zum Übergriff
Die Schwebebahnmetropole Wuppertal zeigt sich dieser Tage an höchster Stelle kampfesmutig. Jedenfalls wenn es um die Verteidigung der Staatsgewalt im Allgemeinen und der Polizei im Besonderen geht. Peter Jung, CDU, das achte Jahr im Amt des Oberbürgermeisters, stellte sich gleich mehrere Mal kurz hintereinander schützend vor seine uniformierte Ordnungsmacht. Am 9. Januar ließ er eine polizeikritische Ausstellung im städtischen Jugendzentrum Barmen abhängen, am 10. Januar beendeten die Mitarbeiter seines Ordnungsamtes und der Polizei eine unangemeldete Filmvorführung auf dem stadtzentralen Willy-Brandt-Platz. Und am 15. Januar kündigte er einer ebenfalls polizeikritischen Veranstaltung den lange zugesagten Versammlungsraum im Rathaus.
Die gekündigte Ausstellung trägt den Titel: „Vom Polizeigriff zum Übergriff“ und stammt aus Berlin; auf der ebenfalls gekündigten Veranstaltung sollten hochkarätige Referenten Antworten auf die Frage finden: „Polizeigewalt gegen Flüchtlinge und Migranten – Struktur oder Einzelfall?“ Und der von der Straße vertriebene Film wollte unter dem Titel "Sie tun mir weh, Herr Wachtmeister!" über die jährlichen Punkertreffen in Wuppertal berichten, die sich immer wieder mit heftigen Stockschlägen der Ordnungskräfte konfrontiert sehen.
Peter Jung hat seine Verbote im Einvernehmen mit dem sozialdemokratischen Jugend-, Sozial- und Integrationsdezernenten Stefan Kühn verfügt. Man lasse nicht zu, so das Wuppertaler Oberhaupt, dass in städtischen Gebäuden die Polizei verunglimpft werde.
Mit ihrem wacker geschwungenen Zensurknüppel haben die Stadtoberen einen Volltreffer gelandet. Nicht, weil Ausstellung und Begleitprogramm etwa unhaltbare Vorwürfe unverbesserlicher Polizeikritiker ausbreiten würden. Nein, die Ausstellungsmacher tragen ein echtes Problem vor. Auf Tafeln und im Begleitprogramm berichten zahlreiche Augenzeugen von unangemessenen polizeilichen Übergriffe vornehmlich gegen Jugendliche, gegen Migranten und gegen unangepasste Demonstranten und konkretisieren auf diese Weise, was in wissenschaftlichen Untersuchungen und Expertisen von Menschenrechtsorganisationen thematisiert wird: das Problem struktureller polizeilicher Gewalt.
Vor vier Jahren veröffentlichte Amnesty International den Bericht "Erneut im Fokus – Vorwürfe über polizeiliche Misshandlungen und den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt in Deutschland". In diesem Bericht dokumentiert die Organisation zwanzig Fälle, die in ihren Augen exemplarisch für übermäßige Polizeigewalt in Deutschland stehen. Bereits 1995 und 1997 hatte Amnesty ähnliche Berichte veröffentlicht. Der Bericht 2004 kommt zu dem Schluss: Exzessive Polizeigewalt und deren unzulängliche Ahndung sind immer noch ein Thema in Deutschland.
Die meisten Misshandlungen durch Polizeibeamte ereignen sich danach bei Festnahmen oder in Polizeihaft. Sehr häufig seien davon Ausländer oder deutsche Staatsbürger ausländischer Herkunft betroffen (http://www.amnesty-polizei.de/pages/deutschlandbericht.php).
Ende 2007 haben der Republikanische Anwaltsverein und das Grundrechtekomitee ihre Untersuchungen über die globalisierungskritischen Demonstrationen in Rostock und Heiligendamm veröffentlicht. Zahlreiche Übergriffe der Polizei sind darin belegt.
Auch internationale Organisationen üben immer wieder Kritik; so hat das Antifolterkomitee des Europarates in seinem letzten Bericht festgestellt, Zitat:„Wie bereits im Jahr 2000 (...) wurde eine Reihe von Vorwürfen über eine übermäßige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte zum Zeitpunkt der Festnahme erhoben. Diese Vorwürfe betrafen insbesondere Schläge und Tritte, nachdem die betroffene Person unter Kontrolle gebracht war, sowie eine länger andauernde und feste Fesselung mit Handschellen. Ferner wurden Vorwürfe über verbale Beschimpfungen festgehaltener Personen durch Polizeibeamte erhoben.“
(http://www.cpt.coe.int/documents/deu/2007-18-inf-deu.pdf)
Deutsche Menschenrechtsorganisationen fordern schon seit vielen Jahren eine unabhängige Kontrolle der Polizei. Bislang nämlich wir sie von der Staatsanwaltschaft kontrolliert. Die muss tätig werden, wenn Polizeibeamten strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorgeworfen wird. Doch Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten in allen anderen strafrechtlichen Bereichen eng und vertrauensvoll zusammen. Sie sind im Alltag aufeinander angewiesen. Dieses Arbeitsbündnis verhindert, so die Kritiker, dass Staatsanwälte konsequent gegen Polizisten ermitteln.
Eine unabhängige Kontrollkommission der Polizei wurde bisher nur einmal, Mitte der 90er Jahre im Stadtstaat Hamburg etabliert. Zuvor waren systematische Misshandlungen von Migranten auf Hamburger Polizeiwachen bekannt geworden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, der damalige SPD-Innensenator musste zurücktreten. 1998 wurde dann ein ständiger Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft eingerichtet. Er arbeitete allerdings nur kurz: der nächste Innensenator, wieder von der SPD, schränkte die Aussagebefugnisse der Polizeibeamten vor dem Kontrollgremium ein; nach dem Wahlsieg der CDU schaffte Innensenator Roland Schill, bekannt geworden als „Richter Gnadenlos“, die Kommission wieder ab.
Die unabhängige Polizeikontrolle, die längst auch der UN-Menschenrechtsausschuss von den deutschen Regierungsstellen fordert (Punkt 11 des UN-Berichts: http://www.uni-potsdam.de/u/mrz/mrm/mrm3-4.htm), bleibt auf der Tagesordnung. Aber von all dem hat der Wuppertaler Oberbürgermeister mit seinen Mannen offensichtlich noch nie etwas vernommen.
###
atum: Thu, 17 Jan 2008 23:21:08 +0100 (CET)
Betreff: [Verteiler] Frankfurter Rundschau zu Wuppertal
Frankfurter Rundschau 18.1.2008
Kritische Ausstellung
Die Würde der Polizei ist unantastbar
VON JOACHIM F. TORNAU
Das Ansehen der Polizei ist Peter Jung heilig. Der Oberbürgermeister der nordrhein-westfälischen Großstadt Wuppertal möchte Kritik an den Ordnungshütern in städtischen Räumen nicht dulden. In seinem Kampf gegen "Verunglimpfung und Diffamierung", wie er es nennt, scheut der CDU-Politiker sogar vor dem Verbot einer Fraktionssitzung der Linken im Wuppertaler Stadtparlament nicht zurück: "Das Thema
darf man natürlich diskutieren", sagt eine Stadtsprecherin. "Aber nicht im Rathaus."
Zum dritten Jahrestag des Todes von Oury Jalloh, der im Januar 2005 unter immer noch ungeklärten Umständen in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte, hatte das
Wuppertaler Netzwerk "Bürger_innen beobachten die Polizei" eine Wanderausstellung über Polizeigewalt eröffnet - im städtischen Haus der Jugend. Die vom
Anti-Diskriminierungsbüro Berlin erstellte Schau "Vom Polizeigriff zum Übergriff" zeigt, was auch Amnesty International schon angeprangert hat: Vor allem Menschen nicht-deutscher Herkunft würden in Deutschland immer wieder Opfer von "Schlägern in
Uniform" - meist ohne dass dies Konsequenzen für die beteiligten Beamten nach sich ziehe.
Default Banner Werbung Bereits am Morgen nach der Eröffnung ließ
Oberbürgermeister Jung die 19 Ausstellungstafeln jedoch wieder abhängen. "Er sagt, die Polizei wird diffamiert", erklärt seine Sprecherin. Gesehen hat das Stadtoberhaupt die Schau nicht. Aber er kämpft mit wilder Entschlossenheit: Eine öffentliche Diskussion über das Verbot, zu der die Ratsfraktion der Linken ins Rathaus einladen wollte, untersagte er ebenso wie eine "erweiterte Fraktionssitzung" der Linken zum gleichen Thema.
"Der OB hat von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht", heißt es bei der Stadt lapidar. Die Linksfraktion spricht dagegen von einem "Zensurrausch" und einer unzulässigen Behinderung ihrer politischen Arbeit. Man wolle die Rechtsaufsicht einschalten.
Die unerwünschte Diskussionsveranstaltung fand unterdessen Asyl beim Asta der Wuppertaler Universität. Einen Grund zum Eingreifen sah die Hochschulleitung nicht: "Eine Universität ist pluralistisch", sagt Sprecher Michael Kroemer. "Wir
gehen von Natur aus anders mit solchen Dingen um als eine Stadtverwaltung, die meint, das von oben nach unten steuern zu müssen."