Nicht ohne „Urlaubsschein“ Asylbewerber dürfen sich im Land nicht frei bewegen
BELZIG –
Wenn der Belziger Jean-Marce Banoho am Berliner Bahnhof Zoo aus dem Zug steigt, kann er die Blicke der dort postierten Polizisten auf seiner Haut fast spüren. „Wenn man unsicher um sich blickt, sind sie sofort ran. Ausweis bitte! Haben Sie einen Urlaubsschein?“ Genau dieses Wort verwenden sie, beteuert Banoho, „es ist der pure Hohn.“
Jean-Marce Banoho ist Kameruner und seine Haut so schwarz wie der Lavastrand von Limbe. Die Polizisten haben trotzdem den Falschen gestellt. Banoho ist ein Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis, der in Belzig als Sozialarbeiter arbeitet und nach Berlin fahren kann, so oft er will. Auch ohne „Urlaubsschein“. Offiziell ist das Papier eine „Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen“.
Flüchtlinge im Asylverfahren oder ausreisepflichtige Ausländer müssen sie mitführen, wenn sie den Landkreis verlassen, in dem sie registriert und wohnhaft sind. Der Staat will damit die „Residenzpflicht“ absichern. Der anmutig klingende Begriff bezeichnet eine der umstrittensten Restriktionen für Flüchtlinge.
Asylbewerber, die Potsdam-Mittelmark zugewiesen werden, leben im Übergangswohnheim Belzig oder in Wohnungen. Sie dürfen sich nur im Landkreis bewegen sowie nach Potsdam und Brandenburg/Havel reisen. Die Ausländerbehörde befindet sich in Werder/Havel. Die meisten Anwälte, fremdsprachige Ärzte und Landsleute sind in Berlin zu finden. Für jeden Termin oder private Verabredungen muss der Flüchtling bei der Behörde jenen „Urlaubsschein“ beantragen. Die Mitarbeiter wägen Für und Wider nach „pflichtgemäßem Ermessen“ ab, wie Behördenchef Jörg Hallex kürzlich auf eine Frage im Kreistag Potsdam-Mittelmark antwortete.
Den Landkreis verlassen darf, wer sich in seiner Botschaft um Ausreisepapiere kümmert, beim Hohen Flüchtlingskommissar vorspricht, Ehefrau, Verlobte oder Freundin besucht, Arzt- oder Therapietermine wahrnimmt, den Anwalt aufsucht. Auch Kultur- und Sportveranstaltungen oder die Ausübung der Religion sind akzeptierte Gründe.
„Wer einfach nur mal aus dem Heim raus oder Freunde besuchen will, muss entweder Adressen angeben oder Gründe vorschieben“, weiß Sozialarbeiter Banoho. „Die Leute sind total genervt, wegen so einer Kleinigkeit müssen sie in eine für sie schlimme Behörde und dafür auch noch Fahrgeld ausgeben. Asylbewerber haben monatlich rund 260 Euro.“ Hinzu kämen demütigende Befragungen etwa nach den Personalien der Freundin und der Beziehung. „Du fühlst dich total kontrolliert und von vornherein kriminalisiert“, so Banoho. „Du kannst auch nicht dreimal im Monat nach Werder/Havel fahren. Mehrere Scheine gibt es in der Regel nicht, schon gar nicht, um bloß Freunde zu besuchen, obwohl das für Menschen im Exil so wichtig ist.“
Also fahren viele ohne Schein. Wer erwischt wird, zahlt das erste Mal 35 Euro. Zwischen Januar 2006 und August 2007 traf dies 69 Asylbewerber. Das zweite Mal macht sie bereits zum Straftätern, die vor Gericht abgeurteilt werden. Nach Schätzungen der kreislichen Ausländerbehörde betrifft das etwa 75 Prozent der Verwarnten. Wer die Geldstrafe nicht zahlen kann, leistet Sozialstunden. Er gilt als vorbestraft und geht in die Kriminalstatistik für Ausländer ein. Obgleich Jörg Hallex kein Fall bekannt ist, in dem ein Asylbewerber abgeschoben wurde, weil er unerlaubt außerhalb unterwegs war, wäre dies möglich, wenn bei Wiederholung eine Verurteilung zu mehr als 90 Tagessätzen erfolgt.
(Von Kerstin Henseke)
„Märkische Allgemeine“, 26.01.2008
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11119562/60889/Asylbewer…
t_frei_bewegen.html
Unwürdige Praxis
Kommentar: Thomas Wachs über die Gefahren überholter Regeln für Asylbewerber
Es ist eine unwürdige Besonderheit des deutschen Asylrechtes, dass sich Menschen, die hier zu Lande als Asylbewerber eine Bleibe suchen, nicht frei im gesamten Land bewegen können. Ihr Aktionsradius beschränkt sich per Gesetz auf den jeweiligen Landkreis, dem sie bereits zugeteilt worden sind.
Im Fall der im Belziger Heim oder in Wohnungen lebenden Ausländer ist dies besonders fatal. Denn sie haben die Bundeshauptstadt vor der Haustür, dürfen sich dort aber nicht aufhalten, ohne zuvor bürokratisch umständlich bei der Ausländerbehörde in Werder/Havel einen Passierschein beantragt zu haben.
Dabei wäre es gerade für die im Exil lebenden Menschen wichtig, Gleichgesinnte zu treffen. Diese Kontakte werden sie im Fläming aber kaum in ausreichendem Maße finden können. Darum erschwert die Aufenthaltsregelung die Integration, wenn ein Ausflug zum logistischen Hürdenlauf werden muss.
Vor allem suggeriert die Praxis, dass Ausländer, die hier zu Lande auf der Suche nach einem neuen Lebensmittelpunkt fernab ihrer eigentlichen Heimat sind, „Menschen zweiter Klasse“ seien, weil ihnen weniger Rechte zugestanden werden. Das wiederum schürt Menschenfeindlichkeit und Rassismus. Liberalere Regelungen sind also überfällig.
„Märkische Allgemeine“, 26.01.2008
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11119561/60889/Kommentar…
efahren_ueberholter_Regeln.html
Residenzpflicht: Ich war erstmal schockiert // (TLZ Press) Uni-Tür bleibt für ihn zu.
https://thevoiceforum.org/node/673