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Sozialistische Tageszeitung • Donnerstag, 27. März 2008
Inland
27.03.2008
Afrikaner glauben weiter an Mord
Im Jalloh-Prozess gibt es zwar bald ein neues Brandgutachten, aber noch lange kein Urteil
Von Hendrik Lasch, Dessau
Vor einem Jahr begann der Prozess um den Tod von Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte. Ein Urteil ist nicht absehbar. Viele Freunde des Opfers bezweifeln, dass die Wahrheit jemals ans Licht kommt.
Am Jahrestag wird nicht verhandelt. Erst morgen steht am Landgericht Dessau der inzwischen 42. Verhandlungstag in einem Prozess an, dessen Eröffnung heute vor einem Jahr enormes öffentliches Interesse weckte.Geklärt werden soll, warum Oury Jalloh, ein Flüchtling aus Sierra Leone, am Mittag des 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle des Dessauer Polizeireviers verbrannte.
Vor allem in Deutschland lebende Afrikaner setzten hohe Erwartungen in die juristische Aufarbeitung des Falles, der für große Verunsicherung gesorgt hatte; schließlich war Jalloh bei einem Routinevorfall in Gewahrsam genommen worden. Der 21-Jährige sollte in angetrunkenem Zustand Frauen belästigt haben. Zur Ausnüchterung wurde er in die Zelle gesteckt, wo er an Händen und Füßen gefesselt wurde. Mittags geriet die eigentlich feuerfeste Matratze in Brand. Jalloh starb binnen Minuten den Hitzetod.
Ein Jahr später herrscht in der afrikanischen Gemeinde Ernüchterung. »Ich glaube nicht, dass die Wahrheit ans Licht kommt«, sagte Mouctar Bah dem ND. Bah, der in Dessau ein Telefon-Café betrieb, war ein Freund Jallohs und drängte mit Verbündeten nach dessen Tod auf Aufklärung. Die bleibe aus, nicht zuletzt, weil sich das Gericht nur mit der sechsminütigen Spanne zwischen Ausbruch des Feuers und Tod befasst, wie die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« beklagt: »Was vor dem Ausbruch des Feuers passierte, ist nicht Gegenstand der Verhandlung.«
Tatsächlich stehen vor allem die Abläufe während des Brandes im Blickpunkt. In dieser Zeit soll der Hauptangeklagte, ein 47-jähriger Dienstgruppenleiter, nicht schnell genug reagiert und einen Brandmelder ignoriert haben, weshalb ihm Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassung vorgeworfen wird. Bei der Klärung der Abläufe geht es um Sekunden. Aus diesem Grund hat das Gericht bei Experten der Feuerwehr ein zweites Brandgutachten in Auftrag gegeben, das im April vorliegen soll.
Grundlage der Anklage ist indes die Hypothese, dass Jalloh die Matratze mit einem bei einer Durchsuchung übersehenen Feuerzeug selbst angezündet haben soll. Diese Annahme zieht die Gedenkinitiative nach wie vor in Zweifel. Es handle sich um eine »zynische und absurde Behauptung« der Staatsanwaltschaft, heißt es in einer gestern veröffentlichten Erklärung, in der das Verfahren als »Scheinprozess« bezeichnet wird. Auch Mouctar Bah beklagt »Vertuschung, Lügen von Zeugen und die Unterdrückung von Beweismitteln« und fordert, eine Anklage wegen Mord zu erheben: »Uns ist klar, dass Oury Jalloh umgebracht wurde.«
Diese Ansicht teilen allerdings weder die Vertreter der Nebenklage noch Marko Steckel von der Opferberatung Dessau, der den Prozess intensiv begleitet. Es handle sich um »Hypothesen, die nicht zu beweisen sind«, sagt Steckel. Auch er kritisiert indes Umstände des Verfahrens, die viele Afrikaner in ihren Verdächtigungen bestärken. So hätten sich Zeugen aus dem Polizeiapparat hinter einer »Mauer des Schweigens« versteckt, die zu durchbrechen nur selten gelungen sei. Viele Beamte empfänden die Anklage und die darin geäußerten Vorwürfe als »Zumutung«.
Neben dem »Korpsgeist« offenbart der Fall Oury Jalloh auch latenten Rassismus bei etlichen Polizeibeamten. So soll bei einem Treffen von Führungskräften unmittelbar nach dem Todesfall ein Beamter den Satz geäußert haben: »Schwarze brennen nun mal länger.« Ein Kollege, der gegen die Äußerung protestierte, wurde gemobbt und ließ sich schließlich versetzen. Der Beamte, der die abfällige Äußerung tätigte, kam mit einem Verweis davon; die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Der Vorfall war erst unlängst publik geworden. Innenminister Holger Hövelmann (SPD) erklärte, für »derlei menschenverachtende Äußerungen darf es in der Polizei keinerlei Toleranz geben«. Das Verfahren könne aber nicht mehr neu aufgerollt werden.
Auch wenn sich die Aufklärung in dem Dessauer Prozess als äußerst zäh erweist, betrachtet Steckel dessen Zustandekommen bereits als Erfolg. »Verfahren gegen Polizeibeamte haben einen eigenen Charakter«, sagt der Opferberater, der daran erinnert, dass nur wenige Fälle tatsächlich zur Anklage kämen. Im Dessauer Prozess sei absehbar, dass zumindest der Hauptangeklagte verurteilt wird. Steckel erwartet, dass dessen Schuld
durch das neue Brandgutachten bestätigt wird. Wie schnell nach dessen Vorliegen ein Urteil gesprochen werden kann, ist indes nach Aussagen eines Gerichtssprechers »nicht absehbar«. Terminiert ist das Verfahren derzeit bis zum Freitag, dem 13. Juni.
Späte Aufklärung
Der 21-jährige Oury Jalloh aus Sierra Leone starb am 7. Januar 2005 in der Gewahrsamszelle 5 des Polizeireviers Dessau. Danach vergingen mehr als zwei Jahre, bevor am 27. März 2007 der Prozess gegen zwei Polizisten vor dem Landgericht Dessau begann.
Dass es überhaupt noch zu einem Verfahren kam, ist nicht zuletzt starkem öffentlichen Druck von Gruppen wie der »Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh« und Aktivisten der Opferberatung Dessau geschuldet. Diese organisierten nicht nur Demonstrationen und Konferenzen in Dessau und anderen Orten, sondern auch eine zweite Obduktion Jallohs im April 2005, bei der unter anderem ein gebrochenes Nasenbein festgestellt wurde.
Eine erste Anklageschrift stellte die Staatsanwaltschaft im Mai 2005 fertig. Nach fünfmonatiger Prüfung wurde sie aber vom Landgericht zurückgeschickt. Erst im Juli 2006 wurde die mit einem zusätzlichen Brandgutachten untermauerte Anklage erneut an das Gericht geschickt.
Äußerst langwierig gestaltete sich die Zulassung der Eltern Oury Jallohs als Nebenkläger. Für die Mutter wurde dies im März 2005 beantragt, die Zulassung erfolgte erst 17 Monate später im August 2006. Jallohs Vater wurde vier Monate später als Nebenkläger zugelassen. Die Mutter war bei Prozessbeginn anwesend; ihr Aufenthalt wurde aus Spenden finanziert.
Im Januar 2007 hat sich an der Ehrung Oury Jallohs erstmals die Dessauer Polizeiführung beteiligt. Sie äußerte sich betroffen über den »schrecklichen Unglücksfall«. In der afrikanischen Gemeinde wird dagegen weiterhin die These vom Mord in Polizeigewalt vertreten.
Bisher gab es in Dessau 41 Verhandlungstage, an denen 54 Zeugen gehört wurden. Weitere 13 Sitzungen sind anberaumt. Ein Ende des Prozesses ist nicht absehbar. HLA
Politik mit tödlichen Folgen
Die Zahlen sind erschreckend: Seit der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl im Jahr 1993 kamen 174 Flüchtlinge bei dem Versuch ums Leben, in die Bundesrepublik zu gelangen. 149 Flüchtlinge begingen angesichts einer drohenden Abschiebung Selbstmord. Außerdem starben 81 Flüchtlinge bei rassistischen Übergriffen oder Bränden in den Flüchtlingsunterkünften. Einige Beispiele aus jüngster Zeit:
11.12.07 – Ein iranischer Flüchtling übergießt sich an einer Tankstelle in Amberg/ Bayern mit Benzin und zündet sich an. Kurze später erliegt der junge Mann seinen Verbrennungen.
27.06.07 – Der 30-jährige Kurde Mustafa Alcali begeht Selbstmord in der Abschiebehaft Frankfurt/ Main.
14.01.07 – Der 23-jährige Mohammad Selah aus Guinea stirbt qualvoll in Essen, weil sich Ärzte weigerten, den jungen Mann ohne Krankenschein zu behandeln.
12.12.06 – Ein kurdischer Flüchtling tötet sich selbst, nachdem sämtliche Asylanträge abgelehnt wurden.
26.10.06 – In der JVA Stadelheim bei München erhängt sich der äthiopische Flüchtling Asseged Admaso.
05.10.06 – Ein Asylbewerber aus Tschetschenien begeht in einem sächsischen Heim Selbstmord, nachdem er drei Jahre vergebens auf einen Bescheid der Behörden wartete.
08.05.06 – In einem Neusser Abschiebegefängnis erhängt sich eine 57-jährige Chinesin.
Die Fälle entstammen einer Dokumentation der Antirassistischen Initiative (AIR e.V.)
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Feuertod des Asylbewerbers
Schwerer Weg zu neuem Vertrauen
Dessau ein Jahr nach Start des Jalloh-Prozesses
von Katrin Löwe, 26.03.08, 20:24h, aktualisiert 26.03.08, 21:56h
Dessau-Roßlau/MZ. Razak Minhel kann es kaum glauben. Da wird im Februar - drei Jahre nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle - das Zitat eines hochrangigen Polizisten öffentlich: "Schwarze brennen eben mal länger". "Das war der Hammer, diese Diskriminierung belastet uns", sagt der Leiter des Dessauer
Multikulturellen Zentrums. Aber nicht nur, dass der Satz für den Beamten fast folgenlos blieb. "Der öffentliche Protest war schwach, fast nicht zu hören", sagt Minhel. Kein Aufschrei der lokalen Politik, keine aktuelle Stunde im Stadtrat dazu, wie es in Dessau nach Jallohs Tod weiterging. "Die Politik ist stumpf, das Misstrauen vieler Emigranten in Behörden und Politik gewachsen" sagt der Iraker.
Heute vor einem Jahr hat in Dessau der Prozess gegen zwei Polizisten begonnen, denen eine Mitschuld am Tod Jallohs vorgeworfen wird. Der Asylbewerber war am 7. Januar 2005 gefesselt in einer Polizeizelle verbrannt. Immer wieder hat es seitdem Proteste vor allem aus den Reihen von Asylbewerbern gegeben. Auch heute ist das Verfahren im
Multikulturellen Zentrum oft Thema - und geprägt von Skepsis. Bei Emigranten, die in ihrer Heimat misshandelt, ohne Prozess ins Gefängnis gesteckt wurden. Die derart lange Verfahren wie im Fall Jalloh nicht kennen und als Verschleppung empfinden, was andere als Bemühen des Gerichts um Aufklärung werten, sagt Minhel. Fremdsprachliche Informationen der Behörden über das Verfahren hätte er als hilfreich empfunden, "leider gibt es die nicht".
Statt dessen kommen 2007 Vorwürfe ans Licht, der ehemalige Dessauer Polizei-Vize habe Staatsschützer zu nachlässigen Ermittlungen gegen Rechte angehalten. Ein Landtags-Untersuchungsausschuss beschäftigt sich damit. Bei Emigranten bleibe Misstrauen, sagt Minhel. "Viele denken nicht, dass Polizisten uns schützen."
Marco Steckel, Chef der Dessauer Opferberatung, sieht im Jalloh-Prozess bei Zeugenaussagen von Polizisten eine "Mauer des Schweigens, die nicht immer durchbrochen werden konnte". Auch Minhel mag an Erinnerungslücken nicht glauben. Und wünscht sich, die Polizei würde offensiver um neues Vertrauen werben. "Sie beteiligt sich an Projekten, aber es wäre schön,wenn sie selbst die Initiative ergreifen würde", sagt er.
Seit 25 Jahren lebt Minhel in Deutschland. Manchmal hat er überlegt, Dessau zu verlassen. "Es ist traurig, wenn meine Tochter Angst um mich hat und sagt, 'Papa du musst aufpassen'", erklärt er. Viele Ausländer zögen in den Westen - des Jobs wegen und weil sie Städte dort als weltoffener empfinden. Minhel bleibt, gibt die Hoffnung nicht auf. Emigranten haben sich acht Jahre nach dem von Neonazis im Stadtpark verübten Mord am Mosambikaner Alberto Adriano und drei Jahre nach Jallohs Tod selbst organisiert, um ihre Interessen zu vertreten, sagt er. Der neue Oberbürgermeister lud jetzt zur Beratung über die Bildung eines Ausländerbeirates, Schulen kämen von sich aus auf Emigranten zu.
Minhel hofft, dass Projekte des Bündnisses gegen Rechtsextremismus noch mehr Dessauer erreichen - auch deshalb wird aus dem Adriano-Gedenktag nun eine Gedenkwoche im Juni mit buntem Programm im Stadtpark. Dessau habe unter Ausländern noch einen schlechten Ruf. "Dagegen müssen alle etwas unternehmen."