Gericht in Bremen verhandelt wegen des Todes eines Drogenhändlers durch Brechmitteleinsatz
BREMEN. Mehr als drei Jahre nach dem Tod eines mutmaßlichen Drogenhändlers in Polizeigewahrsam muss sich ein Arzt vor dem Bremer Landgericht verantworten. Ihm wird fahrlässige Tötung vorgeworfen.
Von Eckhard Stengel
Drei Jahre nach dem tödlichen Brechmitteleinsatz gegen einen mutmaßlichen Kokainhändler hat gestern in Bremen ein Strafprozess gegen den verantwortlichen Auftragsarzt der Polizei begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 44-Jährigen fahrlässige Tötung vor. Durch mangelnde Sorgfalt habe er den Tod des 35-Jährigen verursacht.
Der Angeklagte ließ über seinen Anwalt erklären, er "bedauert zutiefst", dass der junge Mann ums Leben gekommen sei. Der Vorfall habe "in seinem Leben tiefe Spuren hinterlassen". Er habe aber "auf der Basis der damaligen Rechtsauffassung" gehandelt: Das Oberlandesgericht Bremen und andere Obergerichte hätten Brechmitteleinsätze zur Sicherstellung verschluckter Drogenkügelchen für rechtmäßig erklärt. "Glücklicherweise", so der Verteidiger, seien die deutschen Gerichte später durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte "gebremst" worden: Die Straßburger Richter stuften die Zwangsvergabe von Brechmitteln 2006 als unmenschlich und erniedrigend ein.
Wie mehrfach berichtet, hatte der Polizeiarzt Ende 2004 dem mutmaßlichen Kokainkleinhändler Brechsirup und Wasser per Schlauch in den Magen gepumpt, um verschluckte Kokainkügelchen sicherzustellen. Laut der Anklage presste der an den Händen und Füßen Gefesselte beim Erbrechen die Zähne zusammen, zerbiss erbrochene Kugeln und schluckte sie herunter. Dies habe sich mit weiterem Erbrechen gekreuzt, so dass Wasser in die Lunge geraten sei und schleichenden Sauerstoffmangel verursacht habe. Der mutmaßliche Kleindealer fiel zunächst ins Koma und starb dann elf Tage später.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätte der Arzt die Lebensgefahr erkennen müssen. Stattdessen habe er sogar, als der Gefesselte nicht mehr ansprechbar gewesen sei, ihm weitere 20 Minuten lang Wasser eingeflößt. Nach dem Todesfall stoppte Bremen die Zwangsvergabe von Brechmitteln.
Der damalige Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) hatte diese Methode zunächst mit den Worten verteidigt: "Schwerstkriminelle" müssten nun mal "mit körperlichen Nachteilen" rechnen. Die Grünen brachten daraufhin erfolglos einen Misstrauensantrag gegen ihn ein. Inzwischen wurde im Bremer Gefängnis eine spezielle Toilette eingerichtet. Hier wird der natürliche Stuhlgang abgewartet, damit verschluckte Drogenkapseln sichergestellt werden können.
Die Mutter des Toten hat inzwischen außergerichtlich 10 000 Euro Schmerzensgeld vom Land Bremen erhalten. Sie und der Bruder des Getöteten wollen zu den weiteren Verhandlungstagen aus Afrika anreisen. Ein Urteil wird Mitte Mai erwartet.
http://www.radiobremen.de/magazin/polizei/drogenfahnder/brechmittel_pro…
Brechmittel-Einsatz: Tod durch Ertrinken
Polizeiarzt vor Gericht
Wegen fahrlässiger Tötung muss sich in Bremen ein Polizeiarzt vor dem Landgericht verantworten. Am 27. Dezember 2004 soll er einem mutmaßlichen Drogendealer im Bremer Polizeipräsidium zwangsweise Brechmittel verabreicht haben. Der 35-jährige Mann lag mehrere Tage im Koma, bevor er starb. Beim Prozessauftakt hat der angeklagte Polizeiarzt keine Angaben gemacht. Sein Anwalt erklärte, sein Mandant habe im Polizeipräsidium "auf Basis der damaligen Rechtsauffassung" gehandelt. Der Arzt bedaure zutiefst den Tod des Mannes, hieß es in einer vom Anwalt verlesenen Erklärung des Angeklagten, der sich selbst nicht äußerte. Der Fall habe tiefe Spuren in seinem Leben hinterlassen.
Der Prozess vor dem Landgericht soll am 23. April fortgesetzt werden. Bis Mitte Mai 2008 sind noch zwei weitere Verhandlungstermine angesetzt.
Arzt schweigt vor Gericht, [2'51]
Von Rainer Kahrs.
16. April 2008 | buten un binnen
Polizist bezeugt gewaltfreien Einsatz
Ein Polizeibeamter schildert den Ablauf der Tatnacht so: Der 35-jährige Afrikaner Laye Alama Condè aus Sierra Leone wurde verdächtigt, Drogen verschluckt zu haben. Nach der Festnahme habe er sich kaum oder gar nicht gewehrt. Ein Dolmetscher sei aus Zeitgründen nicht gerufen worden, obwohl der Beschuldigte schlecht Deutsch sprach. "Er hat trotzdem voll verstanden, worum es geht", meinte der 46 Jahre alte Zeuge. Dem Angeklagten sei die Magensonde zudem vorher gezeigt worden, um ihm zu verdeutlichen, dass eine freiwillige Einnahme des Brechmittels wesentlich angenehmer sei. Den Einsatz der Magensonde habe der 35-Jährige schließlich "sehr friedlich" über sich ergehen lassen. Vorsorglich habe man ihm aber schon zu Beginn der Brechmittelgabe Hände und Füße gefesselt.
Hände und Füße des Opfers waren gefesselt.
Gutachter attestieren Tod durch Ertrinken
Regelrecht ertrunken sei der Mann bei der Magenspülung, wurde in einem ärztlichen Gutachten festgestellt. Nach Angaben der Anklagebehörde hatte der Dealer nach dem Einflößen von Brechmitteln und Wasser über eine Magensonde die Zähne zusammengebissen, um ein Erbrechen zu verhindern. Einen Teil der in die Mundhöhle erbrochenen Flüssigkeit samt Kokainkügelchen habe er sofort wieder heruntergeschluckt. Bei gleichzeitigem Erbrechen und Schlucken bestehe jedoch die Gefahr, dass Flüssigkeit in die Lunge gerate. Der Mediziner hätte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erkennen müssen, dass das Opfer in Gefahr war, Wasser in die Lunge aufzunehmen und dabei schleichend zu ertrinken.
Der Sprecher der Staatsanwalt Jörn Hauschild erklärt dazu: "Dem Angeklagten wird konkret vorgeworfen, dass er aufgrund dieser deutlichen Bewusstseinseintrübung des Opfers den Vorgang hätte abbrechen müssen. Der Organismus des Opfers hätte das eindringende Wasser dann noch folgenlos wieder aufnehmen können, und er hätte überlebt."
Inzwischen wird in Bremen nicht mehr unter Zwang Brechmittel verabreicht. Alternative steht die Drogentoilette in der JVA Oslebshausen zur Verfügung.
Misstrauensantrag für Innensenator Röwekamp
Die Brechmittel-Affäre sorgte für politische Konflikte. Die Bremer Grünen brachten gegen den damaligen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) einen Misstrauensantrag ein. Der Senator hatte die umstrittene Zwangsmaßnahme mit dem Argument gerechtfertigt, niemand sei gezwungen, Drogen zu schlucken. Der Misstrauensantrag scheiterte in der Bürgerschaft.
"Das war Mord, Herr Röwekamp!" steht auf dem Banner, das Demonstranten im Januar 2005 durch Bremen tragen.
Früher wurden Brechmitteleinsätze auch in anderen Bundesländern wie Hamburg und Niedersachsen praktiziert. Durch die massive Kritik wird nun lieber mehrere Tage auf eine "natürliche Ausscheidung" der Kokaintütchen auf einer Drogentoilette gewartet. 2006 war Deutschland wegen des zwangsweisen Einsatzes eines Brechmittels bei einem in Köln lebenden Drogenkurier vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Der Einsatz des Brechmittels in diesem Fall sei ein Verstoß gegen das Verbot von Folter und menschenunwürdiger Behandlung, befanden die Straßburger Richter damals und wiesen auf die Gefährlichkeit dieser Zwangsmaßnahme hin.
Ermittlungen gegen Drogenfahnder
Im März 2008 ermittelt die Bremer Staatsanwaltschaft gegen sechs Zivilpolizisten. Die Beamten der "Zivilen Ermittlungsgruppe Süd" sollen Rauschgift unterschlagen haben, um damit Hinweisgeber für Informationen zu belohnen. Unter den Beschuldigten sind nach Informationen von Radio Bremen auch zwei Beamte, die den Schwarzafrikaner Condé unter dem Verdacht des Drogenhandels festgenommen und ins Polizeipräsidium gebracht hatten.
Ermittlungen bei Bremer Polizei
17.04.2008 - aktualisiert: 17.04.2008 09:08 Uhr
Brechmittel-Einsatz verstößt gegen Folterverbot
Deutschland wegen Brechmitteleinsatzes verurteilt
Brechmittel dürfen künftig in Deutschland bei der Drogenfahndung nicht mehr eingesetzt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Bundesrepublik, weil sie das Eintrichtern von Brechmitteln bislang erlaubt. Diese Methode verstoße gegen das Folterverbot, so das Gericht.
Von Martin Durm, ARD-Hörfunkkorrespondent, Straßburg
Das Zeug dreht einem den Magen um und geht nur schwer über die Zunge: Ipecacuanha heisst das Medikament, das sofortiges Erbrechen verursacht. In Polizeikreisen gilt es als eine Art Wundermittel im Kampf gegen Drogenhändler. Wenn die ihre in Plastikbeutel verschweißten Rauschgifte noch kurz vor der Verhaftung verschlucken, wird ihnen in einigen Bundesländern Ipepacuanha eingeflösst, um doch noch an die Beweismittel zu kommen.
"Ein Urteil mit Signalwirkung?"
[Bildunterschrift: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ]
Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg hat diese zwangsweise Verabreichung des Medikaments nun verboten. Gleichzeitig verurteilte er die Bundesrepublik Deutschland, weil sie das polizeiliche Eintrichtern des Brech-Medikamentes bislang erlaubte. Andrej Busch ist der Anwalt eines Drogenkuriers, der mit dem Brechmittel traktiert worden ist. Genau diesen Richterspruch hat er sich in Straßburg erhofft: "Das ist ein Urteil, das Signalwirkung über die Grenzen von Deutschland hinaus hat. Man darf allerdings nicht vergessen, dass zwei Menschen in Bremen und in Hamburg ihr Leben lassen mussten und selbst das Bundesverfassungsgericht dieser Praxis keinen Riegel vorschieben wollte. Wir hoffen daher umso mehr, dass jetzt die Bundesregierung und vor allen Dingen die Bundesländer und Polizeibehörden alles Erforderliche tun, um dieses Urteil schnellstmöglich umzusetzen.“
Zwei Tote bei BrechmitteleinsatzSein Mandant wird nun von Deutschland 10.000 Euro Schadensersatz erhalten. Für zwei afrikanische Drogenkuriere kommt das Urteil aber zu spät. Sie starben, als ihnen Ärzte in Bremen und in Hamburg Magensonden in den Leib schoben, um ihnen unter Zwang das mit Wasser verdünnte Medikament einzutrichtern. Was da bislang möglich war und auch vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert worden ist, verstößt nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Artikel drei der Menschenrechtskonvention. Dieser Artikel verbietet die erniedrigende Behandlung von Menschen und die Anwendung der Folter.
Deutschland hat gegen Menschenrechte verstoßenIm Umkehrschluss bedeutet das Urteil von Straßburg, dass Deutschland im Kampf gegen Rauschgiftkriminalität gegen Menschenrechte verstoßen hat. Genau diese Auffassung wird auch seit Jahren von der Ärztekammer vertreten und vom Generalsekretär des Weltärztebundes Dr. Ottmar Kläuber. Magensonden zwangsweise einführen, Brechmittel einflössen, um an Beweismittel ranzukommen - das alles verletze die Menschenwürde und erinnere ihn an Foltermethoden.
In den vergangenen Jahren wurde das Brechmittel vor allem in Bremen und Hamburg aber auch in Berlin Nordrhein-Westfalen und Hessen eingesetzt. Die Drogenfahnder in Bayern oder in Baden-Württemberg haben darauf verzichtet und auf konservative Methoden gesetzt. Denn die gibt es auch, sagt Dr. Kläuber. Dafür braucht es keine Gewalt sondern nur ein wenig Geduld: "Man lässt den mutmaßlichen Drogendealer einfach so lange sitzen, bis er seinen Darm auf natürliche Weise entleert hat. Dann kann man in einem so genannten Drogenklo die Drogenpakete herausfischen. Das Ganze lässt sich also auf natürliche Weise regeln.“
Mittwoch, 16. April 2008 12:01
Arzt bedauert Tod eines Mannes nach Brechmittelvergabe
Prozess begann in Bremen
Mehr als drei Jahre nach dem tödlichen Brechmitteleinsatz bei einem mutmaßlichen Drogendealer in Polizeigewahrsam muss sich seit Mittwoch ein Arzt vor dem Bremer Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 44-Jährigen fahrlässige Tötung vor.
Bremen (ddp-nrd). Mehr als drei Jahre nach dem tödlichen Brechmitteleinsatz bei einem mutmaßlichen Drogendealer in Polizeigewahrsam muss sich seit Mittwoch ein Arzt vor dem Bremer Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 44-Jährigen fahrlässige Tötung vor.
Der Mediziner hatte einem 35-Jährigen aus Sierra Leone im Dezember 2004 im Auftrag der Polizei zwangsweise Brechsirup und Wasser eingeflößt, um verschluckte Drogen sicherzustellen. In der Folge war der Afrikaner ins Koma gefallen und elf Tage später gestorben. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätte der Arzt rechtzeitig eingreifen und den Tod verhindern können.
Über seinen Anwalt ließ der Angeklagte erklären, er bedauere zutiefst, dass der Mann ums Leben gekommen sei. Er habe auf der Grundlage der damaligen Rechtsauffassung gehandelt. Diese sei von obersten Gerichten bestätigt worden. «Glücklicherweise» habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Brechmittelvergabe inzwischen verboten, sagte der Verteidiger.
Der Afrikaner hatte laut Staatsanwalt die Zähne zusammengebissen und erbrochenen Mageninhalt und das Wasser wieder hinunter geschluckt. Dabei sei Wasser in die Lunge geraten. Obwohl der Mann nicht mehr ansprechbar gewesen sei, habe der Arzt noch 20 Minuten lang weiter Wasser verabreicht. Damit habe er seine ärztliche Sorgfaltpflicht verletzt.
Einer der beiden bei dem Vorfall anwesenden Polizeibeamten sagte, der Mann habe sich geweigert, den Brechsirup selbst zu trinken. Daraufhin sei er auf einem Stuhl fixiert worden. Bei der zwangsweisen Brechmittelvergabe habe der Afrikaner sich zweimal übergeben müssen, mehrere Kokainpäckchen seien erbrochen worden.
Als das Überwachungsgerät einen nicht normalen Sauerstoffwert anzeigte, habe der Arzt den Notarzt verständigt. Es sei unklar gewesen, ob das Gerät defekt gewesen sei, sagte der Beamte. Als der Notarzt eintraf, habe dieser seine Zustimmung für die weitere Vergabe gegeben. Der Prozess wird am 23. April fortgesetzt. In einem außergerichtlichen Vergleich bekam die Mutter des Opfers bereits 10 000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.
http://www.kanal8.de/default.aspx?ID=3918&showNews=211464
(ddp)