Laye Conde: Prozess wegen Tod durch Brechmitteleinsatz in Bremen
https://thevoiceforum.org/node/751
+++
Brechmittel-Einsatz: Tod durch Ertrinken
Zeuge belastet Polizeiarzt am 2. Prozesstag
Im Prozess vor dem Bremer Landgericht um den tödlichen Brechmitteleinsatz hat ein Zeuge den damals behandelnden Polizeiarzt belastet. Der Angeklagte steht wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Er soll einem mutmaßlichen Drogendealer im Dezember 2004 im Bremer Polizeipräsidium zwangsweise Brechmittel verabreicht haben. Der Mann lag nach dem Einsatz mehrere Tage im Koma bevor er starb.
Der Bremer Notarzt, der als Zeuge vor Gericht ausgesagt hat, war damals zur Hilfe ins Bremer Polizeipräsidium gerufen worden, so seine Aussage. Dort habe er dann beobachtet, wie der zuständige Polizeiarzt dem 35-jährigen Afrikaner literweise Wasser eingeflößt hat, um ihn zum Erbrechen zu bringen. Danach, so der Zeuge, habe der Mann aus Sierra Leone nicht mehr geatmet.
Hände und Füße des Opfers waren gefesselt.
Notarzt belastet den Angeklagten Nach Aussagen des Bremer Notarztes sei dem Angeklagten der Ernst der Lage offenbar nicht bewusst gewesen. Der Polizeiarzt und zwei weitere Polizisten seien die ganze Zeit über sehr ruhig geblieben. Der Angeklagte hat sich zu dem Fall bislang nicht geäußert. Durch seinen Anwalt ließ er lediglich erklären, dass er bei dem Einsatz auf Basis des damals geltenden Rechts gehandelt habe. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Gefängnis.
Die Mutter des Opfers, Fatma Tarawilli, kam extra aus Guinea ins Landgericht nach Bremen. Sie will genau wissen, wie ihr Sohn nach dem Brechmitteleinsatz der Polizei starb. Bis Mitte Mai 2008 sind noch zwei weitere Verhandlungstermine angesetzt.
Von Rainer Kahrs.
23. April 2008 | buten un binnen
Polizist bezeugt gewaltfreien Einsatz
Ein Polizeibeamter schildert den Ablauf der Tatnacht so: Der 35-jährige Afrikaner Laye Alama Condè aus Sierra Leone wurde verdächtigt, Drogen verschluckt zu haben. Nach der Festnahme habe er sich kaum oder gar nicht gewehrt. Ein Dolmetscher sei aus Zeitgründen nicht gerufen worden, obwohl der Beschuldigte schlecht Deutsch sprach. "Er hat trotzdem voll verstanden, worum es geht", meinte der 46 Jahre alte Zeuge. Condé sei die Magensonde zudem vorher gezeigt worden, um ihm zu verdeutlichen, dass eine freiwillige Einnahme des Brechmittels wesentlich angenehmer sei. Den Einsatz der Magensonde habe der 35-Jährige schließlich "sehr friedlich" über sich ergehen lassen. Vorsorglich habe man ihm aber schon zu Beginn der Brechmittelgabe Hände und Füße gefesselt.
Beim Prozessauftakt hat der angeklagte Polizeiarzt keine Angaben gemacht. Sein Anwalt erklärte, sein Mandant habe im Polizeipräsidium "auf Basis der damaligen Rechtsauffassung" gehandelt. Der Arzt bedaure zutiefst den Tod des Mannes, hieß es in einer vom Anwalt verlesenen Erklärung des Angeklagten, der sich selbst nicht äußerte. Der Fall habe tiefe Spuren in seinem Leben hinterlassen.
Das Opfer: Laye Alama Condè aus Sierra Leone
Arzt schweigt vor Gericht, [2'51]
Von Rainer Kahrs.
16. April 2008 | buten un binnen
Gutachter attestieren Tod durch Ertrinken
Regelrecht ertrunken sei der Mann bei der Magenspülung, wurde in einem ärztlichen Gutachten festgestellt. Nach Angaben der Anklagebehörde hatte der Dealer nach dem Einflößen von Brechmitteln und Wasser über eine Magensonde die Zähne zusammengebissen, um ein Erbrechen zu verhindern. Einen Teil der in die Mundhöhle erbrochenen Flüssigkeit samt Kokainkügelchen habe er sofort wieder heruntergeschluckt. Bei gleichzeitigem Erbrechen und Schlucken bestehe jedoch die Gefahr, dass Flüssigkeit in die Lunge gerate. Der Mediziner hätte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erkennen müssen, dass das Opfer in Gefahr war, Wasser in die Lunge aufzunehmen und dabei schleichend zu ertrinken.
Der Sprecher der Staatsanwalt Jörn Hauschild erklärt dazu: "Dem Angeklagten wird konkret vorgeworfen, dass er aufgrund dieser deutlichen Bewusstseinseintrübung des Opfers den Vorgang hätte abbrechen müssen. Der Organismus des Opfers hätte das eindringende Wasser dann noch folgenlos wieder aufnehmen können, und er hätte überlebt." Inzwischen wird in Bremen nicht mehr unter Zwang Brechmittel verabreicht. Alternative steht die Drogentoilette in der JVA Oslebshausen zur Verfügung.
Misstrauensantrag für Innensenator Röwekamp
Die Brechmittel-Affäre sorgte für politische Konflikte. Die Bremer Grünen brachten gegen den damaligen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) einen Misstrauensantrag ein. Der Senator hatte die umstrittene Zwangsmaßnahme mit dem Argument gerechtfertigt, niemand sei gezwungen, Drogen zu schlucken. Der Misstrauensantrag scheiterte in der Bürgerschaft.
"Das war Mord, Herr Röwekamp!" steht auf dem Banner, das Demonstranten im Januar 2005 durch Bremen tragen.
Früher wurden Brechmitteleinsätze auch in anderen Bundesländern wie Hamburg und Niedersachsen praktiziert. Durch die massive Kritik wird nun lieber mehrere Tage auf eine "natürliche Ausscheidung" der Kokaintütchen auf einer Drogentoilette gewartet. 2006 war Deutschland wegen des zwangsweisen Einsatzes eines Brechmittels bei einem in Köln lebenden Drogenkurier vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Der Einsatz des Brechmittels in diesem Fall sei ein Verstoß gegen das Verbot von Folter und menschenunwürdiger Behandlung, befanden die Straßburger Richter damals und wiesen auf die Gefährlichkeit dieser Zwangsmaßnahme hin.
Ermittlungen gegen Drogenfahnder
Im März 2008 ermittelt die Bremer Staatsanwaltschaft gegen sechs Zivilpolizisten. Die Beamten der "Zivilen Ermittlungsgruppe Süd" sollen Rauschgift unterschlagen haben, um damit Hinweisgeber für Informationen zu belohnen. Unter den Beschuldigten sind nach Informationen von Radio Bremen auch zwei Beamte, die den Schwarzafrikaner Condé unter dem Verdacht des Drogenhandels festgenommen und ins Polizeipräsidium gebracht hatten.
Ermittlungen bei Bremer Polizei