Hagen: Polizei verschweigt weiteren Todesfall
VON ANNIKA JOERES
Polizei in Hagen (ddp)
Die Polizei in Hagen hat einen weiteren Todesfall unter ihrer Aufsicht verschwiegen: Nach Informationen der Frankfurter Rundschau starb am 14. Mai 2007 ein 35 Jahre alter Franzose, als er von Polizeibeamten an Händen, Füßen und am Kinn fixiert wurde. Die Umstände des Vorfalls erinnern bis ins Detail an den tragischen Tod von Adem Özdamar. Auch der 26-jährige Türke fiel im Februar auf einer Hagener Polizeiwache während der Fesselung ins Koma und verstarb wenige Wochen später.
Sein Todesfall wird inzwischen von der türkischen Justiz untersucht, die Ermittlungen der deutschen Behörden dauern an. Vom Tod des 35-jährigen Schwarzen aus Frankreich erfuhr die Öffentlichkeit hingegen nichts. Sie wurde nicht informiert, wie die Staatsanwaltschaft bestätigte.
Keine Pressemitteilung
Während die Hagener Polizei in durchschnittlich sechs Pressemitteilungen am Tag über abgebrochene Autospiegel, betrunkene Radfahrer und Trickdiebe informiert, fand der Todesfall mit keiner Silbe Erwähnung.
Auch heute weigert sich die Staatsanwaltschaft trotz mehrerer schriftlicher Anfragen, Details zu den Umstände des Todesfalls zu nennen.
Bestätigt ist nur, dass der Mann sich in einer Hagener Klinik befand, als ihn die Polizeibeamten fixierten. Laut Oberstaatsanwalt Reinhard Rolfes litt er unter einer Psychose und weigerte sich, Medikamente einzunehmen. Drei Polizisten sollen ihn daraufhin an Händen und Füssen gefesselt haben. Zur "Verhinderung von Beiß- und Spuckversuchen" wurde zudem sein Kinn fixiert. Wie lange und wie sein Kinn festgebunden und damit seine Atmung möglicherweise behindert wurde, will die Staatsanwaltschaft nicht beantworten.
Dabei ist unter Medizinern und Polizeibeamten die Gefährlichkeit dieser Fixierung bekannt. Sie kann die Atmung behindern, die Zunge kann in den Rachen fallen und diesen verschließen. Gerade bei erregten Personen kann eine reduzierte Sauerstoffaufnahme schon nach einer Minute zu einem Herzstillstand führen.
Viele Fragen lässt die Staatsanwaltschaft offen. Wieso haben Polizeibeamte den Mann fixiert? Für Ärzte und Pflegepersonal auf psychiatrischen Stationen ist es Routine, dass sich Patienten gegen die Medikamenteneinnahme wehren. Warum wurde sein Kinn fixiert? Schließlich
war er an Füßen und Händen mit Fixierbändern gefesselt und kaum in der Lage, Beamte oder Pflegepersonal zu beißen.
Nicht einmal die Dauer der Ermittlungen will die Staatsanwaltschaft mitteilen. Sie beruft sich auf das "im allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurzelnde Geheimhaltungsinteresse der beteiligten Personen".
Staatsanwalt Rolfes sieht sich "außerstande, weitere Angaben zum Tatort und zu den Beteiligten zu machen".
Juristisch ist das zumindest Einschätzungssache: Polizeibeamte können sich im Rahmen ihrer Amtsausübung nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen, und die Person des Verstorbenen kann nicht durch formale Angaben wie das Todesdatum verletzt werden. Abgesehen davon gab die Hagener Polizei im Fall von Adem Özdamar sehr persönliche Umstände preis: Mehrfach gab sie an, er solle Kokain konsumiert haben.Staatsanwalt unter Druck Beauftragt mit der rechtsmedizinischen Begutachtung, die bei jedem Todesfall in Anwesenheit von Polizeibeamten obligatorisch ist, wurde wie im Fall Özdamar das Dortmunder Institut für Rechtsmedizin unter der Leitung von Ralf Zweihoff beauftragt. Es kam in seinem Gutachten über den verstorbenen Franzosen und im vorläufigen Gutachten zu Adem Özdamar zu der gleichlautenden und entschuldigenden Formulierung: "Hirntod durch Herz-Kreislauf-Stillstand als Folge eines Zustandes nach Reanimation." Im Fall Özdamar reagierte die Staatsanwaltschaft erst auf Druck der Öffentlichkeit. Einen Tag nach der Obduktion des Leichnams teilte sie mit, es gebe keine Anhaltspunkte für eine Schuld der elf beteiligten Polizisten am Tod des Deutsch-Türken. Nach Berichten in der FR und in türkischen Zeitungen wurde die Verkündung der Obduktionsergebnisse immer weiter verschoben. Inzwischen sind zwei Monate vergangen. Weder die deutschen noch die türkischen Gerichtsmediziner wollen bislang ihre Ergebnisse veröffentlichen.
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Dokument erstellt am 19.05.2008 um 17:44:01 Uhr
Letzte Änderung am 20.05.2008 um 12:03:17 Uhr
Erscheinungsdatum 20.05.2008