Bad Salzungen / Gerstungen Flüchtlingslager: Gleiche Rechte für alle statt interkultureller Heuchelei
* Hausverbot im Flüchtlingslager »Karawane« durch Polizeieinsatz an Dokumentation unhaltbarer Zustände in thüringischer Sammelunterkunft gehindert
30.09.2010 / Inland / Seite 8Inhalt
»Wir müssen ordentliche Wohnungen bekommen«
Unzufriedene Flüchtlinge mischten »Interkulturelle Woche« auf – und plötzlich wird ihr Heim renoviert. Ein Gespräch mit Liridona Rexha
Interview: Gitta Düperthal
foto. Liridona Rexha kommt aus dem Kosovo.
http://www.jungewelt.de/2010/09-30/057.php
Liridona Rexha kommt aus dem Kosovo. Sie lebt seit elf Jahren mit einer »Duldung« in der Flüchtlingsunterkunft Gerstungen in Thüringen
Die »Interkulturelle Woche« ist am Samstag in Bad Salzungen nicht ganz nach Plan verlaufen: Bewohner des örtlichen Flüchtlingsheims und Aktivisten von »The Voice« haben die Veranstaltung gesprengt – und Sie waren dabei. Was war da los?
Anlaß unserer Empörung war, daß dort ein Mensch namens Faton Cizmolli als »Migrantensprecher« für die Gemeinschaftsunterkunft Gerstungen auftreten sollte. Diesen Mann kennt aber kein Mensch bei uns im Heim! Es ist ein Skandal, daß jemand von außerhalb einfach öffentlich behaupten wollte, wir führten dort ein gutes Leben.
In Wirklichkeit ist es für uns alle hart und ungerecht – wir sind ungefähr 80 Bewohner in dieser ehemaligen Kaserne: Wir dürfen nicht arbeiten, können den ganzen Tag lang nur herumsitzen, alles ist schimmelig und rostig, durch die Decke tropft Wasser, und die Heimleitung versucht ständig, uns einzuschüchtern. Ich habe zwar einen Hauptschulabschluß, darf aber keine Ausbildung machen. Wir wohnen sehr beengt, obwohl ich 19 Jahre alt bin, muß ich mit meinem Bruder in einem Zimmer schlafen.
Wir hatten erst am Freitag von Cizmollis Auftritt erfahren und waren ziemlich perplex. Spontan beschlossen wir, mit etwa 30 Flüchtlingen aus Gerstungen und Aktivisten von »The Voice Refugee Forum« aus Jena, Apolda und Eisenach nach Bad Salzungen zu fahren. Wir wollten an dieser Veranstaltung teilnehmen und alle Lügen richtigstellen. In unserer Gruppe waren viele Nationen vertreten: Syrien, Afghanistan, Aserbaidschan, Sierra Leone, Kosovo, Iran und andere. Viele von uns leben seit acht oder mehr Jahren völlig isoliert in diesem baufälligen Heim. Zur »Interkulturellen Woche« hatte man uns aber noch nie eingeladen.
Wie war die Stimmung am Samstag, als die Flüchtlinge plötzlich im Saal auftauchten und Flugblätter verteilten? Welche Reaktionen gab es?
Ziemlich hochstehende Leute waren da im Vier-Sterne Kurhotel aufgelaufen, unter ihnen Thüringens Innenminister Peter Huber (CDU). Einige kamen in Abendroben, andere sogar in Bundeswehruniform. Etliche Besucher der Veranstaltung waren wegen unseres Auftritts schon schockiert und reagierten ein bißchen komisch – u. a. rätselten sie darüber, wie wir von diesem Termin wohl erfahren haben könnten. Aber die Hälfte des Publikums fand es gut, daß wir Flüchtlinge uns selbst zu Wort meldeten. Sie haben uns applaudiert.
Kamen Sie denn gleich zu Wort?
Zunächst hatte man sich geweigert, uns sprechen zu lassen. Dann verteilten wir Flugblätter, und es entstand Unruhe im Saal. Der Innenminister gab dann in seiner Rede zu, daß Cizmolli keineswegs ein Vertreter von Migranten ist, sondern lediglich seine persönliche Meinung zum Thema »Integration« darbieten wollte. Anschließend durften auch wir das Wort ergreifen.
Offenbar ist Ihr Aufmischen der »Interkulturellen Woche« nicht ohne Erfolg geblieben. Während wir miteinander am Telefon reden, sind im Hintergrund Baugeräusche zu hören ...
Jetzt wird hier im Flüchtlingswohnheim plötzlich alles im Eiltempo renoviert. Das muß wohl fix gehen, denn der Innenminister hatte am Samstag angedroht, er werde sich unser Heim in sechs Wochen mal näher anschauen. Aber selbst wenn jetzt einiges renoviert wird – es ändert doch nichts daran, daß wir dann weiter auf engstem Raum zusammengepfercht sind. Nachts macht man oft kein Auge zu, und am Tag kann man sich nicht zurückziehen – es herrscht eigentlich immer Lärm. Ihm können wir uns nicht entziehen, Geld für Fahrkarten ist so gut wie gar nicht da, außerdem herrscht für uns die Residenzpflicht. Es gibt für uns nur eine Lösung: Das Heim muß dichtgemacht werden, und wir müssen ordentliche Wohnungen bekommen.
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